PPH 2016; 22(03): 174-175
DOI: 10.1055/s-0042-104689
Rund um die Psychiatrie
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Mitteilungen

Further Information

Publication History

Publication Date:
20 May 2016 (online)

Krankenhausfinanzierung: Pflege hat verloren!

Im Jahr 2004 wurde die Krankenhausfinanzierung in Deutschland grundsätzlich umgestellt. Seither gelten diagnosebezogene Fallpauschalen, das heißt Krankenhäuser bekommen heute pro Diagnose und Fall ein definiertes Entgelt. Vor dem Hintergrund dieses sogenannten DRG-Systems (Diagnosis Related Groups; deutsch: diagnosebezogene Fallgruppen) hat eine massive Verschiebung beim Personal und den Kosten insbesondere von der Krankenhauspflege auf die Ärzteschaft stattgefunden. Auf diesen Missstand hat Professor Frank Weidner, Leiter des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung (dip) e. V., auf dem Deutschen Pflegetag 2016 in Berlin in einem Vortrag hingewiesen.

Demnach hat es in den zehn Jahren von 2004 bis 2014 in den verbliebenen rund 1640 allgemeinen Krankenhäusern (minus 10 Prozent) einen Zuwachs von rund 31 500 Vollzeitstellen für Ärzte gegeben (plus 28 Prozent). Bei der Pflege betrug der Anstieg lediglich 6400 Vollzeitstellen (plus 2,3 Prozent), wobei es in den Jahren zuvor bereits einen massiven Stellenabbau in der Pflege um mehrere zehntausend Stellen gegeben hatte.

Die Personalkosten pro vollzeitbeschäftigten Arzt sind seit 2004 um 32 300 Euro (plus 38 Prozent) gestiegen. Bei der Pflege sind sie lediglich um 7700 Euro pro Vollzeitkraft (plus 17 Prozent) gestiegen. Bezieht man die Inflationsrate für den Zeitraum in die Betrachtung mit ein (plus 19 Prozent), sind die Personalkosten in der Pflege sogar gesunken.

Somit verwundert es auch nicht, dass die Gesamtpersonalkosten für die Ärzteschaft in diesen zehn Jahren um 7,3 Milliarden Euro (plus 76 Prozent) angestiegen sind. Bei der Pflege betrug der Anstieg rund 2,5 Milliarden Euro (plus 19 Prozent). Erstmals lagen im Jahr 2012 die Personalkosten der Ärzteschaft im Krankenhaus über denen der Pflege. Bereits 2014 gaben die allgemeinen Krankenhäuser rund 1,4 Milliarden Euro mehr für alle Mediziner als für alle Pflegefachkräfte aus.

Weidner: „Hätte man die Pflege im Krankenhaus seit 2004 so wie die Ärzteschaft entwickelt, dann würden heute zusätzliche 73 000 Vollzeitstellen für Pflegekräfte in den allgemeinen Krankenhäusern zur Verfügung stehen. Die Personalkosten für die Pflege würden um rund 7,4 Milliarden höher liegen und eine Pflegefachkraft würde rund 20 Prozent mehr verdienen.“

Pro Krankenhaus wären das rund 45 Stellen in der Pflege, das heißt pro Station rund drei Stellen. Die Pflegeausdünnung hat Folgen sowohl für die Pflegenden, was sich in einem erhöhten Krankenstand und in Frühverrentungen zeigt, als auch für Patienten. In Studien des dip wurde wiederholt auf den Zusammenhang der problematischen Personalsituation und der Risiken in der Versorgungsqualität der Krankenhauspflege hingewiesen.

Als Gründe für die massiven Stellen- und Kostenverschiebungen lassen sich sowohl rechtliche, ökonomische als auch berufspolitische Ursachen finden. Neben den arbeitszeitrechtlichen Veränderungen bei den Ärzten spielt auch die Tatsache, dass die Ärzteschaft in den Krankenhäusern seit 2006 von einer eigenen Gewerkschaft (Marburger Bund) in den Tarifverhandlungen vertreten wird, eine Rolle.

Weidner: „Hier ist zum einen die Politik gefordert, dem Exodus der Pflege aus dem Krankenhaus einen Riegel vorzuschieben. Aber noch wichtiger ist es, dass sich die im Krankenhaus beschäftigten Pflegenden endlich besser organisieren und massenhaft in Berufsverbände und Gewerkschaften eintreten.“

Vor dem Hintergrund dieser Zahlen schätzt Weidner das von der Bundesregierung jüngst beschlossene Pflegestellen-Förderprogramm für die Jahre 2016 bis 2018 im Umfang von insgesamt 660 Millionen Euro als absolut nicht hinreichend ein. Bedeutsamer ist aber nach seiner Einschätzung noch, mit funktionierenden Verfahren und Instrumenten dafür zu sorgen, dass zusätzliches Geld für die Pflege im Krankenhaus wirklich bei der Pflege ankommt. „Wir brauchen eine Personalverordnung in der Pflege, die sich im Kern nach der Zahl der zu versorgenden Patienten und ihrem Pflegebedarf richtet und festlegt, wie viele Pflegefachkräfte sich um wie viele Patienten kümmern müssen“, so Weidner.

Dass dies keine utopische Forderung ist, zeigt ein Blick in die europäischen Nachbarländer. Einer großen internationalen Studie zufolge schneidet Deutschland im Zahlenverhältnis Pflegefachkräfte pro Patienten gemeinsam mit Spanien am schlechtesten ab. Während in Deutschland im Durchschnitt eine Pflegefachkraft für 10,3 Patienten zuständig ist, sind es in Großbritannien 7,7, in der Schweiz 5,5, in den Niederlanden 4,9 und in Norwegen 3,8 Patienten (Durchschnitt 1 zu 7,2).

Das gemeinnützige Deutsche Institut für angewandte Pflegeforschung e. V. (dip) ist ein Institut an der Katholischen Hochschule NRW (KatHO NRW) in Köln und betreibt einen weiteren Standort an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar (PTHV) bei Koblenz. Seit der Gründung im Jahr 2000 hat das Institut mehr als hundert innovative Projekte im Bereich der Pflege-, Pflegebildungs- und Versorgungsforschung durchgeführt und zahlreiche Studien zur Situation der Pflege in Deutschland veröffentlicht. Es finanziert sich nahezu ausschließlich durch eingeworbene Forschungsgelder.

Quelle: dip e. V.