Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2011; 43(3): 126-128
DOI: 10.1055/s-0030-1257673
Forschung
© Karl F. Haug Verlag MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

„Der Krebsvakzination steht eine große Zukunft bevor“

Melanom
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
21. Oktober 2011 (online)

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Unsere Gesprächspartnerin:
Frau PD Dr. med. Beatrice Schuler-Thurner

Ausbildung an der Universität Innsbruck; 1996 Wechsel nach Erlangen; seit 1998 Leitung der Einheit Experimentelle Immuntherapie an der Hautklinik des Universitätsklinikums Erlangen

DZO: Hautkrebs gehört zu den Tumorerkrankungen, die in den letzten Jahren erheblich zugenommen haben. Glücklicherweise ist bei rechtzeitiger Früherkennung bei einer großen Mehrzahl der Fälle eine Heilung möglich. Was raten Sie gesunden Menschen, die zur Früherkennung gehen wollen? Wann ist diese sinnvoll?

Dr. Schuler-Thurner:
Bei jedem Krebs ist es wichtig, ihn früh zu erkennen, da fortgeschrittener Krebs schwerer, manchmal gar nicht mehr zu behandeln ist, während frühe Formen mit einer passenden medizinischen Intervention häufig ein für alle Mal beseitigt sind.

Gerade beim Hautkrebs ist Früherkennung eine sehr sinnvolle Maßnahme, da sie ohne großen apparativen Aufwand, also kostengünstig zu bewerkstelligen und für den Patienten ohne invasive oder strahlungsbedingte Risiken durchführbar ist.

Man muss aber zwischen zumeist nicht so gefährlichem weißen Hautkrebs (Basaliom und Plattenepithelkarzinom) und dem schwarzen Hautkrebs (Melanom) unterscheiden. Beim weißen Hautkrebs liegt die Wichtigkeit einer frühen Erkennung darin begründet, dass dieser häufig im Gesicht lokalisiert ist und operative Maßnahmen, wenn sie ausgedehnt erfolgen müssen, sehr schnell ein entstellendes Ausmaß annehmen. Frühe Formen können heutzutage hingegen schon mit speziellen Cremen (photodynamische Therapie, Immunmodulatoren) behandelt werden.

Beim Melanom ist der Wert der Früherkennung viel dramatischer, er liegt darin, dass sie in diesem Fall Leben retten kann, da bei erfolgreicher Früherkennung die bei diesem Tumor sehr früh einsetzende Metastasierung verhindert wird (Primärtumoren mit einer Tumordicke von mehr als 4 mm haben nur noch eine 10-Jahresüberlebensrate von ca. 50 %).

Besonders wichtig ist die Früherkennung für Menschen, die von Natur aus mit einer hellen Haut und/oder vielen Muttermalen ausgestattet wurden. Weiter sollten Personen, welche sich aus beruflichen Gründen viel der Sonne aussetzen müssen, eine Hautkrebsfrüherkennung durchführen lassen.

DZO: Welchen Stellenwert hat Ihrer Meinung nach die adjuvante Interferongabe bei Hochrisiko-Melanomen? Wann ist diese Behandlung empfehlenswert? Gibt es inzwischen Alternativen?

Dr. Schuler-Thurner:
Die Therapie mit Interferon-alpha im adjuvanten Stadium ist weit hinter den ursprünglich gesetzten Erwartungen zurückgeblieben. Ein Überlebensvorteil für die Patienten konnte trotz unzähliger Studien zweifelsfrei nicht erhärtet werden, lediglich eine Verlängerung des rezidivfreien Überlebens ließ sich für eine Subgruppe von Patienten erreichen. Dieser Effekt muss aber durch zum Teil sehr starke Nebenwirkungen erkauft werden. Hinzu kommen die sehr hohen Kosten dieser nur marginal wirksamen Therapie. In letzter Zeit kristallisierte sich heraus, dass bei Patienten mit dicken, ulzerierten Primärtumoren und Mikrolymphknotenmetastasen ein geringer Überlebensvorteil zu erzielen ist. Eine Alternative zur Therapie mit Interferon-alpha könnte in Zukunft die Krebsvakzination darstellen.

DZO: Was hat sich Ihrer Meinung nach in den letzten Jahren bei der Behandlung von Melanomen in der Onkologie verändert? Welche Herausforderungen ergeben sich daraus für die Zukunft?

Dr. Schuler-Thurner:
Zum Glück treten im Bereich Melanom nun in den letzten 3 Jahren revolutionäre Therapien auf die Bühne, nachdem durch mehrere Dekaden hindurch trotz Kombination verschiedenster Chemotherapien, zum Teil gepaart mit unspezifischen Immuntherapien (wie Interferon-alpha oder Interleukin 2) mit keiner dieser Therapien ein Überlebensvorteil für die betroffenen Patienten erarbeitet werden konnte.

Zu den etablierten Säulen der Tumortherapie – Stahl, Strahl und Chemotherapie – haben sich in den letzten Jahren 2 zusätzliche Säulen aufgebaut: immunologisch basierte Therapien und Proteinkinaseinhibitoren, die sogenannten small molecules.

Im Bereich der immunologisch orientierten Therapien zeigte sich durch die Anwendung von sowohl adoptiver T-Zell-Therapie als auch der Vakzinationstherapie eine Beeinflussbarkeit selbst ausgeprägter, metastasierter Tumorerkrankungen. In letzterem Fall ist bemerkenswert, dass die Vakzination dadurch von der prophylaktischen Situation in die therapeutische Situation rückte. Wird man die Krebsvakzination in Zukunft nicht als therapeutische Vakzine bei Patienten mit großer Tumorlast, sondern in der angestammten Rolle, nämlich als prophylaktische Vakzine z. B. nach Resektion eines High-Risk-Tumors oder im adjuvanten Stadium einsetzen, steht ihr wahrscheinlich eine große Zukunft bevor. Mit der Zulassung von HPV-Vakzinen, die das Auftreten von Zervixkarzinomen verringern können, hat diese Zukunft bereits begonnen. Und auch beim Prostatakarzinom hat die Vakzination, in diesem Fall die therapeutische Krebsvakzination, bereits den Markt erreicht: im April 2010 erfolgte in den USA die erste Zulassung einer therapeutischen Krebsvakzine mit Dendritischen Zellen (Provenge®), für Europa wird die Zulassung für das Jahr 2012 erwartet.

Eine weitere Therapie, welche die Kraft des potenziell zu Tumorregressionen führenden Immunsystems potenziert und durch Wegnahme einer „Bremse“ freisetzt, ist die Verabreichung eines Antikörpers gegen das auf Lymphozyten befindliche negative Regulatormolekül CTLA-4. Das Medikament Ipilimumab (im Juli 2011 in Europa als Yervoy® zugelassen) führt zu einer antigenunspezifischen Aktivitätssteigerung von Lymphozyten, welche zu Tumorregressionen führen kann, aber auch massive Autoimmunphänomene in Gang setzt, welche sich als z. B. Exantheme, Kolitis bis hin zu Darmperforation, Hepatitis oder Hypophysitis äußern können. Gepaart mit Verfahren, die das Immunsystem antigenspezifisch beeinflussen, wie adoptive T-Zell-Therapie oder Vakzination, könnte dieses Medikament eine noch größere Hilfe bieten.

Im Bereich der Proteinkinaseinhibitoren, welche momentan bei vielen Tumorentitäten erprobt werden, erweist sich das maligne Melanom ausnahmsweise als Glücksfall. Ca. 55 % der Melanome zeigen eine spezielle Mutation im Bereich der Proteinkinase BRAF (sogenannte V600-E-Mutation). Behandelt man Melanompatienten, welche diese Mutation tragen, mit Kinaseinhibitoren, die spezifisch diese Proteinkinase inhibieren, kommt es beim Großteil der Patienten zu deutlichen Remissionen – ein bisher beim Melanom nie erzielter Erfolg. Diese Medikamente befinden sich noch in klinischer Erprobung (Phase III), mit einer ersten Zulassung wird aber bereits im Jahr 2012 gerechnet. Noch nicht ganz klar ist bisher das Risikoprofil dieser Medikamente, so kommt es unter Therapie mit BRAF-Inhibitoren zu stark erhöhter Photosensibilität und dem Auftreten von Sekundärmalignomen – bisher nur an der Haut. Auch ist – bedingt durch die Tatsache, dass diese Substanzen erst seit relativ kurzer Zeit in Erprobung sind – noch unklar, wie stark sich durch deren Anwendung auch das Überleben der Patienten verbessert. In jedem Fall sind diese Therapien ein wirklicher Durchbruch in der Behandlung von Patienten mit großer Tumorlast, aber natürlich nur für Patienten, welche die entsprechende Mutation in ihrem Tumor tragen.

DZO: Stichwort Vitamin D: In Anbetracht des durch die Sonnenexposition erhöhten Hautkrebsrisikos sind Daten einer Untersuchung erstaunlich, die zeigte, dass sich bei 872 Patienten mit Hautkrebs bei höheren Vitamin-D-Werten dünnere Tumore sowie ein geringeres Rezidivrisiko und ein verbessertes Gesamtüberleben zeigten. Sollte man daraufhin die Empfehlungen zur Sonnenlichtexposition nicht überdenken?

Dr. Schuler-Thurner:
Um im Körper, genauer: in der Haut, aus Vorstufen Vitamin D zu bilden, bedarf es der Einwirkung von UV-B-Strahlen. Dazu ist anzumerken, dass eine tägliche, 20-minütige Exposition einer Hautfläche im Freien (Fensterglas lässt keine UV-B-Strahlung passieren), die der Größe von Händen und Gesicht entspricht, bereits ausreichend ist. Weiters ist es heutzutage sehr einfach, dieses Vitamin über ein Multivitaminpräparat zu substituieren. Insgesamt muss man für einen vernünftigen Umgang mit der Sonne plädieren. Also natürlich den Körper vor zu starker UV-Strahlung schützen, aber auch die wohltuenden Effekte des Lichts auf Psyche und Allgemeinbefinden nicht vergessen.

DZO: Wie kann beim malignen Melanom der Therapieerfolg optimiert werden? Helfen hier Chemosensibilitätstestungen weiter?

Dr. Schuler-Thurner:
Von der Chemosensitiviätstestung verspreche ich mir nicht viel. Unsere eigene Erfahrung mit dieser Methodik konnte keine Vorteile für den Patienten aufzeigen.

DZO: Bei welchen Konstellationen einer Melanomerkrankung ist das Risiko einer Metastasierung besonders hoch? Ist hier die Eindringtiefe immer noch von Bedeutung?

Dr. Schuler-Thurner:
Noch immer gilt die Eindringtiefe des Primärtumors als starker Prädiktor einer späteren Metastasierungsfähigkeit des Melanoms. Neu hinzugekommen als Risikofaktoren sind die Bewertung von Ulzeration des Primärtumors und die Mitoserate.

DZO: Was raten Sie jungen Patienten, bei denen wiederholt Basaliome auftreten? Was ist hier zu beachten? Liegt die Zunahme wie bei Melanomen u. a. in erhöhter Sonnenexposition in der Kindheit begründet?

Dr. Schuler-Thurner:
Wenn es bei jungen Patienten wiederholt zum Auftreten von Basaliomen kommt, müssen genetische Komponenten vom Facharzt ausgeschlossen werden, welche für dieses frühe Auftreten prädisponieren (Xeroderma pigmentosum, Basalzellnävussyndrom) und Möglichkeiten des verstärkten UV-Schutzes besprochen werden. Sämtliche Hautkrebsarten zeigen weltweit bei der kaukasisch-stämmigen Bevölkerung seit einigen Jahrzehnten eine ständige und bis auf die Ausnahme Australien bisher ungebrochene Inzidenzzunahme, welche sich durch ein geändertes Sonnenkonsumverhalten (gebräunte Haut wird als erstrebenswert beachtet, Möglichkeit zu Fernreisen in Länder mit sehr hohem UV-Index) sowie durch die Ausdünnung der Ozonschicht – mit dem Effekt, dass mehr UV-Strahlung auf der Erdoberfläche eintrifft – erklärt.

DZO: Was halten Sie von komplementären Therapien, die gezielt das Abwehrsystem beeinflussen, wie z. B. die Misteltherapie oder Tumorvakzinierungen?

Dr. Schuler-Thurner:
Dass Tumore durch das Immunsystem beeinflusst werden können, ist bekannt (kleine Regressionszonen in 10 % der Primärmelanome, Beeinflussbarkeit durch Killerzellen, vermehrtes Auftreten von Tumoren durch Immunsuppression). Der erste, der versuchte, dies für die Behandlung von Tumoren einzusetzen, war William Coley mit dem Versuch, Heilung durch die Verabreichung einer Bakterienmischung zu erzielen. In den letzten 20 Jahren, vor allem, als es gelang, immer mehr Tumorantigene zu identifizieren, wurden die Methoden immer zielgenauer und effektiver.

Unsere Klinik arbeitet seit Jahren an einer Krebsimpfung mit Dendritischen Zellen. Wir haben etwa 200 Studienpatienten, allesamt Melanompatienten in weit fortgeschrittenen Krankheitsstadien, behandelt und konnten nachweisen, dass antigenspezifisch deutliche Immunantworten bei zytotoxischen T-Zellen und T-Helferzellen angeschaltet werden. Antigenspezifität bedeutet, dass eine Immunantwort gegen exakt jenes Epitop angeschaltet wird, gegen das geimpft wurde. Regulatorische T-Zellen wurden (wie bei unzulänglichen Impfverfahren möglich und gefährlich, da es zu ungewollter Toleranzinduktion kommen kann) hingegen nicht induziert.

Als wir die Zellen anfänglich mit nur einem Tumorantigen (Peptid) beluden, sahen wir zwar schon vereinzelt Rückbildung von Metastasen und beeindruckende Immunantworten, dies übersetzte sich aber noch nicht in ein verlängertes Überleben des Patienten. Nachdem wir die Zellen später mit einer ganzen Batterie von Tumorantigenen beladen hatten, konnten wir das mediane Überleben unserer Stadium-IV-Patienten, welches in den westlichen Ländern bei ca. 8 Monaten liegt, auf 50 Monate steigern! Die Ergebnisse dieser Phase-II-Studie werden in Kürze publiziert. Einige dieser Patienten leben nun seit mehr als 10 Jahren. Unter anderen Gruppen gelang es also auch uns, zu zeigen, dass das Immunsystem von tumortragenden Patienten erfolgreich manipuliert werden kann und die Vakzination mit Dendritischen Zellen nicht nur zur vereinzelten Rückbildung von Metastasen führen kann, sondern zu echten Langzeitverläufen (ca. 25 % der behandelten Stadium-IV-Melanompatienten).

DZO: Welche innovativen neuen Verfahren werden am Universitätsklinikum Erlangen bereits erprobt?

Dr. Schuler-Thurner:
In den letzten Jahren haben wir an einer Herstellungserlaubnis für eine personalisierte Vakzine unter Einsatz von RNA gearbeitet. Wir beladen unsere Zellen nun mit RNA, welche aus Metastasen eines Tumors isoliert wird, sodass eine maßgeschneiderte Vakzine gegen den eigenen Tumor, gepaart mit der Wirksamkeit von Dendritischen Zellen, verabreicht werden kann. Diese Methode ist natürlich nicht nur bei Melanomen, sondern bei jeder Krebsart anwendbar, sofern Tumormaterial zur Entnahme verfügbar ist.

Unsere Klinik bereitet derzeit eine Kooperation bezüglich Vakzination mit der hiesigen Chirurgischen Klinik im Bereich Pankreaskarzinom und mit der Urologischen Klinik für Prostata- oder Nierenzellkarzinome vor.

Am freien Markt werden nun zunehmend Dendritische Zellvakzinationen angeboten, deren Qualität aber schlecht kontrollierbar ist, weshalb wir dazu raten, sich nur an Zentren zu wenden, die internationale Reputation auf diesem Gebiet genießen sowie eine offizielle Herstellungserlaubnis ihres Bundeslandes aufweisen können, da die Qualität des angebotenen Produktes für den Laien in keinster Weise beurteilbar ist. Wir produzieren sowohl unsere RNA aus Tumoren wie auch die Dendritischen Zellen der Patienten im Rahmen einer Herstellungserlaubnis, das heißt, unter Kontrolle der Zentralen Arzneimittelüberwachung Bayern, was höchste Qualitätsstandards garantiert.

DZO: Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Was tun Sie für sich, um gesund zu bleiben?

Dr. Schuler-Thurner:
Was für eine unangenehme Frage – ich denke, zu wenig! Ich verbringe meine Freizeit mit meiner Familie - das bedeutet, Spaziergehen mit dem Hund, Arbeit im Garten, immer frisch gekochtes Essen, eher mediterranes als fränkisches Essen auf den Tisch bringen, das war’s schon.

DZO: Frau Dr. Schuler-Thurner, vielen Dank für das Gespräch.