Zentralbl Chir 2014; 139(S 02): e90-e96
DOI: 10.1055/s-0032-1327889
Originalarbeit
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Verletzung des Nervus accessorius im Rahmen von Lymphknotenexstirpationen – Begutachtung und evidenzbasierte operative Techniken

Injury to the Spinal Accessory Nerve during Lymph Node biopsy: Expert Witnesses and Evidence-Based Procedures
P. T. Fellmer
1   Klinik für Visceral-, Transplantations-, Thorax- und Gefäßchirurgie, Universitätsklinikum Leipzig, Deutschland
,
J. Fellmer
2   Kanzlei Tondorf und Böhm, Düsseldorf, Deutschland
,
S. Jonas
1   Klinik für Visceral-, Transplantations-, Thorax- und Gefäßchirurgie, Universitätsklinikum Leipzig, Deutschland
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Publication Date:
10 April 2013 (online)

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Zusammenfassung

Hintergrund: Die Verletzung des N. accessorius im Rahmen einer Lymphknotenexstirpation im lateralen Halsdreieck stellt eine gefürchtete Komplikation und überproportional häufig die Grundlage für eine medizinrechtliche Auseinandersetzung dar. Bei gegenwärtig nahezu völligem Fehlen evidenzbasierter chirurgischer Techniken und gleichzeitigem babylonischen Stimmengewirr der gutachterlichen Beurteilung ist die wissenschaftliche Klärung von als sinnvoll und zwingend beschriebenen Maßnahmen geboten. Material und Methoden: Es wurde eine Juris-Abfrage der Zeit 1970 bis 2011 mit themennahen Schlagwörtern durchgeführt. Die gefundenen Urteile wurden im Hinblick auf die gutachterliche Bewertung untersucht und strukturiert. Ebenso wurde das vorhandene Schriftgut hinsichtlich gutachterlicher Forderungen und Einschätzungen durchsucht. Die gefundenen Argumente wurden mittels PubMed-Recherche in Bezug auf ihre Evidenz untersucht. Ergebnisse: In der Zeit von 1970 bis 2011 finden sich 18 rechtskräftige Entscheidungen mit 11 stattgegebenen und 7 abgewiesenen Klagen. Gutachterlich kam es regelmäßig zur Forderung der prinzipiellen Darstellung des Nervs, der Forderung des Facharztstandards und überproportional häufig zur Hilfsargumentation des Beweises des ersten Anscheins. Die Analyse des Schrifttums hingegen weist auf deutliche Risiken der Nervendarstellung bei Notwendigkeit der unverhältnismäßigen Ausweitung des Eingriffs hin. Die Notwendigkeit des Facharztstandards verbleibt eher aus rechtlichen als aus objektiv wissenschaftlichen Gründen. Schlussfolgerung: Die fehlende wissenschaftliche Evidenz zum Vorgehen bei Operationen im lateralen Halsdreieck verführt gegenwärtig Gutachter und Richter zu wissenschaftlich nicht nachvollziehbaren Anforderungen. „Eminenzbasierte“ Gutachten mit edukativem Impetus haben immer noch einen beträchtlichen Anteil an richterlichen Entscheidungen und belasten unnötig das ärztliche Handeln.

Abstract

Introduction: Injury to the spinal accessory nerve during lymph node biopsy in the lateral cervical triangle is a dreaded complication. It is disproportionately frequently the basis for medico-legal debates even though an evidence base is lacking. The scientific clarification of meaningful and mandatory measures during the procedure is essential. Materials and Methods: A legal database query from 1970 to 2011 was carried out using related keywords. Judgements were examined for expert witnesses, and a literature search regarding expert witnesses was done. The arguments found were verified with respect to evidence. Results: From 1970 to 2011, 18 verdicts were found with 11 claims upheld and seven rejected. Expert witnesses regularly asked for clear preparation of the nerve as well as the requirement of specialist standards, and often used the prima facie argument to show surgeon errors. In contrast, analyses of the literature showed a significant risk of injury during nerve preparation. The need for specialist standards remains, however, with significantly lower demands upon the expertise of the surgeon as described by expert witnesses. Discussion: There was a lack of scientific evidence for special manoeuvers during surgical procedures in the lateral cervical triangle. This prompted experts to ask for scientifically unproved manoeuvers during the procedure. “Eminence-based” expert witnesses with a teaching aptitude still have considerable influence on judicial decisions but are an unnecessary burden regarding the provision of medical treatment.