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DOI: 10.1055/s-0043-120998
Bedarf und Realität
Publication History
Publication Date:
15 November 2017 (online)
Die Darmkrebsinzidenz steigt bei beiden Geschlechtern mit dem Alter stark an, ist jedoch in allen Altersgruppen des höheren Erwachsenenalters bei Männern deutlich höher als bei Frauen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass Männer ein vergleichbares Darmkrebsrisiko in deutlich jüngerem Alter erreichen als Frauen. Analoges gilt für die Darmkrebsmortalität (Brenner et al. Br J Cancer 2008; 99: 532 – 5).
Das höhere Erkrankungsrisiko für die Männer spiegelt sich auch in den altersspezifischen Prävalenzen relevanter Befunde der Vorsorgekoloskopie wider. So stieg laut Angaben des Nationalen Registers der Vorsorgekoloskopien beispielsweise die Prävalenz fortgeschrittener Neoplasien im Jahr 2014 bei Männern von 7,5 Prozent in der Altersgruppe von 55 bis 59 Jahren auf 11,7 Prozent in der Altersgruppe von 75 bis 79 Jahren, bei Frauen variierten die Prävalenzen zwischen 4,3 Prozent und 7,5 Prozent. Paradoxerweise wird aber gerade in den jüngeren Altersgruppen die Darmkrebsvorsorge von Männern, die viel mehr davon profitieren würden, weniger in Anspruch genommen als von Frauen (Altenhofen, Projekt Wissenschaftliche Begleitung von Früherkennungs-Koloskopien in Deutschland Berichtszeitraum 2014). Eine verbesserte Motivation der Männer zur Nutzung der Chancen der Darmkrebsvorsorge ist daher vordringlich. Die im Nationalen Krebsplan und im Krebsfrüherkennungs- und registergesetz seit langem geforderte Einführung eines organisierten Screenings mit gezielter Einladung der Teilnahmeberechtigten dürfte hierfür ein entscheidender Schritt sein (Hoffmeister et al. Dtsch Arztebl Int 2017; 114: 87 – 93), der endlich in die Praxis umgesetzt werden sollte.
Daneben stellt sich aber auch die Frage, ob Männern aufgrund des deutlich höheren Darmkrebsrisikos die Vorsorgekoloskopie bereits in einem jüngeren Alter angeboten werden sollte. Relevante Daten zu dieser Fragestellung liefert eine jüngst im Rahmen eines landesweiten Modellprojekts in Baden-Württemberg durchgeführte Studie, in der die Vorsorgekoloskopie auch 50- bis 54-jährigen Versicherten der AOK Baden-Württemberg angeboten wurde. Auch in dieser Altersgruppe war die Prävalenz fortgeschrittener Neoplasien bei Männern (8,6 %) fast doppelt so hoch als bei Frauen (4,6 %) (Brenner et al. Dtsch Arztebl Int 2017; 114: 94 – 100). Die Prävalenz der 50- bis 54-jährigen Männer war zudem deutlich höher als die entsprechende, aus dem Nationalen Register bekannte Prävalenz der über 55-jährigen Frauen. Diese Daten stellen die gegenwärtige Praxis in Deutschland in Frage, den 50- bis 54-jährigen Männern die Vorsorgekoloskopie nicht als Kassenleistung anzubieten.
Die bestmögliche Passung von Therapie, Bedarf und Nutzen ist im Zeitalter der personalisierten Medizin zwischenzeitlich in aller Munde. Es ist an der Zeit, dass sich auch die Vorsorgeangebote vermehrt nach Bedarf und Nutzen ausrichten.
Prof. Dr. Hermann Brenner (Foto), Laura Gruner, PD Dr. Michael Hoffmeister (Abt. Klinische Epidemiologie und Alternsforschung, Deutsches Krebsforschungszentrum [DKFZ], Heidelberg)