Laryngorhinootologie 2014; 93(12): 887
DOI: 10.1055/s-0034-1395527
Leserbrief
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Leserbrief

JC Lüers
Further Information

Publication History

Publication Date:
01 December 2014 (online)

Zu „Fragen für die Facharztprüfung, Laryngo-Rhino-Otol 2014; 93, Seite 638“

Sehr verehrte Frau Dr. Schneider, Sehr geehrter Herr Prof. Riemann,

unter den „Fragen für die Facharztprüfung“ findet sich in der aktuellen Ausgabe der Laryngo-Rhino-Otologie eine Frage zum Thema des dehiszenten superioren Bogengangs (SSCD). Die Aufnahme dieses Themas in die Reihe der immer sehr ansprechenden Facharztprüfungs-Fragen bedarf aus unserer Sicht eines Kommentars. Facharztprüfungen sollten unserer Meinung nach inhaltlich nur solche Bereiche des Fachgebietes betreffen, für die weitestgehend gesicherte Erkenntnisse vorliegen. Das Krankheitsbild des SSCD liefert diesbezüglich aktuell noch einige Streitpunkte, weswegen es nach wie vor auf wissenschaftlichen Kongressen kontrovers diskutiert wird. Die Kombination aus unklarer Ätiologie, offenen Fragen bezüglich der Pathophysiologie, unspezifischen subjektiven Symptomen, Schwierigkeiten bei der Objektivierung der Diagnostik, Unklarheiten bei der Therapie bzw. Notwendigkeit dieser und Unsicherheiten bei der Feststellung eines Therapieerfolges lassen dieses Thema als eher ungeeignet für eine Facharztprüfung erscheinen. Die möglichen pathophysiologischen Umstände sind bei weitem nicht so klar, wie die Beantwortung der Frage nahelegt. Bezüglich der verschiedenen diagnostischen Ansätze bleiben im Beitrag VEMPs leider unerwähnt. Radiologischerseits bestehen große Probleme bei der Spezifität, da selbst mit hochauflösendem Mikro-CT des Felsenbeins dünne Knochenlamellen nicht dargestellt werden können und die Rate an falsch-positiven Befunden hierdurch hoch ist. Beim SSCD eine Bildgebung mittels Felsenbein-CT oder DVT als „beweisend“ darzustellen, ist daher nicht korrekt. Die intraoperative Darstellung des Defektes ist allein über einen transtemporalen (nicht über einen transmastoidalen) Zugang möglich und auch hier entpuppen sich regelmäßig zuvor scheinbar offene Bogengänge als nun verschlossen [1]. Bedauerlich ist zudem der Verzicht auf jegliche differenzialdiagnostische Überlegungen, wie sie vor der „Entdeckung“ dieses neuen Syndroms üblich waren und auch gelehrt wurden: Schwindelbeschwerden bei lauten Tönen (Tullio-Phänomen) oder bei Druckänderungen (Hennebert) wurden mit intralabyrinthären Erkrankungen in Verbindung gebracht, wie Morbus Menière, lokale Labyrinthitis, Syphilis usw. Es wäre fatal, wenn junge Kollegen für die Vorbereitung der Facharztprüfung diese wichtigen Differentialdiagnosen nur mit einem Blick auf ein CT-Bild nicht mehr berücksichtigten. Auch das Simulieren einer Otosklerose hält einer näheren Überprüfung nicht stand, da keinerlei Transmissionsänderungen oberhalb 1 kHz durch eine Öffnung im Bogengangsystem entstehen können [2]. Die bereits von unseren ohrchirurgischen Lehrern festgestellten Ursachen eines Misserfolgs einer Stapesplastik, wie Knochenkontakt des Pistons, knöcherne Obliteration des runden Fensters, intracochleäre Verwachsungen usw. sollten nicht in Vergessenheit geraten.

Zusammenfassend ist das Krankheitsbild des SSCD hinsichtlich Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie noch mit zahlreichen Unsicherheiten behaftet. Auch wenn es sich in der jüngeren Vergangenheit durch wissenschaftliche Publikationen und Kongressbeiträge in der wissenschaftlichen Diskussion festgesetzt hat, erscheint es uns ratsam, zunächst nach mehr Evidenz zu suchen, bevor der SSCD Gegenstand einer Facharztprüfung wird.

Lüers JC, Hüttenbrink KB

 
  • Literatur

  • 1 Luers JC, Hüttenbrink KB. Akustische und vestibuläre Effekte bei einer Dehiszenz des oberen Bogengangs. HNO 2013; 61: 743-749
  • 2 Luers JC, Pazen D, Meister H, Lauxmann M, Eiber A, Beutner D, Hüttenbrink KB. Acoustic effects of a superior semicircular canal dehiscence: a temporal bone study. Eur Arch Otorhinolaryngol 2014; [Epub ahead of print]