Aktuelle Urol 2015; 46(02): 93-94
DOI: 10.1055/s-0035-1549202
Referiert und kommentiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Klinefelter-Syndrom – Ergebnisse nach Mikro-TESE und ICSI

Contributor(s):
Elke Ruchalla

Urology 2014;
83: 107-110
Further Information

Publication History

Publication Date:
21 April 2015 (online)

 

Das Klinefelter-Syndrom (Karyotyp 47, XXY) ist die häufigste Ursache für eine nicht obstruktive Azoospermie. Verschiedene Autoren haben bei den Partnerinnen dieser Männer bei Einsatz moderner reproduktionsmedizinischer Methoden erfolgreiche Schwangerschaften beschrieben. Eine Gruppe aus Teheran berichtet über ihre Erfahrungen mit der mikrochirurgischen testikulären Spermagewinnung (Mikro-TESE) bei diesen Patienten.
Urology 2014; 83: 107–110

mit Kommentar

Die Mikro-TESE mit anschließender intrazytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI) ist bei Männern mit Klinefelter-Syndrom (KS) mindestens ähnlich erfolgreich wie bei Männern mit normalem Karyotyp.

Zu diesem Ergebnis kommen Marjan Sabbaghian und Kollegen, die retrospektiv die Daten von insgesamt 134 Patienten mit reinem, gesichertem Klinefelter-Syndrom (keine Mosaike) ausgewertet haben. Als Kontrollgruppe dienten 537 Männer mit nicht obstruktiver Azoospermie anderer Genese.

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Intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI).
a Die Eizelle wird mit dem Polkörper in 6-Uhr-Position durch die Haltepipette links fixiert.
b Die Injektionspipette mit dem Spermium im Spitzenbereich (Pfeil) penetriert die Zona pellucida.
c Das Oolemm wölbt sich zeltartig über die Spitze der Injektionspipette. Durch Aspiration von Zytoplasma wird das Spermium von der Spitze in das Innere der Injektionspipette verlagert (Pfeil).
d Nach Injektion des Inhalts kommt das Spermium im Zytoplasma der Eizelle zu liegen (Pfeil). (Bild: Kleinstein J, Schuppe HC. Assistierte Fertilisierung. In: Krause W, Weidner W, Sperling H, Diemer T, Hrsg. Andrologie. 4.Aufl . Stuttgart: Thieme; 2011)

Bei allen Patienten erfolgte die Spermiengewinnung zwischen 2009 und 2011 in einem Teheraner Zentrum. Die ovarielle Stimulation und Eizellgewinnung bei den Frauen fand nach dem üblichen Protokoll statt, die ICSI nach der von Van den Bergh beschriebenen Technik.

Beurteilt wurden

  • die Ausbeute bei der Mikro-TESE,

  • Faktoren, die mit einem Erfolg dabei verbunden waren,

  • die Anzahl der übertragenen Em bryos und der Lebendgeburten.

Die Auswertung ergab eine erfolgreiche Spermiengewinnung bei 28,4 % (n = 38) der Männer in der Klinefelter-Gruppe und bei 22,6 % in der Kontrollgruppe (n = 119), was keinem signifikanten Unterschied entsprach. Allerdings waren bei den Klinefelter-Männern die Patienten, bei denen die Mikro-TESE erfolgreich verlief, signifikant jünger als die Patienten, bei denen das nicht der Fall war (30,8 vs. 33,7 Jahre). Ebenso waren die Partnerinnen dieser Männer deutlich jünger (25,9 vs. 29,1 Jahre). Zudem war die Testosteronkonzentration bei den Klinefelter-Männern mit erfolgreicher Mikro-TESE signifikant höher als bei den Männern ohne ausreichende Spermatozoengewinnung (3,4 vs. 2,33 ng / ml). In der Vergleichsgruppe dagegen zeigten sich keine solchen Unterschiede.

Eine logistische Regressionsanalyse, in die FSH-, LH- und Testosteronkonzentrationen sowie Alter und Patientengruppe (Klinefelter vs. Kontrollen) eingingen, ergab keinen der untersuchten Faktoren als signifikanten Prädiktor für eine erfolgreiche TESE.

Die Fertilisationsrate lag in der Klinefelter-Gruppe höher als in der Kontrollgruppe (28 vs. 21 %), und insgesamt 5 Kinder aus 4 Schwangerschaften kamen in dieser Gruppe lebend zur Welt (13 vs. 3 % pro Embryotransfer in der Vergleichsgruppe).

Fazit

Auch bei Männern mit Klinefelter-Syndrom ist eine erfolgreiche Kinderwunsch-Behandlung mittels Mikro-TESE und anschließender ICSI möglich, so die Autoren, und hat nicht weniger Aussichten auf Erfolg als bei Männern mit einer nicht obstruktiven Azoospermie anderer Genese. Dabei wurden die Embryos vor dem Transfer nicht auf chromosomale Abweichungen getestet. Dies plant die Gruppe der Verfasser in weiteren Untersuchungen.

Kommentar

Ermutigendes Ergebnis für Patienten mit KS

Die Studie aus Teheran vergleicht ein großes Patientenkollektiv von 434 Patienten mit einem gesicherten Klinefelter-Syndrom (KS) ohne Mosaik mit 537 Männern mit nicht obstruktiver Azoospermie (NOA) bezüglich des Erfolgs einer mikrochirurgischen testikulären Spermienextraktion (mTESE) bzw. einer intrazytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI).

Die Altersgruppen der verglichenen Patienten sind ähnlich: Das mittlere Alter in der KS-Gruppe lag bei 30 Jahren versus 33,64 Jahren in der NOA-Gruppe. Dahingegen ist das Alter der Partnerinnen in den Gruppen deutlich unterschiedlich: In der KS-Gruppe waren die Partnerinnen mit 25,94 Jahren deutlich jünger als in der NOA-Gruppe (29,0 Jahre). Dies ist für den Erfolg des Embryonentransfers relevant und hat möglicherweise Einfluss auf das Ergebnis der berichteten Lebendgeburten, die bei 13 % (KS) versus 3 % (NOA) lagen. Die Studie liefert keine Daten, ob es sich um gesunde Neugeborene handelt und ob eine postnatale Karyotypisierung erfolgte.

Trotz der genannten Einschränkungen ist dieses Ergebnis für Patienten mit Klinefelter-Syndrom sehr ermutigend, berücksichtigt man, dass bei der Nicht-Mosaik-Form dieses Syndroms eine Chromosomenanomalie mit einem überzähligen XChromosom in allen somatischen Zellen und zum großen Teil auch den Keimzellen vorliegt. Nur wenige Keimzellen sind euploid; von diesen Zellen kann eine intakte Spermatogenese ausgehen. Im Vergleich zu den Ergebnissen anderer Forschergruppen liegt die Spermien-Asservierungsrate in der hier vorgestellten Arbeit bei ca. 30 %. Beim KS variieren die in der Literatur berichteten Erfolgsraten zwischen 21 und 72 % [ 1 ], [ 2 ]. Von klinischer Bedeutung ist, dass bei Patienten mit NOA die Leydigzellfunktion für den mTESE-Erfolg eine geringfügigere Rolle zu spielen scheint als bei den Patienten mit KS. Dass die Höhe des Testosteronspiegels zum Zeitpunkt der Operation beim KS für das mTESE-Ergebnis relevant ist, deckt sich mit bisher bekannten Daten [ 3 ].

Zu loben ist, dass im Rahmen der Studie grundsätzlich die Ergebnisse bei der Verwendung kryokonservierter Spermien verglichen wurden, d. h. keine Mischpopulation von frischen und kryokonservierten Spermien verwendet wurde.

Eine Schwäche der Studie liegt in der Tatsache, dass die Prozedur der mikroskopischen Spermienasservierung durch verschiedene Chirurgen durchgeführt wurde, die unterschiedlich in ihrem Ausbildungsstand und ihren Fertigkeiten waren.

Aus den publizierten Studiendaten ist nicht ersichtlich, ob in der Gruppe der KSPatienten, die einen subnormalen Testosteronspiegel zum Zeitpunkt der mTESE hatten, eine vorherige Testosteronsubstitution durchgeführt wurde. Insbesondere bleibt unklar, ob eine eventuelle Testosterontherapie zuvor abgesetzt wurde. Da exogen zugeführtes Testosteron die gonadotrope Stimulation der Hoden supprimiert, würde bei einer solchen Behandlung vor der mTESE auch nach dem Absetzen möglicherweise noch keine ausreichende Zeit für eine Regeneration der Achse gegeben sein, was sich negativ auf die Spermienausbeute im Rahmen einer mTESE auswirken würde.

Weiterhin ist off en, ob bei Patienten eine Stimulation der Leydigzellfunktion mit hCG, wie von Ramasamy 2009 [ 4 ] vorbeschrieben, oder mit Aromataseinhibitoren erfolgte, die möglicherweise die mTESE- Ergebnisse verbessern könnten.

Es wurden keine Jugendlichen in die Untersuchung aufgenommen. Eine solche Untersuchung wäre sinnvoll gewesen, zumal es sich beim Klinefelter-Syndrom um einen progressiv degenerativen Prozess der Hoden handelt und daher anzunehmen ist, dass eine früh durchgeführte mTESE mit anschließender Kryokonservierung die Erfolgsrate einer mTESE von ca. 30 % positiv beeinflusst hätte [ 5 ].

Für den Praktiker ist es interessant zu wissen, dass ein jüngeres Lebensalter die Chancen beim KS steigert, Spermien aus den Hoden mittels mTESE zu extrahieren, wohingegen dies nicht bei Männern mit NOA der Fall ist. Somit ist es vorteilhaft, Patienten mit Kinderwunsch und KS frühzeitig an einen erfahrenen Andrologen zur Beratung zu verweisen, damit die Chancen auf Vaterschaft optimal ausgeschöpft werden. Wichtig ist auch die Erkenntnis, dass die endokrine Funktion beim KS wegweisend für den mTESE-Erfolg zu sein scheint.

Abschließend bleibt offen, welche prädiktiven Parameter ansonsten verwendet werden könnten, um vor Durchführung einer mTESE beim KS prognostische Aussagen zum Erfolg einer Spermienextraktion zu treffen. Dies sollte Gegenstand zukünftiger Forschung sein, ebenso wie die Frage, inwiefern der degenerative Prozess der Hoden beim Patienten mit KS aufhaltbar ist.

Dr. Julia Rohayem, Prof. Dr. Sabine Kliesch, Münster


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Dr. Julia Rohayem


ist Fachärztin für Kinderund Jugendmedizin, Päd. Endokrinolgin / Diabetologin und Andrologin am Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie am Universitätsklinikum Münster

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Prof. Dr. Sabine Kliesch


ist Chefärztin am Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie am Universitätsklinikum Münster

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  • Literatur

  • 1 Aksglaede L, Juul A. Testicular function and fertility in men with Klinefelter syndrome: a review. Eur J Endocrinol 2013; 168: R67-R76
  • 2 Dabaja AA, Schlegel PN. Microdissection testicular sperm extraction: an update. Asian J Androl 2013; 15: 35-39
  • 3 Sabbaghian M, Modarresi T, Hosseinifar H et al. Comparison of sperm retrieval and intracytoplasmic sperm injection outcome in patients with and without Klinefelter syndrome. Urology 2014; 83: 107-110
  • 4 Ramasamy R, Ricci JA, Palermo GD et al. Successful fertility treatment for Klinefelter‘s syndrome. J Urol 2009; 182: 1108-1113
  • 5 Mehta A, Paduch DA. Klinefelter syndrome: an argument for early aggressive hormonal and fertility management. Fertil Steril 2012; 98: 274-283

  • Literatur

  • 1 Aksglaede L, Juul A. Testicular function and fertility in men with Klinefelter syndrome: a review. Eur J Endocrinol 2013; 168: R67-R76
  • 2 Dabaja AA, Schlegel PN. Microdissection testicular sperm extraction: an update. Asian J Androl 2013; 15: 35-39
  • 3 Sabbaghian M, Modarresi T, Hosseinifar H et al. Comparison of sperm retrieval and intracytoplasmic sperm injection outcome in patients with and without Klinefelter syndrome. Urology 2014; 83: 107-110
  • 4 Ramasamy R, Ricci JA, Palermo GD et al. Successful fertility treatment for Klinefelter‘s syndrome. J Urol 2009; 182: 1108-1113
  • 5 Mehta A, Paduch DA. Klinefelter syndrome: an argument for early aggressive hormonal and fertility management. Fertil Steril 2012; 98: 274-283

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Intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI).
a Die Eizelle wird mit dem Polkörper in 6-Uhr-Position durch die Haltepipette links fixiert.
b Die Injektionspipette mit dem Spermium im Spitzenbereich (Pfeil) penetriert die Zona pellucida.
c Das Oolemm wölbt sich zeltartig über die Spitze der Injektionspipette. Durch Aspiration von Zytoplasma wird das Spermium von der Spitze in das Innere der Injektionspipette verlagert (Pfeil).
d Nach Injektion des Inhalts kommt das Spermium im Zytoplasma der Eizelle zu liegen (Pfeil). (Bild: Kleinstein J, Schuppe HC. Assistierte Fertilisierung. In: Krause W, Weidner W, Sperling H, Diemer T, Hrsg. Andrologie. 4.Aufl . Stuttgart: Thieme; 2011)