Subscribe to RSS
DOI: 10.1055/s-0035-1546115
AMG – Bürokratie statt Praxisnähe?
Publication History
Publication Date:
17 June 2015 (online)
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die 16. AMG-Novelle ist seit über einem Jahr geltendes Recht und mit ihr das Antibiotika-Minimierungskonzept der Bundesregierung. Nach der Veröffentlichung der ersten Kennzahlen ist es für mich an der Zeit, eine vorläufige Einschätzung vorzunehmen. So viel vorweg: Die systematische Erfassung der Anwendung von Antibiotika und gezielte Maßnahmen zur Reduzierung sind der richtige Ansatz, um den Antibiotika-Einsatz in der Nutztierhaltung nachhaltig zu reduzieren.
#
Doch die ersten Auswertungen zeigen nun, dass noch erheblicher Nachbesserungsbedarf besteht. Wenn die bestehenden Unklarheiten und fachlichen Mängel des Datenmaterials nicht beseitigt werden, kommt es zu einem Auseinanderdriften von Wunsch und Wirklichkeit. Was dann bliebe, wäre einmal mehr ein bürokratisches Monstrum, das eher abschreckt, als zum übergeordneten Ziel zu führen.
Von vielen Institutionen wurden die Kennzahlen offensichtlich sehnsüchtig erwartet. Mit Feuereifer will man den Betrieben an den Kragen, die den Median oder das 3. Quartil, einfacher ausgedrückt Kennzahl 1 oder 2, überschreiten. Gegen positiven Aktionismus ist ja grundsätzlich nichts einzuwenden. Blinde Regulierungswut hingegen hilft niemandem weiter, vor allem dient sie nicht dem Erreichen der gesteckten Ziele.
Fakt ist, dass das bisherige Datenmaterial noch weit davon entfernt ist, als solide Grundlage für Maßnahmen in den Betrieben zu dienen. Längst haben noch nicht alle Tierhalter ihre Meldungen abgegeben. Dennoch wird gerechnet, ermittelt, ausgewertet und verglichen, als seien 100 % der Betriebe erfasst. Und es wird bereits jetzt der „Schwarze Peter“ an diejenigen Landwirte verteilt, die über den Kennzahlen liegen.
Das kann und darf so nicht weitergehen. Die vorliegenden Daten müssen mit Augenmaß und Sachverstand gewertet und eingeordnet werden.
Es ist zu überprüfen, wie viele Betriebe tatsächlich noch fehlen.
Zudem ist zu klären, warum es teils deutliche Abweichungen zu den Ergebnissen von QS gibt.
Auch das BVL mahnt zur Vorsicht beim Umgang mit den Daten. Zur Berechnung der Kennzahlen wurden die Daten genutzt, die das Bundesamt von HIT erhalten hat. Eine Plausibilitätsprüfung dieser Angaben hat nicht stattgefunden. Es heißt aber, dass bei der Auswertung einige Therapiehäufigkeiten aufgefallen seien, die nicht stimmen können, die also unplausibel sind.
Zudem lassen die Kennzahlen keine Rückschlüsse auf die Behandlungstage zu. Auch ein Vergleich zwischen Tierarten und Nutzungsrichtungen ist bislang nicht machbar.
Trotz all dieser Lücken, Fehler und Unklarheiten wird das vorliegende Datenmaterial nun genutzt, als sei das letzte Wort gesprochen. Das hilft niemandem in der Praxis weiter, weder den Landwirten noch uns praktischen Tierärzten.
Meines Erachtens sind die zuständigen Stellen gefordert, umgehend die noch vorhandenen Schwachstellen des Datenmaterials zu analysieren und nachzubessern.
Des Weiteren ist sicherzustellen, dass die Kontrollen der Minimierungsmaßnahmen in den Betrieben flächendeckend gewährleistet sind und mit Sach- sowie Fachverstand erfolgen. Gibt es seitens der Behörden hierfür genug geschultes Personal?
Der richtige Weg ist der enge Schulterschluss zwischen Veterinärbehörden und praktischen Tierärzten mit einem offenen Austausch sowie einer gemeinsam abgestimmten Vorgehensweise.
Erst wenn alle offenen Fragen beantwortet und Unklarheiten beseitigt sind, kann die tatsächliche Umsetzung der Ziele des AMG stattfinden. Und erst dann macht der erhebliche bürokratische Aufwand für alle Beteiligten einen Sinn.
Ihr
Dr. Rainer Schneichel