Sprache · Stimme · Gehör 2010; 34(3): 116
DOI: 10.1055/s-0030-1267407
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Stimmheilkunde I – Stimmstörung nach intensiv-medizinischer Behandlung?

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Publication Date:
01 October 2010 (online)

 

Aufgrund anekdotischer Berichte vermuteten Nixon et al. eine Häufung von Stimmproblemen bei Schwerstkranken, die dank einer intensivmedizinischen Behandlung überlebten und eine Entlassung nach Hause schaffen. Die Autoren der vorgestellten Studie untersuchten diese Probleme nun genauer. Laryngol Otol 2010; 124: 515–519

Die Studie untersuchte Stimmprobleme bei Patienten, die oft zunächst einige Tage intubiert waren, dann tracheotomiert wurden und eine Langzeitbeatmung erhielten. Diese intensivmedizinisch behandelte Patienten erhalten typischerweise eine Reflux-Prophylaxe mit Protonenpumpeninhibitoren (PPI) – wie auch in Deutschland üblich – oder mit Histaminrezeptorenblockern – in Deutschland verpönt. Doch wer kann sicher sein, dass die Patienten nicht trotzdem, durch den Stress verursacht, einen unbemerkten laryngealen Reflux sauren Mageninhalts erleiden, der die Kehlkopfmukosa über lange Zeit schädigt und Entzündungen verursacht? Die Vermutung vermehrter Stimmbeschwerden nach einer Intensivbehandlung ist also durchaus plausibel. Wenn sich die Annahme bestätigt, müsste man bei diesem Klientel gezielt nach Stimmkrankheiten suchen und sie ggf. behandeln.

Um die Inzidenz von Heiserkeiten nach intensivmedizinischer Behandlung zu ermitteln, wurden 181 Patienten 8 Wochen nach Entlassung aus einem Krankenhaus in Glasgow (Schottland) angeschrieben, wobei man sich zuvor vergewissert hatte, dass sie noch lebten. Die Patienten wurden um Auskunft mittels des Fragebogens "Voice Symptom Scale" (VoiSS) gebeten, der noch nicht normiert wurde, aber in Großbritannien in Stimmkliniken verbreitet ist. Er enthält 30 Fragen, deren Zutreffen jeweils mit 0 bis 4 zu bewerten ist. Die maximale Zahl der Rohpunkte beträgt also 120. (Warum nicht stattdessen oder zusätzlich der viel bekanntere und normierte Voice Handicap Index (VHI) verwendet wurden, bleibt unklar.)

Eine Intubation oder Tracheotomie erhöht das Risiko für eine Stimmstörung. Ärzte sollten ihre Patienten im Nachgang einer intensivmedizinischen Behandlung hierauf hinweisen (Bild: Paavo Blåfield, Thieme Verlag, Stuttgart).

Lediglich 48% der Patienten antworteten, davon wollten 2% keine Auskunft geben, so dass von 46%, d.h. 81 Teilnehmern, Antworten ausgewertet werden konnten. Bei 31 Patienten lag eine medizinische Diagnose (ausgenommen Atmungserkrankungen) zugrunde, bei 20 lag speziell eine Erkrankung der Atmungsorgane vor, 28 waren nach einer schweren Operation intensivmedizinisch behandelt worden und bei 2 lag speziell eine HNO-medizinische Diagnose vor. Die mittlere Verweildauer auf der Intensivstation betrug 4 Tage und 58% waren intubiert und maschinell beatmet. 67% erhielten eine Refluxprophylaxe. 83 Patienten (33%) hatten einen Voice Symptom Score über 20, was als auffällig angesehen wurde. Schließlich wurde nachgewiesen, das ein Score in dieser Höhe auch für das Frühstadium eines Larynxkarzinoms typisch ist. Bei gut der Hälfte dieser Patienten war er sogar größer als 40; dies ist ein Score, der etwa dem Durchschnitt von Patienten entspricht, die sich in verschiedenen englischen Stimmkliniken vorstellen.

Alle Patienten mit einem Score über 10 (61%) wurden zu einer Nachuntersuchung in einer "Stimmklinik" eingeladen. 16 davon (31%) begaben sich dort in eine Behandlung, so dass die Stimmbeschwerden phoniatrischen Diagnosen zugeordnet werden konnten. Bei 44% stellte man einen laryngopharyngealen Reflux fest (ich nehme an, man stellte eine Laryngitis posterior fest). 25% hatten eine funktionelle Dysphonie, 12% waren zuvor wegen einer Krebserkrankung im oberen Aerodigestivtrakt behandelt worden (darunter subsummieren sich alle Nasen-, Nasenrachen, Pharynx- und Larynxkarzinome). Bei 19% waren die Stimmbeschwerden mittlerweile wieder verschwunden. Nach Diagnosestellung wurde 10 von 16 Patienten eine Therapie beim HNO-Arzt und/oder Speech-Language-Pathologist angeboten. 6 Patienten benötigten keine weitere Therapie.

Die Autoren schließen aus der Studie, dass ein Drittel der Patienten nach intensivmedizinischer Behandlung an einer weiter abklärungsbedürftigen Stimmstörung leiden, die bisher übersehen wurden. Wie hoch der Anteil der wirklich behandlungsbedürftigen Patienten bezogen auf die Grundgesamtheit war, konnten die Autoren wegen der geringen Bereitschaft der Patienten zur Mitarbeit nicht ermitteln. Sicher ist aber, dass es sich um eine nennenswerte Zahl handelt.