Rehabilitation (Stuttg) 2015; 54(06): 422
DOI: 10.1055/s-0041-109169
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Grundlagen der Sport- und Bewegungstherapie: Prävention, ambulante und stationäre Rehabilitation

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Publication Date:
16 December 2015 (online)

Die dritte Auflage des Lehrbuchs „Grundlagen der Sport- und Bewegungstherapie“ ist dem 2013 verstorbenen Nestor der deutschen Rehabilitation Professor Dr. med. Kurt-Alfons Jochheim von seinen Schülern und Wegbegleitern K. Schüle und G. Huber gewidmet. Professor Jochheim war der Leiter des Rehabilitationszentrums der Universitätskliniken Köln und gleichzeitig der erste Lehrstuhlinhaber für Rehabilitation an der Deutschen Sporthochschule Köln. Ein großes Anliegen war es ihm, die Arbeit der nicht-ärztlichen Therapeuten im Reha-Team wissenschaftlich zu untermauern.

Diesem Ziel sind die Herausgeber und ihre 21 Mitautoren aus den verschiedensten Arbeitsbereichen der Grundlagen-, Sport- und Rehabilitationswissenschaften mit dem vorliegenden Lehrbuch erheblich näher gekommen und weisen den Weg zur Zielerreichung. Die „therapeutische Wunderwaffe Bewegung“ (Prof. Heinz Rüddel) – wurde zu einer weitestgehend durchstrukturierten, wissenschaftlich begründeten, teils evidenzbasierten Therapiekonzeption weiterentwickelt. Durch alle Kapitel des Lehrbuchs zieht sich als Leitgedanke die bio-psycho-soziale Konzeption, Basis der „Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit“ (ICF) – vom ressourcenorientierten Ansatz in der Diagnostik bis zur Qualitätssicherung der Interventionsmaßnahmen. Damit wurde ein modernes, wertvolles, wissensvermittelndes Werk vor allem für die therapeutisch engagierten Akteure in der Rehabilitation geschaffen. Das Lehrbuch zeigt, die Sport- und Bewegungstherapie hat sich in der Rehabilitation fest etabliert.

Die 3., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage trägt dem Wandel der Auffassung zu Gesundheit und Krankheit in der postmodernen Gesellschaft Rechnung. Ziel und Anspruch wurden höher gesetzt, Lifestyle und Wellness wurden nicht außer Acht gelassen, allerdings dem Ziel einer gesicherten Prävention untergeordnet. Vor dem Hintergrund einer unübersehbar älter werdenden Bevölkerung und einer Zunahme chronischer Erkrankungen werden hier moderne, dieser Herausforderung angepasste Therapieansätze vorgestellt. Im Rahmen der zunehmenden Sensibilisierung und Offenheit für psychische Störungen finden sich im Buch psychoedukative Vorgaben. Damit unterstützt die Sport- und Bewegungstherapie vor allem die Menschen mit Behinderung und chronischen Erkrankungen, die Selbstständigkeit und Selbstbestimmung sowie eine möglichst barrierefreie Teilhabe an allen Bereichen der Gesellschaft anstreben.

Zwangsläufig führen die heutigen Anforderungen im Gesundheitswesen (dem „Gesundheitsmarkt“) an die Sport- und Bewegungstherapie somit zu deutlichen Erweiterungen ihres Einsatzes, wie

  • bei den Indikationsgebieten (Psychosomatik, neurodegenerative Erkrankungen, Onkologie usw.),

  • bei den Interventionsformen (Mitarbeit beim Betrieblichen Eingliederungs-Management (BEM) und in Disease-Management-Programmen (DMP),

  • bei den Zielgruppen (z. B. spezielles Training für Hochbetagte),

  • durch die konsequente Verwendung der bio-psycho-sozialen Konzeption der ICF bis hin zur Schaffung von „Behandlungspfaden“, womit internationale Ansätze aufgegriffen werden.

Das Lehrbuch geht nach einer folgerichtigen Systematik vor: Die Einleitung geht auf strukturelle Elemente der Sporttherapie und deren Einsatzfelder ein. Das zweite Kapitel dient der durch die beschriebenen Trendentwicklungen erforderlichen Festigung der Begrifflichkeiten und der wissenschaftlichen Begründung der Sport- und Bewegungstherapie aus verschiedenen Perspektiven. Selbstkritisch werden Evidenz und Qualität der Bewegungstherapie aufgegriffen. Diese Thematik wird im dritten Kapitel (Konzeption) mehr unter konzeptionellen Gesichtspunkten um sozial- und verhaltenswissenschaftliche Ausführungen erweitert, um dann in die Systematik diagnostischer Verfahren einzuführen. Damit wird in Kapitel 4 übergeleitet, das sich der Realisation der Sport- und Bewegungstherapie widmet. Nach einem Exkurs über sportmedizinische und biomechanische Grundlagen geht es in die Praxis der Trainingssteuerung, der Voraussetzung therapeutischer Kommunikation, Entspannungsverfahren und Ernährung im Verhältnis zum Sport. Am Beispiel „Adipositas“ wird die Modularisierung erforderlicher Therapie und modellhaft ein „Behandlungspfad“ nachvollziehbar mit klaren Schemata entlang der ICF dargestellt. Im fünften Kapitel wird die für dieses Fachgebiet so wichtige Evaluation aufgegriffen. Wiederum selbstkritisch werden Sachstand und Notwendigkeit dargelegt, dann aber auch praktische Anleitungen zu Qualitätsmanagement und Qualitätssystematik der Evaluationsforschung gegeben. Fragen der Evidenzbasierung werden am Beispiel der „evidence based medicine“ erläutert. Mit dem sechsten Kapitel wird den Sport- und Bewegungstherapeuten wichtiges berufspraktisches Wissen vermittelt, das über beispielhafte Tätigkeitsfelder, berufs- und arbeitsrechtliches Grundwissen bis hin zu den strukturellen Voraussetzungen geht. Dies ist unverzichtbar für Zulassung und Vertragsgestaltung in Institutionen wie auch für die Selbstständigkeit.

Orientierungshilfe bietet dem Praktiker der Anhang mit seinem Indikationskatalog, der in knapper Form wichtige Hinweise für die jeweiligen Krankheitsbilder enthält. Dem Studierenden wird mit einem gut aufgebauten Prüfungskatalog mit offenen Fragen, Multiple Choice und Auflösung eine wertvolle, systematische Hilfe zur Überprüfung seines Wissensstandes an die Hand gegeben.

Mit der dritten Auflage ist das derzeitig verfügbare Wissen kompakt aufgearbeitet, um – so das Ziel von Schüle und Huber – „… in Verbindung mit einer geeigneten Ausbildung sporttherapeutische Interventionen zu planen, durchzuführen und zu evaluieren“. Die Herausgeber schaffen ein über die reinen Bewegungswissenschaften hinausgehendes Grundlagenwerk, das neben den angesprochenen Bewegungsfachberufen auch allen im Rehabilitationsteam tätigen Mitgliedern die notwendigen Rahmenbedingungen der Rehabilitation vermittelt.

Hans-Martin Schian, Köln