Psychiatr Prax 2012; 39(02): 97-98
DOI: 10.1055/s-0032-1305971
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Kinder und ihre psychisch kranken Eltern

Contributor(s):
Johannes Jungbauer
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Publication Date:
09 March 2012 (online)

 
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Aus der sozialpsychiatrischen Forschung wissen wir, dass Kinder psychisch kranker Eltern vielfältig belastet sind und ein deutlich erhöhtes Risiko für Verhaltensauffälligkeiten und psychische Störungen aufweisen. In manchen Fällen kann die Erziehungsfähigkeit der Eltern (zeitweise) so stark beeinträchtigt sein, dass entsprechende Maßnahmen zum Schutz des Kindeswohls ergriffen werden müssen. Vor diesem Hintergrund sind in Deutschland in den letzten Jahren etliche innovative Präventionsprojekte entstanden, in denen Familien mit einem psychisch kranken Elternteil unterstützt werden. Der vorliegende Band "Kinder und ihre psychisch kranken Eltern" ist im Kontext des Präventionsprojekts CHIMPs (Children of Mentally Ill Parents) am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf entstanden. Dieses Projekt, das mit dem KKH-Allianz Innovationspreis 2011 ausgezeichnet wurde, umfasst ein spezielles Beratungsangebot, das sich über sechs bis zwölf Monate erstreckt und aus Eltern-, Kinderund Familiengesprächen besteht. Es handelt sich um das erste Angebot dieser Art in Deutschland, das auch umfassend evaluiert wurde.

Das vorliegende Buch gliedert sich in zwei größere Teile, wobei im ersten Teil zunächst theoretische und forschungsbezogene Grundlagen dargestellt werden. Die Autorinnen geben zu Beginn einen Überblick zum aktuellen Forschungsstand, insbesondere zu Epidemiologie, Belastungen, Entwicklungsrisiken, protektiven Faktoren und Krankheitsbewältigung in Familien mit einem psychisch kranken Elternteil. Ferner werden grundlegende Möglichkeiten der Prävention dargestellt, wobei die Bedeutsamkeit familienorientierter Präventionsprogramme herausgearbeitet wird. In weiteren Buchkapiteln werden krankheitsspezifische, entwicklungspsychologische und geschlechtsspezifische Aspekte der Thematik beleuchtet. Ein eigenes Kapitel ist auch dem Bedarf betroffener Familien nach Hilfe und Prävention gewidmet. Im Mittelpunkt des zweiten Teils des Buchs steht das familienorientierte Präventionskonzept CHIMPs. Das CHIMPs-Konzept fußt wesentlich auf Grundhaltungen und Methoden der psychoanalytischen Familientherapie; ferner orientiert es sich an den Arbeiten von William Beardslee und seinen Mitarbeitern und integriert auch psychoedukative Elemente aus verhaltenstherapeutischen Ansätzen. Die Ziele der Beratung werden auf den Ebenen der Krankheitsbewältigung, der familiären Beziehungen und der Familiendynamik definiert. Das ambulante Beratungsangebot umfasst drei Phasen: Zu Beginn werden zwei bis drei Interviews Elterngespräche durchgeführt. In Phase 2 sind Einzelgespräche mit jedem Kind der Familie ab drei Jahren vorgesehen; parallel hierzu können diagnostische Interviews durchgeführt werden. Phase 3 der Beratung besteht schließlich aus Familiengesprächen, an denen alle Familienmitglieder teilnehmen. Das Vorgehen in den einzelnen Phasen wird ausführlich beschrieben und anhand von Fallbeispielen erläutert. Im Anschluss finden sich Überlegungen zu besonderen Aspekten der Beratung (z. B. ethische und juristische Aspekte; Umgang mit schwierigen Gesprächssituationen und Kindeswohlgefährdung). In einem eigenen Kapitel wird die Qualitätssicherung und Evaluation des CHIMPs-Modellprojekts im Rahmen eines Forschungsprojekts dargestellt. Zwei ausführliche Fallbeispiele illustrieren abschließend, wie in Hamburg mit betroffenen Familien gearbeitet wird. Auf einer CD-ROM findet der Leser zudem Materialien zum Ausdrucken, wie z. B. Fragebögen, Dokumentationsbögen und Interviewleitfäden, die im Rahmen der Beratung eingesetzt werden können.

Fazit: Der vorliegende Band leistet einen wichtigen Beitrag für die Etablierung geeigneter Präventionsangebote für Familien mit einem psychisch kranken Elternteil in Deutschland. Das Buch richtet sich an Psychologische Psychotherapeuten bzw. Kinder- und Jugendpsychotherapeuten, Ärzte sowie Pädagogen mit psychotherapeutischer Qualifikation. Insbesondere Kolleginnen und Kollegen, die ein wissenschaftlich fundiertes Hilfeangebot für Kinder psychisch kranker Eltern aufbauen oder ausbauen wollen, finden in dem Buch wertvolle Anregungen.

Johannes Jungbauer, Aachen
E-Mail: j.jungbauer@katho-nrw.de