Notfall & Hausarztmedizin 2009; 35(10): 466
DOI: 10.1055/s-0029-1243285
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Infektiologie im ständigen Wandel

Bernhard Ruf
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Publication Date:
11 November 2009 (online)

Das Auftreten des neuen Influenzavirus A-H1N1/09 („Schweinegrippe“) ist nur eines der vielen Ereignisse der letzten Jahre, die deutlich machen, dass das Gebiet der Infektiologie einem ständigen Wandel unterworfen ist. Die Ursachen hierfür sind vielfältig und umfassen neben neuen bzw. neu entdeckten Erregern auch Änderungen in der Erregerepidemiologie. Zusätzliche Probleme ergeben sich aber auch aus dem medizinischen Fortschritt – denken Sie beispielsweise an die Zunahme multiresistenter Erreger, mitverursacht durch den oft inadäquaten Gebrauch von Antibiotika.

Multiresistente Erreger sind eine klinische Alltäglichkeit geworden. Bisher konnten wir die zunehmende Resistenzentwicklung gegen Standardantibiotika durch neue Substanzen ausgleichen. Doch diese Zeit ist vorbei: Immer weniger neue antimikrobielle Substanzen werden entwickelt und erreichen den klinischen Alltag. Die Neuentwicklungen der letzten Jahre umfassen – wohl vor allem unter dem Eindruck der rasanten Ausbreitung methicillinresistenter Staphylokokken (MRSA) – bevorzugt das grampositive Erregerspektrum. Immer häufiger jedoch treten inzwischen therapeutische Probleme bei der Behandlung gramnegativer Erreger auf. So sind unbehandelbare bakterielle Infektionen keine Halluzination, sondern dem klinischen Alltag schon sehr nahe.

Der einzige Ausweg aus dieser Misere ist der kluge Umgang mit den verfügbaren Antibiotika. Paradigmatisch für den häufig sinnlosen Einsatz antibiotisch wirksamer Substanzen im Praxisalltag ist ihre Anwendung bei Infektionen der oberen Atemwege und der akuten Bronchitis. Obwohl diese zu über 90  % viral bedingt sind, wird ein großer Teil der ambulant verordneten Antibiotika hier eingesetzt. Hingegen steht die antibiotische Therapie der ambulant erworbenen Pneumonie außer Frage, da sie im Erwachsenenalter nur selten ausschließlich viral bedingt ist. Hier haben sich jedoch in den letzten Jahren die Therapieempfehlungen aufgrund von Resistenzentwicklungen geändert. Dazwischen steht die chronische Bronchitis, die nur in besonderen Situationen eine Indikation für eine Antibiotikatherapie darstellt.

Mutter aller Maßnahmen in der Infektiologie ist jedoch die Prävention. So ist spätestens seit dem Auftreten multiresistenter Keime und deren nosokomialer Übertragung die Hygiene im Praxis- und Klinikalltag aus ihrem unverdienten Schattendasein entwachsen und ihre Bedeutung bei der Verhinderung von Infektionen – insbesondere nosokomialer Infektionen im engeren und weiteren Sinn – überdeutlich geworden. Demgegenüber steht noch immer eine erschreckende Vernachlässigung einfachster hygienischer Prinzipien.

Eine weitere, genauso wichtige präventive Maßnahme, betrifft die Impfungen. Während die Durchimpfungsraten bei Kindern trotz der zu beklagenden Impfmüdigkeit noch bei über 90  % liegen (jedoch bei der 2. Masern-, Mumps- und Rötelnimpfung schon unter 80  %), befolgen vor allem die Erwachsenen ihren Impfkalender hinsichtlich Auffrischungs- und Indikationsimpfungen kaum. Die Frequenz und Akzeptanz von Impfungen seitens der Patienten hängt aber im besonderen Maße von der Einstellung der behandelnden Ärzte zu diesem Thema ab. Doch allein wenn man sich vor Augen führt, dass beispielsweise die Durchimpfungsrate gegen Influenza in der deutschen Ärzteschaft nicht einmal 20  % beträgt, wird deutlich, wie viel Überzeugungsarbeit zum Thema Impfen noch notwendig ist.

Zusammen mit den Autoren, die auf ihrem Gebiet hervorragende und aktuelle Übersichten verfasst haben, hoffe ich, dass die in diesem Schwerpunktheft „Infektionskrankheiten“ vermittelten Informationen für Sie bei der täglichen Behandlung Ihrer Patienten hilfreich sind.

Prof. Dr. med. Bernhard R. Ruf

Leipzig