Zeitschrift für Palliativmedizin 2010; 11(6): 286-289
DOI: 10.1055/s-0030-1270193
Palliativpflege

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Verwirrtheit – Vom Umgang mit der Lebenswelt verwirrter Menschen

Further Information

Publication History

Publication Date:
29 November 2010 (online)

 

Verwirrte Verhaltensweisen - gleichgültig, ob eine Demenz oder ein Delir als Ursache zugrunde liegen - irritieren und befremden, lösen Unsicherheit und Hilflosigkeit aus und führen oft zu Missverständnissen. Das ist besonders bei einer eingeschränkten verbalen Kommunikation der Fall, wenn die sonst unter uns übliche, wechselseitige Abstimmung über die subjektiv erlebte Wirklichkeit, also das Bemühen um eine gemeinsame Wirklichkeit, nicht mehr gelingt.

In Fällen, in denen Verstehen schwierig ist, versuchen wir oft, durch physische, psychische und pharmakologische (Zwangs-)maßnahmen unserer Hilflosigkeit Herr zu werden. Hallberg und Norberg stellten in einer in Schweden durchgeführten Untersuchung fest, dass stark verwirrte Menschen, die sich durch Schreien und Kreischen artikulierten, vom Pflegepersonal gemieden und isoliert wurden. Die Pflegekräfte interpretierten das Schreien durchaus als Ausdruck von Angst, konnten aber ihre Gefühle von Unzulänglichkeit und Machtlosigkeit angesichts des Nicht-Helfen-Könnens nicht ertragen [1].

Das Etikett "verwirrt" haftet an allem, was der Betroffene artikuliert oder tut. Verwirrtheit wird von uns als pathologischer Zustand angesehen, unsere Wirklichkeit wird als die "richtige Welt", die des Verwirrten als die "falsche Welt" betrachtet. Wurde früher versucht, den Verwirrten an unserer "richtigen Welt" zu orientieren, so ist es heute Usus, den Verwirrten in seiner Wirklichkeit zu lassen und in dem was er tut und äußert zu bestätigen. Wir agieren dabei durchaus interpretierend, verstehend, manchmal auch korrigierend, oftmals aber immer noch aus der Überzeugung heraus, dass wir in unserer Wirklichkeitswahrnehmung "Recht" haben.

Literatur

  • 01 Hallberg J , Norberg A . Nurses' experiences of strain and their reactions in the care of severely demented patients.  Inter J Geriatric Psychiatry. 1995;  10 757-766
  • 02 Stracke-Mertes A . Aufgeschlossen zuhören.  Forum Sozialstation. 2000;  Nr. 108 40-42
  • 03 Schnegg M  Fremd anmutendes Erleben Sterbender. In: Böke H , Schwikart G , Spohr M , (Hrsg.) Wenn Sterbebegleitung an ihre Grenzen kommt. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus; 2002: 42-54
  • 04 Feil N . Validation: Ein Weg zum Verständnis verwirrter alter Menschen. München: Ernst Reinhardt Verlag; 2002