Notfall & Hausarztmedizin 2009; 35(3): 115
DOI: 10.1055/s-0029-1220796
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Vertragsärztliche Honorarreform: Klappe, die 15.

Peter Knuth
Further Information

Publication History

Publication Date:
14 April 2009 (online)

Periodisch wie die Heuschreckenplage in Afrika werden die Vertragsärzte gegen ihren Willen mit „Reformen“ der Vergütung für ihre Leistungen überzogen. Das Ergebnis ist stets wie nach dem Weiterzug der Heuschrecken in Afrika:w Kahlschlag und alles ist schlechter als zuvor. Genau dies ist die Konsequenz der schon jetzt gescheiterten neuen Gebührenordnung, die verquickt ist mit dem Gesundheitsfond. Ein Gruselstück aus dem überwunden geglaubten Sozialismus, gespeist aus der nie abgelegten kommunistischen Überzeugung einer Gesundheitsministerin und der DDR-Sozialisation einer Kanzlerin, die nur Polikliniken, aber nie den niedergelassenen Arzt als freien Beruf mit eigener wirtschaftlicher Verantwortung kennengelernt hat.

Was sollte die neue Gebührenordnung nicht alles bringen: Verteilungsgerechtigkeit, feste Preise einer Euro-Gebührenordnung, Ablösung der Budgets und die Abrechenbarkeit von mehr Leistungen zu höheren Preisen. Tatsächlich jedoch kamen ein Abrechnungschaos, riesige Honorarverwerfungen zwischen den einzelnen Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen), die Existenzgefährdung für nicht wenige Praxen und etwa 1 Milliarde Euro Differenz zwischen dem was der Staat angeblich zusätzlich in die vertragsärztliche Versorgung eingebracht hat und dem was dort angekommen ist. Komplettiert wird dies alles durch die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes, wonach der Arzt Leistungen zu erbringen hat, auch wenn er dabei zuzahlt.

Dazu kommt noch eine mehr als unglücklich agierende vertragsärztliche Selbstverwaltung. Man hätte doch im Wege des einfachen Nachdenkens darauf kommen müssen, dass die Kosten, die anfallen, um eine ärztliche Leistung überhaupt erbringen zu können, in den westlichen Verdichtungsräumen höher sind als in den östlichen Landstrichen. Hierzu muss man nur einen Mietspiegel in die Hand nehmen. Hinzu kommen falsche Aufsetzjahre für die Honorarberechnung und eine Fehleinschätzung der Auswirkungen in den einzelnen KVen durch sehr unterschiedliche extrabudgetäre Leistungen. Wenn ich in einer neuen Honorarwelt alle Leistungen aus einem einheitlichen Topf entnehmen muss, ist es doch klar, dass der nunmehr notwendige Einbezug bislang extrabudgetärer Leistungen in diesen Topf zu großen und in den einzelnen KVen zu unterschiedlichen Verwerfungen führen muss.

Auch für die Zukunft ist selbst nach mehr oder weniger gelungen Detailreparaturen keine Besserung zu erwarten, da Fortschritte der Medizin und ein demografischer Korrekturfaktor bei der Entwicklung des Gesundheitsfonds nicht berücksichtigt wurden. Zwar sollen ab 2009 jährlich 1,5 Milliarden Euro zusätzlich in den Fond fließen, aber diese Summe ist selbst für den Nachholbedarf viel zu klein. Diese Malaise ist mit dem bisherigen Instrumentarium der ärztlichen Politik nicht mehr zu beheben, hierzu bedarf es anderer Strategien.

Stichworte sind zum einen ein Wegfallen der vertragsärztlichen Vereinigungen und entweder eine Eingliederung als Zahlstellen in die Ärztekammern oder eine Rückgabe dieses Auftrages an den Staat, die Reorganisation der Ärztekammern in einen verwaltungstechnischen und einen getrennten politischen Bereich, der ungehindert von gesetzlichen Fesseln der Selbstverwaltung agieren kann. Als 1.?Schritt zu einem Kostenerstattungssystem müssten auch die Patienten nach jeder Konsultation eine Rechnung erhalten, um zu sehen, was ihre Versorgung kostet und was der Arzt dafür erhält.

Lässt sich dies alles nicht mehr realisieren, erinnert man sich an Heinrich Heine: „Denk ich an Deutschland in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht.“

Prof. Dr. Peter Knuth

Flörsheim