Notfall & Hausarztmedizin 2009; 35(10): 460
DOI: 10.1055/s-0029-1242507
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Neue Influenza A-H1N1 - "Schweinegrippe": Pandemie ja - Panik nein!

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Publication Date:
01 November 2009 (online)

 
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Die Schweinegrippe hat in den vergangenen Monaten Schlagzeilen gemacht. Das dürfte bald passé sein, denn schon längst sprechen die Experten lieber von der "Mexikanischen Grippe" - analog früherer Influenzapandemien, bei denen ebenfalls das Ursprungsland namensgebend war.

Doch wie auch immer die Grippe benannt wird, sie verlief bislang glimpflicher als anfangs gedacht: Rund 300 000 Fälle wurden weltweit seit ihrem ersten Auftreten im April dieses Jahres dokumentiert. Etwas mehr als 3200 Menschen sind seitdem an der neuen Grippe, deren dominierender Stamm H1N1 ist, verstorben. "Das ist weit weniger, als wir zunächst erwartet hatten", berichtete Prof. Gernot Rohde, Bochum.

Dennoch handele es sich bei der Mexikanischen Grippe zweifellos um eine Pandemie, so der Pneumologe. Grund zur Panik aber bestehe nicht. Immerhin verstarben bei der Spanischen Grippe, die ebenfalls auf H1N1 zurückging, weltweit rund 4 Millionen Menschen.

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Gefährdet sind vor allem junge Menschen

Das aber heißt nicht, dass die Mexikanische Grippe auf die leichte Schulter genommen werden dürfte. Denn anders als bei früheren Influenzapandemien gibt es doch einige Besonderheiten, die den Experten Kopfzerbrechen machen. So erkranken vor allem junge Menschen, während bisherige Influenzawellen eher den älteren Semestern zu schaffen machten. "Bei der saisonalen Influenza sind rund 90 % der Erkrankten 65 Jahre und älter", betonte Rohde.

Auch bei den schwer verlaufenden Fällen und bei den Todesfällen sind überproportional häufig junge, zuvor offenbar völlig gesunde Menschen betroffen - ein Phänomen, das bislang noch nicht verstanden wird. Die Betreffenden scheinen eine besonders aggressive Form der Infektion zu entwickeln, wobei das Virus direkt die Atemwege attackiert und rasch zu einer schweren Pneumonie, zum Gewebeuntergang, zum respiratorischen Versagen und schließlich zum Multiorganversagen mit Einbeziehung des Herzens und der Leber führt. Diese Krankheitsform scheint, so die Erfahrungen auf der südlichen Halbkugel, vor allem in den Wintermonaten gehäuft aufzutreten.

Man sei, so Rohde gut beraten, sich auf diese Situation einzustellen. Insbesondere die Kliniken seien gefordert, denn die Patienten brauchen bei dieser lebensbedrohlich verlaufenden Form der H1N1-Infektion eine rasche intensivmedizinische Behandlung.

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Wen soll man also antiviral behandeln bzw. impfen?

Besonders gefährdet, an der Mexikanischen Grippe zu erkranken, sind nach Rohde ganz allgemein

  • Schwangere,

  • Kinder unter 5 Jahren,

  • Menschen mit respiratorischer Erkrankung und hierbei vor allem Asthmatiker,

  • Personen mit kardiovaskulärer Erkrankung,

  • Diabetiker sowie

  • immunsupprimierte Patienten.

Bei der Therapie rät die Weltgesundheitsorganisation WHO zu Oseltamivir. Unbedingt behandelt werden sollten Patienten, bei denen die Infektion initial mit schwerer Symptomatik auftritt oder bei denen sich die Beschwerden sehr rasch verschlimmern. "Das gilt auch für Kinder", so Rohde. Schwangere sollten entsprechend der WHO-Empfehlung im Falle einer Mexikanischen Grippe unabhängig von der Schwere der Symptome sofort antiviral behandelt werden.

An der Gefährdung orientieren sich auch die Impfempfehlungen. So wird generell Schwangeren zur Impfung geraten, Menschen, die Kinder unter 6 Monate betreuen, Kindern und jungen Erwachsenen im Alter zwischen 6 Monaten und 24 Jahren, Personen im Alter zwischen 25 und 64 Jahren, wenn sie Grunderkrankungen aufweisen, die mit einem höheren Risiko für Influenzakomplikationen einhergehen, sowie Vertretern der Gesundheitsberufe und speziell Mitarbeitern im Bereich der Notfallversorgung.

Ähnlich sieht das auch die Ständige Impfkommision (STIKO). Sie empfiehlt die Impfung gegen die neue Influenza vorrangig für medizinisches Personal, chronisch Kranke und Schwangere, weist darüber hinaus aber explizit darauf hin, dass alle Bevölkerungsgruppen von der Impfung profitieren könnten. Dass die neuen, mit Adjuvanzien angereicherten Impfstoffe besonders nebenwirkungsträchtig sein könnten, befürchtet die STIKO dabei nicht. Bei Schwangeren empfiehlt sie jedoch zur Sicherheit einen Impfstoff ohne Adjuvanzien einzusetzen. Zudem sollte - wie auch bei der Impfung gegen die saisonale Grippe - stets eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung vorgenommen werden.

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Saisonale Grippeimfpung muss mit ins Boot

Ganz unabhängig von der Impfung gegen die "Neue Grippe" sollte nach einer Empfehlung des Robert Koch-Institutes (RKI) in Berlin wie üblich auch die Impfung gegen die saisonale Grippe durchgeführt werden. Diese ist, so das RKI, sogar besonders wichtig, da die saisonalen H1N1-Viren weitgehend resistent gegenüber Oseltamivir reagieren.

Eine Doppelimpfung gegen die saisonale und auch gegen die neue Grippe ist nach Angaben des RKI noch aus einem anderen Grund sinnvoll: "Durch die Verringerung der gleichzeitigen Verbreitung von saisonaler und neuer Influenza wird das Risiko für Doppelinfektionen und damit die Gefahr für einen Austausch von Geninformationen zwischen den Viren gemindert", heißt es in der Empfehlung. Ein solcher "Reassortment" genannter Genaustausch aber könnte zu neuen Subtypen des Influenzavirus führen, wodurch möglicherweise auch der Resistenzentwicklung der neuen Influenzaviren gegen Oseltamivir Vorschub geleistet würde.

Christine Vetter, Köln

Quelle: Pressekonferenz beim Kongress der Europäischen Respiratorischen Gesellschaft (ERS) und Pressemitteilung "Neue Influenza: Ständige Impfkommission legt Impfempfehlungen vor", herausgegeben vom Robert Koch-Institut, Berlin