Neonatologie Scan 2012; 01(01): 6-7
DOI: 10.1055/s-0032-1310124
Diskussion
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Effekte auf die Hämodynamik belegt: Spätes Abnabeln

Ein verzögertes Abnabeln wird bei Geburten vor dem errechneten Termin empfohlen, um die hämodynamische Stabilität in der neonatalen Periode zu verbessern. Ross Sommers et al. untersuchten die Effekte auf einzelne hämodynamische Parameter im Vergleich zu einer sofortigen Nabelschnur-Durchtrennung.
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Publication History

Publication Date:
23 August 2012 (online)

Pediatrics 2012; 129: e667-e672

Ein verzögertes Abnabeln führt zu einem etwa 10 – 15 % höheren Blutvolumen durch die plazentale Transfusion. Die sofortige Durchtrennung der Nabelschnur entzieht unreifen Neugeborenen dieses potenzielle zusätzliche Blutvolumen und man nimmt an, dass dies zu Hypovolämie und Hypotension führen kann. Damit wird auch das Risiko für peri- oder intraventikuläre Blutungen (P/IVH) erhöht, denn es gibt eine Assoziation zwischen einem verminderten Blutfluss in der Vena cava superior und P/IVH. Um hämodynamische Effekte des verzögerten Abnabelns als möglichen Faktor für diese und andere Komplikationen zu untersuchen, führten die Autoren der aktuellen Studie eine prospektive Studie durch, bei der sie in einem Gestationsalter von 24 – 31 Wochen geborene Kinder randomisiert entweder sofort abnabelten – immediate cord clamping (ICC); n = 26 – oder erst nach 45 Sekunden – delayed cord clamping (DCC), n = 25. Zwillinge oder Kinder von Müttern mit Substanzmissbrauch waren zuvor ausgeschlossen worden. In beiden Studienarmen waren Gestationsalter, Geburtsgewicht und Geschlechtsverteilung sowie klinische Ereignisse vergleichbar verteilt.

In der 6., 24., 48. und 108. Lebensstunde führten die Forscher Doppler-Ultraschalluntersuchungen durch. Sie erfassten den Blutfluss in der Vena cava superior, den Ausstoß des rechten Ventrikels, die Geschwindigkeit des Blutflusses in der Arteria cerebri media und in der Arteria mesenterica superior, die linksventrikuläre Verkürzungsfraktion und das Vorhandensein eines dauerhaften Ductus arteriosus.

Im Vergleich zur sofortigen Abnabelung führte eine DCC zu einem signifikant höheren Blutfluss in der Vena cava superior, und zwar nicht nur in den ersten Lebensstunden, sondern über die gesamte Untersuchungsdauer. Der rechtsventrikuläre Ausstoß und das Rechtsherzschlagvolumen waren bei der Ultraschalluntersuchung nach 48 h außerdem höher als bei ICC. Dagegen gab es keine Unterschiede in den übrigen untersuchten Parametern und auch nicht im Blutdruck. Die Autoren spekulieren, dass der durch DCC bedingte höhere Blutfluss auf einem erhöhten Blutvolumen basiert und das Risiko für P/IVH dadurch reduziert, indem die zerebrale vaskuläre Regulation bei entstehenden pathophysiologischen Ereignissen wie einer Hypoxie oder einer Hyperkarbie effizienter ist.

Fazit Das verzögerte Durchtrennen der Nabelschnur bei vor dem errechneten Geburtstermin zur Welt kommenden Kindern ist mit wahrscheinlich günstig wirkenden hämodynamischen Veränderungen in den ersten 4 Lebenstagen assoziiert. Insbesondere wird der Blutfluss in der Vena cava superior von Beginn an bis über 4 Tage erhöht, so die Autoren.

Friederike Klein, München

1. Kommentar

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Prof. Serban-Dan Costa

Universitäts-Frauenklinik

Otto-von-Guericke-Universität

Gerhart-Hauptmann-Str. 35

39108 Magdeburg

In der vorliegenden Arbeit von Sommers et al. werden die Ergebnisse hämodynamischer Untersuchungen in Abhängigkeit von der Abnabelungszeit bei Frühgeborenen dargestellt. Es handelt sich dabei um eine Gruppe von Patientinnen (N = 51), die Teil einer randomisierten, monozentrischen Studie sind, die einen Vergleich zwischen früher (sofortiger, ICC) und später (nach ca. 45 Sekunden, DCC) Abnabelung als primäres Studienziel hatte.

Aus geburtshilflicher Sicht fällt in erster Linie auf, dass weniger als 50 % der Kinder per Sectio caesarea geboren wurden.

Zwar gilt die Autotransfusion bei Frühgeborenen seit einiger Zeit als etabliert und sinnvoll, weil dadurch vor allem die Inzidenz intraventrikulärer Hirnblutungen abnimmt, aber die zugrunde liegenden Mechanismen sind nicht aufgeklärt. Das wird von den Autoren richtigerweise als Begründung für die Studie aufgeführt, obwohl man sich als Leser fragt, welche neuen Erkenntnisse von der eigentlichen randomisierten Studie zu erwarten sind, nachdem der Nutzen der späten Abnabelung eigentlich bekannt und hinreichend belegt ist. Aus geburtshilflicher Sicht fällt in erster Linie auf, dass weniger als 50 % der Kinder per Sectio caesarea geboren wurden (23 von 51), obwohl es sich ausnahmslos um Frühgeburten zwischen 24. – 31. Schwangerschaftswochen (SSW) gehandelt hat. In der Literatur wurde mehrfach gezeigt, dass die Morbidität frühgeborener Kinder zwischen der 24. – 28. SSW unabhängig vom Geburtsmodus ist, während sie zwischen 28. – 32. SSW von einer Sectio caesarea profitieren. Insofern wäre es interessant gewesen, den jeweiligen Anteil der Frühgeburten auch im vorliegenden Kollektiv anzugeben.

Kritisch anzumerken ist, dass insgesamt das Kollektiv sehr klein ist. Es wäre interessant zu erfahren, mit welcher Begründung Patientinnen mit einer vorzeitigen Plazentalösung in eine solche Studie aufgenommen werden – schließlich handelt es sich um eine absolute Notfallsituation mit der Gefahr eines fetomaternalen Blutverlustes und, je nach Ausmaß der Lösung, um eine blutarme Plazenta. In der ICC-Gruppe waren es mehr Fälle von vorzeitiger Plazentalösung, Plazentainsuffizienz und Chorioamnionitis. Diese Diagnosen schließen meines Erachtens eine späte Abnabelung aus. Trotz dieser Einschränkungen handelt es sich um einen wertvollen Beitrag, der neue, zusätzliche Argumente für die späte Abnabelung bzw. plazentare Transfusion bei Frühgeburten liefert.

E-Mail: serban-dan.costa@med.ovgu.de


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2. Kommentar

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PD Dr. Axel Franz

Universitätsklinikum Tübingen

Calwer Str. 7

72076 Tübingen

Eine plazentare Transfusion von etwa 10–20 ml/kg/Blut durch verzögertes Abnabeln und Platzierung des Kindes unter das Niveau der Plazenta kann möglicherweise bei Frühgeborenen die Häufigkeit von Hirnblutungen verringern. Das zeigte eine Vorarbeit der gleichen Arbeitsgruppe und wurde inzwischen in mehreren Metaanalysen bestätigt. Diese Beobachtung steht im Widerspruch zu Publikationen aus den 80er Jahren, die eine Assoziation von Hirnblutungen mit vorangegangenen Transfusionen beschrieben, in deren Folge die langsame Infusionsgeschwindigkeiten der in der Neonatologie üblichen kleinvolumigen Transfusionen propagiert wurden. Auch in der neueren Literatur findet man wieder Berichte über eine Assoziation von Transfusion in den ersten Lebenstagen mit Hinblutungen.

Kann man diesen Widerspruch auflösen?

Verstehen lässt sich eine Reduktion von Hirnblutungen durch plazentare Transfusion, wenn man das Paradigma zugrunde legt, dass Hirnblutungen in der Folge vorangegangener Kreislaufinsuffizienz und zerebraler Minderperfusion auftreten. So zeigten Kluckow und Evans, dass Kinder mit Hirnblutungen am Vortag häufiger verminderte Blutflussvolumina in der oberen Hohlvene als Ausdruck einer zerebralen Minderperfusion aufweisen. Die vorliegende Arbeit scheint nun die Vermutung zu unterstützen, dass die plazentare Transfusion zu einer Stabilisierung des postnatalen Kreislaufs und möglicherweise so zur Verminderung der Hirnblutungsrate beiträgt.

Mit Spannung darf man das Ergebnis der zugrunde liegenden, randomisert-kontrollierten Studie erwarten.

Dass eine frühe postnatale Transfusion mit Hirnblutungen assoziiert sein soll, kann man unter der Annahme des oben beschriebenen Paradigmas nur erklären, wenn man annimmt, dass vor der Transfusion bereits der Schaden durch Minderperfusion gesetzt worden war. So könnte die vorangegangene Minderperfusion zum Verlust der zerebrovaskulären Autoregulation geführt haben, in dessen Folge die Transfusion zur Hirnblutung führt.

Unter methodischen Gesichtspunkten handelt es sich bei der vorliegenden Arbeit um eine ordentlich durchgeführte, monozentrische Studie, die nur wenige kleine Schönheitsfehler aufweist: Der Untersucher kannte bei einem kleinen Teil der Patienten die Gruppenzugehörigkeit schon bevor er die Messungen durchführte. Es gab für diese Substudie keine Fallzahlberechnung und es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die 18 Patienten, deren Eltern nicht um ihr Einverständnis zu dieser Untersuchung gebeten worden waren nur deshalb nicht angefragt worden waren, weil diese Kinder nicht ins Konzept passten. Die ethnischen Bevölkerungsgruppen waren unterschiedlich auf die Interventionsgruppen verteilt, was jenseits der Studienintervention auch die Kreislaufparameter beeinflusst haben könnte. Außerdem sind echokardiografische Messungen des Herzminutenvolumens und insbesondere des Blutflussvolumens in der oberen Hohlvene bei Neu- und Frühgeborenen generell nur eingeschränkt reproduzierbar.

Dennoch meine ungeteilte Anerkennung für einen wertvollen Beitrag! Mit Spannung darf man das Ergebnis der zugrunde liegenden, randomisert-kontrollierten Studie erwarten, deren primäre Zielvariable die neurokognitive Entwicklung im korrigierten Alter von 18 Monaten nach verzögertem versus schnellem Abnabeln ist.

E-Mail: axel.franz@med.uni-tuebingen.de


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