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DOI: 10.1055/s-0028-1102956
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Empowerment in Prävention und Gesundheitsförderung – Eine konzeptkritische Bestandsaufnahme von Grundverständnissen, Dimensionen und Erhebungsproblemen
Empowerment in Prevention and Health Promotion – A Critical Conceptual Evaluation of Basic Understanding, Dimensions and Assessment ProblemsKorrespondenzadresse
T. KlicheDipl.-Pol. Dipl.-Psych
Universitätsklinikum Eppendorf (UKE)
Institut und Poliklinik für Medizinische Psychologie
Martinistr. 52 (S 35) 20246 Hamburg
eMail: t.kliche@uke.de
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
11. Dezember 2008 (online)
- Zusammenfassung
- Abstract
- Einführung: Empowerment – ein schillernder Begriff
- Methodik
- Ergebnis: Bedeutungsfacetten und Erhebungsansätze
- Diskussion und Fazit: Einigkeit dank Wolkigkeit?
- Literatur
Zusammenfassung
Das Konzept „Empowerment” wird trotz seiner Verbreitung oft als unbestimmt kritisiert. Daher wurde ein Konzeptueller Review über Empowerment in Prävention und Gesundheitsförderung durchgeführt. Einbezogen waren 62 deutsche und internationale Überblicksarbeiten, Reviews und Einzelstudien aus Prävention, Krankenversorgung, Rehabilitation, Versorgungsforschung sowie Pflege und Arbeitsbelastungen. Die Auswertung zeigte acht Hauptdimensionen von „Empowerment”: (1) Beteiligung an Entscheidungen, (2) Selbstwirksamkeitserwartung, (3) soziale Unterstützung und soziales Kapital, (4) Kompetenzen, (5) Inanspruchnahmeverhalten, (6) Fähigkeit zur Zielsetzung und -verfolgung, (7) Reflexionsvermögen und (8) Innovation. Deren Erhebung kann auf der Mikro-, Meso- und Makroebene erfolgen. Die Studien sind drei Grundverständnissen mit jeweils eigenen Fragestellungen und Operationalisierungen zuzuordnen: dem klinischen, dem organisational-professionellen und dem politischen. Diese Teilkonzepte sollten deshalb separat weiterentwickelt werden; empirische Arbeiten sollten möglichst alle acht Dimensionen erfassen.
#Abstract
Empowerment is an important concept in health care, but despite its prevalence it seems to be more of a buzz word. Thus, a conceptual review on empowerment in prevention and health promotion was carried out. 62 German and international theoretical contributions, reviews and studies were incorporated, covering the fields of prevention, care and therapy, rehabilitation, health-care research, nursing and work-related stress. The analysis revealed eight main dimensions of empowerment: (1) shared decision-making, (2) self-efficacy, (3) social support and social capital, (4) skills and competences, (5) health care utilisation, (6) goal setting and attainment, (7) reflexive thought and (8) innovation. Their empirical assessment can be carried out on a micro-, meso-, or macro-level. Three distinct basic conceptual notions emerged from the analysis, each applying its own specific research questions and measurement instruments: clinical, organizational-professional and political understanding of “empowerment”. Therefore, these three specific conceptual notions should each be developed and tested separately, in particular in reviews, and empirical studies should embrace all eight subdimensions.
Schlüsselwörter
Empowerment - Prävention - Gesundheitsförderung - Review - Theorie - Messinstrumente
Einführung: Empowerment – ein schillernder Begriff
„Empowerment” hat in Prävention und Gesundheitsförderung seit der Ottawa-Charta der WHO von 1986 große Bedeutung. Gleichwohl war das Konzept immer von Skepsis begleitet, es sei unklar [1] [2], ein traditionsreiches „buzz word” [3]. Ein erheblicher Anteil der Wirkungsbelege [4] [5] entstand in sehr armen Regionen oder Ländern, in brüchigen oder autokratischen politisch-administrativen Systemen oder bei soziokulturellen Minoritäten, wird aber ohne Prüfung der interkulturellen Übertragbarkeit verallgemeinert. Empowerment zieht auch theoretische Einwände auf sich: Wer Menschen zur Selbstgestaltung befähigen will, nimmt an, sie bräuchten Expert/-innen und Interventionen, um ihr Leben angemessen zu bewältigen [6] [7], sie lebten also in unbewusster Knechtschaft und litten unter eingeschränktem Bewusstsein. Das Konzept erfreue sich so großer Beliebtheit, weil es – als stets unabgeschlossene Aufgabe – ganze Berufszweige auf Dauer stelle und dabei gleichermaßen gezielte Veränderung und soziale Versöhnung verheiße – eine lächelnde Sozialtechnologie [8].
Erst ein klares, empirisch gehaltvolles Konzept kann zuverlässig seine praktische Nützlichkeit entfalten. Daher ist zu klären, welche Dimensionen und Erhebungsmöglichkeiten „Empowerment” in Prävention und Gesundheitsförderung aufweist, und welche Folgerungen sich daraus ergeben.
#Methodik
Zur Klärung der theoretischen Bedeutungsdimensionen und empirischen Operationalisierungsebenen von „Empowerment” wurde ein Konzeptueller Review durchgeführt. Diese Methode verschafft eine Übersicht über heterogene Veröffentlichungsgebiete; sie eignet sich besonders dafür, unterschiedliche Perspektiven transparent zu machen und zu systematisieren [9]. Das Vorgehen entspricht einem systematischen Review, die Literaturauswahl ist jedoch auf exemplarische Beiträge konzentriert, die Auswertung folgt Regeln der qualitativen Sozialforschung [10]. Die Suche erfolgt stichwortgeleitet über Fachdatenbanken, Schneeball-Tracking und Expertenbefragung. Die Texte müssen Einschluss- und Ausschlusskriterien genügen. Sie sollen jedoch nicht den empirischen Forschungsstand (z. B. die Wirksamkeit einer Behandlung) abbilden, sondern die Begrifflichkeiten und Theorien darüber. Dafür werden vorab die relevanten Wissensarten oder -felder definiert und aus jedem Bereich mehrere Quellen einbezogen, möglichst aktuelle Reviews und Überblicksarbeiten, ergänzend hochwertige Einzelstudien oder Methodenbeiträge. Die Auswertung erfolgt nach der Entdeckenden Heuristik, einer Methode zum Auffinden von Gemeinsamkeiten [11], z. B. in der Strukturierung des Gegenstands, in Annahmen, Determinanten, Methoden oder Ergebnissen. Erbringt die Auswertung weiterer Veröffentlichungen mehrmals keine neuen Aspekte mehr, kann die Liste einbezogener Schriften abgeschlossen werden [11] [12].
Zu Empowerment in der Krankenversorgung liegt ein Konzeptueller Review über 55 englischsprachige Studien vor [13]. Er findet keine hinreichenden Grundlagen für eine allgemeine Theorie, jedoch einige Gemeinsamkeiten in der Verwendung des Konzepts: Empowerment der Patient/-innen beruht auf Transaktionsprozessen in einer therapeutischen oder pflegerischen Beziehung, die den Erwerb oder die Kräftigung allgemeiner psychosozialer Fertigkeiten unterstützen. Methodisch werden dafür überwiegend patientenzentrierte, erlebnisaktivierende Trainings- und Reflexionsverfahren eingesetzt. Teilkonstrukte und Messverfahren sind heterogen und nicht auf Empowerment bezogen oder beschränkt.
Dieses Bild soll nun mit einem Konzeptuellen Review für Prävention und Gesundheitsförderung erweitert und ggf. berichtigt oder präzisiert werden. Dafür wurden Abstracts in gängigen Datenbanken und Forschungsnetzen recherchiert (Medline, Psyndex, Psyclit, PubMed, Scirus, ISI). Suchbegriffe waren „empowerment” und „health promotion” in Kombination mit „concept” oder „theory” (644 Funde) oder mit Synonyma für Operationalisierungen und Erhebungsinstrumente (264 Funde). Deutsch- und englischsprachige Publikationen mit Abstract wurden gesichtet. Einschlusskriterien waren konzeptuelle oder theoretische Überlegungen oder Wirkungsanalysen oder gütegeprüfte Messinstrumente zu Empowerment oder seinen Teilbedeutungen. Einbezogen waren damit 62 deutsche und englischsprachige Arbeiten: Reviews, narrative und theoretisch-konzeptuelle Überblicksarbeiten und Konzeptklärungen sowie grundlegende Einzelstudien zur Entwicklung oder Konstruktvalidierung von Messinstrumenten. Sie streuen über fünf Arbeitsfelder, die alle mit Gesundheitsförderung und Empowerment befasst sind ([Tab. 1]):
Feld |
Überblicksarbeit/Konzeptklärung |
Review |
Einzelstudie |
Prävention und Gesundheitsförderung | |||
Krankenversorgung | |||
Rehabilitation | |||
Versorgungsforschung |
[57] | ||
Pflege und Arbeitsbelastung |
-
Prävention und Gesundheitsförderung, insbesondere Motivation, Auswirkungen und Erfolgsfaktoren von Präventions- und Gesundheitsförderungs-Projekten.
-
Prävention und Gesundheitsförderung in der Krankenversorgung, z. B. im Rahmen psychotherapeutischer Behandlung, in der Nachsorge für Operationen, in Chroniker-Programmen.
-
Sekundär- und Tertiärprävention in der Rehabilitation, z. B. Patientenschulungen.
-
Versorgungsforschung über Prävention und Gesundheitsförderung: Zusammenhänge von Empowerment insbesondere mit Inanspruchnahme, Compliance und sozial bedingter gesundheitlicher Ungleichheit.
-
Pflege und Arbeitsbelastungen: Die Suchbegriffe ergaben neben „Empowerment” als Befähigung beruflichen Handelns und erweiterter Belastungsfähigkeit in der Pflege auch einige Einträge für Empowerment im Arbeitsleben allgemein.
Durch die Streuung der ausgewerteten Texte über diese Arbeitsfelder und Beitragsarten sind die unterschiedlichen Konzepte von Empowerment systematisch repräsentiert. Aus den Texten extrahiert wurden zentrale Begriffsdimensionen, Beispiele ihrer Operationalisierung sowie begrifflich-konzeptuelle Grundlagen von „Empowerment”.
#Ergebnis: Bedeutungsfacetten und Erhebungsansätze
#Acht Teildimensionen
„Empowerment” wurde in acht verschiedenen Bedeutungen verwendet. Diese lassen sich als gesonderte Dimensionen des Konstrukts betrachten, definieren und empirisch bestimmen:
-
Beteiligung an Entscheidungen: Hierunter fielen verschiedene Formen von therapeutischer, organisationaler, gesellschaftlicher oder politischer Teilhabe an Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen: Die Mitgliedschaft in Organisationen oder Gremien, die Eingebundenheit von Personen in soziale Netze und Aktivitäten ihrer Gemeinde oder ihres Wohnviertels sowie Formen von Beteiligung an der Behandlungsgestaltung in der medizinischen Versorgung (shared decision making).
-
Selbstwirksamkeitserwartung: Diese Dimension umfasste individuelle, kollektive und politische Wahrnehmung eigenen Einflusses und ein allgemeines oder bereichsspezifisches Kohärenzerleben (nach Antonovsky).
-
Soziale Unterstützung und soziales Kapital: Hierunter fielen verschiedene Formen erlebter Hilfe und Ermutigung durch das Nahfeld, Identifikation mit einer Gruppe oder Organisation, Bindungsdichte und -stärke, Vertrauen in Bezugsgruppen oder Gemeinde, erlebte Gegenseitigkeit oder Solidarität in Netzwerken.
-
Kompetenzen: Die Veröffentlichungen benannten und erhoben eine Fülle von personalen Befähigungen und Fertigkeiten. Dazu gehörten kulturelle Techniken (Informationsweitergabe und -beschaffung), soziale Fertigkeiten (Bündnisse bilden, Zielgruppen überzeugen), Wissen und Fähigkeiten zur gesundheitsgerechten Alltagsgestaltung sowie Selbstbildung oder selbstgesteuertes Lernen.
-
Inanspruchnahmeverhalten: Diese Dimension beschreibt, ob Personen in der Lage sind, sich im Gesundheitswesen zurecht zu finden und die bestmögliche Versorgung für ihre Bedürfnisse zu finden und zu nutzen. Das hängt nicht allein von Kenntnissen und Fertigkeiten ab, sondern auch von komplexen Kognitionen (Gesundheitsbewusstsein, subjektive Gesundheitstheorien), Emotionen und Motivationen (Furcht vor Institutionen, vor Krankheiten, Verantwortungsgefühl für Familie und eigenes Leben).
-
Zielsetzung und -verfolgung: Hierunter fassten die Studien die Motivation und Fähigkeit, selbst Ziele zu bestimmen, Präferenzen zu bilden, Ziele stabil zu halten und in Handlungspläne und schließlich Verhalten umzusetzen. Überwiegend bezog sich dies auf Individualverhalten, vereinzelt auf Gruppen (z. B. Haushaltsführung in einer Familie).
-
Reflexionsvermögen: Diese Dimension bezeichnet die Leistung, über das eigene Leben und Verhalten sowie seine Determinanten nachzudenken und durch Begriffe oder Reframing kognitiven Abstand zu ihnen zu gewinnen. Einige Studien bezogen diesen Abstand auf die Gesellschaftsordnung: kritisches Denkvermögen, ein Bewusstsein gesellschaftlicher Verhältnisse, kritisches Bewusstsein und Distanz zur Gesellschaft.
-
Innovation: Viele Studien beschrieben Empowerment als Veränderungsmotivation unter Unklarheit (Risikobereitschaft) oder als Offenheit für das Experimentieren mit dem eigenen Verhalten und Umfeld.
Ein komplexes Konstrukt wie Empowerment kann distinkte Dimensionen umfassen, wie etwa Gesundheitsbezogene Lebensqualität die somatische, psychische, konative, sozioökonomische u. a. Dimensionen mit entsprechenden Subskalen einbezieht [14]. Um ein Konstrukt beizubehalten, sind jedoch empirische und ätiologische Belege des Zusammenhangs aller Teildimensionen zu fordern; diese stehen für Empowerment aus, die Studien verwenden die angeführten Dimensionen zudem eklektisch.
#Mikro-, Meso- und Makroebene
Die Teildimensionen wurden auf unterschiedlichen Ebenen gemessen: Empowerment als Prozess und Ergebnis kann sich auf Individuen, Gruppen (z. B. sozial Benachteiligte), Teilgruppen einer Population (nach Alter oder Gender), Gemeinden oder Wohnviertel, Organisationen und schließlich Großgruppen (etwa Minoritäten) oder ganze Gesellschaften beziehen.
Zur Messung dienten überwiegend Individualinstrumente (Fragebögen für Einzelpersonen), deren Befunde in Mittelwerten zusammengefasst wurden. Bei größeren Gruppen oder Feldern mit unklaren Grenzen (z. B. Wohnvierteln) kamen auch Expertenbefragungen zum Einsatz, sowohl mit quantitativ-formalisierten Instrumenten als auch mit qualitativ ermittelten Einschätzungen. Daneben wurden Proxy-Indikatoren herangezogen, aus deren allgemeiner Entwicklung Rückschlüsse über gesundheitsbezogenes Empowerment möglich sei (z. B. Wahlbeteiligung).
Auf allen drei Ebenen wurde diskutiert, ob Empowerment als Prozess oder – wenigstens zeitweise stabile – Kompetenz, als strategischer Zwischenschritt, als konfundierende Variable oder als Interventionsziel zu betrachten sei [3]; diese Mehrdeutigkeit könne durch klare Forschungspläne und multivariate Auswertungen behoben werden.
#Drei Begriffsverständnisse
Die Sichtung von Operationalisierungen für Empowerment zeigte drei unterschiedliche Grundauffassungen des Konzepts: Eine klinisch orientierte, eine auf organisationale und professionelle Handlungsbedingungen gerichtete und eine politische. Sie bestimmten neben Inhalt und Erhebungsebene der verwendeten Indikatoren auch das Verständnis von Selbstwirksamkeit sowie die untersuchten Hürden und Förderfaktoren ([Tab. 2]).
Klinische Sichtweise |
Organisational-professionelle Sichtweise |
Politische Sichtweise | |
Indikatoren |
krankheitsbezogen: gesundheitsbezogene Lebensqualität, spezifische Belastungsindikatoren (Beschwerden, BMI), Bewältigungsstile (Coping) |
Vertrauen, Gruppenkohärenz, professionelle Fachkompetenzen |
Capacity (Proxy- oder Einschätzungsvariablen kollektiver Handlungsfähigkeit), Verfügbarkeit politischer Interessenvertretung, politische Partizipation |
Selbstwirksamkeit |
individuell: subjektive Selbstmanagement-Kompetenzen, gesundheitsbezogene Kontrollüberzeugungen |
individuell: subjektive Leistungsfähigkeit, Fachkompetenzen, Aufgabenerfüllung |
individuell: Wahrgenommene Machtgefälle; kollektiv: erwartete Wirksamkeit gemeinsamen Handelns |
Förderfaktoren |
Zeit (für Gespräche und Interventionen), gezieltes Training, tragfähige therapeutische Beziehung |
Unterstützung durch Führung, partizipativer Führungsstil, mitarbeiterorientiertes, unterstützendes Klima, Informationszugang/Transparenz |
Meinungsführer der Partizipation, Medienunterstützung, finanzielle Ressourcen |
Hürden/Einschränkungen |
Wissensmängel, geringe Compliance |
Hierarchie, Effizienzmängel, Zynismus/innere Kündigung |
Anomie, politischer und soziokultureller Ausschluss |
Beispiele |
Alle drei Auffassungen lassen sich sinnvoll auf Angebote und Aktivitäten der Prävention und Gesundheitsförderung anwenden. Sie führen jedoch zu unterschiedlichen Betrachtungsebenen, Schwerpunktsetzungen in den erhobenen Teildimensionen, Operationalisierungen und Datenerhebungsverfahren. Das verdeutlichen drei idealtypische Beispiele:
(1) Klinische Sicht: Die Empowerment-Skala für Diabetes-Patientinnen und -Patienten[15] umfasst:
-
Selbstmanagement der psychosozialen Belastungen und Beziehungen: Fähigkeiten zur Sicherung sozialer Unterstützung, Stressmanagement, Selbstmotivation und Entscheidungsfindung.
-
Veränderungsmotivation: Fähigkeiten zur Benennung von Belastungsquellen in der Behandlung und zur Umstellung der krankheitsbezogenen Lebensgestaltung.
-
Zielsetzung und -erreichung: Fähigkeiten zur Bestimmung realistischer Ziele und zu ihrer Verfolgung und Erreichung auch bei Widerständen und Hürden.
(2) Organisational-professionelle Sicht: Die Skala Empowerment-förderlicher Sprechhandlungen [16] beschreibt Fertigkeiten partizipativer Gesprächsführung, mit denen Behandlungs- und Pflegepersonal Ressourcen und Selbstwirksamkeit von Patientinnen und Patienten verbessern und damit eigene Fachkompetenzen ausschöpfen können. Zu solchen Fertigkeiten gehören u. a. der Aufbau gemeinsamer Erfolgserwartungen an ein Gespräch, das Herstellen einer vertrauensvollen und veränderungsorientierten Atmosphäre, individuell zugeschnittene Information und Beratung, Reflexionsermutigung und -hilfen, Selbsteröffnung sowie Anerkennung und Ermutigung der Fähigkeiten und Stärken der Patientinnen und Patienten. – Auch wenn bei dieser Operationalisierung das Empowerment von Klienten ein Ziel sein mag, liegt der Fokus auf den Kompetenzen bestimmter Rolleninhaber, die gezielt zur Prävention und Gesundheitsförderung Dritter befähigt werden sollen. Damit treten die Determinanten der Rollen (Profession, Organisation) in den Blick.
(3) Politische Sicht: Ein Projekt zur Erhebung von Empower-ment bei Nutzerinnen und Nutzern gesundheitlicher Versorgungsangebote [17] nennt als Indikatoren u. a.: subjektive und objektive Beteiligung an politischen Entscheidungen, Zugang zu Informationen und Hilfsquellen, individuelle Belastbarkeit in Konflikten und Durchsetzungsvermögen, kritisches Reflexionsvermögen, insbesondere hinsichtlich der eigenen Identität und Kompetenzen, politischer Kontrolloptimismus, Gruppenkohäsion, soziale Unterstützung, Veränderungen im eigenen Leben, in der Fremdwahrnehmung durch andere und in der Gemeinde, sowie öffentliche Artikulation eigener Anliegen und Interessen.
#Diskussion und Fazit: Einigkeit dank Wolkigkeit?
Die hier dargestellte Bestandsaufnahme weist Grenzen im Hinblick auf Eingrenzung, Reichweite und narrative Auswertung der einbezogenen Literatur auf: Der Suchbegriff „health promotion” erbrachte Literatur über unterschiedliche Versorgungszweige, doch erfolgte für kein Teilfeld eine vollständige Recherche, und die qualitative Verdichtung war zu ungenau für eine Synopse aller verwendeten Operationalisierungen und ungeeignet zur Abschätzung von Effekten.
Dennoch zeigten die berichteten Ergebnisse – in Übereinstimmung mit aktuellen internationalen Überblicksarbeiten [5] [13] [18] – eine extreme Heterogenität der unter dem Konzept des Empowerment betriebenen Forschungen und Anwendungen. Der Begriff hat im Bereich der Prävention und Gesundheitsförderung (wenigstens) acht unterschiedliche Teildimensionen, die auf drei Ebenen – Mikro-, Meso- und Makrosystem – erhoben werden können. Das Konzept ist in drei divergierende Grundverständnisse eingebunden, Messungen streuen über eine Fülle unterschiedlicher Operationalisierungen. Dieses Gesamtbild hätte bei umfassenderer Recherche und genauerer Auswertung Bestand; allenfalls wäre mit noch mehr Teildimensionen und Instrumenten zu rechnen.
Wirkungsbelege müssen unter diesen Bedingungen mit großer Vorsicht gelesen werden. Einige Reviews fassen alle Studien über „Empowerment” zusammen, gleich, auf welcher Ebene, mit welchem Verständnis und welchen Erhebungsinstrumenten sie arbeiteten [5]. Reviews über die Effekte von Interventionen sollten die untersuchten Interventionen und Konstrukte jedoch eingrenzen [19], sonst bleiben deren Übertragbarkeit bzw. Geltungsbereich ungesichert. Bei Empowerment treten weitere zwingende Gründe für eine Präzisierung hinzu: Erstens kann Empowerment zugleich Behandlungsergebnis (Outcome) und -voraussetzung (Throughput oder Confounder) oder Zwischenstufe (Korrelat oder Output) einer Intervention sein [3]. Zweitens sind Befunde nicht unbesehen zwischen Mikro- und Makroebene übertragbar. So greift individuelle gesellschaftlich-politische Teilhabe nur unter bestimmten Moderatorbedingungen, darunter hohe Kontrollüberzeugung und körperlich aktiver Lebensstil, auf (subjektive) Gesundheit zu [20]. Drittens bilden die Messinstrumente teils indikationsspezifische, teils übergreifende Einstellungen, Motivationen, Kompetenzen und Verhalten ab.
Wie ist mit dem Konzept nun umzugehen? Zur Einordnung und besseren Nutzung der Belege wären Präzisierungen in der Forschung wünschenswert:
-
Der theoretische Rahmen sollte benannt werden, um Befunde sicher vergleichen zu können [21]. Die hier beschriebenen Grundverständnisse, Teildimensionen und Erhebungsebenen bieten dafür eine Taxonomie.
-
Klinisches, organisational-professionelles und politisches Grundverständnis von Empowerment sollten je für sich weiterentwickelt werden. Dafür sprechen einerseits ihre verschiedenen Blickwinkel und Begriffsverständnisse und – damit verbunden – ihre teilweise unterschiedlichen Gegenstandsbereiche, andererseits forschungspragmatische Gründe: Alle drei Blickwinkel sind kaum in einer Studie zu erfassen, da die Länge der Fragebögen oder Interviewleitfäden bildungsferne, also gesundheitlich besonders belastete Gruppen abschrecken würde und das Risiko hoher Selbstselektion in den Stichproben mit sich brächte. Qualitative Designs könnten zwar das jeweilige Grundverständnis erfassen und dabei Verständigungshürden mindern, brächten aber Probleme externer Validität und Vergleichbarkeit mit sich, sind ebenfalls für Selbstselektion anfällig (aufgrund sprachlicher Kompetenzen der Befragten oder ihrer Vertrautheit mit einem präventiven Projekt) und für breite Datenerhebung zu aufwendig.
-
Möglichst viele der acht Teildimensionen sollten erhoben werden, um Zusammenhänge und Entwicklungen hinter punktuellen Einstellungs- und Verhaltensaspekten zu verstehen [13] [22].
Für die Versorgungspraxis ist ermutigend, dass Empowerment in acht verschiedenen Teildimensionen vorangebracht werden kann, sodass der jeweilige Ansatzpunkt nach den Bedingungen vor Ort gewählt und auch gewechselt werden kann, und dass schon einfache Techniken der Gesprächsführung dafür hilfreich und wirksam sind.
#Literatur
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Korrespondenzadresse
T. KlicheDipl.-Pol. Dipl.-Psych
Universitätsklinikum Eppendorf (UKE)
Institut und Poliklinik für Medizinische Psychologie
Martinistr. 52 (S 35) 20246 Hamburg
eMail: t.kliche@uke.de
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