Dtsch Med Wochenschr 2008; 133(51/52): 2690-2694
DOI: 10.1055/s-0028-1105877
Weihnachtsheft
Medizingeschichte
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Von Digitalis purpurea zur Krötenhaut

Eine historische Betrachtung Digitalis-analoger SäugetierhormoneFrom digitalis purpurea to toad skinAn historical view of digitalis-like mammalian hormonesE. Ritz1 , W. Schoner2
  • 1Medizinische Universitätsklinik, Nierenzentrum, Ruperto-Carola-Universität, Heidelberg
  • 2Institut für Biochemie und Endokrinologie, Justus-Liebig Universität Gießen
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Publication Date:
09 December 2008 (online)

Geschichte der Anwendung von Digitalis als Heilmittel

Seit Jahrhunderten war der Einsatz von Digitalis-ähnlichen Substanzen in der Volksmedizin bekannt. Die Meerzwiebel (Urginea maritima), welche das Digitaloid Scillaridin enthält, wurde von Syrern und Ägyptern und später von den Römern als Diuretikum und zur „Herzbehandlung” eingesetzt. Die Eingeborenen Afrikas kannten die toxische Wirkung des Hundsgiftgewächses Strophantus kombé, welches sie für die Herstellung von Giftpfeilen benutzten.

Offensichtlich nicht bekannt war im Altertum jedoch die Gift- und Heilwirkung des Fingerhuts (Digitalis purpurea). Vorwiegend in den Blättern enthält diese Pflanze neben Digitoxin noch die Substanzen Gitoxin, Gitaloxin und Glucogitaloxin. Ihre Verwendung, verbunden mit magischen Bräuchen, ist erstmals im 5. Jahrhundert in Irland gesichert, wo sie als „fairies‘ herb” zur „Heilung” verhexter Kinder eingesetzt wurde – oft mit tödlichem Ausgang. Der Fingerhut galt als Sinnbild für Schönheit und Zauberei, aber auch für List und Zauberei. Er wurde mit Feen in Verbindung gebracht, die der Sage nach die Blüten als Kopfbedeckung, nach anderen Überlieferungen auch als Handschuhe trugen; Feen sollten nach der Volksmeinung (wie Füchse) Hühner stehlen, könnten jedoch wegen der „Handschuhe” hierbei nicht erwischt werden. Auf diese Sage sei der englische Name „foxglove” zurückzuführen. Interessanterweise wurde auch in alten deutschen Texten mehrfach die Bezeichnung „Fuchskraut” benutzt.

Erstmals 1250 wurde die Pflanze durch walisische Ärzte unter den Arzneimittelpflanzen angeführt: Rhiwallon, der Leibarzt eines walisischen Prinzen, erwähnte den Einsatz von Digitalis purpurea in dem Arzneibuch „Meddygon Myddvai”, in welchem er die äußerliche Anwendung von Fingerhutblättern und den innerlichen Gebrauch gegen Kopfschmerzen beschrieb. Digitalis purpurea wurde ferner als Brechmittel, zur Förderung des Auswurfs bei Bronchitis und sogar gegen Schwindsucht eingesetzt. Eine weitere Art der Verwendung war der Gebrauch als „Wundpulver”.

Der Botaniker Leonhart Fuchs gab die erste wissenschaftliche Beschreibung von Digitalis purpurea. In seinem Kräuterbuch (1542) wurde erstmals der Name „Fingerhut” (Digitalis) verwandt, da die Blütenform an den von Schneidern beim Nähen benutzten Fingerhut erinnere: … „Nennen wir sie deshalb Digitalis, wobei wir auf den deutschen Namen Fingerhut anspielen – dies möge als Benennung benutzt werden bis uns, oder anderen, eine bessere einfällt”. Das Wort Digitalis geht auf „digitus” (lateinisch: Finger) zurück.

Sir William Withering (1741 – 1790), ein Schotte, schrieb im Jahr 1785 das epochemachende Buch „An Account of the Foxglove and some of its Medical Uses” [1] [2]. Sein Interesse soll 1775 geweckt worden sein, als er in Stafford eine schwer herzinsuffiziente Patientin sah, deren Zustand sich nach Monaten spektakulär verbessert hatte – was sie einem wirksamen Elixier, einem Kräutertee, zuschrieb, den sie von einer Kräuterfrau erhalten hatte. Von 1776 bis 1779 führte Withering daraufhin Untersuchungen an 163 seiner ödematösen Herzpatienten durch, um die Wirksamkeit von Digitalis-Aufgüssen bei Ödemen („Wassersucht”) infolge von Herzschwäche zu untersuchen. Er dokumentierte die diuretische Wirkung, aber auch Nausea und abführende Wirkung. Aufgrund seiner Beobachtungen schloss er z. B. unter anderem, dass sich das Pflanzengift des Fingerhuts im Körper anreichere, da die Wirkung des Medikaments bei längerer Verabreichung zunahm. Mit seinen Untersuchungen legte er die Grundlage zu einer medizinisch fundierten Digitalistherapie.

Trotz des epochemachenden Berichts von Withering setzte sich die Digitalistherapie nur langsam durch, wohl wegen der geringen therapeutischen Breite des Aufgusses, da die Konzentration des Wirkstoffs in der Pflanze außerordentlich variabel ist. Digitalis wurde außerdem völlig unkritisch eingesetzt, wie die in Neil’s Medicals Digest (1877) angeführten 32 Indikationen belegen. Nachdem Digitalis ursprünglich als „harntreibendes Mittel” eingesetzt worden war, zeigte Drebeyne (1786 – 1887), dass Digitalis nicht nur harntreibend wirkt, sondern auch die Herztätigkeit stärkt. Der Wirkstoff Digitoxin wurde dann 1868 durch Claude-Adolphe Nativelle (1812 – 1889) im Jahre 1867 isoliert [3]). Der pharmakologische Wirkungsnachweis und die Isolierung des Glykosids stellten die Therapie auf eine rationalere Basis. Die Digitalistherapie nahm in der Folge einen großen Aufschwung, wie die Feststellung von Naunyn (1839 – 1925) belegt: „Ohne Digitalis möchte ich kein Arzt sein”. Heute wird die ursprünglich auf Withering zurückgehende Digitalistherapie wesentlich kritischer gesehen. Daher schrieb Uretsky 1986 doppeldeutig: „Is inotropic therapy appropriate for patients with congestive heart failure? Or is the digitalis leaf withering?” [4].

Viele Beschreibungen im 19. Jahrhundert belegen die große Häufigkeit von Digitalis-Intoxikationen. Der interessanteste Fall betrifft den Maler Vincent Van Gogh (1853 – 1890) [5] [6] [7] [8] . Mehrere Autoren postulieren einen Zusammenhang zwischen Digitalisintoxikation und farblichen Besonderheiten seiner Bilder [5] [6] [7] [8] . Vincent van Gogh litt an Stimmungsschwankungen mit Depression und eventuell hatte er Epilepsie; bekannt ist seine Automutilation (Abschneiden des linken Ohrs) und sein Suizid. Er konsumierte große Mengen Absinth, der das Terpenoid Thujon enthält; die konsumierten Mengen dürften jedoch nicht ausreichen, die weiter unten geschilderten Farbpräferenzen erklären. Vincent van Gogh erhielt von seinem Arzt Dr. Gachet, Kunstliebhaber und selbst Maler, nachweislich langdauernd und hochdosiert Digitalis purpurea. Typisches Merkmal einer Digitalis-Intoxikation ist Xanthopsie (Gelb-blau-sehen) und Halos, wie sie sich in van Goghs Bildern finden. Digitalis könnte diese Symptome durch zentralnervöse Mechanismen auslösen, wobei – wie weiter unten kurz angeführt – interessanterweise neuere experimentelle Befunde für die Digitalis-analogen endogenen kardiotonen Steroide zentralnervöse Wirkungen eindeutig belegen. Vincent van Gogh schrieb „Wie wunderbar ist die Farbe gelb!” Es ist allerdings als alternative Erklärung nicht auszuschließen, dass einfach persönliche Präferenz die auffallende Xanthochromie seiner Bilder erklärt (als Beispiele seien genannt : Café nachts; Portrait Armand Roulin; gelber Stuhl mit Pfeife; Weizenfeld mit Krähen; Sonnenblumen; Sternennacht; als weiteres Beispiel zeigen wir das Porträt seines Arztes Dr. Gachet – der bezeichnenderweise eine Digitalis-Staude in der Hand hält – (Abb. [1]).

Abb. 1 Dr. Paul Gachet, gemalt von Vincent van Gogh, 1890.

Literatur

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Prof. em. Dr. E. Ritz

Medizinische Universitätsklinik, Nierenzentrum

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