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DOI: 10.1055/s-0041-1730476
Kinderwunsch unter mütterlicher Langzeittherapie mit kombiniert-selektiven Serotonin- und Noradrenalin Wiederaufnahmehemmern (SSNRI)
Einleitung Etwa 10% aller Schwangeren erfüllen die Kriterien einer Major Depression, bis zu 18% zeigen zumindest eine depressive Verstimmung. Depressive Patientinnen neigen erwiesenermaßen zu einem riskanteren Lebensstil mit Alkohol- und Tabakkonsum, ungesunder Ernährung und dem Vernachlässigen der Vorsorgeuntersuchungen. Darunter kann die kindliche Entwicklung in der sensiblen Phase der Organogenese im 1. Trimenon leiden. Bei Frauen im fertilen Alter spielt die Einnahme der kombiniert-selektiven Serotonin- und Noradrenalin Wiederaufnahmehemmern (SSNRI) eine zunehmende Rolle. Tritt eine Schwangerschaft unter Einnahme von Venlafaxin oder Duloxetin ein, wird über eine Zunahme kindlicher Fehlbildungen diskutiert (Anderson et al 2020).
Material und Methodik Im Rahmen einer prospektiven Followup-Studie wurden von unserem Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum zwischen 1997 und 2019 709 Schwangerschaftsausgänge nach Anwendung von SSNRI (Venlafaxin: n=565, Duloxetin: n=144) in der Frühgravidität dokumentiert. Die Befunde wurden mit den Daten eines Kontrollkollektives aus demselben Zeitraum verglichen, das nicht oder unproblematisch exponiert war.
Ergebnisse Die Spontanabortrate nach Einnahme von SSNRI übertraf mit 15,4% (99/642) signifikant den Anteil im Kontrollkollektiv von 9,7% (62/642). Die Rate schwerer Fehlbildungen nach den EUROCAT-Kriterien (15/539=2,8%) entsprach dem Befund im Kontrollkollektiv (10/578=1,7%; relatives Risiko 1,61; 95%-Konfidenzintervall 0,69 – 3,82). Ein homogenes Fehlbildungsmuster fiel nicht auf. Allerdings lag die Rate der Schwangerschaftsabbrüche aus psychosozialen Gründen nach Therapie mit SSNRI im I.Trimenon (67/709=9,4%) signifikant (p<0,0001) über dem Anteil in der Kontrollgruppe (15/657=2,3%).
Zusammenfassung Unsere prospektive kontrollierte Followup-Studie konnte keine Zunahme schwerer Fehlbildungen unter mütterlicher Therapie mit SSNRI nachweisen. Eine Fortsetzung der Behandlung mit Venlafaxin oder Duloxetin wäre unter strenger Indikationsstellung vertretbar. Das Weglassen oder extreme Unterdosieren erprobter Antidepressiva in der Schwangerschaft sollte unterbleiben, um Schäden einer unzureichend behandelten Depression bei Mutter und Kind zu vermeiden.
Interessenskonflikt Ein Interessenskonflikt besteht nicht.
Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
02. Juni 2021
© 2021. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
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Literatur
- 1 Anderson KN, Lind JN, Simeone RM, Bobo WV, Mitchell AA, Riehle-Colarusso T, Polen KN, Reefhuis J. Maternal Use of Specific Antidepressant Medications During Early Pregnancy and the Risk of Selected Birth Defects. JAMA Psychiatry. 2020; Aug 5; 77 (12) : 1246-55