Dtsch Med Wochenschr 2008; 133(33): 1699
DOI: 10.1055/s-0028-1082791
Korrespondenz | Correspondence
Leserbriefe
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Passive Sterbehilfe in der Praxis – Erwiderung

B. Grabensee, T. Möller, H. Frister
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Publication Date:
06 August 2008 (online)

Vielen Dank für den wichtigen Kommentar zum Artikel „Passive Sterbehilfe in der Praxis – Die ärztliche Entscheidung im Spiegel der Rechtslage” [3], dem wir weitgehend zustimmen.

Die Ergebnisse unserer Umfrage mit u. a. nur 21,1 % Zustimmung zum Therapieabbruch medizinisch nicht indizierter Interventionen und 71,7 % Entscheidung gegen den Willen des Patienten lebensverlängernd zu therapieren, wenn eine medizinische Notwendigkeit gesehen wird, zeigen den Sinn unserer Untersuchung auf. Die Unsicherheit vieler Ärzte wird dadurch unterstrichen, dass nur 25 % antworteten, die wahrscheinlich eine positive Selektion darstellen.

Die Gruppe der Berufserfahrenen entschied sich häufiger für einen Therapieabbruch, was damit zusammenhängen kann, dass mit der ärztlichen Erfahrung auch Entscheidungen zur Behandlungsbegrenzung, in die ethisch-moralische und ethisch-juristische Überlegungen einfließen, leichter getroffen werden können. Wir haben früher darauf hingewiesen, wie schwer es speziell in der Intensivmedizin ist, den Zustand eines Kranken, der den Abbruch der Therapie rechtfertigt, zu definieren [2].

Therapiereduktion und Therapieabbruch bleiben stets eine auf den Einzelfall bezogene Entscheidung mit großem Gewicht der subjektiven Moralität des Arztes [2] [5] . Der große Widerspruch zwischen ärztlicher Indikation und mutmaßlichem Wille des Patienten bestand bei Berufserfahrenen und Berufsunerfahrenen gleichermaßen. Die oft nicht bekannte bzw. nicht umgesetzte Berücksichtigung des Patientenwillens wird von uns ebenso wie die medizinische Indikation als Entscheidungshilfe vordergründig diskutiert und entsprechend unserer Fragestellung im Spiegel der aktuellen Rechtslage beleuchtet. Die Unsicherheit bei der Einbeziehung des Patientenwillens in die ärztliche Entscheidung, vor allem in Europa mit häufig paternalistischer Patienten-Arztbeziehung, zeigt auch eine aktuelle prospektive Studie bei 31 417 Patienten in europäischen Intensivstationen, in der dieses Kriterium überhaupt nicht analysiert wird [7].

Die beiden weiteren im Leserbrief aufgeführten Kriterien, nämlich die voraussichtliche Lebensqualität und das soziale (und religiöse) Umfeld, die bei schwierigen und kontroversen Entscheidungen herangezogen werden müssen, wurden bei unserer Befragung überwiegend als sehr wichtig und wichtig erachtet [3].

Die Forderung nach verbesserter ärztlicher Ausbildung im Bereich der Ethik ist unstrittig und wird durch unsere Ergebnisse unterstrichen.

Auch die Schwierigkeiten bei der klaren Trennung von passiver und aktiver Euthanasie, wie kürzlich erneut dargestellt [4], mag die Ergebnisse unserer Umfrage beeinflusst haben. Ob durch Einführung des Begriffes Behandlungsbegrenzung anstelle passiver Euthanasie, wie in den letzten Jahren vorgeschlagen [6], ärztliche Entscheidungen am Lebensende erleichtert werden, bleibt abzuwarten.

Die Bedeutung eines klinischen Ethikkommitees bzw. Ethikrates schätzen wir aus eigener Erfahrung ebenso wie andere Autoren [8] [9] höher ein. In einer Umfrage aus dem Jahre 2002 wurde auf die Frage nach den wichtigsten ethischen Problembereichen, bei welchen ein Ethikkommitee zu Rate gezogen wurde, die Behandlungsbegrenzung bzw. der Behandlungsabbruch am weitaus häufigsten genannt [9].

Aus eigener Erfahrung dient ein Konsil des Ethikrates nicht nur als Instrument zur Entscheidung in strittigen Fällen, sondern es schafft gerade in der oft schwierigen Interaktion zwischen Patienten oder Angehörigen als Stellvertreter und Ärzten [1] ein hohes Maß an Vertrauen und erleichtert damit nicht nur die Umsetzung des Patientenwillen, sondern insgesamt ethisch sinnvolle Entscheidungen [1] [9].

Nicht zuletzt tragen klinische Ethikkommitees zweifelsfrei zur Ausbildung der Ärzte in ethischen Fragen bei [8] [9].

Zusammenfassend sehen wir den konstruktiven Kommentar von Prof. Dr. med. Engelhardt als eine aktuelle, sinnvolle Diskussionsergänzung zur medizinischen Ethik über unsere auf die Rechtslage zur ärztlichen Entscheidung bei der passiven Sterbehilfe begrenzten Ausführungen hinaus.

Literatur

  • 1 Engelhardt K. Die Berücksichtigung der Familie. In: Kranke Medizin. Das Abhandenkommen des Patienten. Münster; Agenda 1999: 214-218
  • 2 Grabensee B. Möglichkeiten und Grenzen moderner Intensivmedizin.  Intensivmed. 1995;  32 43-50
  • 3 Möller T, Grabensee B, Frister H. Passive Sterbehilfe in der Praxis – die ärztliche Entscheidung im Spiegel der Rechtslage.  Dtsch Med Wochenschr. 2008;  133 1059-1063
  • 4 Von Oorschot B, Lipp V, Tieke A. et al . Einstellung zur Sterbehilfe und zur Patientenverfügung.  Dtsch Med Wochenschr. 2005;  130 261-265
  • 5 Rössler D. Moral und Ethik in der Intensivmedizin.  Intensivmed. 1991;  28 141-147
  • 6 Schreiber H L. Palliative und kurative Therapie am Lebensende.  Med Klin. 2005;  100 429-433
  • 7 Sprung C L. et al, for the Ethicus Study Group . End-of-Life Practices in European Intensive Care Units – The Ethicus Study.  JAMA. 2003;  290 790-797
  • 8 Stellungnahme der zentralen Kommission zur Wahrung ethischer Grundsätze in der Medizin und ihren Grenzgebieten (Zentrale Ethikkommission) bei der Bundesärztekammer zur Ethikberatung in der Klinischen Medizin.  Deutsches Ärzteblatt. 2006;  103 B1455-B1459
  • 9 Vollmann J, Burchardi N, Weidtmann A. Klinische Ethikkomitees an deutschen Universitätskliniken.  Dtsch Med Wochenschr. 2004;  129 1237-1242

Prof. em. Dr. med. B. Grabensee,
T. Möller
Prof. Dr. jur. H. Frister

Universitätsklinikum Düsseldorf, Klinik für Nephrologie

Moorenstaße 5

40225 Düsseldorf

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