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DOI: 10.1055/s-0042-113603
Bonusleistungen der sozialen Krankenversicherung: eine Klassifizierung auf Basis ethischer Argumente
Rewards for Social Health Insurance Enrollees: A Conceptual Framework and Ethical AnalysisPublication History
Publication Date:
16 September 2016 (online)
Einleitung
Die soziale Krankenversicherung (bzw. die Gesetzliche Krankenversicherung in Deutschland) ist ein modernes sozioökonomisches Programm zur Förderung von Gerechtigkeit und Solidarität [1]. Versicherte leisten Beiträge auf Basis ihrer Zahlungsfähigkeit. Die gesammelten Beiträge werden dann je nach Bedürftigkeit von „reich nach arm“, „gesund nach krank“ bzw. „jung nach alt“ umverteilt. In einer Periode gesammelte Beiträge werden typischerweise auch in derselben ausgegeben, also nicht für die Zukunft angespart.
Im Gegensatz zur Lebens- bzw. Autoversicherung definiert die soziale Krankenversicherung gewöhnlich nicht zukünftige Versicherungsleistungen im Detail. Ein wesentlicher Grund ist Ungewissheit hinsichtlich des medizinisch-technischen Fortschritts. Daher bleibt der sozialen Krankenversicherung eine gewisse Handlungsfreiheit, den Umfang an Versicherungsleistungen in jeder Periode neu zu definieren, einschließlich der Behandlungsstandards für ältere Versicherte.
Aufgrund begrenzter Beitragszahlungen ihrer Mitglieder stellt sich für die soziale Krankenversicherung die Frage, ob und inwieweit Leistungen für Ältere eingeschränkt werden sollten. Es gibt 2 bekannte ethische Argumente, die gegen eine solche Altersrationierung sprechen[1]. Das erste, auch als „Verdienstargument“ [3] bekannt, besagt, dass Ältere Finanzierungsanspruch für Leistungen im Krankheitsfall haben, da sie ein Leben lang in die Sozialversicherung eingezahlt haben (in erweiterter Version bezieht sich das Argument auch auf andere Formen gesellschaftlichen Beitrags). Somit knüpft das Verdienstargument die Bereitstellung medizinischer Versorgung an ihre Finanzierung. Das zweite, sogenannte „Bedürftigkeitsargument“ [4] stellt hingegen darauf ab, dass Ältere eine größere Bedürftigkeit, gemessen als schwerwiegendere Krankheitsfolgen in Abwesenheit einer Behandlung, aufweisen. Ressourcenallokation auf Basis von Bedürftigkeit entspricht dabei dem traditionellen Vorgehen einer sozialen Krankenversicherung und folgt dem Grundsatz von Karl Marx: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“ [5]. Die beiden Bereiche Finanzierung und Bereitstellung von Krankenversorgung werden also voneinander getrennt. Somit beruht das Bedürftigkeitsargument auf dem Prinzip der Solidarität. Hingegen liegt dem Verdienstargument das Prinzip der Reziprozität (mit daraus resultierender Finanzierung von Leistungen im Krankheitsfall) zugrunde [6].
Andere ethische Argumente unterstützen eher eine Altersrationierung. Ein in dieser Hinsicht häufiges Argument ist, dass Ältere ihren fairen Anteil am Leben bereits hatten[2]. Ein ähnliches Argument besagt, dass jeder Anrecht nur auf eine über die Lebenszeit begrenzte Menge an Gesundheitsleistungen hat. Des Weiteren rechtfertigen Utilitaristen eine Altersrationierung mit dem abnehmenden Grenznutzen der Behandlung [8]. Schließlich argumentiert Daniels, dass Altersrationierung nicht zu Ungleichheit führe (im Gegensatz zur Diskriminierung auf Basis von Geschlecht oder Rasse), da jeder zu gegebener Zeit betroffen sei [9].
Grundsätzlich wird die Frage der Altersrationierung überlagert von der nach persönlicher Verantwortung für die eigene Gesundheit. Die Berücksichtigung persönlicher Verantwortung kann sich positiv oder negativ auf eine Altersrationierung auswirken, je nachdem ob Krankheiten Älterer selbstverschuldet sind oder nicht.
Ziel dieses Beitrags ist es, unter Berücksichtigung obiger Argumente zur Altersrationierung ein Klassifizierungsschema für Bonusleistungen an Versicherte zu entwickeln. Trotz der Tatsache, dass die o. g. Argumente häufig sind, sind deren Implikationen im Zusammenhang mit Bonusleistungen bisher unzureichend untersucht worden.
Für den Zweck unserer Analyse betrachten wir den Zugang zu nicht-rationierten Gesundheitsleistungen bzw. die Abwesenheit von Rationierung für bestimmte Gesundheitsleistungen als eine Form des Bonus für Versicherte. Der Bonusbegriff bezieht sich hier also auf jene Gesundheitsleistungen, die in Abwesenheit des Bonus nicht bereitgestellt würden. Ein Bonus kann somit auch nicht-monetär sein. Des Weiteren ist die Analyse auf unerwartete Bonusleistungen beschränkt, d. h. solche, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses (bei Krankenkassen: Beginn der Mitgliedschaft) nicht definiert oder zugesichert waren. Dies schließt Leistungserweiterungen wegen medizinischen Fortschritts ein.
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References
- 1 Hsiao WC, Shaw RP. Social health insurance for Developing Nations. Washington DC: The World Bank; 2007
- 2 Breyer F. Implizite versus explizite Rationierung von Gesundheitsleistungen. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 2012; 55: 652-659
- 3 Engelman M, Johnson S. Population aging and international development: Addressing competing claims of distributive justice. Dev World Bioeth 2007; 7: 8-18
- 4 Tragakes E, Vienonen M. Key issues in rationing and priority setting for health care services. WHO Regional Office for Europe 1998
- 5 Marx K. Kritik des Gothaer Programms. 1875; https://www.marxists.org/deutsch/archiv/marx-engels/1875/kritik/
- 6 Persad G, Wertheimer A, Emanuel EJ. Principles for allocation of scarce medical interventions. Lancet 2009; 373: 423-431
- 7 Esslinger AS, Franke S, Heppner HJ. Altersabhängige Priorisierung von Gesundheitsleistungen – Perspektiven für das deutsche Gesundheitswesen. Gesundheitswesen 2007; 69: 11-17
- 8 DeBolt K. What will happen to granny? Ageism in America: allocation of healthcare to the elderly & reform through alternative avenues. Cal W L Rev 2010; 47: 127
- 9 Daniels N. Justice and justification: Reflective equilibrium in theory and practice. New York: Cambridge University Press; 1996
- 10 Zweifel P, Breuer M. Weiterentwicklung des deutschen Gesundheitssystems. Zürich: Gutachten im Auftrag des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller; 2002
- 11 Dolan PA, Olsen JA. Equity in health: the importance of different health streams. J Health Econ. 2001; 20: 823-834
- 12 Buyx AM. Personal responsibility for health as a rationing criterion: why we don’t like it and why maybe we should. J Med Ethics 2008; 34: 871-874
- 13 Schmidt H. Bonuses as incentives and rewards for health responsibility: a good thing?. J Med Philos 2008; 33: 198-220
- 14 Sharkey K, Gillam L. Should patients with self-inflicted illness receive lower priority in access to healthcare resources? Mapping out the debate. J Med Ethics 2010; 36: 661-665