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DOI: 10.1055/s-0032-1322416
Leserbrief zu: Schmidt C. Forschung kompakt – Costs of Back Pain in Germany. manuelletherapie 2012; 16: 4–6
Publication History
Publication Date:
19 July 2012 (online)
Ich möchte mir gerne „Luft“ machen bezüglich dieses Beitrags in der manuelletherapie 1/2012. Ich habe mich einmal ausführlich mit dem Artikel [3] auseinandergesetzt und bin dabei auf andere Fakten gestoßen, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte.
Zu den Kosten: Hier wird meines Erachtens ein echter Rechenzauber abgeliefert. Ich versuche mich in einer Gegenüberstellung.
Fakt „Studie“: Gesamtkosten für Rückenschmerzen in Deutschland in Höhe von 48,96 Milliarden Euro, davon 10,3 % für Physiotherapie ausgegeben, das sind 5,04 Milliarden Euro in 2005 für Physiotherapie bei Rückenschmerzen [3].
Fakt „Realität“: Im Heilmittelbericht 2005 [2] steht: „Die Gesamtausgaben für Heilmittel lagen 2005 bei 3,7 Milliarden Euro für alle Heilmittel, auch Ergotherapie, Logopädie etc. 90,4 % davon entfielen auf physiotherapeutische Leistungen, das sind ca. 3,345 Milliarden für alle Patienten in Physiotherapiebehandlung, nicht nur für Rückenschmerz“. Wenn ich nun der Studie folge und die Werte für „Rückenschmerzen in den letzten 3 Monaten“ annehme, dann waren 35,3 % der Männer und 38,8 % der Frauen betroffen (ca. 37 %). In Bezug auf die 3,345 Milliarden Budget für alle Physiotherapiepatienten lande ich bei einem Ergebnis von 1,238 Milliarden Euro Gesamtkosten für „Rückenschmerzen in den letzten 3 Monaten“, hochgerechnet auf 12 Monate. Auch wenn ich den Wert „Rückenschmerzen in den letzten 12 Monaten“ annehme, knapp 76 %, errechne ich nur 2,54 Milliarden Euro, also weit entfernt von den angenommenen 5,04 Milliarden in der Studie [3].
Hier werden Behauptungen in den Raum gestellt, die mich wirklich erschrecken. Stimmen dann die 48,96 Milliarden Euro? Wir reden hier übrigens über eine 2009 im European Journal of Pain veröffentlichte Studie, die im Juni 2007 fertiggestellt wurde und sich auf das Jahr 2005 bezieht [3]. Die „harten Zahlen“ der AOK standen schon 2006 zur Verfügung. Wollte da keiner nachlesen [2]?
In der Gesundheitsberichtserstattung des Bundes kann ich lesen: „Im Jahr 2003 waren 60.000 Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten, Masseure und medizinische Bademeister im ambulanten Sektor tätig ([1]; leider fanden sich keine Zahlen für 2005). Nehmen wir mal an, wir teilen den „Kuchen von 2005“ aus der Statistik durch 60.000 Therapeuten, würde das einen Bruttojahresverdienst von ca. 84.000 Euro pro Therapeut und Jahr nur für Rückenpatienten bedeuten! Dieselbe Rechnung bei angenommenen 2,54 Milliarden Euro ergibt: 42.333 Euro brutto/Jahr/Therapeut nur für Rückenpatienten, oder angenommene 1,238 Milliarden Euro ergeben nur noch 20.633 Euro brutto/Jahr/Therapeut nur für Rückenpatienten. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen.
Die Kosten, die kosten. Die Studie hinkt auch an anderen Stellen. Wir alle wissen, wie so ein Internetbewertungssystem funktioniert. Wenn ich mit einem gekauften Fernseher zufrieden bin, liegt meine Bereitschaft, einen positiven Bericht in ein Bewertungssystem (z. B. Amazon, iTunes) einzugeben, bei ca. 10–15 %. Sollte der Fernseher aber Probleme machen, nicht funktionieren oder angegebene Werbeversprechen nicht gehalten werden, steigt meine Bereitschaft auf über 90 %, um meinem Ärger Luft zu machen, wie ich hier oder die Befragten bei der Studie. Für mich sind dies keine Anzeichen für Verlässlichkeit.
Trotzdem lehne ich mich zurück und fühle mich als „Großverdiener“. Die Gedanken sind ja bekanntlich frei. Meine Freunde aus der Pharmaindustrie denken beim Ausgleich des Gehaltskontos ähnlich – nur nicht genauso (und das sind IT-ler!)
Noch etwas Aktuelles, wir leben ja schon in 2012: Mal sehen, ob die 6 % Plus im öffentlichen Dienst den Weg auch in unsere Vergütungsliste finden. Nicht nur die 2 Cent hoch und die 3 Cent runter, wie alle Jahre wieder. Wir Physiotherapeuten sind auch nicht inflationsbefreit (Anmerkung 06/2012: "Hat leider nicht geklappt ...). Die aktuellen Überschüsse haben übrigens auch wir Physiotherapeuten zum Teil mitgetragen, das sagt zumindest meine persönliche Forschung in meinen Abrechnungen.
Eine kleine Anekdote zum Schluss: Als der Bauer "Sparfuchs" gefragt wird, wie es seiner Kuh Elsa geht, erwidert er: „Letzte Woche noch gut! Ich hab ihr dann das Fressen abgewöhnt – alles o. k. Als ich ihr 3 Tage später das Saufen abgewöhnt habe, war auch noch alles in Ordnung. Gestern hab ich ihr dann noch das Schnaufen abgewöhnt, und da ist die doofe Kuh verreckt.“
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Literatur
- 1 Gesundheitsberichtserstattung des Bundes. www.gbe-bund.de/gbe10/abrechnung.prc_abr_test_logon?p_uid=gast&p_aid=96085076&p_sprache=D&p_knoten=TR200
- 2 Schröder H, Waltersbacher A. Heilmittelbericht 2006. www.wido.de/fileadmin/wido/downloads/pdf_heil_hilfsmittel/wido_hei_hmbericht2006_0107.pdf
- 3 Wenig C et al. Costs of Low Back Pain in Germany. Eur J Pain 2009; 12: 280-286