Aktuelle Urol 2015; 46(02): 101-102
DOI: 10.1055/s-0035-1549208
Referiert und kommentiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Nierenzellkarzinom – Erhöht eine zytoreduktive Nephrektomie das Gesamtüberleben?

Contributor(s):
Antonie Post
Heng Laut et al.
Eur Urol 2014;
66: 704-710
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Publication History

Publication Date:
21 April 2015 (online)

 

Klinische Studien haben gezeigt, dass die zytoreduktive Nephrektomie beim metastasierenden Nierenzellkarzinom als Ergänzung einer zielgerichteten Therapie die Lebensdauer von Patienten verlängern kann. Eine internationale retrospektive Studie ging nun der Frage nach, ob die zytoreduktive Nephrektomie immer Teil des empfohlenen Behandlungsprotokolls sein sollte. Laut Heng et al. ist das Krankheitsstadium von entscheidender Bedeutung.
Eur Urol 2014; 66: 704–710

mit Kommentar

Daniel Y.C. Heng vom Tom Baker Cancer Center Alberta, Kanada, und Kollegen sammelten retrospektiv Patientendaten aus 20 internationalen Tumorzentren in Kanada, USA, Belgien, Südkorea, Japan, Dänemark, Griechenland und Singapur unter Zuhilfenahme des IMDC (International Metastatic Renal Cell Carcinoma Database Consortium). Die IMDC-Prognosefaktoren waren:

  • Hämoglobin unterhalb des unteren Grenzwerts des Normalbereichs (Anämie),

  • korrigiertes Serumkalzium, neutrophile Granulozyten und Thrombozyten über der Obergrenze des Normalbereichs,

  • Karnofsky–Index < 80 % und

  • Zeit von Diagnose zur Behandlung < 1 Jahr.

Einschlusskriterien waren die Diagnose eines Nierenzellkarzinoms jeglicher Art mit synchroner Metastasierung plus Therapie mit einem Tyrosinkinaseinhibitor.

Von den 3245 Patienten mit metastasiertem Nierenzellkarzinom der IMDC wurden 79 % nephrektomiert (n = 2569). Patienten, die sich einer Nephrektomie vor der Erstdiagnose einer Metastasierung unterzogen, d. h. solche mit einer metachronen Metastasierung, schlossen die Autoren aus (n = 1587). In die Analyse gingen letztendlich 1658 Patienten ein. Bei 59 % (n = 982) ist eine Niere operativ entfernt worden, die restlichen Patienten (n = 676) hatten keine zytoreduktive Nephrektomie. Das Follow-up betrug im Median 39,1 Monate. Zum Zeitpunkt der Analyse waren 68,6 % der Patienten verstorben (n = 1137) und 85,4 % der Patienten hatten einen progressiven Krankheitsverlauf erfahren (n = 1416).

Nephrektomie-Patienten hatten insgesamt eine bessere Prognose

Alle Patienten der Studie hatten eine zielgerichtete Therapie erhalten, die meisten eine First-line-Therapie mit Sunitinib (72 %). Nephrektomie-Patienten hatten eine signifikant bessere Prognose nach IMDC-Kriterien im Vergleich zu Patienten ohne Operation:

  • günstig Prognose: 9 vs. 1 %

  • mittelmäßig: 63 vs. 45 %

  • schlecht: 28 vs. 54 %

In der Nephrektomie-Gruppe hatten weniger Patienten eine unklare Zellpathologie (p = 0,042), Knochenmetastasen (p = 0,001) und Lebermetastasen (p = 0,001), jedoch mehr sarkomatoide Varianten (p < 0,001).

Das mediane Gesamtüberleben in der Nephrektomie-Gruppe lag bei 20,6 Monaten, bei Patienten ohne Nephrektomie bei 9,6 Monaten (p < 0,001). Auch nach Anpassung der IMDC-Risikofaktoren hatten die Patienten mit einer zytoreduktiven Nephrektomie einen Vorteil. Die Nephrektomie war zudem assoziiert mit einer höheren progressionsfreien Überlebensrate von 7,6 vs. 4,5 Monate (p < 0,001), die auch nach Anpassung der Prognosefaktoren bestehen blieb. Je höher die Überlebenswahrscheinlichkeit eines Patienten geschätzt wurde, desto vorteilhafter wirkte sich eine Nephrektomie auf das Gesamtüberleben aus.

Fazit

Eine zytoreduktive Nephrektomie könne das Gesamtüberleben bei Patienten mit einem synchron metastasierten Nierenzellkarzinom und zielgerichteter Therapie verlängern, so die Autoren. Lag die geschätzte Überlebensdauer der Patienten jedoch bei weniger als 12 Monaten, so trug eine Nephrektomie nur wenig zu einer Verlängerung des Gesamtüberlebens bei, ebenso bei Patienten, die mindestens 4 der IMDC-Risikofaktoren erfüllten.


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Kommentar

Indikation zur zytoreduktiven Tumornephrektomie

Das Nierenzellkarzinom macht 3 % aller soliden Tumoren aus. Synchrone Lymphknoten und / oder Fernmetastasen treten bei ca. 20 % der Patienten auf [ 1 ]. Während die Resektion synchron solitärer gut operativ zugänglicher Metastasen einen festen Stellenwert in der Therapie des metastasierten Nierenzellkarzinoms einnimmt, wird die Tumornephrektomie im Rahmen einer Zytoreduktion bei synchron multiplen Metastasen in der Ära der Multi-Tyrosinkinaseinhibitoren kontrovers diskutiert. Nach Tumornephrektomie wurden spontane Remissionsraten von pulmonalen Metastasen in bis zu 4 % der Fälle beschrieben [ 2 ]. Neben der spontanen Remission werden die Reduktion der Tumormasse und die Vermeidung von lokalen Komplikationen mit Steigerung der Lebensqualität als Begründung für eine zytoreduktive Tumornephrektomie angeführt. In einer Studie von Pierorazio et al. führte eine 90 %ige Reduktion der Tumormasse zu einer Überlebensverlängerung von 11,6 Monaten im Vergleich zu 2,8 Monaten ohne Reduktion der Tumormasse [ 3 ].

In der Zytokin-Ära war die zytoreduktive Tumornephrektomie bei gut selektierten Patienten mit einem Performancestatus von 0–2 ein fester Bestandteil des multimodalen Therapiekonzepts [ 2 ], [ 4 ]. In den aktuellen Therapiestrategien ist die Immuntherapie durch die besseren Ergebnisse der Tyrosinkinaseinhibitoren in den Hintergrund getreten [ 5 ] und der Stellenwert der zytoreduktiven Tumornephrektomie muss neu untersucht und bewertet werden.

Diesen Stellenwert berücksichtigend bietet die Arbeit von Heng et al. eine sehr gute Orientierung zur Konsultation der betroffenen Patienten. Aktuell ist es die größte Studie, die an Patienten (n = 1658) mit synchron metastasiertem Nierenzellkarzinom durchgeführt wurde. Die Patienten, die sich einer zytoreduktiven Tumornephrektomie (n = 982) unterzogen, wurden Patienten (n = 676) gegenübergestellt, die nicht operiert wurden. Heng et al. konnten zeigen, dass in der Subgruppenanalyse Patienten mit multiplen Metastasierungsorten, Patienten mit Gehirn-, Knochen und Lebermetastasen von einer zytoreduktiven Therapie profitieren. Ferner war das mediane Gesamtüberleben bei den Patienten mit einem Karnofksy-Performance-Status (KPS) < 80, bei Patienten > 75 Jahre und bei Patienten mit einem nicht klarzelligen Karzinom nach zytoreduktiver Tumornephrektomie signifikant besser als bei Patienten, die unter Berücksichtigung dieser Parameter nicht operiert wurden.

Die Arbeit konnte deutlich herausstellen, dass Patienten mit einem ästimierten Gesamtüberleben von < 12 Monaten weniger von einer zytoreduktiven Therapie profitieren. In Anlehnung an die prognostischen Faktoren des International Metastatic Renal Cell Carcinoma Database Consortium (IMDC) konnte anhand der Cox-Regression gezeigt werden, dass die zytoreduktive Tumornephrektomie das Gesamtüberleben der Patienten mit > 3 Risikofaktoren nicht verbessern konnte.

In einer japanischen Studie wurden retrospektiv 171 Patienten untersucht, von denen 96 Patienten eine zytoreduktive Therapie gefolgt von einer Therapie mit Multi-Tyrosinkinaseinhibitoren und 75 Patienten nur Multi-Tyrosinkinaseinhibitoren erhielten. Nephrektomierte Patienten mit < 2 Risikofaktoren nach IMDC hatten einen ca. 10-monatigen Gesamtüberlebensvorteil gegenüber denjenigen, die nur medikamentös behandelt wurden [ 6 ]. Zwei kürzlich erschiene Reviews untermauern, dass Patienten mit einem guten Performancestatus von der Operation profitieren werden [ 7 ], [ 8 ].

Die Arbeit um Heng et al. ist retrospektiv und sicherlich mit Selektionsbias behaftet. Vor allem hinsichtlich der Einschätzung des KPS, welcher sehr subjektiv erfolgt. 42 % der Patienten, die nicht operiert wurden, wiesen einen KPS von < 80 auf, während es in der operierten Gruppe 19 % waren. Die Komorbiditäten, die Einfluss auf die Operabilität und das Gesamtüberleben haben, wurden nicht erfasst. Auch die perioperative Morbidität, findet in der Arbeit keine Berücksichtigung. Kritiker der zytoreduktiven Therapie argumentieren, dass einige Patienten nach der Operation einer systemischen Therapie nicht mehr zugeführt werden können. In den großen prospektiven Studien, die die Interferontherapie nach Tumornephrektomie untersuchten, konnten nur 3 / 162 Patienten keine Anschlusstherapie erhalten und die perioperative Mortalität lag bei 0,08 (SWOG) und 2,4 % (EORTC) [ 2 ], [ 4 ].

In den aktuellen EAU-Leitlinien wird die zytoreduktive Tumornephrektomie als Standard empfohlen, da bei den meisten Zulassungsstudien der Multi-Tyrosinkinaseinhibitoren in ~90 % der Fälle eine Tumornephrektomie erfolgte [ 1 ]. Um den Stellenwert der Tumornephrektomie genau zu bewerten, laufen aktuell 2 prospektive, randomisierte Studien. In der klinischen Studie, die die Bedeutung der Nephrektomie beurteilen soll (CARMENA; NCT00930033), erhalten Patienten mit einem guten Performance-Status (Eastern Cooperative Oncology Gruppe 0 oder 1) randomisiert eine Nephrektomie gefolgt von der zielgerichteten Therapie mit Sunitinib oder Sunitinib allein. Die sofortige Tumornephrektomie oder die Tumornephrektomie nach Sunitinib wird in einer anderen prospektiven, randomisierten Studie (SURTIME; NCT01099423) untersucht.

Bis uns die Ergebnisse dieser beiden Studien zur Verfügung stehen, bietet die Arbeit von Heng et al. die Möglichkeit, Patienten risikostratifiziert bezüglich einer zytoreduktiven Tumornephrektomie zu beraten. Aus unserer Sicht sollten für die Indikationsstellung zur Operation der Performancestatus, der Patientenwunsch und die Komorbiditäten des Patienten zusätzlich mit einfließen.

PD Dr. Frederik C. Roos, PD Dr. Christian Thomas, Mainz


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PD Dr. Frederik C. Roos


ist Oberarzt der Urologischen Klinik und Poliklinik der Universitätsmedizin Mainz

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PD Dr. Christian Thomas


ist Oberarzt der Urologischen Klinik und Poliklinik der Universitätsmedizin Mainz

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  • Literatur

  • 1 Ljungberg B, Cowan NC, Hanbury DC et al. EAU guidelines on renal cell carcinoma: the 2010 update. Eur Urol 2010; 58: 398-406
  • 2 Flanigan RC, Salmon SE, Blumenstein BA et al. Nephrectomy followed by interferon alfa-2b compared with interferon alfa-2b alone for metastatic renal-cell cancer. N Engl J Med 2001; 345: 1655-1659
  • 3 Pierorazio PM, McKiernan JM, McCann TR et al. Outcome after cytoreductive nephrectomy for metastatic renal cell carcinoma is predicted by fractional percentage of tumour volume removed. BJU Int 2007; 100: 755-759
  • 4 Mickisch GH, Garin A, van Poppel H et al. Radical nephrectomy plus interferon-alfabased immunotherapy compared with interferon alfa alone in metastatic renal-cell carcinoma: a randomised trial. Lancet 2001; 358: 966-970
  • 5 Motzer RJ, Hutson TE, Tomczak P et al. Sunitinib versus interferon alfa in metastatic renal-cell carcinoma. N Engl J Med 2007; 356: 115-124
  • 6 You D, Jeong IG, Song C et al. Analysis of preoperative variables for identifying patients who might benefi t from upfront cytoreductive nephrectomy for metastatic renal cell carcinoma in the targeted therapy era. Jpn J Clin Oncol 2015; 45: 96-102
  • 7 Krabbe LM, Haddad AQ, Westerman ME et al. Surgical management of metastatic renal cell carcinoma in the era of targeted therapies. World J Urol 2014; 32: 615-622
  • 8 Bex A, Powles T. Selecting patients for cytoreductive nephrectomy in advanced renal cell carcinoma: who and when. Expert Rev Anticancer Ther 2012; 12: 787-797

  • Literatur

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  • 8 Bex A, Powles T. Selecting patients for cytoreductive nephrectomy in advanced renal cell carcinoma: who and when. Expert Rev Anticancer Ther 2012; 12: 787-797

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