Endo-Praxis 2010; 26(2): 53
DOI: 10.1055/s-0030-1254314
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Kampf dem Dickdarmkrebs – gibt es noch viel zu tun und lohnt es sich?

S. Rossol
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Publication Date:
01 June 2010 (online)

Der März 2010 war erneut Aktionsmonat mit Veranstaltungen zu verschiedenen Aspekten des Themas Darmkrebs. Sind solche regelhaften Aktionen immer noch zeitgemäß und notwendig, obwohl die Fakten zum Darmkrebs und insbesondere zur Prävention doch so klar auf dem Tisch liegen?

Es gibt kaum Zweifel, dass Deutschland weltweit bei der Inzidenz Darmkrebs mit führt und die Erkrankung absolut bei Frauen und Männern zusammen die häufigste Tumorart ist. Bei uns erkranken über 70 000 Personen an Darmkrebs, über 30 000 Patienten/Jahr sterben daran. Die einzig positive Nachricht zur Epidemiologie Darmkrebs ist, dass es trotz Zunahme der Neuerkrankungen nicht zu einer Zunahme der Sterblichkeit kommt. Dies liegt vor allem an der Entwicklung therapeutischer Methoden (z.B. radikale operative Verfahren und neue systemische Verfahren) und nicht an Präventionsverfahren. Die Vorsorgemethoden sind zwar wirksam für die Individualperson und auch potenziell effektiv in der Reduktion der Diagnose Darmkrebs, bei der aktuellen Anwendungshäufigkeit und Motivation der berechtigten Personen jedoch unzureichend.

Neueste Untersuchungen zum Goldstandard Koloskopie zeigen eine Teilnahme der Bevölkerung von lediglich 10-15% seit 2002 (Aufnahmejahr der Koloskopie in den gesetzlichen Vorsorgekatalog). Und nur ca. 15% der Patienten mit Dickdarmkrebs wird in der Vorsorgekoloskopie entdeckt, der Rest hat Symptome, die zum Arzt führen. Dies steht ganz im Gegensatz zu den bisherigen positiven Zahlen der Vorsorgekoloskopie. Sie allein hat in den letzten Jahren gezeigt, dass bei über 20% der Allgemeinbevölkerung Polypen, bei 6% fortgeschrittene Polypen und bei 1% Karzinome vorhanden sind und dass mit rechtzeitiger Untersuchung die Sterblichkeit mit vertretbaren Kosten reduziert werden kann. Sowohl individuell als auch gesamtgesellschaftlich ist die präventive Vermeidung des Darmkrebs durch die Koloskopie auch ökonomisch effektiv. Neben der Verhinderung des Leidens der Patienten liegt der Gewinn an Lebenszeit für den Einzelpatienten bei bis zu 10 Jahren und die Koloskopie spart Kosten, indem sie als preiswerte Methode spätere Therapieformen überflüssig macht. Der Nutzen der Koloskopie übersteigt die Kosten um das 6–11-Fache!

Was hält die Allgemeinbevölkerung bei diesen überzeugenden Fakten davon ab, das Thema Darmkrebs ernsthaft in ihre persönliche Vorsorge zu integrieren? Die individuell noch vorgeschobenen Kriterien gegen eine Koloskopie, die Darmreinigung und die Sedierung, verlieren ihre Berechtigung. Insbesondere die Darmreinigung wurde bisher nur unzureichend berücksichtigt, obwohl sie bei allen endoskopischen und nicht endoskopischen Verfahren eine Grundvoraussetzung für eine exzellente Untersuchungsqualität darstellt. Neue und geringe Vorbereitungsvolumina sowie das Vorbereitungssplitting am Abend vor und Morgen der Untersuchung sind weitere vereinfachende Elemente pro Vorsorgekoloskopie. Dies wird unterstützt durch die Sedierungsleitlinie der DGVS, die die Anwendung, Durchführung und Sicherheit der Sedierung während der Koloskopie klar regelt. Wenn aber doch Kontraindikationen gegen eine Koloskopie bestehen, dann können andere Verfahren inkl. der virtuellen Koloskopie und auch der Kapselendoskopie für das Kolon in den verbleibenden Fällen die Untersuchung des Dickdarms sichern.

Im Krankenhaus sollten auch Patienten, die wegen anderer Erkrankungen stationär oder ambulant betreut werden, über die Möglichkeiten zur Darmkrebsvorsorge informiert werden. Viele der Patienten sind dann ohne weiteres bereit und in der Lage, dies parallel mit zu erledigen. Somit sollte jedes Jahr generell und nicht nur der Monat März als Präventionszeit zur Reduktion der Erkrankung Darmkrebs durch frühzeitige Diagnose und insbesondere Ektomie der in mehr als 93% verantwortlichen adenomätösen Polypen genutzt werden. Hierzu gehören viele Einzelfaktoren: initial z. B. die Aufklärung und Kommunikation der verfügbaren Daten im eigenen sozialen und beruflichen Umfeld. Jeder von uns hat ein Altersrisiko, das durch weitere individuelle Faktoren verstärkt wird. Dieses Risiko kann dadurch von allgemein 5-7% auf bis zu 30% steigen (Darmkrebs bei Angehörigen 1. Grades im jungen Alter).

Ist uns das allen wirklich in aller Eindringlichkeit bewusst? Jeder in der Gastroenterologie und auch in der Endoskopie Beschäftigte kann somit sein eigenes Risiko und das seiner Familie und Freunde leicht bestimmen, darauf reagieren, empfehlen, motivieren oder selbst mit gutem Beispiel vorangehen. Aktuell sind wir noch weit davon entfernt, das vor Jahren visionäre Ziel einer 50%-Reduktion des Dickdarmkrebs in 10 Jahren zu erreichen und es bedarf auch in Zukunft gewaltiger Anstrengungen, bei einer immer älter werdenden Gesellschaft ausreichend effektiv zu sein.

Es gibt also wirklich noch viel zu tun und es lohnt sich für jeden Einzelnen und auch in der gesamtgesellschaftlichen Perspektive!

Bibliografie

DOI www.dx.doi.org/10.1055/s-0030-1254314

Endo-Praxis 2010; 26: 53 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart • New York ISSN 0342-0477

Prof. Dr. med. S. Rossol

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