Aktuelle Urol 2016; 47(01): 16-17
DOI: 10.1055/s-0041-110573
Referiert und kommentiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Prostatakarzinom – Wie sicher ist die Testosteronsubstitution nach Radiatio?

Contributor(s):
Judith Lorenz
Pastuszak et al.
J Urol 2015;
194: 1271-1276
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Publication History

Publication Date:
24 February 2016 (online)

 

Die Inzidenz von Testosteronmangelerscheinungen nimmt mit dem Alter zu. Insbesondere Prostatakarzinompatienten entwickeln infolge der onkologischen Therapie häufig einen symptomatischen Hypogonadismus. Inwiefern eine Testosteronsubstitution bei diesen Patienten mit einem erhöhten Rezidivrisiko einhergeht, wird kontrovers diskutiert. Pastuszak und Kollegen haben untersucht, ob bei hypogonadalen Männern nach strahlentherapeutisch behandeltem Prostatakarzinom eine Hormonsubstitution vertretbar ist.
J Urol 2015; 194: 1271–1276

mit Kommentar

Die US-amerikanische Arbeitsgruppe hat retrospektiv die Daten von 98 Prostatakarzinompatienten ausgewertet, die zwischen 1994 und 2012 an 4 großen urologischen Zentren in Texas, Massachusetts und Florida mittels externer Bestrahlung und / oder Brachytherapie behandelt worden waren und anschließend aufgrund hypogonadaler Symptome eine Testosteronbehandlung (Gel, Injektionen, subkutan implantierbare Testosteron-Pellets) erhalten hatten.

Die Patienten wurden gemäß des histologischen Befunds der Prostatabiopsie in 3 Risiko-Subgruppen eingeteilt (niedrig: Gleason-Score ≤ 6; intermediär: 3 + 4 bzw. 4 + 3; hoch: ≥ 8). Vor sowie in regelmäßigen Intervallen nach der Tumorbehandlung wurden verschiedene Serumparameter bestimmt:

  • Testosteron,

  • freies Testosteron,

  • Estradiol,

  • Sexualhormonbindendes Globulin (SHBG),

  • prostataspezifisches Antigen (PSA),

  • PSA-Anstiegsgeschwindigkeit.

Das mediane Alter der Patienten betrug 70,0 Jahre (Range 35–84). Ein Gleason-Score 5, 6, 7, 8 bzw. 9 lag bei 3,1 %, 44,9 %, 28,6 %, 7,1 % bzw. 4,1 % der Patienten vor. 50 Männer (51 %) hatten initial zusätzlich zur Radiatio eine Androgendeprivationstherapie (ADT) erhalten. In den übrigen Fällen war ausschließlich eine Strahlentherapie erfolgt. Die Testosteronsubstitution wurde zwischen 5 und 60 Monaten nach Ende der ADT bzw. nach einem medianen Zeitintervall von 28,6 Monaten (range 13,8–40,4) nach der Radiatio begonnen.

Anstieg des PSA-Werts nur in der Hoch-Risiko-Gruppe

Nach einem medianen Follow-up von 40,8 Monaten (range 1,5–147) war im Gesamtkollektiv ein signifikanter Anstieg des durchschnittlichen Serum-Testosterons von 209 auf 420 ng / dl (p < 0,001) sowie des freien Testosterons von 5,9 auf 10,7 pg / ml (p = 0,001) nachweisbar, wogegen der mittlere PSA-Wert nicht signifikant von 0,08 auf 0,09 ng / ml anstieg (p = 0,05). Lediglich in der Subgruppe der Patienten mit hohem Risiko nahm dieser Parameter signifikant zu (von 0,10 auf 0,36 ng / ml; p = 0,018).

Bezüglich der PSA-Anstiegsgeschwindigkeit zeigten sich hingegen keine Unterschiede zwischen den 3 Gruppen. Der Estradiol- sowie der SHBG-Spiegel zeigten im Verlauf keine signifikanten Veränderungen. Sechs Patienten (6,1 %) erfüllten die Kriterien für ein biochemisches Tumorrezidiv. In 4 Fällen war hierbei eine Brachytherapie und in 2 Fällen eine externe Bestrahlung erfolgt. Drei der Patienten hatten eine ADT erhalten.

Fazit

Eine Testosteronbehandlung nach Radiatio bei Prostatakarzinom, so das Fazit der Autoren, führt zwar zu einem deutlichen Anstieg des Testosteronspiegels, hinsichtlich des PSA-Werts muss jedoch lediglich im Hochrisikokollektiv mit einem statistisch signifikanten Anstieg gerechnet werden. Auch die Rate biochemischer Rezidive war in der Studienpopulation gering. Eine abschließende Beurteilung der Sicherheit einer Hormonbehandlung bei hypogonadalen Prostatakarzinompatienten, so Pastuszak et al., ist aufgrund der geringen Patientenzahl, des retrospektiven Studiendesigns, der kurzen Nachbeobachtungszeit sowie des Fehlens einer eugonadalen Kontrollgruppe nicht möglich. Bis zum Vorliegen belastbarer Daten aus prospektiven, kontrollierten Untersuchungen, sollten daher nur Patienten mit schwerem Hypogonadismus nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung und unter engmaschigem Monitoring eine Hormontherapie erhalten.


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Kommentar

Substitution kann empfohlen werden

Für viele Jahrzehnte galt die Testosteronsubstitution bei Männern mit V. a. oder stanzbioptisch gesichertem Prostatakarzinom (PCa) – auch nach erfolgreicher kurativer Therapie – als absolut kontraindiziert, da man befürchtete, hierdurch das PCa (erneut) zu stimulieren. Sätze wie „dies ist so als würde man Benzin ins Feuer gießen“ wurden in diesem Zusammenhang gerne verwendet, um die Torheit einer solchen Idee plakativ zu verdeutlichen. In den letzten Jahren sind jedoch zahlreiche Publikationen erschienen, die nahezu uniform zeigten, dass unter Testos­teronsubstitution kein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines PCa besteht und dass das Rezidivrisiko nach kurativer Therapie (zumeist nach radikaler Prostatektomie) durch eine Testosteronsubstitution nicht signifikant erhöht ist [ 1 ]. Eine der wesentlichen Erkenntnisse zu diesem Thema besteht darin, dass bereits bei einem relativ niedrigen Serum-Testosteron-Wert eine maximale Stimulierung der Prostata / des Prostatakarzinoms vorliegt und folglich durch eine exogene Erhöhung des Serum-Testosterons keine Überstimulierung möglich ist [ 2 ].

Limitierend muss jedoch festgehalten werden, dass keine kontrolliert randomisierten Studien existieren, das Follow-up der Studien häufig relativ kurz ist und auch die Patientenzahlen verschiedener Studien eher gering sind. Entsprechend ist das Thema Testosteronsubstitution und PCa weiterhin Gegenstand der urologischen Forschung.

In der Arbeit von Baillargeon et al. [ 3 ] wurde der Effekt der Testosteronsubstitution auf die konsekutive Diagnose eines Hoch-Risiko-Prostatakarzinoms (Gleason-Score 8–10) untersucht. In dieser Arbeit bedienten sich die Autoren der SEER-Datenbank und identifizierten 52 579 Männer, bei denen zwischen 2001 und 2006 ein PCa diagnostiziert wurde. Einschlusskriterium war unter anderem ein minimales Follow-up von 5 Jahren vor der PCa-Diagnose. Hierdurch sollte eine Abschätzung des Langzeitrisikos der Testosteronsubstitution ermöglicht werden. Weiterhin wurde auch die Anzahl der Testosteron-Injektionen auf die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung eines Hoch-Risiko-Prostatakarzinoms untersucht. Die Autoren fanden, dass sich die Rate an Hoch-Risiko-Karzinomen nicht statistisch signifikant zwischen den beiden Gruppen (Testosteronsubstitution ja vs. nein) unterschied. Weiterhin hatte die Anzahl an Testosteron-Injektionen keinen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit, ein Hoch-Risiko-PCa zu entwickeln.

Die Arbeit weist einige Limitierungen auf, welche bei der Interpretation der Daten berücksichtigt werden sollten. Beispielsweise war lediglich bekannt, ob die Patienten Testosteron-Injektion bekamen. Ob eine Testosteron-Substitution in anderer Form (Gel etc.) erfolgte, ist unklar. Weiterhin sind keine Testosteron-Werte bekannt – weder vor noch unter / nach der Testosteron-Therapie. Entsprechend kann nicht garantiert werden, dass die Patienten unter der Testosteronsubstitution tatsächlich (supra)physiologische Testosteronwerte entwickelten.

In der zweiten Arbeit untersuchten Pastuszak et al. [ 4 ] in einer retrospektiven multiinstitutionellen Studie 98 Männer, welche nach Bestrahlung (externe Bestrahlung, Brachytherapie oder Kombination beider Verfahren ± zusätzliche Androgendeprivation) aufgrund eines symptomatischen Hypogonadismus mit Testosteron substituiert wurden. Interessanterweise wurden in dieser Studie nicht nur Männer mit einem Niedrig-Risiko-PCa behandelt, sondern 29 % der Patienten hatten einen bioptischen Gleason-Score von 7, und 11 % sogar einen Gleason-Score von = 8.

Nach einem medianen Follow-up von 41 Monaten entwickelten insgesamt 6 Männer (6,1 %) ein PCa. Hierbei handelte es sich ausschließlich um Männer mit einem Intermediären- oder Hoch-Risiko-PCa, in der Gruppe von Patienten mit Niedrig-Risiko-PCa traten keine Rezidive auf. In der Hoch-Risiko-Gruppe betrug die Rezidivrate 18 % und liegt somit in einem vergleichbaren oder sogar eher niedrigeren Bereich als aus vorherigen Publikationen ohne Testosteronsubstitution bekannt [ 5 ].

An dieser Stelle muss allerdings betont werden, dass es sich um ein selektioniertes Patientengut handelt. Es geht aus der Studie leider nicht hervor, wie lange im Mittel die Bestrahlung beendet war, bevor mit der Testosteronsubstitution begonnen wurde. Es ist lediglich bekannt, dass ca. 50 % der Patienten eine zusätzliche Androgendeprivation erhielten und der Zeitraum zwischen Beendigung der Androgendeprivation und Beginn der Testosteronsubstitution 5–60 Monate betrug. Entsprechend war sicher ein Großteil der Patienten bereits für mehrere Monate bis Jahre rezidivfrei, was das Risiko, langfristig noch ein Rezidiv zu entwickeln, beträchtlich senkt.

Trotz dieser Limitationen liefern die beiden Studien weitere Hinweise darauf, dass die Testosteronsubstitution beim symptomatischen hypogonadalen Mann weder das Risiko, an einem Hoch-Risiko-PCa zu erkranken, erhöht, noch dass diese mit einer erhöhten Rezidivrate nach kurativer Therapie (in diesem Fall der Radiatio) vergesellschaftet ist.

Die Arbeiten sind klinisch relevant. Bei der Studie von Baillargeon et al. [ 3 ] handelt es sich um die erste populationsbasierte Studie, welche die Langzeit- und dosisabhängige Wirkung der Testosteronsubstitution auf die Entwicklung eines Hoch-Risiko-Prostatakarzinoms untersuchte. Die sehr große Patientenzahl erlaubt eine solide statistische Aussagekraft. Bei der Studie von Pastuszak et al. [ 4 ] handelt es sich um die Studie mit der bis dato höchsten Pa­tientenzahl zu dem Thema Rezidivrisiko unter Testosteronsubstitution nach Bestrahlung.

Kollegen / innen, die der Testosteronsubstitution nach erfolgreicher PCa-Behandlung kritisch gegenüber stehen, mögen mit Recht behaupten, dass die Datenlage zu diesem Thema weiterhin nicht optimal ist, und vor allem Level-of-Evidence-1-Publikationen weitestgehend fehlen. Persönlich halte ich die verfügbare Datenlage mittlerweile jedoch für ausreichend, um eine Testosteronsubstitution bei diesen Männern zu empfehlen, insofern eine gute Patientenaufklärung erfolgt und ein engmaschiges onkologisches Follow-up gewährleistet ist.

PD Dr. Hendrik Isbarn, Wedel


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PD Dr. Hendrik Isbarn


ist Oberarzt in der Abteilung für Urologie des Regio Klinikums Wedel

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  • Literatur

  • 1 Morgentaler G. Testosterone and prostate cancer: an historical perspective on a modern myth. Eur Urol 2006; 50: 935
  • 2 Morgentaler A, Traish AM. Shifting the paradigm of testosterone and prostate cancer: the saturation moedel and the limits of androgen-dependent growth. Eur Urol 2009; 55: 310
  • 3 Baillargeon J, Kuo Y, Fang X et al. Long-term exposure to testosterone therapy and the risk of high grade prostate cancer. J Urol 2015; 194: 1612
  • 4 Pastuszak AW, Khanna A, Badhiwala N et al. J Urol 2005; 194: 1271
  • 5 Zelefsky MJ, Pei X, Chou JF et al. Dose escalation for prostate cancer radiotherapy: predictors of long-term biochemical tumor control and distant metastases free survival. Eur Urol 2011; 60: 1133

  • Literatur

  • 1 Morgentaler G. Testosterone and prostate cancer: an historical perspective on a modern myth. Eur Urol 2006; 50: 935
  • 2 Morgentaler A, Traish AM. Shifting the paradigm of testosterone and prostate cancer: the saturation moedel and the limits of androgen-dependent growth. Eur Urol 2009; 55: 310
  • 3 Baillargeon J, Kuo Y, Fang X et al. Long-term exposure to testosterone therapy and the risk of high grade prostate cancer. J Urol 2015; 194: 1612
  • 4 Pastuszak AW, Khanna A, Badhiwala N et al. J Urol 2005; 194: 1271
  • 5 Zelefsky MJ, Pei X, Chou JF et al. Dose escalation for prostate cancer radiotherapy: predictors of long-term biochemical tumor control and distant metastases free survival. Eur Urol 2011; 60: 1133

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