Sprache · Stimme · Gehör 2012; 36(01): 6
DOI: 10.1055/s-0032-1310343
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Hörgeräte – Hörgeräteträgern nutzen viele Programme kaum

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Publication Date:
21 March 2012 (online)

 

"Big brother is watching you" – dieses geflügelte Wort aus einem (dem…) Roman von George Orwell suggeriert den meisten von Ihnen ein höchst unsympathisches und durch Misstrauen motiviertes Protokoll einer ungebetenen Beobachtung darüber, was man tut – und was man unterlässt, obwohl man es tun sollte. Aber kann nicht ein "großer Bruder" auch den kleineren, weniger erfahreneren Geschwistern durch Beobachten helfen?
J Am Acad Audiol 2011; 22: 359–374

Einen solchen netten großen Bruder gibt es seit einiger Zeit in Hörgeräten. Er "petzt" das Protokoll gerne den Eltern, damit diese helfen können. Es handelt sich um "Data Logging" – und die Eltern sind Hörgeräteakustiker und (Päd-)Audiologen. Ziel des Data-Logging ist u.A., die Nutzungsgewohnheiten von Hörgeräteträgern kennen lernen, um Hörgeräte und Anpassungsstrategien weiterzuentwickeln.

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Modere Hörgeräte bieten eine Vielzahl von Programmwahlmöglichkeiten – die allerdings von den wenigsten Nutzern tatsächlich verwendet werden.(Bild: Hans Snoek / pixelio.de)

In der vorliegenden Arbeit stellte Banerjee fest, dass Hörgeräteträger zu 75 % der Nutzungszeit nur das Programm verwendeten, welches als Standard definiert wurde und beim Einschalten der Geräte aktiviert war. Dreiviertel der Einstellungen nahmen die Hörgeräteträger mit dem intuitiv zu bedienenden Lautstärkesteller vor und nicht mit den vielleicht zu komplizierten Programmwahlmöglichkeiten, obwohl diese z.B. für das Umschalten der Mikrofonrichtcharakteristik und für bestimmte Hörsituationen besser gewesen wären.

Die Hörgeräteträger wählten zu 90 % der Zeit beim rechten und linken Gerät gleiche Einstellungen. Diesbezüglich weiß man aus Befragungen, dass Hörgeräteträger nur zu 60 % zufrieden mit den Einstellmöglichkeiten von Hörgeräten sind und sich eine synchrone Bedienung für das rechte und linke Gerät wünschen, die es zur Zeit nur bei teuren und in Deutschland zuzahlungspflichtigen Geräten gibt.

Andererseits wurden zu 10 % der Nutzungszeit asymmetrische Einstellungen bevorzugt, am häufigsten, wenn sich das Nutzsignal nicht direkt vor dem Hörgeräteträger befand oder wenn ein hoher Störschallpegel protokolliert wurde.

Weitere Informationen zu den akustischen Merkmalen des Störschalls wurden beim Data Logging nicht aufgezeichnet. Jedenfalls sollte die Möglichkeit asymmetrischer Einstellungen bei zukünftigen Neuentwicklungen erhalten bleiben, allerdings mit erleichterter Bedienung.

Fazit

Bei Hörgeräten verhalten wir uns wie bei anderen technischen Geräten. Man wünscht sich vielfältige Einstellmöglichkeiten, also bauen und bewerben die Hersteller unsere Wünsche und wir erfüllen sie uns: je komplizierter und je teurer, desto besser. Doch als Besitzer dieser Geräte bleiben wir letztendlich bei der Grundeinstellung, die wir nur selten verlassen: Die Kamera steht immer auf "Programmautomatik", beim Fernsehgerät ändern wir nur das Programm und selten mal die Lautstärke, das Automatikgetriebe steht ewig auf "Economy", obwohl doch "Sport" viel mehr Spaß macht. Und bei Hörgeräten ändern wir am liebsten nur die Lautstärke, möglichst rechts und links mit einem Dreh. Da haben wir‘s wieder mal: Der Mensch – ein "Gewohnheitstier".

Prof. Dr. med. Rainer Schönweiler, Lübeck