Aktuelle Dermatologie 2012; 38(03): 78-79
DOI: 10.1055/s-0031-1291557
Übersicht
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Tumor-induzierte Thrombophilie: Fluch oder Segen[*]

Tumor Induced Thrombophilia: Curse or Blessing
S. W. Schneider
Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Experimentelle Dermatologie, Universitätsklinikum Mannheim
› Author Affiliations
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Korrespondenzadresse

Univ.-Prof. Dr. Stefan W. Schneider
Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie,
Experimentelle Dermatologie
Universitätsklinikum Mannheim
Theodor-Kutzer-Ufer 1 – 3
68167 Mannheim

Publication History

Publication Date:
10 January 2012 (online)

 

Zusammenfassung

Es ist bekannt, dass Tumorpatienten ein erhöhtes Thromboserisiko besitzen. Zudem zeigen nahezu alle Mitspieler der plasmatischen und zellulären Gerinnung prometastatische Eigenschaften und fördern somit die Tumorprogression. Nach einem thrombotischen Ereignis verschlechtert sich daher die Prognose eines Tumorpatienten dramatisch, wohingegen eine antikoagulatorische Therapie, z. B. mit einem niedermolekularen Heparin, die Metastasierung verzögert und die Gesamtüberlebenszeit verlängert. In diesem Zusammenhang spielt die Tumor-Endothelzell-Interaktion eine entscheidende Rolle. Aufgrund einer tumor-induzierten Endothelzellaktivierung verliert das Endothel seine antikoagulatorischen Eigenschaften und schafft ein prothrombotisches Milieu. Allerdings sind die molekularen Mechanismen dieser Tumor-Endothelzell-Kommunikation nur wenig bekannt und werden daher in dieser Studie untersucht und diskutiert.


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Abstract

It is well known that patients suffering from cancer hold a high risk of thrombosis and that teammates of the coagulation system have a high impact on tumor spreading. Therefore, tumor related thrombotic events dramatically downgrade overall survival of those patients, whereas, an anticoagulatory therapy, i. e. with low molecular heparin, attenuates tumor progression and prolongs overall survival.

In this context tumor-endothelial cell interaction plays a pivotal role as tumor-induced endothelial cell activation leads to prothrombotic conditions. However, the mechanism of this interplay is not well known and will be the topic in this study.


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Einleitung und Diskussion

Ausschlaggebend für die schlechte Prognose vieler maligner Tumorerkrankungen ist die Fähigkeit der Tumorzellen, Metastasen zu bilden. Die Metastasierung ist ein hochkomplexer und außerordentlich dynamischer Vorgang, der entscheidend von der Interaktion der Tumorzellen mit der Gefäßwand und den unterschiedlichen Komponenten des umgebenden Gewebes abhängt. Extravasation von Tumorzellen erfordert Zelladhäsion an die extrazelluläre Matrix und an das Endothel.

Die Tumor-Endothelzell-Interaktion führt neben der Tumorzelladhäsion auch zu einer Aktivierung des Gerinnungssystems. Diese prokoagulatorischen Eigenschaften von Tumorzellen finden sich klinisch in einer gesteigerten Inzidenz von Thrombosen und Rethrombosierungen in Tumorpatienten wieder, was zudem eine Verschlechterung der Prognose für den Patienten bedeutet [1].

In Vorarbeiten konnten wir und andere Arbeitsgruppen zeigen, dass Melanomzellen aktiv mit dem Endothel kommunizieren, indem sie Signalmoleküle freisetzen, die unterschiedliche Rezeptoren des Endothels aktivieren [2] [3] [4]. Interessant ist dabei, dass die erwähnten Moleküle meist der Gerinnungskaskade entstammen und klinische Studien einen Zusammenhang zwischen Tumorprogression und Gerinnungsaktivierung zeigen konnten. So konnten wir und andere Arbeitsgruppen belegen, dass maligne Tumorzellen tissue factor (TF) exprimieren und damit in der Lage sind, Thrombin zu generieren. Weiterhin sezernieren Tumorzellen vasoaktive Substanzen (wie VEGF-A, MatrixMetalloProteasen, Interleukin-1 u. v. m.), die direkt die Endothelzellen aktivieren. Aufgrund dieser Tumor-induzierten Endothelzellaktivierung verliert die Endothelzelle ihre anti-adhäsiven Eigenschaften und exponiert eine hochadhäsive Oberfläche. Dieser Zustand wird u. a. mittels Tumor-induzierter luminaler Freisetzung des von-Willebrand-Faktors (VWF) und P-Selektin erreicht.

Wir konnten zeigen, dass der luminal sezernierte VWF aufgrund von Scherkräften (= Blutfluss) ultralange Fäden bildet, die selbst unter hohen Scherraten Thrombozyten effektiv binden können ([ Abb. 1 ]). Eine mögliche klinische Konsequenz dieser Interaktion wäre die Thrombose. Erste Vorarbeiten zeigen, dass neben der Thrombozytenbindung auch Tumorzellen schnell und effektiv an diese Fäden adhärieren. Damit wäre auch unter hohen Scherraten die Adhäsion von Tumorzellen an der Gefäßwand möglich und somit eine effiziente Tumorextravasation.

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Abb. 1 Thrombozyten-Adhäsion an Tumor-aktivierten Endothelzellen.Tumor-aktivierte Endothelzellen sezernieren den von-Willebrand-Faktor (VWF, grüner Faden von links unten nach rechts oben), der auf der luminalen Endothelzelloberfläche gebunden wird und unter Flussbedingungen lange Fäden (sogenannte „ultra-large von Willebrand factor fibers“) bildet. In dieser hochmolekularen, gestreckten Form bindet VWF hocheffizient Thrombozyten (rot). Die aktivierten Endothelzellen sind ebenfalls im Hintergrund grün dargestellt.

Die hier genannten Moleküle (VWF, TF-induzierte Generierung von Thrombin, die Expression von P-Selektin und die endothel-abhängige antikoagulatorische Wirkung von Tissue Factor Pathway Inhibitor, TFPI) interagieren mit Heparin im Sinne einer anti-thrombotischen Wechselwirkung und wirken wahrscheinlich auch anti-metastatisch. Somit stellen die niedermolekularen Heparine (wie z. B. Tinzaparin, Dalteparin, Enoxaparin, Certoparin, Nadroparin u. a.), neben ihrer therapeutischen Anwendung als Thromboseprophylaxe und Thrombosetherapie, ein potenziell vielversprechendes anti-metastatisches Medikament mit einem sehr günstigen Nebenwirkungsprofil dar [5]. Bereits jetzt wird Heparin als Thromboprophylaxe bei Tumorpatienten anstelle von Vitamin-K-Antagonisten empfohlen (S2-Leitlinien AWMF).

Die hier dargestellten Mechanismen der Tumor-induzierten Endothelaktivierung stellen somit einen neuen therapeutischen Ansatz in der Tumortherapie dar. Allerdings sind weiterführende klinische Studien zur Anwendung von Heparinen bei Tumorpatienten dringend notwendig.


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* Nach einem Vortrag, gehalten beim 11. Symposion der Berliner Stiftung für Dermatologie am 2. Juli 2011 in Berlin. Wissenschaftliche Sitzung anlässlich des 75. Geburtstages von Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. mult. C. E. Orfanos.


  • Literatur

  • 1 Sørensen HT, Mellemkjaer L, Olsen JH et al. Prognosis of cancers associated with venous thromboembolism. N Eng J Med 2000; 343: 1846-1850
  • 2 Goerge T, Kleineruschkamp F, Barg A et al. Microfluidic reveals generation of platelet-strings on tumor-activated endothelium. Thromb Haemost 2007; 98: 283-286
  • 3 Goerge T, Barg A, Schnaeker EM et al. Tumor-derived matrix metalloproteinase-1 targets endothelial proteinase-activated receptor 1 promoting endothelial cell activation. Cancer Res 2006; 66: 7766-7774
  • 4 Kerk N, Strozyk E, Pöppelmann B et al. Mechanism of Melanoma-Associated Thrombin Activity and von Willebrand Factor Release from Endothelial Cells. J Invest Dermatol 2010; 130: 2259-2268
  • 5 Lazo-Langner A, Goss GD, Spaans JN et al. The effect of low-molecular-weight heparin on cancer survival. A systematic review and meta-analysis of randomized trials. J Thromb Haemost 2007; 5: 729-737

Korrespondenzadresse

Univ.-Prof. Dr. Stefan W. Schneider
Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie,
Experimentelle Dermatologie
Universitätsklinikum Mannheim
Theodor-Kutzer-Ufer 1 – 3
68167 Mannheim

  • Literatur

  • 1 Sørensen HT, Mellemkjaer L, Olsen JH et al. Prognosis of cancers associated with venous thromboembolism. N Eng J Med 2000; 343: 1846-1850
  • 2 Goerge T, Kleineruschkamp F, Barg A et al. Microfluidic reveals generation of platelet-strings on tumor-activated endothelium. Thromb Haemost 2007; 98: 283-286
  • 3 Goerge T, Barg A, Schnaeker EM et al. Tumor-derived matrix metalloproteinase-1 targets endothelial proteinase-activated receptor 1 promoting endothelial cell activation. Cancer Res 2006; 66: 7766-7774
  • 4 Kerk N, Strozyk E, Pöppelmann B et al. Mechanism of Melanoma-Associated Thrombin Activity and von Willebrand Factor Release from Endothelial Cells. J Invest Dermatol 2010; 130: 2259-2268
  • 5 Lazo-Langner A, Goss GD, Spaans JN et al. The effect of low-molecular-weight heparin on cancer survival. A systematic review and meta-analysis of randomized trials. J Thromb Haemost 2007; 5: 729-737

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Abb. 1 Thrombozyten-Adhäsion an Tumor-aktivierten Endothelzellen.Tumor-aktivierte Endothelzellen sezernieren den von-Willebrand-Faktor (VWF, grüner Faden von links unten nach rechts oben), der auf der luminalen Endothelzelloberfläche gebunden wird und unter Flussbedingungen lange Fäden (sogenannte „ultra-large von Willebrand factor fibers“) bildet. In dieser hochmolekularen, gestreckten Form bindet VWF hocheffizient Thrombozyten (rot). Die aktivierten Endothelzellen sind ebenfalls im Hintergrund grün dargestellt.