PiD - Psychotherapie im Dialog 2010; 11(1): 76-79
DOI: 10.1055/s-0029-1223505
Aus der Praxis

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Was Hirnforschung heute über Psychotherapiewirkungen erzählt

Markus  Burgmer im Gespräch mit Wolfgang  Senf
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Publication Date:
08 March 2010 (online)

PiD: Lieber Herr Burgmer, Hirnforschung – ist das überhaupt ein Thema für die Psychotherapie? Und wenn ja, was gibt es dazu im Überblick?

Markus Burgmer: Aus meiner persönlichen Sicht wird die Hirnforschung für die Psychotherapie sehr förderlich sein. Nicht nur durch Erkenntnisse, wie sich Gehirnfunktionen durch Psychotherapie verändern können, sondern insbesondere durch die Ergebnisse der Grundlagenforschung zu den Ursachen psychischer Störungen. Bereits Sigmund Freud hat sich in einem seiner ersten Manuskripte „Entwurf einer Psychologie, 1895” mit der Frage beschäftigt, inwieweit sich seelische Probleme im Materiellen des Gehirns, also dem Wechselspiel der Neurone, manifestieren. Da ihm die heutigen Möglichkeiten der modernen Neurowissenschaften nicht zur Verfügung gestanden haben, musste dieser Versuch zwangsläufig scheitern. Heute, 110 Jahre nach Freud, haben wir mittels der Hirnforschung, insbesondere der funktionellen Bildgebung, die wunderbare Möglichkeit, dem Gehirn bei der Arbeit zuschauen zu können. Wir haben im Laufe der Jahre ein zunehmendes Verständnis davon erhalten, wie unser Gehirn bzw. unsere Empfindungen, Wahrnehmungen und Gefühle im Zusammenspiel unserer Nervensysteme zu verstehen sind, auch wenn wir noch weit davon entfernt sind, alles erklären zu können. Auch in Bezug auf die neuronalen Grundlagen psychischer Störungen können wir mehr Bezüge auf gestörte Hirnfunktionen als Ursache herstellen.

Die wissenschaftliche Literatur zur Hirnforschung im Bereich der „Psychosozialen Medizin” ist umfangreich, bietet aber noch kein geschlossenes und valides Bild. Wir wissen heute noch zu wenig, als dass wir unsere komplexe Innenwelt als einfache Aktivierung oder Deaktivierung einzelner Hirnregionen erklären könnten. Der Markt populärwissenschaftlicher Arbeiten zur Hirnforschung scheint dies aber etwas vereinfacht darzustellen; mehr als einen ersten und teils subjektiv gefärbten Einblick können diese Arbeiten aber derzeit nicht bieten. Zu empfehlen sei aber als Einstieg trotzdem die Diskussion um die Frage, ob wir einen freien Willen besitzen, z. B. G. Roth. Aus Sicht des Gehirns. Suhrkamp, 2003.

Am Anfang steht die Diagnose. Können wir auf der Grundlage der Hirnforschung heute unterschiedliche psychische Krankheit diagnostizieren? Also: Ich mache Hirndiagnostik und ich sehe für eine psychische Erkrankung typische Befunde?

Diese Frage muss aus heutiger Sicht eindeutig mit Nein beantwortet werden. Die Hirnforschung ist noch lange nicht so weit, störungsspezifische Ergebnisse zu liefern. Dies wäre nur möglich, sollte ein definiertes Hirnareal für die Entwicklung psychischer Symptome allein verantwortlich gemacht werden können. Bei psychischen Störungen muss aber von einem komplexen Zusammenspiel verschiedener Hirnregionen ausgegangen werden, um definierte Funktionen des seelischen Erlebens zu ermöglichen. Zwar wissen wir, dass insbesondere der präfrontale Kortex, der zinguläre Kortex, der Hippokampus und die Amygdala bei psychischen Störungen veränderte Funktionen zeigen, diese sind aber über die verschiedenen Störungsgruppen hinweg noch nicht spezifisch zu definieren. Daher geht der aktuelle Ansatz in der Hirnforschung auch zunehmend weg von der Suche nach störungsspezifischen Symptomen und hin zur Untersuchung allgemeiner und mehrere Störungsgruppen betreffender Phänotypen.

Auch die in der Hirnforschung verwendete Methodik, die Ergebnisse oftmals erst im Rahmen von Gruppenuntersuchungen erzielen kann, erlaubt derzeit noch nicht den Transfer der Ergebnisse auf den Einzelfall. Zeigen sich z. B. in einer Gruppe von depressiven Patienten bestimmte Auffälligkeiten, so müssen diese nicht zwingend bei jedem der untersuchten Patienten nachweisbar sein.

Auf Ergebnisse würde ich gerne später noch einmal zurückkommen. Könnten Sie zuerst einmal erläutern, was das ist, die „Hirnforschung”. Welche Methoden sind das?

Hirnforschung betrifft jede wissenschaftliche Methode, die sich mit der Frage der Struktur und Funktionalität des Gehirns beschäftigt, somit ist sie keine neue Wissenschaft. Bereits vor über 200 Jahren beschäftigte sich die Forschung mit der Frage, wie psychische Funktionen mit der Gehirntätigkeit einhergingen, so z. B. die „Phrenologie” von Franz Josef Gall. Auch die Neuropathologie und -anatomie ist letztendlich ein fester Bestandteil der Hirnforschung.

Populärwissenschaftlich beschreibt Hirnforschung heute aber eher die Untersuchung der Funktion des Gehirns am lebenden Menschen, ohne invasive Techniken. Hierbei wird mittels verschiedener Methoden untersucht, wie sich unter möglichst genau definierten Bedingungen die Gehirnaktivität verändert, um so Rückschlüsse auf die Bedeutung der identifizierten Hirngebiete für die untersuchte Funktion zu erzielen. Das Spektrum reicht hierbei von den elektroenzephalografischen Techniken (EEG, MEG), die das elektrische Potenzial der Nervenzellen messen und Veränderungen im Millisekundenbereich nachweisen können, bis hin zum PET, SPECT oder funktionellen MRT, welche mittels Messung der Veränderungen des Glukoseverbrauchs oder des Blutflusses Rückschlüsse auf Aktivitätsänderungen im Gehirn ziehen. Der Schwerpunkt geht hierbei weg von der rein regionalen Betrachtung von Gehirnveränderung zur Untersuchung der funktionellen Verknüpfung von Hirnregionen untereinander. Unterstützt wird dieser Ansatz auch durch strukturuntersuchende Verfahren, z. B. der Voxel-based-Morphometrie und des Diffusion Tensor Imagings, die neben Veränderungen in der Struktur der grauen Hirnsubstanz auch die Nervenbahnen und Nervenverbindungen der weißen Substanz des Gehirns untersuchen können.

Kommt dem funktionellen MRT dabei eine besondere Rolle zu? Und welche ist das? Können Sie ein Beispiel geben?

Jede der genannten Methoden zur Untersuchung der Hirnaktivität hat seine Vor- und auch Nachteile. PET und SPECT basieren auf radioaktiv markierten Substanzen und zeigen sehr robuste Ergebnisse in Bezug auf die Darstellung von Gehirnaktivität. Dies ist jedoch mit dem Nachteil einer geringen räumlichen und zeitlichen Auflösung verbunden, d. h. kurzzeitige Aktivitätsänderungen des Gehirns werden nicht gemessen und eine exakte Zuordnung zu den Strukturen des Gehirns ist erschwert. EEG und MEG können hingegen Aktivitätsveränderungen im Millisekundenbereich messen, jedoch verbunden mit einer geringen räumlichen Auflösung und einer schlechten Messung von tiefliegenden Gehirnbereichen. Das funktionelle MRT scheint hier einen Mittelweg darzustellen. Es hat nicht den so sensitiven Charakter wie das PET, kann aber bei gut gewählten Untersuchungsparadigmen ebenfalls kurzzeitige Aktivitätsveränderungen messen und dies in sehr hoher räumlicher Auflösung. Außerdem ist dies unter Beachtung der Kontraindikationen ohne Nebenwirkung für den Probanden. Auch die Möglichkeit in der gleichen Sitzung eine hochauflösende anatomische Darstellung des Gehirns zu erzielen und auch die o. g. anderen Messmethoden (VBM, DTI) einzusetzen, macht das fMRT zum aus meiner Sicht bedeutsamsten Untersuchungsgerät der bildgebenden Hirnforschung. Es gibt aber natürlich auch Fragestellungen, die nur mit PET oder MEG beantwortet werden können, diese sind also in keiner Weise überflüssig, sondern für spezielle Aufgaben vorgesehen. Grob gesagt sind PET, SPECT und MEG Spezialisten, während fMRT einen Allrounder mit Spezialfertigkeiten darstellt, was die große Verbreitung der Methode in der Hirnforschung erklärt.

Dann haben die Forscher ein ganzes Bündel an Methoden zur Verfügung. Haben Sie ein paar Beispiele, wo das in der Psychotherapie eingesetzt wird? Machen Sie selbst Untersuchungen im Bereich der Psychotherapie?

Ich gehe davon aus, dass die funktionelle Bildgebung in den kommenden Jahren durchaus wichtige Erkenntnisse für die Psychotherapie und die Outcomeforschung bringen wird. Nicht umsonst hat Klaus Grawe schon vor Jahren von einer Neuropsychotherapie gesprochen.

Studien zeigen neben allgemeinen Effekten einer Psychotherapie auf neurobiologische Funktionen z. B. der Emotionsregulierung auch spezifische Effekte bei definierten Störungsbildern. So lässt sich im Bereich der Depressionsforschung zeigen, dass eine veränderte Konnektivität zwischen dem präfrontalen Kortex und der Amygdala eine Grundlage für depressive Erkrankungen darstellen könnte, und diese ist durch Psychotherapie, aber auch Pharmakotherapie reversibel. Zusätzlich gibt es Untersuchungen, die aufgrund der Aktivierungen in bestimmten Arealen, z. B. dem zingulären Kortex, die Wahrscheinlichkeit einer Therapieresponse einschätzen. Sie sehen, auf dem Gebiet entwickelt sich eine Menge.

Aber eine gewisse kritische Skepsis ist trotzdem angebracht. Um Wirkfaktoren der Psychotherapie mittels der Bildgebung überprüfen zu können, muss erstmal die Grundlage geschaffen werden, zu verstehen, was aus neurobiologischer Sicht Ursache der Störung ist. Und da fehlen aus meiner Sicht in vielen Bereichen noch die ausreichenden Erkenntnisse, störungsspezifische Aussagen zu machen. Auch wissen wir aus der „klassischen” Psychotherapieforschung, dass viele Wirkfaktoren für das Outcome entscheidend sind, z. B. die Person des Therapeuten viel deutlicher als denn die Ausbildung oder das Therapieverfahren. Aber niemand würde sich nur auf den einen Faktor konzentrieren und daher ernsthaft dafür plädieren, nun alle Ausbildungsinstitute zu schließen, wenn die Person des Therapeuten im Vordergrund steht.

Mein Fazit ist daher, dass es in Zukunft spannende Erkenntnisse geben wird, aktuell aber noch keine verlässlichen Daten vorhanden sind, wie Psychotherapie neurobiologisch wirkt. Daher konzentriere ich mich in meiner Forschung eher auf die neurobiologischen Grundlagen von psychischen Störungen, um so in Zukunft die Grundlagen für neue Erkenntnisse für die Anwendung von Psychotherapien zu schaffen.

Wenn ich Sie richtig verstehe, dann besteht schon einiges Wissen um die neurobiologischen Grundlagen von psychischen Störungen. Um welche Störungen handelt es sich dabei?

Die Hirnforschung hat sich in den letzten Jahren sehr intensiv mit den „großen” Störungsbildern auseinandergesetzt, der Schizophrenie, Depression und den Angsterkrankungen mit ihren Unterformen. Hierbei kann vereinfacht gesagt werden, dass von der ursprünglichen Idee, einzelne Hirnareale für die Symptome verantwortlich zu machen, es nun mehr in die Richtung geht, psychische Erkrankungen als eine Störung im Wechselspiel verschiedener Hirnregionen zu verstehen, i. S. einer funktionellen Konnektivität. Über alle Störungsgruppen hinaus wurden dabei immer wieder vergleichbare Hirngebiete identifiziert: der präfrontale Kortex, der zinguläre Kortex, die Amygdala und der Hippokampus sowie Gebiete im parietalen Kortex als klassische Regionen der Integration verschiedener Sinneseindrücke. Störungsspezifische Veränderungen sind meines Wissens aber noch nicht bekannt, der Unterschied scheint eher in Richtung dimensionaler Unterschiede in den funktionellen Verbindungen der Gebiete begründet.

Am Beispiel meiner Forschungsrichtung, der Fibromyalgie, einem eher „kleinen” Störungsbild, möchte ich gerne dies etwas konkretisieren. Die Schmerzforschung kennt schon lange ein Netzwerk verschiedener Hirnareale, das i. S. eines lateralen Schmerzsystems die sensorisch-diskriminative und mittels des medialen Schmerzsystems die affektiv-motivationale Schmerzwahrnehmungskomponente reguliert. In den letzten Jahren konnte auch gezeigt werden, dass der präfrontale Kortex im Zusammenwirken mit dem anterioren zingulären Kortex und der Amygdala über Regionen des Mittelhirns eine schmerzmodulierende Wirkung auf der Rückenmarksebene hat. Bereits 1965 wurde dies als sog. „Gate-Control-Theorie” von Melzack formuliert, heute wird es als „absteigende Schmerzhemmung” beschrieben. Bei der Fibromyalgie konnten wir und andere Autoren zeigen, dass im Unterschied zu gesunden Menschen, aber auch zu Patienten mit einer rheumatischen Erkrankung, nicht nur funktionelle Unterschiede in den besagten Hirngebieten im Rahmen experimenteller Schmerzen bestehen, sondern auch strukturelle. Dies zusammen kann zwar noch nicht eindeutig belegen, dass bei Patienten mit einer Fibromyalgie eine Störung der absteigenden Schmerzhemmung Ursache der chronischen Schmerzen ist, die Ergebnisse deuten aber in diese Richtung.

Dies scheint stellvertretend am Beispiel der Fibromyalgie den aktuellen Stand der Hirnforschung zu beschreiben, indem die aktuellen Forschungsergebnisse zwar Hinweise auf mögliche Ursachen psychischer Störungen geben können, aber noch weit davon entfernt sind, diese abschließend zu erklären, auch wenn es manchmal so berichtet wird. Ich weiß, dass meine Sicht vielleicht sehr kritisch und durchaus unpopulär im Bereich der Hirnforschung ist, aber eine gewisse Bescheidenheit in Bezug auf die eigenen Ergebnisse in der Hirnforschung würde die Wirklichkeit etwas weniger spekulativ erscheinen lassen.

Das bringt mich zu der eigentlichen Frage dieses Interviews, was uns die Hirnforschung heute über Psychotherapiewirkungen erzählen kann. Können wir Auswirkungen von Psychotherapie über die Hirnforschung aufzeigen, darstellen, sozusagen objektivieren? Also: Wir machen Prä-post-Messungen, vielleicht ein Follow-up, und sehen dann für die Therapie typische Veränderungen?

Es gibt erste Studien, die Hinweise auf störungsspezifische Effekte der Psychotherapie auf die Gehirnaktivität bieten. Ich bitte dies aber sehr mit Vorsicht zu bewerten, da methodische Probleme eine Generalisierbarkeit derzeit noch erschweren, z. B. wurden in den Studien unterschiedliche Therapieverfahren und Bildgebungsmethoden eingesetzt.

Bei Patienten mit einer Zwangsstörung konnten geringere Aktivitäten des Nucleus caudatus nach erfolgreicher Therapie gezeigt werden, bei Patienten mit einer Phobie war eine Reduktion der limbischen Aktivität und bei Patienten mit einer Depression eine Reduktion dorsaler frontaler Hirnaktivität und Steigerung der ventralen frontalen sowie limbischen Regionen nachzuweisen. Auch wurde angenommen, dass zu Beginn der Behandlung einer Depression fronto-frontale Hirnveränderungen eher auf kognitive VT und fronto-limbische Veränderungen eher auf Medikation ansprechen würden, wobei hierzu eindeutige Beweise ausblieben.

Noch nicht zu beantworten ist aber anhand dieser Studien, ob die gezeigten Veränderungen einfach die Symptombesserung reflektieren oder den spezifischen Wirkmechanismus der Behandlung. Also bleibt die genaue zugrunde liegende Neurobiologie noch unklar.

Eine neue und spannende Methode der Bildgebung möchte ich noch erwähnen, die „Real-time-FMRT”. Hierbei ist die vom Untersuchungsgerät gemessene Hirnaktivität unmittelbar zu sehen und kann vom Probanden vergleichbar mit Prinzipien eines Biofeedbacks verändert werden. Durch dieses Neurofeedback könnte in Zukunft, sollten spezifische Korrelate einer Störung zu finden sein, die Gehirnaktivität gezielt durch den Probanden selber verändert und therapiert werden.

Das heißt, wir sind hier noch ganz am Anfang. Wo können wir in zehn Jahren sein? Und wird das die Psychotherapie verändern?

Genau, die Hirnforschung steht leider noch am Anfang. Daher sollten alle bisherigen Ergebnisse mit Interesse, aber auch mit einer gewissen Kritik betrachtet werden. Vergleichbar ist dies vielleicht mit der frühen Euphorie der genetischen Forschung und der damit anfänglich verbundenen Hoffnung, durch diese nun alles erklären zu können.

Ich denke, in zehn Jahren werden sich viele der heutigen methodischen Probleme der Hirnforschung gelöst haben und wir erhalten validere Ergebnisse, die aber unser heutiges Wissen relativieren werden. Vielleicht werden wir auch mehr über die Funktionen des Gehirns und der Zusammenhänge für die Entstehung psychischer Störungen wissen, vielleicht auch neue Impulse für die Psychotherapie daraus ableiten können. Aber vielleicht werden wir auch mit der Erkenntnis leben müssen, dass Hirnforschung nicht alles erklären wird und „nur” ein paar weitere Puzzlesteine zum Gesamtbild beitragen kann. Ein für mich wichtiges Motto in der Hirnforschung ist eine Aussage von Emerson Pugh, ehemaliger IBM-Mitarbeiter, die eine gewisse Bescheidenheit in Bezug auf die Hirnforschung ausdrückt:

„If the human brain were so simple that we could understand it, we would be so simple that we couldn't.”

Herr Burgmer, jetzt haben wir allgemein darüber gesprochen, was die Hirnforschung für die Psychotherapie leisten kann. Was haben Sie selbst damit zu tun? Was sind Ihre eigenen Arbeiten?

Ich habe mich bei meiner Arbeit in der Hirnforschung auf zwei Störungsbilder der somatoformen / dissoziativen Störungen konzentriert. Dies sind die dissoziative Bewegungsstörung und die anhaltende somatoforme Schmerzstörung bzw. Fibromyalgie.

Bei der dissoziativen Bewegungsstörung konnten wir zeigen, dass die Störung bereits auf der Ebene der Bewegungsgenerierung zu suchen ist. Gesunde Probanden zeigen bereits bei der Beobachtung einer Bewegung, die sie nachher selber ausführen sollen, eine Voraktivierung des primärmotorischen Kortex. Dies wird durch das System der Spiegelneurone begründet. Patienten mit einer einseitigen psychogenen Lähmung zeigen das gleiche Prinzip der Voraktivierung bei Beobachtung einer Bewegung, die der nicht betroffenen Hand entspricht. Bei einer Bewegungsbeobachtung der betroffenen Hand, kommt es zu einer stark verminderten bzw. keiner Voraktivierung des primärmotorischen Kortex. Dies lässt sich daher als eine Störung auf der Ebene der Bewegungsgenerierung deuten, etwa als eine Einschränkung, abgespeicherte Bewegungspläne zu aktivieren. Hierbei scheint dies mit der Dauer der Störung einherzugehen, da gesunde Probanden, die mittels Hypnose eine einseitige Lähmung entwickelt haben, dieses pathologische Muster nicht zeigen, d. h. deren Bewegungsgenerierung scheint im Rahmen der Spiegelneurone noch intakt. Dies prüfen wir aber derzeit an einer nachfolgenden Studie.

Bei Patienten mit einer Fibromyalgie konnten wir zeigen, dass im Bereich des medialen Schmerzsystems, also die Gehirnregionen, die für die affektiv-motivationale Schmerzwahrnehmung bedeutsam sind, funktionelle aber auch strukturelle Veränderungen vorliegen. Da diese bereits in der Phase der Schmerzerwartung, also ohne einen experimentellen Schmerzreiz nachweisbar sind, kann die Vermutung getroffen werden, dass bei der Fibromyalgie kognitive-affektive Komponenten für die Schmerzgeneralisierung und -chronifizierung wichtig sind. Daher kann die Fibromyalgie durchaus als eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung mit körperlichen und emotionalen Faktoren beschrieben werden, wie es die deutsche Version der ICD-10 seit Anfang des Jahres vorsieht.

Der nächste Schritt unserer Forschung wäre nun, nachdem gewisse Grundlagenerkenntnisse gewonnen wurden, zu untersuchen, inwieweit sich diese Befunde nach einer erfolgreichen Therapie wieder rückbilden können. Aber dies wird wohl noch einige Jahre dauern.

Dann haben Sie ja noch viel vor! Vielen Dank für das informative Gespräch, mit dem auch die Grenzen für die aufkommende neurowissenschaftliche Euphorie aufgezeigt worden sind.

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