Suchttherapie 2013; 14(03): 112-113
DOI: 10.1055/s-0033-1349111
Schwerpunktthema
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Evidenzbasierung der Suchtprävention – Kontra

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Publication Date:
30 July 2013 (online)

Kontra
Aus Wissenschaft, Politik und von Kos­tenträgern im Gesundheitswesen wird seit geraumer Zeit die Evidenzbasierung der Suchtprävention gefordert. Ist das der richtige Weg für die Qualitätssicherung der Suchtprävention?

Im Sinne eines effizienten und ökonomischen Ressourceneinsatzes erscheint es bei oberflächlicher Betrachtung selbstverständlich, dass auch in der Suchtprävention nur solche Maßnahmen und Programme zum Einsatz kommen sollen, deren Wirksamkeit mit standardisierten Instrumenten objektiv erfasst und mit inferenzstatistischen Methoden wissenschaftlich abgesichert wurden. Dass jedoch die Human- und Sozialwissenschaften in vielerlei Hinsicht nicht in der Lage sind, jene Verlässlichkeit zu bieten, auf die viele Vertreter der Disziplin gerne pochen, können kritische Beobachter aus dem Umstand ableiten, dass eine Fülle einander diametral widersprechender „gesicherter“ Erkenntnisse friedlich koexistieren und oft in raschen Abständen durch wieder ganz andere Wahrheiten ersetzt werden.

In der Öffentlichkeit hat das Attribut „wissenschaftlich“ in der Folge an Strahlkraft verloren. Ein effektiver semantischer Trick, um negativ konnotierte Begriffe in unverdächtig neuem Glanz erstrahlen zu lassen, ist, diese durch unverbrauchte Synonyme zu ersetzen. Ein Substitut, das vor rund 2 Dekaden für den Ausdruck „wissenschaftlich“ geprägt wurde, ist der Terminus „evidenzbasiert“. Nach Sackett [1], einem der Begründer der „evidenzbasierten Medizin“, bedeutet „evidenzbasiert“ die „Bezugnahme auf die beste vorhandene Evidenz“, was laut Sackett ausdrücklich sowohl subjektive Erfahrung als auch wissenschaftliche Ergebnisse inkludiert. Liessmann [2] bezeichnete diese Art der Definition als „performative Selbstimmunisierung von Begriffen“, weil man dagegen nur schwer argumentieren kann, ohne sich selbst zu beschädigen, auch dann nicht, wenn sich hinter den Begriffen eigentlich etwas ganz anderes verbirgt, als die Definition nahelegt. Was kann man schließlich gegen die Absicht einwenden, die besten Schlüsse aus den besten vorhandenen Daten ziehen zu wollen? Neu ist diese hehre Absicht auf jeden Fall nicht. Schon zu Zeiten, als die Wissenschaft noch ohne das Wort „Evidenzbasierung“ auskam und hohes Ansehen genoss, waren die meisten Experten von diesem Ziel überzeugt.

 
  • Literatur

  • 1 Sackett DL, Rosenberg WMC, Gray M et al. Editorial: Evidence Based Medicine: What it is and what it isn't. British Medical Journal 1996; 312: 71-72
  • 2 Liessmann KP. Evaluation: Wie viel wiegt Wissen?. Spectrum 29.1.2005
  • 3 Uhl A. Methodenprobleme bei der Evaluation komplexerer Sachverhalte. In: Robert Koch-Institut . Hrsg Evaluation komplexer Interventionsprogramme in der Prävention. Berlin: RKI; 2012
  • 4 Uhl A. Suchtprävention zwischen Paternalismus und Emanzipation. Suchttherapie 2008; 9: 177-180
  • 5 Baumberg B. Against Evidence-Based Policy. Paper presented at the Social Policy Association Conference; Edinburgh: 2008
  • 6 Anderson P, Baumberg B. Alcohol in Europe. London: Institute of Alcohol Studies; 2006
  • 7 Kahneman D. Schnelles Denken, langsames Denken. München: Siedler; 2012
  • 8 Gigerenzer G. Bauchentscheidungen. München: Goldmann; 2008
  • 9 Dörner D. Die Logik des Misslingens. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt; 2003
  • 10 Chabris Ch, Simons D. Der unsichtbare Gorilla. München: Piper; 2011
  • 11 Uhl A. Absurditäten in der Suchtforschung. Wiener Zeitschrift für Suchtforschung 2009; 32: 19-39