Psychother Psychosom Med Psychol 2009; 59(7): 284-286
DOI: 10.1055/s-0029-1233248
Mitteilungen aus dem DKPM

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Psychotherapeutische Forschung und psychosomatische Praxis”

Ergebnisse eines Psychosomatikertreffens in Mainz (18.–21.3.2009)Manfred  E.  Beutel1 , Matthias  Michal1 , Hans-Christian  Deter1
  • 1Poliklinik der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
06. Juli 2009 (online)

 

Zum 3. Mal wurde der diesjährige Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie gemeinsam vom Deutschen Kollegium für Psychosomatische Medizin (als 60. Arbeitstagung des DKPM) und der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (17. Jahrestagung der DGPM) veranstaltet. Es wurden insgesamt 181 Poster angemeldet und angenommen, 136 Symposienvorträge und 37 State of the Art Vorträge. [Abb. 1] zeigt die Institutionen mit mindestens 5 angenommenen Beiträgen.

Abb. 1 Institution mit 5 und mehr Beiträgen. Legende: Ort (Kfz-Kennzeichen); Psy = Klinik für Psychosomatiche Medizin und Psychotherapie; med. Psych. = medizinische Psychologie; klin. Psych. = klinische Psychologie; Praxis, privat = Praxis, ohne Affiliation an eine Institution; Sym = Vortrag wissenschaftliches Symposium; SOTA = State-of-the Art-Vortrag.

Insgesamt nahmen ca. 900 Kolleginnen und Kollegen an der Tagung teil, an den 23 Fortbildungen waren es 397 Teilnehmer. Die Kongressevaluation muss sich leider wie in Freiburg auf die Angaben von nur knapp 15 % der Teilnehmer stützen. Insgesamt wurde der Kongress als „gut” von diesen n = 109–143 Teilnehmern evaluiert ([Abb. 2]). Die Teilnehmer waren überwiegend weiblichen Geschlechts (ca. 60 %), hatten zu 70 % einen ärztlichen Hintergrund, kamen zu etwa 40 % aus dem Bereich der niedergelassenen Kollegen, zu 30 % aus psychosomatischen Fachkliniken und zu 24 % aus universitären Einrichtungen. Die Mitgliedschaft in der DGPM lag bei ca. 51 % und in der DKPM bei ca. 28 % vor.

Abb. 2 Kongressevaluation (n = 109).

Etwa 13 % der Kongressteilnehmer und 24 % der Fortbildungsteilnehmer befanden sich in der Weiterbildung zum Facharzt oder psychologischen Psychotherapeuten. Die Fortbildungsveranstaltungen wurden nahezu vollständig im Mittel mit 1,5 evaluiert ([Abb. 3]).

Abb. 3 Bewertung der Fortbildungsveranstaltungen.

Das Tagungsthema wurde in 3 Plenarveranstaltungen durch international ausgewiesene Referenten am Beispiel der allgemeinen Psychotherapieforschung, der Psychosomatischen Medizin und der Psychotherapie bei körperlichen Erkrankungen sehr eindrucksvoll dem Auditorium vorgetragen.

Prof. Peter Fonagy vom University College of London gab einen umfassenden Überblick über den gegenwärtigen Stand der Psychotherapieforschung [1]. Er ging methodisch auf die Bedeutung von kontrollierten randomisierten Studien ein, begründete aber auch die Notwendigkeit von naturalistischen Studien, die sich an den Praxisbedingungen orientieren. Obgleich im Mittel die erreichten Effektstärken von Psychotherapie die anderer medizinischer Behandlungsverfahren deutlich überschreiten, ist der Behandlungserfolg im Einzelfall, so seine These, kaum vorherzusagen. Er plädierte dafür, Wirkfaktoren des Therapieerfolgs künftig genauer zu untersuchen und der Person des Therapeuten mehr Gewicht zu geben als dem gewählten Therapieverfahren. Selbst in einer psychopharmakologischen Studie war der „wirksamste” Therapeut durch seine Placebobehandlung erfolgreicher als der am wenigsten erfolgreiche Therapeut mit der Verumbehandlung (einem Antidepressivum). Nachdenklich stimmte auch, dass Therapeuten nachteilige Behandlungsverläufe kaum erkennen. Daher plädierte Fonagy für eine engmaschige Erfassung von therapeutischen Prozessen und deren Rückmeldung an den Therapeuten, um bessere Therapieerfolge zu erzielen.

Richard Lane, ehemaliger Präsident der Amerikanischen Psychosomatischen Gesellschaft (APS) und Professor an der University of Arizona, sprach zu Fortschritten in der Emotionsforschung (Affect Science) und ihrer Bedeutung für psychotherapeutische Interventionen in der Psychosomatischen Medizin. Ausgehend von einer Kritik an der Vernachlässigung von Emotionen in psychosomatischen Theorien stellte er die Unterscheidung zwischen impliziten Emotionen (körperliche Sensationen, Handlungstendenzen) und expliziten, bewusst erlebten Emotionen in den Vordergrund seines Vortrages. Sich eigener Emotionen bewusst zu werden, ist eine kognitive Fähigkeit, die im Laufe der Entwicklung erwächst und differenziert wird. Anhand aktueller neurobiologischer Studien zeigte er, dass implizite Emotionen für somatoforme Beschwerden maßgeblich sind, diese Patienten aber keinen Zusammenhang zwischen ihren körperlichen Sensationen und ihren psychischen Zuständen erleben. Zahlreiche experimentelle Untersuchungen konnten zeigen, dass das explizite System das implizite beeinflusst, z. B. dass Reaktionen des Limbischen Systems (v. a. den Nucleus amygdalae) auf emotionale Reize hin durch Benennen und Verbalisieren deutlich gemildert werden. Aus diesem Ansatz ergeben sich zahlreiche und bedeutsame Konsequenzen für die stärkere Beachtung impliziter und expliziter emotionaler Reaktionen von Patienten [2].

Die 3. Plenarsitzung war der Behandlung Krebskranker gewidmet. Prof. Wolfgang Söllner, Nürnberg, zeigte, dass die Evidenz für die Wirksamkeit von Psychotherapie bei Krebskranken im Hinblick auf die Besserung von Angst und Depression durchgängig positiv ist, die Stärke der Effekte jedoch insgesamt klein ist. Zur psychodynamischen Einzelpsychotherapie mit Krebskranken liegen vielfältige Behandlungsberichte und Anwendungsbeobachtungen vor; randomisierte kontrollierte Studien sind aber bisher nicht publiziert worden. Frau Dr. Reuter, Freiburg, stellte Möglichkeiten und Grenzen der gruppentherapeutischen Intervention für Krebspatienten dar. In der Carus Lecture zeigte Prof. David Spiegel, Stanford, USA, auf, dass die Mehrzahl der vorliegenden Studien einen positiven Zusammenhang zwischen Depression und dem Voranschreiten einer Krebserkrankung fanden. Für die von ihm wesentlich entwickelte supportiv expressive Gruppentherapie zeigte er durchgängig positive Affekte im Hinblick auf Symptomlinderung [3]. Die Studienlage in Bezug auf einen Überlebensvorteil aufgrund von Psychotherapie ist dagegen gemischt, etwa die Hälfte der vorliegenden randomisierten Studien, aktuell am überzeugendsten [4], weisen einen Überlebensvorteil nach, etwa die Hälfte zeigt keinen Überlebensvorteil. Anhand einer Vielzahl eigener Studien zum negativen Einfluss von Depression und chronischem Stress auf Immunparameter postuliert Spiegel eine Reihe messbarer biologischer Pfade zum möglichen Zusammenhang von Stress, Depression und Voranschreiten einer Krebserkrankung bzw. dem Einfluss von Psychotherapie auf das Überleben.

Das Tagungsthema wurde in zahlreichen Symposien zu laufenden randomisierten kontrollierten Psychotherapieverbundstudien vertieft, u. a. zur sozialen Phobie (SOPHO-Net; [5]), zur Risikoverminderung bei depressiven Koronarkranken (SPIRR-CAD; Herrmann-Lingen / Albus, NCT00705965), zur Behandlung von Essstörungen (ED-Net; De Zwaan / Zipfel [6]), zur Behandlung somatoformer Störungen (PISO; Henningsen ISRCTN23215121) und zur psychodynamischen Behandlung depressiver Brustkrebspatienten (Beutel / Schwarz ISRCTN96793588). Bereichernd für die Programmgestaltung waren die Beiträge vieler deutscher und internationaler Fachgesellschaften zur Konzeption und Gestaltung der Tagung. Seitens der International Society of Behavioral Medicine (ISBM) und des European Network on Psychosomatic Medicine (ENPM) wurden vielversprechende Ergebnisse aus der Stockholmer Behandlungsstudie zur Steigerung der Überlebensraten durch Psychotherapie bei Frauen mit koronarer Herzerkrankung (SWITCHD) von Frau Prof. Orth-Gomér und Prof. Neil Schneiderman vorgestellt. Im Rahmen einer gemeinsamen Veranstaltung mit der European Association for Consultation-Liaison Psychiatry and Psychosomatics (EACLPP) wurde der aktuelle Diskussionsstand zu den Somatisierungsstörungen in Hinblick auf das kommende DSM-V durch Prof. Creed, Manchester, Prof Fink, Aarhus, und Prof. Henningsen, München, vorgestellt.

Neue Leitlinien wurden zu Essstörungen (S3; S. Herpertz, A. Zeeck, J. von Wietersheim), zu Persönlichkeitsstörungen (S2; S. Doering, S. C. Herpertz) und zum chronischen Unterbauchschmerz der Frau (S2K; F. Siedentopf u. H. Kentenich) vorgestellt und diskutiert.

Den diesjährigen Roemerpreis erhielt Prof. Karl-Heinz Ladwig zum Einfluss posttraumatischer Belastungsstörungen auf die Sterblichkeit von Patienten mit implantierten Defibrillatoren [7]. Der Adolf-Ernst-Meyer-Preis ging zu gleichen Anteilen an Prof. S. Doering, Münster, für eine randomisierte kontrollierte Studie zur Wirksamkeit der übertragungsfokussierten Psychotherapie der Borderline-Persönlichkeitsstörung und an Frau Prof. A. Zeeck, Freiburg, für eine randomisierte kontrollierte Studie zu differenziellen Behandlung von Patienten mit schwerer Bulimia nervosa mit stationärer und teilstationärer Psychotherapie [8]. Weiterhin wurde der Forschungspreis Psychotherapie in der Medizin der Doktor Gerhard Nissen-Stiftung verliehen, und es wurde eine Promotion durch das DKPM und die Stiftung „Psychosomatik und Sozialmedizin” und mehrere herausragende Poster ausgezeichnet.

Die wachsende Vernetzung zwischen den deutschen Psychosomatikern wurde nicht nur an den zahlreichen multizentrischen klinischen Studien deutlich, sondern auch in den 35 Sonderveranstaltungen, in denen die unterschiedlichsten Gruppierungen den Rahmen der Tagung nutzten, um Vorstandssitzungen, Mitgliederversammlungen (neuerdings auch die Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Rehabilitation [DGPR] und die Deutsche Gesellschaft für Ärztliche Verhaltenstherapie [DÄVT]), Gutachter- oder Herausgeber- und Fachvertretersitzungen durchzuführen.

Die äußerst anregende und informative Tagung brachte viele im psychosomatischen Bereich engagierte Kollegen zusammen, es gab fruchtbare wissenschaftliche, klinische und standespolitische Diskussionen zwischen Ärzten und Psychologen, Klinikern und Niedergelassenen, Forschern und Praktikern. Diese Erfahrungen haben gezeigt, dass die gemeinsame Jahrestagung nicht nur ein internationales Niveau erreicht hat, das sich sehen lassen kann, sondern auch ein Kristallisationspunkt für Nachwuchsforscher für die psychosomatische Medizin (für die ein 2-jähriges Curriculum durch die Carusstiftung eingerichtet wurde) und Medizinstudenten (50 Reisestipendien wurden an sie vergeben!) geworden ist. Wir haben uns bemüht, diesen Kongress durch eine „Young Psychosomaticists Lounge” und eine Stellenbörse für junge Nachwuchsärzte und Therapeuten attraktiver zu machen; dabei zeigte das große Interesse unserer jüngeren Kollegen an diesen Angeboten, dass es sich lohnt, unserem Nachwuchs eine größere Aufmerksamkeit zu schenken.

Das Modell einer gemeinsamen Jahrestagung hat sich bewährt, und ermöglicht es, Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland und dem umliegenden, insbesondere deutschsprachigen und osteuropäischen, Ausland anzuziehen. Wir sind sicher, dass dieser Kongress auch in den nächsten Jahren ein starker Anziehungspunkt für alle bleibt, die an den neuesten Entwicklungen im Bereich der Psychosomatik und Psychotherapie interessiert sind.

Literatur

  • 1 Roth A, Fonagy P. What Works for Whom? A Critical Review of Psychotherapy Research. 2. Aufl. New York, London; Guilford Pub 2006
  • 2 Lane R D. Neural substrates of implicit and explicit emotional processes: a unifying framework for psychosomatic medicine.  Psychosom Med. 2008;  70 214-231
  • 3 Spiegel D, Classen C. Group Therapy for Cancer Patients: A Research-Based Handbook of Psychosocial Care: A Research-based Handbook of Psychological Care. New York; Basic Books 2000
  • 4 Andersen B L, Yang H, Farrar W B. et al . Psychologic intervention improves survival for breast cancer patients: a randomized clinical trial.  Cancer. 2008;  113 3450-3458
  • 5 Leichsenring F, Salzer S, Beutel M E. et al . SOPHO-NET – A Research Network on Psychotherapy for Social Phobia.  Psychother Psych Med. 2009;  59 117-123
  • 6 de Zwaan M, Zipfel S, Herzog W. et al . EDNET – Eating Disorders Diagnostic and Treatment Network.  Psychother Psych Med. 2009;  59 110-116
  • 7 Ladwig K, Baumert J, Marten-Mittag B. et al . Posttraumatic stress symptoms and predicted mortality in patients with implantable cardioverter-defibrillators: results from the prospective living with an implanted cardioverter-defibrillator study.  Arch Gen Psychiatry. 2008;  65 1324-1330
  • 8 Zeeck A, Weber S, Sandholz A. et al . Inpatient versus day clinic treatment for bulimia nervosa: a randomized trial.  Psychother Psychosom. 2009;  78 152-160

Priv.-Doz. Dr. med. Matthias Michal

Oberarzt Bereich Poliklinik der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie

Untere Zahlbacher Straße 8

55131 Mainz

eMail: michal@uni-mainz.de

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