Sprache · Stimme · Gehör 2011; 35(04): 177-178
DOI: 10.1055/s-0031-1301148
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Tinnitus – Phantomschmerz im Gehör

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Publication Date:
23 January 2012 (online)

 

Das Ohrenleiden Tinnitus ist meist Folge einer Hörstörung und entspricht in seinem Mechanismus dem Phantomschmerz nach einer Amputation. Belege für diese Annahme liefern Forscher um Shaowen Bao von der University of California, Berkeley.
PNAS 2011; 108: 14974–14979

Allein in Deutschland hören 3 Mio. Menschen ein ständiges Pfeifen, Klingeln oder Summen, auch als "Tinnitus" bezeichnet. Wie dieses Leiden zustande kommt, konnten die US-Forscher in Rattenversuchen zeigen.

Der Verursacher von Tinnitus ist meist eine Hörstörung, etwa infolge lauter Geräusche. Im Innenohr werden dabei Haarzellen zerstört, die zuvor jeweils Signale bestimmter Frequenzen an die Hörregion in der Großhirnrinde übermittelt haben. Kommt kein Input mehr aus dem Ohr, nimmt die Hemmung der nun unterbeschäftigten Neuronen ab. Sie werden übererregbar und feuern spontane Impulse ab, die als Tinnitus-Geräusche wahrgenommen werden. Den Forschern zufolge beruhen diese Veränderungen auf der Tendenz des Gehirns, die Aktivitätsrate im System konstant zu halten. "Tinnitus gleicht in dieser Hinsicht dem Phantomglied-Schmerz, den viele Amputierte empfinden", so Bao.

Doch Amputationen lassen das Gehirn nicht untätig. Fehlt etwa ein Finger, so übernehmen teils Regionen, die für dessen Input zuständig waren, Funktionen der Nachbarfinger. Ähnlich wird auch bei Tinnitus die Hörregion umstrukturiert und der Bereich für die Wahrnehmung niederer Frequenzen dehnt sich aus auf Regionen, in denen verlorene hohe Frequenzen verarbeitet wurden. Veränderungen, die man bisher als eine Ursache für Tinnitus hielt und rückgängig zu machen suchte, erklärt Langguth, Leiter des Tinnituszentrums Regensburg. "Die neuen Ergebnisse lassen allerdings schließen, dass sie ein sinnvoller Versuch des Gehirns sein könnten, Tinnitus zu bekämpfen."

Bestätigt sich diese Ansicht in weiteren Studien, werde man für künftige Tinnitus-Therapien gezielt diese Umstrukturierung im Gehirn trainieren, so Langguth. Studienleiter Bao schlägt noch andere Alternativen vor: Künftig könnten auch Medikamente das spontane Abfeuern der Neuronen in der Hörregion unterbinden.

Die sonst für diese Hemmung zuständigen Neuronen sind bei Tinnitus geschwächt, zeigten die Versuche. Um sie in der klinischen Praxis gezielt ansprechen zu können, müssen jedoch erst nicht-toxische Wirkstoffe gefunden werden.

pte