Aktuelle Neurologie 2012; 39(10): 561-562
DOI: 10.1055/s-0032-1327376
Neuro-Quiz
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Neuro-Quiz

M. Obermann
1   Klinik für Neurologie und Schwindel-Zentrum Essen, Universitätsklinikum Essen
,
M. Maschke
2   Klinik für Neurologie und Neurophysiologie, Brüderkrankenhaus Trier
› Institutsangaben
Weitere Informationen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
03. Januar 2013 (online)

Anamnese

Ein 43-jähriger HIV-positiver Patient, Erstdiagnose 2002, CDC Stadium A1, klagt über seit einigen Wochen zunehmende Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen. Bereits vorher sei er zunehmend antriebslos gewesen, hätte kaum noch Lust überhaupt aus der Wohnung zu gehen und schläft die meiste Zeit des Tages. Darüber hinaus hätte er immer häufiger holokranielle Kopfschmerzen die dumpf-drückend sind und in mittlerer Schmerzintensität über mehrere Stunden anhalten. In den letzten beiden Tagen seien zunehmend akustische und visuelle Halluzinationen aufgetreten und ihm sei eine leichte Schwäche der rechten Hand aufgefallen. Seine aktuelle antiretrovirale Medikation besteht aus Atripla (Efavirenz, Emtricitabin und Tenofovir) 1-mal tgl. 1 Tablette, die er seit mehreren Jahren unverändert einnimmt. Die ambulante Vorstellung bei seinem behandelnden Arzt führte zu einer Einweisung ins Krankenhaus mit der Bitte um Umstellung der antiretroviralen Therapie bei Verdacht auf Medikamentennebenwirkung durch Efavirenz.

Die klinisch neurologische Untersuchung zeigte Wortfindungsstörungen, eine leichte Absinktendenz der rechten Hand und einen kognitiv eingeschränkten, ratlosen Patienten. Sein Mini-Mental-Status-Test (MMST) zeigte eine Punktzahl von 23 von 30 möglichen, die HIV-Demenz-Skala (HDS) 11 von 16 möglichen Punkten (≤ 10 Hinweis auf HIV-assoziierte Demenz [HAD]; ≤ 14 Hinweis auf mildere Formen eines HIV-assoziierten neurokognitiven Defizits [HAND]). Die ausführliche neuropsychologische Testung zeigt Defizite in Exekutivfunktionen, der Feinmotorik (Fingertapping) und visuokonstruktiven Leistungen. Im Labor zeigten sich HIV-RNA von 370 000 Viruskopien/ml und 68 CD4+ T-Helferzellen/μl im Serum bei sonst unauffälligen Routinewerten. In der Liquorpunktion zeigten sich 17 Zellen, normales Eiweiß und Glukose sowie eine HIV-RNA-Viruslast von 291 000 Kopien/ml. Die JC-Virus PCR im Liquor war positiv. Die Kernspintomografie des Schädels (MRT) zeigte eine ausgedehnte frontotemporal betonte Leukenzephalopathie mit flächigen Marklagerhyperintensitäten in FLAIR- und T2-Wichtung parasagittal und frontal betont ([Abb. 1]). Eine detaillierte Fremdanamnese erbrachte, dass sich der Patient auf Empfehlung eines Bekannten zu Beginn der Antriebslosigkeit und der Schlafstörungen aus der Apotheke Johanniskraut zur Stimmungsaufhellung gekauft hätte, was er nun seit mehreren Monaten einnimmt.

Zoom Image
Abb. 1 Kernspintomografie (MRT) des Schädels mit FLAIR-Wichtung, axial zeigt flächige hyperintense Areale links parasagittal und links frontal betont mit Einbeziehung der U-Fasern ohne raumfordernde Wirkung oder Kontrastmittelaufnahme.
  • Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose?

  • Handelt es sich tatsächlich um typische neuropsychiatrische Nebenwirkungen von Efavirenz wie vom behandelnden Arzt ambulant vermutet?

  • Wie ist der aktuelle Immunstatus trotz ausreichender antiretroviraler Therapie zu erklären?

 
  • Literatur

  • 1 Hellwig K, Gold R. Progressive multifocal leukoencephalopathy and natalizumab. J Neurol 2011; 258: 1920-1928
  • 2 Letendre S, Marquie-Beck J, Capparelli E et al. Validation of the CNS Penetration-Effectiveness rank for quantifying antiretroviral penetration into the central nervous system. Arch Neurol 2008; 65: 65-70
  • 3 Moenster RP, Jett RA. Mirtazapine and mefloquine therapy for progressive multifocal leukoencephalopathy in a patient infected with human immunodeficiency virus. Am J Health Syst Pharm 2012; 69: 496-498
  • 4 De Luca A, Ammassari A, Pezzotti P et al. Cidofovir in addition to antiretroviral treatment is not effective for AIDS-associated progressive multifocal leukoencephalopathy: a multicohort analysis. AIDS 2008; 22: 1759-1767