Zentralbl Chir 2011; 136(06): 558
DOI: 10.1055/s-0031-1299610
Kommunikation konkret
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ars rogandi, oder:
Die Kunst des Fragens

Manfred Niedermeyer
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Publication Date:
16 December 2011 (online)

 

Wer fragt führt. Richtig fragen ist eine Kunst. Oder besser gesagt: eine kleine Kunst. Die Kunst des Fragens ist rein technisch gesehen überschaubar. Es gibt nur wenige Frage-Arten. Der Rest ist: Einstellung und üben.

"Eine Frage ist eine Äußerung, mit der der Sprecher eine Antwort zwecks Beseitigung einer Wissenslücke herausfordert" [ 1 ]. Aus dieser Definition folgt die erste Frage. Und diese stellen Sie sich bitte selbst – bevor Sie mit dem Fragen beginnen: "Welche Wissenslücke will ich beseitigen?" Das sollten Sie sich klar machen, bevor Sie mit Fragen beginnen. Gut gefragt ist halb geantwortet.

Teilen Sie das Gespräch in zwei Bereiche auf:

  • Informationsphase, oder erfragen: "Was muss ich wissen?"

  • Isolationsphase, oder hinterfragen und Ursachenforschung: Was steckt dahinter? Ist gleich: Warum?

Beginnen Sie den Dialog mit einer offenen Frage. Beispielsweise: "Wie geht es Ihnen?" Eine offene Frage ist eine Frage, die mit einem Fragewort beginnt; wie, was, wo, wieso, warum. Vorteil offene Fragen: Der Antwortende ist in der Art des Antwortens nicht festgelegt. Als Fragender gewinnen Sie oft neue und überraschende Erkenntnisse. Offene Fragen sind leicht zu stellen. Hervorragend geeignet für rhetorisch Nichtgeschulte zum schnellen Einstieg ins Gespräch. Offene Fragen fördern den Dialog. Sie sind Einladungen zum Antworten.

Oft genügt eine offene Frage und Ihr Partner kommt ins Reden. Damit haben Sie Ihr erstes Ziel erreicht. Das Risiko von offenen Fragen ist, dass das Gespräch unstrukturiert wird. Dass sich Ihr Gesprächspartner im Antworten verliert. Und immer läuft die Uhr. Und Sie haben ja alles, nur keine Zeit. Also gilt es jetzt, die Gesprächsführung zu behalten und die ersten Eindrücke zu hinterfragen.

Das machen Sie mit den geschlossenen Fragen: "Kommen diese Bewerden immer nach dem Essen?" Geschlossene Fragen sind Fragen, die mit einem Verb beginnen. Sie strukturieren das Gespräch. Sie legen Ihren Partner auf einen Aspekt fest. Und zwingen ihn zu konkreten Aussagen. Zu einem klaren Ja oder Nein. Sie behalten so die Gesprächsführung und grenzen gezielt Ihre Wissenslücke ein. Setzen Sie geschlossene Fragen in der zweiten Gesprächsphase ein. Wenn es darum geht erste "Verdachtsmomente" wasserfest zu machen. "Sind das Ihre Hauptbeschwerden?" Ihr Patient kann jetzt nur noch mit: Ja, Nein, Vielleicht oder "Weiss nicht" antworten.

Mit nur zwei Frage-Typen haben Sie jetzt ein Diagnose-Gespräch geführt. In der Fachliteratur zum Thema "Kommunikation/Rhetorik/Fragen" werden Sie noch mehr Fragearten finden. Doch wie so oft: Wenig ist mehr.

Sie sind kein Rhetoriker sondern Arzt. Sie sind ein Pragmatiker mit einem Sprechberuf. Sie brauchen mit minimalem Dialog-aufwand ein Maximum an Informationen.

Eines sollten Sie noch bedenken: Arzt und Patient leben auf zwei verschiedenen Planeten. Untersuchungen zeigen, "dass für den Arzt die sog. objektiven Kriterien der Krankheit den thematisch größten Anteil der Visite ausmachen, während quasi spiegelbildlich dazu das Interesse des Patienten von seinem Krankheitserlebnis dominiert wird" [ 2 ]. Objektive Kriterien sind: Therapie, Diagnose, Untersuchungsergebnisse, körperliches Befinden. Der Patient fokussiert auf Krankheitserlebnis, Diagnose, Krankheitsverhalten und Therapie. "Dadurch können wesentliche Aspekte der Anamnese unter den Tisch fallen oder das Vertrauen gestört werden" [ 3 ].