Diabetologie und Stoffwechsel 2014; 9(6): 384-385
DOI: 10.1055/s-0034-1397454
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Kalorienfreie künstliche Süßstoffe – Kaloriensparer verändern Darmflora und induzieren Glukoseintoleranz

Marie-Christine Simon
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Publication Date:
29 December 2014 (online)

Hintergrund: Künstliche kalorienfreie Süßstoffe gehören zu den Lebensmittelzusatzstoffen, die weltweit am häufigsten eingesetzt werden. Insbesondere Menschen mit Übergewicht, Glukoseintoleranz oder Typ-2-Diabetes sollen so ihre Kalorienaufnahme reduzieren und den Blutglukosespiegel normalisieren können, ohne auf den süßen Geschmack verzichten zu müssen. J. Suez et al. untersuchten, ob künstliche kalorienfreie Süßstoffe die mikrobielle Darmflora verändern und so eine Glukoseintoleranz induzieren.

Methoden: Ihre Studien führte die israelische Arbeitsgruppe an Mäusen und Menschen durch. Im ersten Schritt stellten die Forscher fest, dass Mäuse, die über das Trinkwasser Saccharin, Sucralose oder Aspartam erhielten, nach 11 Wochen eine ausgeprägte Glukoseintoleranz entwickelten. Kontrollmäuse hingegen, die mit reinem Wasser, Glukose- oder Sucroselösung versorgt worden waren, zeigten keine Glukoseintoleranz. Eine vierwöchige Antibiose unter Fortführung der verschiedenen Ernährungsregimes beseitigte diese Differenz hinsichtlich der Glukoseintoleranz. Die Forscher gingen deshalb davon aus, dass die Darmflora an der Entstehung der Glukoseintoleranz beteiligt ist. Tatsächlich konnten sie intestinale Mikrobiota von Mäusen mit Süßstoffversorgung auf keimfreie Mäuse übertragen, die daraufhin ebenfalls eine Glukoseintoleranz entwickelten.

Sequenzierungsuntersuchungen am Metagenom der Darmflora zeigten, dass sich unter Süßstoffversorgung eine massive Dysbiose entwickelt: Mehr als 40 operationale taxonomische Einheiten (OTU) waren in ihrer relativen Häufigkeit verändert. Neben der Zusammensetzung veränderten sich auch die Stoffwechselfunktionen der Mikrobiota unter Süßstoffeinfluss stark: Unter anderem stieg der Abbau von Glykanen stark an, ebenso der Stärke-, Sucrose-, Fructose- und Mannose-Metabolismus und mit ihnen der mikrobielle Energieertrag.

Ergebnisse: Die Ergebnisse aus den Untersuchungen an Mäusen konnten bei menschlichen Probanden bestätigt werden: Auch bei Teilnehmern einer Ernährungsstudie zeigten sich signifikante positive Korrelationen zwischen Saccharin-Konsum und verschiedenen klinischen Parametern, die mit dem metabolischen Syndrom korrelieren. Dazu gehörten der Anstieg von Gewicht, Taillen-Hüft-Verhältnis, Nüchtern-Blutzucker, HbA1c-Wert und Glukose-Toleranz-Test. Zudem zeigten Sequenzierungsversuche in dieser Probandengruppe eine deutliche Dysbiose bei Süßstoff-Verwendern. Bei Probanden, die zuvor nie Süßstoff verwendet hatten, ließ sich die Dysbiose bereits innerhalb von 7 Tagen durch die zugelassene Höchstdosis induzieren. Offenbar ist die Reaktion auf den Süßstoff jedoch individuell, denn nicht alle Probanden entwickelten eine Dysbiose. Durch Fäkal-Transplantation auf keimfreie Mäuse ließ sich auch der metabolische Effekt auf die Tiere übertragen: Mäuse, die Responder-Mikrobiota erhielten, entwickelten eine signifikante Glukoseintoleranz, während der Effekt bei Übertragung von Non-Responder-Mikrobiota ausblieb.

Fazit: Der Verzehr künstlicher kalorienfreier Süßstoffe erhöht sowohl bei Mäusen als auch beim Menschen das Risiko einer Glukoseintoleranz, so die Autoren. Die ungünstigen metabolischen Effekte entstünden, weil Süßstoffe sowohl die Zusammensetzung als auch die Stoffwechselfunktionswege der mikrobiellen Darmflora verändern. Der massive Einsatz der künstlichen kalorienfreien Süßstoffe müsse daher dringend neu beurteilt werden.

Ines Schulz-Hanke, Untermeitingen