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DOI: 10.1055/s-0042-1748335
Harze und Gummen aus dem Mittelmeerraum – eine ethnomedizinische Betrachtung
Pflanzliche Harze gehören seit jeher zu den begehrtesten Naturprodukten und waren bereits in der frühesten Kulturgeschichte ein wichtiges Handelsgut. Zahlreiche Harze und Gummen stammen aus dem Mittelmeerraum und haben eine weit zurückreichende und wichtige kulturelle Bedeutung. Wie ethnobotanische Studien zeigen, werden dort verschiedene dieser Stoffe noch heute in vielfältiger Weise verwendet, beispielsweise für den medizinischen, kulinarischen oder zeremoniellen Gebrauch.
Die Mittelmeerregion ist Heimat verschiedener Harz oder Gummi produzierender Bäume, Sträucher und Stauden. Die De Materia Medica von Dioskurides (1. Jh.) z. B. nennt Mastix, Ladanum, Storax und Skammonium als Produkte der östlichen Mittelmeerregion.
In diesem Vortrag werden kulturhistorisch relevante Harze und Gummen der mediterranen Flora aus pharmakognostischer Perspektive beleuchtet und hinsichtlich ihrer heutigen ethnomedizinischen Bedeutung untersucht. Ausgewählt wurden Vertreter, die in einflussreichen mittelalterlichen medizinischen Texten der griechischen, arabisch-islamischen und lateinischen Tradition regelmässig aufgeführt sind. Als Referenz für die jeweiligen Traditionslinien dienten: das medizinische Kompendium von Paul von Aegina (7. Jh.); das Circa instans der Schule von Salerno (12. Jh.); das Kompendium zu Heil- und Nahrungsmitteln von Ibn al Baitar (13. Jh.). Ziel ist es, die betreffenden Harze und Gummen basierend auf ihrer stofflichen Zusammensetzung und botanischen Verwandtschaft zu kategorisieren sowie ihre Stammpflanzen zu definieren. Im Weiteren wird untersucht, welche Rolle diese Produkte in den Ursprungsregionen heute noch spielen, wobei einige besonders interessante Vertreter näher betrachtet werden.
Mindestens 22 Harze und Gummen der mediterranen Flora werden regelmässig in den untersuchten historischen Texten erwähnt ([Tab. 1]). Die hergeleitete Identität der jeweiligen Stammpflanzen basiert mehrheitlich auf taxonomisch verifizierten Daten aus neueren ethnobotanischen Studien (verwendete Literatur beim Autor). Basierend auf dieser Datengrundlage können die Angaben in älteren pharmakognostischen Referenzen kritisch beurteilt werden. Unter dem Vorbehalt, dass die Stammpflanzen historisch konsistent sind, lassen sich damit die betreffenden mittelalterlichen Arzneidrogen besser erfassen. Die Berücksichtigung taxonomisch verifizierter Stammpflanzen bietet aus ethnopharmazeutischer Sicht die Möglichkeit, auf diesen Pflanzenexsudaten basierende historische Rezepte mit grösserer Sicherheit zu rekonstruieren und anschliessend zu untersuchen. Die vorhandene Datenlage verdeutlicht jedoch auch, dass für verschiedene Stoffe mehrere Qualitäten existieren oder mehrere Stammpflanzen in Betracht gezogen werden müssen. Dabei kann es sich um gleichwertige lokale oder unterschiedliche regionale Substitute handeln.
Produkt |
Stammpflanze |
---|---|
Ammoniacum, afrikan. |
Ferula tingitana L., Ferula spp. |
Efeu-Gummi |
Hedera helix L. |
Kirschen-Gummi |
Prunus avium (L.) L. |
Ladanum, ost-mediterr. |
Cistus creticus L. ssp. creticus |
Ladanum, west-mediterr. |
Cistus ladanifer L. |
Mandel-Gummi |
Prunus amygdalus Batsch |
Mastix |
Pistacia lentiscus L. |
Ölbaum-Harz |
Olea europea L. ssp. europaea |
Opopanax, mediterr. |
Opopanax chironium (L.) W. D. J. Koch, O. hispidus (Friv.) Griseb. |
Pflaumen-Gummi |
Prunus domestica L. |
Pinien-Harze |
Pinus brutia Ten., P. halepensis Mill., P. nigra J. F. Arnold |
Sandarak |
Tetraclinis articulata (Vahl) Masters |
Scammony |
Convolvulus scammonia L., C. betonicifolius Mill. |
Silphium, cyrenaïcum |
Apiaceae, evtl. Ferula sp.? |
Storax, fest |
Styrax officinalis L. |
Storax, flüssig |
Liquidambar orientalis Mill. |
Tannen-Harze |
Abies cilicica Carr., Abies spp. |
Terebinthen-Harz |
Pistacia atlantica Desf., P. terebinthus L. |
Thapsia |
Thapsia garganica L. |
Tragacanth |
Astragalus gummifer Labill., Astragalus spp. |
Wacholder-Harz |
Juniperus excelsa M. Bieb., Juniperus spp. |
Zedern-Harz |
Cedrus libani A. Rich. |
Insgesamt zeigen die Resultate sowohl den Fortbestand jahrhundertealter Traditionen (z. B. Mastix aus Chios, Ladanum aus Kreta oder Koniferen-Harze verschiedener Herkunft), aber ebenso deren Abbruch bzw. den Verlust von damit verbundenem Wissen (z. B. Ammoniakum, Opopanax, Thapsia oder Skammonium). Auch illustrieren sie die mögliche Relevanz von Varietäten oder lokalen Populationen bei der Harz-Produktion oder generell die Problematik von Habitatverlust, genetischer Erosion und Nutzungsdruck. Prä-/Klinische Daten besonders zu Mastix aus Pistacia lentiscus und Ladanum aus Cistus creticus ssp. creticus versprechen ein Potential, das auch in der Phytotherapie bei weitem noch nicht ausgeschöpft ist.
Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
13. Juni 2022
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