Balint Journal 2011; 12(4): 126-127
DOI: 10.1055/s-0031-1283865
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Publication Date:
14 December 2011 (online)

Lieber Sigmar

„Ich bin Arzt und kein Tankwart“, mit diesem Satz blockiertest Du Deine Karriere als Arzt in der damaligen DDR. Vorgeworfen hatte man Dir Deinen hohen Benzinverbrauch. Der überdurchschnittlich große Einzugsbereich Deiner Praxis und Dein Einsatz für Deine Patienten spielte für Deine Kritiker keine Rolle. Deine Beförderung wurde gestoppt. 

Aber Dein Einsatz und Deine Rollen blieben überdurchschnittlich. Bald nach der Wende stelltest Du Deine allgemeinmedizinische Praxis auf westlichen Standard um und übernahmst das Bürgermeisteramt von Heinersdorf. Du stelltest Dich der Landesärztekammer von Brandenburg zur Verfügung, und tratest in den Vorstand der Deutschen Balint Gesellschaft, der ersten ärztlichen Fachgesellschaft übrigens, die sich nach der Wende aus der aus dem Osten und der aus dem Westen vereinigte. Gemeinsam vertraten wir beide die Anliegen der Balint Gesellschaft bei der Bundesärztekammer in den neunziger Jahren. Du hast bis zu dem letzten Ärztetag in Münster (2011) durchgehalten und manches – wider den Strom schwimmend – vertreten. Ich erinnere pars pro toto nur an Deinen Bericht über die Entstehung des „Ulmer Papiers“. Über diese Ärztetage hieltest Du die Balint Gesellschaft und ihr Anliegen im Zentrum der allgemeinen Diskussion über die Entwicklung unseres Gesundheitssystems. Darüber berichtetest Du auch bei unseren Mitgliederversammlungen und im Balint Journal [1]. 

Was wäre aus den Vorstandssitzungen der Balint Gesellschaft geworden, wenn Du nicht über all die Jahre die Protokolle geschrieben hättest? Eine Arbeit, die Dokumentation und die Kontinuität der Balint Gesellschaft über einen mehr als 20 Jahre dauernden Zeitraum festhielt. 

Früh schon hattest Du Balints Ideen intensiv in Dich aufgenommen. Dabei hatte Dir das gruppendynamische Konzept von Hoeck geholfen [2]. Mit scharfer Beobachtungsgabe und einem klar strukturierten Schema analysiertest Du die jeweiligen Verläufe in den einzelnen Gruppensitzungen. Lässt sich die Gruppe auf den psychodynamischen Prozess zwischen Arzt und Patient ein oder vermeidet sie die Auseinandersetzung und das tiefere Verstehen des jeweiligen Prozesses? Besonders beeindruckte mich Deine sensible Wahrnehmungsfähigkeit bei einer Gruppensitzung in Israel, bei der ich Dir das in englischer Sprache ablaufende Gespräch ins Deutsche übersetzte. Du erkanntest den Focus klar und fandest die entscheidenden und für den Arzt wie für die Gruppe hilfreichen Formulierungen. 

Der Psychosomatik in der Allgemeinmedizin galt ein weiteres Interesse Deines überdurchschnittlichen Engagements. Niedergeschlagen hat sich das in etlichen Publikationen und Beiträgen für das Balint Journal und andere Zeitschriften für die ärztliche Fortbildung. Besonders hervorheben aber möchte ich hier das Buch, dass Du zusammen mit Dieter Curschmann und Rainer Suske herausgabst (2009): „Rezepte schreiben ist leicht, Aber …“ In diesem „anderen Lesebuch für den Hausarzt“ habt Ihr das „psychosomatische Kranksein“ aufs Korn genommen und mit großer Treffsicherheit die alltäglichen Probleme, aber auch Lösungen in weiten Teilen der allgemeinmedizinischen, psychosomatischen und internistischen Praxis beschrieben. „Dieses Buch ist eine wichtige Erweiterung der dem Arzt vertrauten „Medizinischen Kultur“ schrieb Benyamin Maoz in seinem Geleitwort. Du hast mir dieses Buch in „Dankbarkeit für die kollegiale und freundschaftliche gemeinsame Zeit“ gewidmet. Für diese kollegiale und freundschaftliche gemeinsame Zeit danke ich Dir, aber nicht nur ich, sondern auch alle Kolleginnen und Kollegen der Balint Gesellschaft, mit denen Du über all die Jahre tief verbunden warst. 

Kusterdingen, den 16.11.2011
Ernst R. Petzold

Literatur

  • 1 Scheerer S. Bericht vom 12. Deutschen Ärztetag im Mainz.  Balint-Journal. 2009;  10 96-87
  • 2 Scheerer S. Balintgruppenprozesse, Gruppendynamik und Praxis.  Balint-Journal. 2009;  10 24-27

Prof. Dr. med. E. R. Petzold

Goethestraße 5

72127 Kusterdingen

Email: erpetzold@gmx.de

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