Neonatologie Scan 2012; 01(01): 38-39
DOI: 10.1055/s-0032-1310210
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Zentralnervensystem
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Fetales Alkoholsyndrom: Klare Diagnose entscheidend

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Publication Date:
23 August 2012 (online)

In der westlichen Zivilisation gehört die pränatale Alkoholexposition zu den stärksten Risikofaktoren für körperliche Missbildungen und psychosoziale Behinderungen. Eine möglichst frühzeitige Diagnose hat einen positiven Einfluss auf den Verlauf. Aber auch bei einer späten Erkennung kann noch viel erreicht werden.

Das Fetale Alkoholsyndrom (FAS) wird besonders dann verkannt, wenn die Symptome weniger somatisch als neuropsychologisch bedingt sind. Feldmann et al. interessierten sich für die Lebensumstände und geistige Entwicklung Betroffener und überprüften die Assoziation zum Diagnosezeitpunkt. Daten von 77 männlichen und 48 weiblichen Patienten mit FAS standen zur Verfügung. Sie waren 1 – 33 Jahre alt (durchschnittlich 12,51 Jahre). Die Informationen wurden in strukturierten Telefoninterviews gesammelt. Kontrollgruppe waren gesunde Geschwisterkinder, wobei keine biologische Verwandtschaft bestehen musste.

Die meisten Patienten wuchsen bei Adoptiv- und Pflegeltern auf (20,8 % und 66,4 %). Verglichen mit der Kontrollgruppe wurden die Patienten 4-mal häufiger verspätet eingeschult und besuchten wesentlich öfter Förderschulen (46 % vs. 6,5 %). Auch Schulwechsel und Schuljahreswiederholungen kamen häufiger vor. 74,4 % der Kinder zeigten ein auffälliges Sozialverhalten (Kontrollen 14,0 %) mit einer deutlichen Neigung zu Aggressionen und Unruhe. Sie waren aber auch häufiger Opfer von Übergriffen durch andere. Es traten ebenfalls Verhaltensauffälligkeiten wie Zündeln und Schulschwänzen auf. Wegen Aufmerksamkeitsstörungen und Hyperaktivität war bei vielen die Diagnose eines ADHD (attention deficit hyperactivity disorder) gestellt worden. Die emotionale Entwicklung war verzögert oder gestört mit der Ausbildung instabiler Persönlichkeitsstrukturen und einer Häufung von Ess- und Angststörungen.

Die Einschulungsuntersuchung erwies sich als häufigster Diagnosezeitpunkt (36,8 %). Bei 30,8 % der Patienten erfolgte die Diagnose im 2. – 5. Lebensjahr. Die Vorstellung in der Spezialambulanz geschah am häufigsten auf den dringenden Wunsch der Eltern (22,5 %), bei 19,8 % aufgrund von Entwicklungsverzögerungen und 18 % wegen Verhaltensauffälligkeiten. Die Unterteilung der Patienten in 2 Gruppen mit einer frühen ( < 5 Jahre) und späten Diagnostik ergab, dass die früher diagnostizierten Kinder öfter Spezialschulen besuchten (63,2 %), wo sie eine besondere Betreuung und Förderung erfuhren. Sie hatten seltener die Zusatzdiagnose ADHD und weniger ausgeprägte Störungen im Sozialverhalten (p = 0,007). Es bestätigten sich die signifikanten Unterschiede in der sozialen Entwicklung für zahlreiche Aspekte (Aggression, Durchbrennen, Diebstahl, Schulschwänzen etc.). Je früher die Diagnose FAS gestellt wurde, umso größer war die Unterstützung für die Patienten und Familien. Patienten und Eltern empfanden die Hilfe besonders erleichternd, wenn die Erkrankung erst spät zugeordnet wurde und 31,1 % empfanden eine wesentliche emotionale Verbesserung.