Der Klinikarzt 2010; 39(12): 542-543
DOI: 10.1055/s-0030-1270621
Medizin ↦ Management

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Krankheiten orientieren sich nicht an Grundlöhnen

Interview mit Dr. Rudolf Kösters
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Publication Date:
10 January 2011 (online)

 

Im November fand in Düsseldorf der 33. Deutsche Krankenhaustag - eine gemeinsame Tagung der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), des Verbands der Leitenden Krankenhausärzte Deutschlands (VLK), des Verbands der Krankenhausdirektoren Deutschlands (VKD) sowie der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Schwesternverbände und Pflegeorganisationen (ADS) und dem Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBFK) statt. Zu Gast waren auch Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und Gesundheitsminister Dr. Philipp Rösler, die über das Reformkonzept der Bundesregierung informierten. Wir befragten den Präsidenten der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Dr. Rudolf Kösters, nach den Auswirkungen des GKV-Finanzierungsgesetzes (GKV-FinG) auf die Krankenhäuser.

Dr. Rudolf Kösters

? Herr Dr. Kösters, vor einem Jahr haben Sie sich an dieser Stelle noch über einen für Sie offensichtlich angestrebten Perspektivenwechsel in der Politik gefreut. Sie haben gehofft, dass die schwarz-gelbe Regierung unter Gesundheitspolitik nicht mehr nur Kostendämpfung versteht. Nun ist die neue Gesundheitsreform doch wieder in erster Linie eine Kostendämpfungsreform. Sind Sie enttäuscht?

Dr. Rudolf Kösters: Ja, unter dem Strich sind wir enttäuscht! Aber man muss auch sagen, dass einiges, was wir erhofft hatten auch realisiert wurde. Da ist zum einen der Umgang miteinander ein völlig anderer geworden. Wir Leistungserbringer werden nicht mehr pauschal vom Gesundheitsminister und seiner Behörde verdächtigt, etwas Nichtstatthaftes zu fordern, wie das noch unter der Ägide von Ulla Schmidt der Fall war. Das Gespräch ist offener geworden, wir können unsere Nöte vortragen - man hört uns zu.

? Es ist ja erfreulich, dass sich der Umgangsstil geändert hat. Aber hat sich auch das Ergebnis geändert? Allein im Jahr 2011 sieht das GKV-Finanzierungsgesetz für die Kliniken Zuwachsbegrenzungen in Höhe von 500 Millionen Euro vor.

Kösters: Ja, wie erfolgreich solche freundlichen Gespräche sind, ist noch was anderes. Aber man muss dieser Koalition hoch anrechnen, dass sie den Einnahmenverfall in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht voll auf den Schultern der Leistungserbringer abgeladen hat, wie es früher der Fall war.

? Was heißt das konkret?

Kösters: Auf der GKV-Einnahmeseite wurde in einem enormen Kraftakt Erstaunliches auf den Weg gebracht: Man hat die Krankenkassenbeiträge erhöht, was in den GKV-Kassen ein Einnahmeplus von 6,3 Milliarden Euro bringt. Schon im Jahre 2009 hat die schwarz-gelbe Koalition für 2010 fast 4 Milliarden Euro aus Steuermitteln zusätzlich in das Gesundheitswesen fließen lassen. Für 2011 ist vorgesehen, noch mal 2 Milliarden draufzulegen. Das ist in der Situation, in der sich unser Land derzeit befindet, hoch anzuerkennen. Denn mit solchen Maßnahmen macht man sich in der Regel keine Freunde.

? Trotzdem haben sich die Krankenhäuser auf dem Deutschen Krankenhaustag nicht mit Kritik zurückgehalten. Sie seien als einzige Leistungserbringer von erheblichen Kürzungen ihrer finanziellen Mittel betroffen. Das klingt nach Jammern auf hohem Niveau?

Kösters: Natürlich sind wir mit dem, was jetzt von der Politik beschlossen wurde, nicht zufrieden. Es ist nicht das Sparopfer, das man uns abverlangt hat. Angesichts der derzeitigen Situation haben wir als einziger Leistungsbereich einem Sparbetrag von 500 Millionen zugestimmt. Enttäuscht sind wir darüber, dass dieser Betrag auf ein weiteres Jahr verlängert und ein Teilbetrag, die Mehrerlösabschläge, sogar auf Dauer etabliert wurden.

? Wo wollen die Krankenhäuser diese 500 Millionen einsparen?

Kösters: Vermutlich werden wir das über einen Personalabbau kompensieren müssen. Die Mitarbeiter werden nach Tarifverträgen bezahlt, die für die Jahre 2011 und 2012 noch zu verhandeln sind. Wir wissen heute schon, dass die Tarifergebnisse bei einem Plus von 3-3,5 % liegen werden. Wenn man uns aber nur eine Refinanzierungsmöglichkeit von 0,9 % zugesteht, dann ist schon heute klar, dass das, was so schön "Zuwachsbegrenzung" heißt, eine deutliche Unterfinanzierung der Tarifverträge sein wird.

? Die schwarz-gelbe Regierung hat in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben, dem drohenden Ärztemangel wirksam zu begegnen.
Wie passt das zusammen?

Kösters: Gar nicht! Wir brauchen dringend junge Ärzte, die in die ärztliche Versorgung hineingehen und nicht in andere Sparten abwandern. Wenn man die Krankenhäuser dann mit den steigenden Tariflohnkosten alleine lässt, ist das ein schlechtes Signal. Das Gleiche gilt für die Pflege, denn auch dort sind die ersten Mangelsituationen zu erkennen.

? Minister Rösler bezeichnet auf dem Krankenhaustag das Kürzungsvolumen des gerade verabschiedeten GKV-Finanzierungsgesetzes für die Kliniken als "moderat". Prof. Hans-Fred Weiser, der diesjährige Präsident des Deutschen Krankenhaustages, bezeichnet die Kürzungen der Einnahmesteigerung für die Krankenhäuser dagegen als systemwidrig.
Was ist aus Ihrer Sicht falsch am neuen GKV-FinG?

Kösters: Ich habe erwartet, dass wir endlich von der Grundlohnraten-Deckelung wegkommen. Es kann nicht sein, dass die Zuwächse, die die Krankenkassen aufgrund von Grundlohnsteigerungen haben, für uns maßgeblich sein sollen. Die Krankheiten der Menschen orientieren sich nicht an irgendwelchen Grundlöhnen. Noch die große Koalition hatte auf den Weg gebracht, dass die Koppelung an die Grundlohnrate entfällt und als neuer Maßstab ein Kostenorientierungswert, der vom statistischen Bundesamt berechnet wird, gelten soll.

? Die Wirtschaft erholt sich sichtbar und damit steigen auch die Grundlohnraten. Sind das keine Rahmenbedingungen, mit denen die Krankenhäuser noch ein bis zwei Jahre arbeiten können?

Kösters: Wenn wir, wie in alten Zeiten, wenigstens die volle Grundlohnrate bekämen! Jetzt wird noch von der Grundlohnrate ein Abschlag von 0,25 % in 2011 und 0,5 % in 2012 vorgenommen. Damit sind wir deutlich schlechter gestellt als in den vergangenen Jahren und partizipieren nicht an der wirtschaftlichen Entwicklung.

? Ein weiterer Kritikpunkt sind die Mehrleistungsabschläge. Aber sind solche Abschläge nicht ein probates Mittel gegen unberechtigte Leistungsausweitung?

Kösters: In erster Linie - und das wissen alle im Gesundheitssystem - ist die Leistungsentwicklung von der demografischen Entwicklung und dem medizinisch-technischen Fortschritt abhängig.
Wenn es eine gewisse "angebotsinduzierte" Ausdehnung der Leistungsmenge geben sollte, muss man diese aber zur Erfassung differenzieren und ein klügeres System entwickeln und nicht mit einer solch globalen Mehrleistungsabschlagsregelung alles erschlagen.

Diese Mehrleistungsabschläge werden dem System nicht gerecht. 2002 sind wir in ein neues Finanzierungssystem hineingeworfen worden: in die Fallpauschalierung, das sogenannte DRG-System, in dem nach Leistung bezahlt wird. Dass man aber, wenn Leistung zunimmt, diese nicht mehr bezahlen will und darauf Abschläge macht, das ist für uns inkonsequent.

? Krankenhäuser sind keine Tante-Emma-Läden, die sich eine Kommune leistet. Kann man angesichts der zu erwartenden Lücke zwischen Ausgabensteigerungen und Einnahmen und des verschärften Wettbewerbs der Krankenhäuser von den Krankenhausleitungen nicht verlangen, flexibel und schnell mit ihren Gestaltungsmöglichkeiten den Klinikbetrieb zu optimieren?

Kösters: Das ist eine Frage, die ich seit 25 Jahren immer wieder höre. Aber gerade an dieser Front hat sich in den letzten 10-15 Jahren ungeheuer viel bewegt: Zusammenschlüsse von Krankenhäusern, Reduzierungen nicht nur von Betten, sondern ganze Fachabteilungen wurden gestrichen. Allein in Nordrhein-Westfalen sind seit 2002 an die 50 Krankenhäuser aufgegeben worden, und seit den 80er Jahren sind weit über 200, meist kleinere Krankenhäuser geschlossen, bzw. in andere soziale Einrichtungen umgewandelt worden. Und seit vielen Jahren werden die deutschen Krankenhäuser ausweislich mit der mit Abstand höchsten Arbeitsproduktivitätsrate im OECD-Raum hervorragend gemanagt.

Dennoch ist das Thema nie zu Ende diskutiert. Große komplexe Einrichtungen wie Krankenhäuser müssen natürlich immer wieder überprüfen, ob es nicht noch Spielräume für das Erschließen von neuen Wirtschaftlichkeitsreserven gibt.

? Wo könnten Krankenhäuser denn noch sparen?

Kösters: Im Kernbereich eines Krankenhauses, dem ärztlichen Dienst und Pflegedienst, ist das Sparen seit vielen Jahren absolut zu Ende. Ganz im Gegenteil - da müssten wir eher aufstocken. Hier die Schrauben weiter anzuziehen, halte ich für unverantwortlich, was aber verlangt wird, da die Refinanzierung der Personalkosten nur zu einem sehr kleinen Teil ermöglich wird. Das heißt, der Druck zum weiteren Stellenabbau steigt wieder, weil wir die Mitarbeiter natürlich tariflich bezahlen müssen.

Daher werden wir alles erneut auf den Prüfstand stellen müssen. Wir werden z. B. im Verwaltungsbereich prüfen, ob wir Abteilungen nicht viel stärker zusammenlegen können. Zum Beispiel eine Personalabteilung für mehrere Krankenhäuser, oder das Rechnungswesen zusammenlegen usw. Aber im Vergleich zu den anderen beiden Posten, Ärzte und Pflegepersonal, sind das relativ schmale Personalressourcen.

? Wenn der Deutsche Krankenhaustag vor diesem Hintergrund dann noch den Abbau von Versorgungsgrenzen zwischen dem ambulanten und stationären Sektor fordert, also Aufgaben aus der ambulanten Versorgung übernehmen will, klingt das geradezu selbstmörderisch. Wo wollen die Krankenhäuser das Personal zur Erfüllung dieser zusätzlichen Aufgaben hernehmen und bezahlen?

Kösters: Wir werden die ambulante Versorgung in der Bundesrepublik neu austarieren müssen. Ich glaube hier liegt eine ganz große Chance - auch für Einsparungen.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Deutsche Krankenhausgesellschaft sind sich darüber einig, dass wir 3 Gruppen bei den niedergelassenen Ärzten unterscheiden müssen: Die Hausärzte, die wohnortnah bei den Menschen tätig sein müssen. Daneben die hausarztnahen Fachärzte, wie der niedergelassene Gynäkologe, Kinderarzt, Urologe, Orthopäde usw., die keine spezialisierten Leistungen erbringen wollen und ihre konservative Praxis ebenfalls wohnortnah ausüben sollten.

Und dann die dritte Gruppe: die spezialisierten, zum Teil hoch spezialisierten Fachärzte. Diese Gruppe wächst und wird sich - da sind wir mit der KBV einig - in Zukunft immer mehr mit den Krankenhäusern verbinden. Das muss sich nicht unbedingt in den Krankenhäusern, aber zusammen mit den Krankenhäusern an den Krankenhäusern abspielen.

? Wollen Sie, dass diese Spezialisten im ambulanten Bereich verschwinden?

Kösters: Ich bin nicht der Meinung der Scharfmacher, die "Weg-mit-der-doppelten-Facharztschiene" fordern. Das ist zu kurz gesprungen. Die hausarztnahe Facharztschiene muss erhalten bleiben. Mit dieser zusätzlichen Aufgabe wären die Krankenhäuser auch völlig überfordert.

Die spezialisierte Facharztschiene enger mit den Krankenhäusern zusammenzubringen, ist zwar Zukunftsversion, aber ich kann mir längerfristig vorstellen, dass dieser Bereich der ambulanten Versorgung mit der stationären zu einer neuen strukturellen Einheit verschmelzen wird. Dann wird es keine Versorgungsbrüche mehr geben, sondern es kann dann ein durchgängiges Versorgungsmuster angeboten werden. Man muss ja nicht alles doppelt und parallel vorhalten.

? Was ist Ihr Wunsch an die Politik?

Kösters: Die Kostendämpfung muss spätestens ab 2012 abgeschafft werden und der Kostenorientierungswert muss schnellstens die Grundlohnrate ablösen!

Herr Dr. Kösters, wir bedanken uns für das Gespräch!

Das Interview führte Anne Marie Feldkamp, Bochum