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DOI: 10.1055/a-2438-0670
Datennutzung für eine bessere Gesundheitsversorgung–Plädoyer für eine kooperative Forschungsdatenplattform der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung und dem Netzwerk Universitätsmedizin (NUM)
Access to and use of Data for better Healthcare: A Plea for a cooperative data and Research Infrastructure of Statutory and Private Health Insurers and the Network University Medicine (NUM)- Zusammenfassung
- Abstract
- Kontext
- Ausgangssituation
- Verknüpfung mit Routinedaten der Krankenversicherungen: Potenziale und Herausforderungen
- Konzept der kooperativen Forschungsdatenplattform
- Vorgesehene Maßnahmen und nächste Schritte
- *Mitglieder der Arbeitsgruppe
- Literatur
Zusammenfassung
Das BMBF fördert mit dem Netzwerk Universitätsmedizin (NUM) und der Medizininformatik-Initiative (MII) zwei richtungsweisende strukturbildende Forschungsmaßnahmen, die nun zusammengeführt werden. Die Datenintegrationszentren (DIZ) der MII sollen im NUM verstetigt werden. Ziel ist der Aufbau einer einheitlichen Dateninfrastruktur, innerhalb der die vorhandenen Daten aus der klinischen Routineversorgung der 36 deutschen Universitätskliniken des NUM, aus klinischen Kohorten und klinisch-epidemiologischen Studien auf Antrag und über abgestimmte Prozesse für unterschiedliche Forschungsfragen genutzt werden können. Rechtsgrundlage bildet hierfür der mit Ethikkommissionen und Datenschutzbehörden abgestimmte und in allen NUM-Standorten implementierte „Broad Consent“ der Universitätsmedizin mit einem so genannten „Kassenmodul“, das die Erhebung und Verlinkung von medizinischen Routinedaten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und der privaten Krankenversicherungen (PKV) als eine Kategorie versorgungsnaher Daten (VeDa) erlaubt. Die Verknüpfung dieser Routinedaten mit Daten aus Klinikinformationssystemen bietet ein besonders hohes Potenzial, da keine Datenquelle allein ein vollständiges Bild der medizinischen Versorgung zeichnet und sich die beiden Datenquellen ideal komplementär ergänzen. Ziel ist es nun, in einer strategischen Partnerschaft mit gesetzlichen Krankenkassen und privaten Krankenversicherungen diese Routinedaten in die sichere, transparente und partizipative Forschungsinfrastruktur des NUM zu integrieren. Dies fördert den Forschungsstandort Deutschland und trägt entscheidend dazu bei, die Qualität und Sicherheit der Gesundheitsversorgung in Deutschland evidenzbasiert zu verbessern.
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Abstract
With the Network of University Medicine (NUM) and the Medical Informatics Initiative (MII), the BMBF is funding two pioneering, structure-building research measures that are now being merged. The data integration centers (DIZ) of the MII are to be consolidated in the NUM. The aim is to establish a standardized research infrastructure within which the existing data from the clinical routine care of the 36 German university hospitals, from clinical cohorts and clinical-epidemiological studies can be used for various research questions upon request and via coordinated processes. The legal basis for this was the MII's "Informed Broad Consent", which had been agreed upon with ethics committees and data protection authorities and implemented in all NUM locations, with a so-called "health insurance module" that allows the collection and linking of routine medical data from statutory health insurance funds (GKV) and private health insurers (PKV) as a category of care-related data (VeDa). Linking this routine data with data from hospital information systems offers particularly high potential, as no single data source provides a complete picture of medical care and the two data sources complement each other optimally. The aim now is to integrate this routine data into the NUM's secure, transparent and participatory research infrastructure in a strategic partnership with statutory health insurance funds and private health insurance companies. This promotes Germany in its role as a research location and makes a decisive contribution to improving the quality and safety of healthcare in Germany in an evidence-based manner.
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Schlüsselwörter
Versorgungsnahe Daten - Linkage - Einwilligung - Universitätsmedizin - Versorgungsforschung - InfrastrukturKeywords
routine healthcare data - linkage - consent - university medicine - infra structure - health services researchKontext
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert mit der Medizininformatik-Initiative (MII) [1] [2] [3] und dem Netzwerk Universitätsmedizin (NUM) [4] [5] zwei richtungsweisende strukturbildende Maßnahmen, die die sichere, wissenschaftlich hochwertige Nutzung von Klinik- und Studiendaten ermöglichen. Beide Initiativen werden nun zusammengeführt und die Datenintegrationszentren (DIZ) der MII als harmonisierte Core Facilities für die Datenaufbereitung im NUM verstetigt [6]. Mit den DIZ sowie ihrer verbindenden Strukturen wurde die Basis dafür gelegt, die Daten aus der klinischen Routinedokumentation in den Klinikinformationssystemen für die multizentrische Forschung innerhalb der NUM-Forschungsinfrastruktur technisch verfügbar und nachnutzbar zu machen [7].
Grundlage für die regulatorisch und rechtlich sichere Nutzung der in DIZen verfügbaren Daten ist der über die MII entwickelte bundesweit mit allen Datenschutzaufsichtsbehörden und Ethikkommissionen abgestimmte „Broad Consent“ der Universitätsmedizin. Das standortübergreifend einheitliche Einwilligungsformular sieht neben der grundsätzlichen Einwilligungsmöglichkeit in die Nachnutzung von Daten aus der klinischen Routinedokumentation mehrere zusätzliche Module vor, in die getrennt eingewilligt werden kann [8]. Im so genannten Kassenmodul können die Patient:innen auch der Nutzung ihrer bei den Krankenversicherungen gespeicherten Daten zustimmen. Diese Daten als Vertreter versorgungsnaher Daten (VeDa) sind geeignet, das Versorgungsgeschehen und Inanspruchnahmeverhalten komplementär zu medizinischen Klinik- und Studiendaten abzubilden.
Für das patientenbezogene Linkage dieser sektorübergreifenden Daten mit den detailreichen klinischen Daten der NUM und deren gemeinsame Nutzung für die Forschung ist die derzeitige NUM/MII-Infrastruktur datenspezifisch anzupassen. Ausgangspunkt ist die Kooperationsbereitschaft der gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen, die Versichertendaten an eine zentrale Datenannahmestelle des NUM zu übermitteln. Nach Aufbereitung und Harmonisierung dieser Daten können diese verlinkt mit den klinischen NUM/MII-Daten für die Forschung genutzt werden.
Dieser Beitrag beschreibt die Ausgangsposition und die Herausforderungen für das Gesundheitssystem, diese Daten für die Forschung langfristig bereitzustellen. Die hierfür notwendigen Prozesse und die Erweiterung der NUM Forschungsinfrastruktur sind von den beteiligten Partnern, des NUM, den Krankenversicherungen und den Forschenden gemeinsam zu erarbeiten und zu verstetigen.
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Ausgangssituation
Das Gesundheitssystem steht vor großen Herausforderungen: Strukturelle und infrastrukturelle Probleme, Fachkräftemangel, unzureichende Steuerung und Koordination zwischen Sektoren, Fachgebieten und Berufsgruppen mit konsekutiven Kostensteigerungen, gleichzeitig weiter steigende Versorgungsbedarfe aufgrund des demographischen Wandels sowie ausgeprägte regionale Unterschiede und ein Nebeneinander von Über- und Unterversorgung. So diagnostizierte der Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege kürzlich dem deutschen Gesundheitssystem ein Defizit an Krisenfestigkeit (Resilienz) [9]. Im Bereich der empirischen Gesundheitsforschung ist Deutschland, wie nicht zuletzt die Corona-Pandemie zeigte, derzeit im internationalen Vergleich nicht konkurrenzfähig.
Eine wesentliche Ursache für diesen Standortnachteil in der Gesundheitsforschung wie auch Gesundheitsversorgung sind die in Deutschland, verglichen mit unseren Nachbarländern, deutlich eingeschränkten Möglichkeiten, Daten aus der Gesundheitsversorgung zeitnah und anwendungsfreundlich für die Forschung nutzen zu können. Dabei stehen auch in Deutschland sehr umfangreiche versorgungsnahe Daten (VeDa) zur Verfügung. VeDa umfassen alle Daten, die in der administrativen Bearbeitung von Institutionen im Gesundheitswesen entstehen und für eine sekundäre Nutzung im Rahmen der Forschung herangezogen werden können [10] [11] [12] [13]. Wesentliche Quellen von VeDa sind neben den Daten aus Klinik- und Praxisinformationssystemen und zukünftig aus der elektronischen Patientenakte (ePA) gemäß §§ 341ff. SGB V v. a. Routinedaten der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung (GKV und PKV) und Daten krankheitsbezogener Register, beispielsweise der klinischen und epidemiologischen Krebsregister (KKR) der Bundesländer nach §65c SGB V. Die wissenschaftlichen Methoden und Standards für die Nutzung von VeDa und ihr Linkage mit anderen Datenquellen sind weit entwickelt, ebenso wie die Konzepte für den sicheren Umgang mit VeDa aus ethischer und datenschutzrechtlicher Sicht [14] [15]. Eine Verlinkung dieser verschiedenen Datenquellen auf Individualebene ist der entscheidende Schlüssel für eine konsequente wissenschaftliche Nutzung dieser Daten für die Gesundheitsforschung. Datenverfügbarkeit und Transparenz sind wichtige Voraussetzungen, die Qualität, Sicherheit und die Kosten-Effektivität der medizinischen Versorgung wissenschaftlich fundiert zu bewerten, evidenzbasiert zu verbessern und auch die Resilienz unseres Gesundheitssystems zu stärken [9] [16]. Positive Beispiele einer personenbezogenen Verknüpfung von GKV-Daten sind beispielsweise die NORAH-Lärmwirkungsstudie am Frankfurter Flughafen [17] [18], die VersKiK-Studie mit probabilistischem Linkage von GKV- und Registerdaten [19] [20] oder eine Analyse der Wirksamkeit der individualisierten molekularen Behandlung von Patient:innen mit nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom im nationalen Netzwerk Genommedizin (nNGM) [21].
Die in Deutschland bestehenden erheblichen datenschutzrechtlichen, regulatorischen und organisatorischen Hürden führen jedoch dazu, dass wir trotz der immensen Bedeutung von Gesundheit und Gesundheitsversorgung für die Bevölkerung das Potenzial der wissenschaftlichen Nutzung von VeDa nicht annähernd so nutzen, wie dies andere Länder schon seit Jahrzehnten tun. Prof. Gerlach, der ehemalige Vorsitzende des Sachverständigenrats Gesundheit und Pflege, forderte deshalb anlässlich des Digitalisierungsgutachtens: „Auch der Sachverständigenrat hält es für unabdingbar, dass Gesundheitsdaten nicht in falsche Hände fallen. Zugleich müssen sie in richtige Hände gelangen können. In Hände, die Leben und Gesundheit schützen wollen“ [22]. Gemäß dem Sachverständigenrat ist es daher „notwendig, Datenschutz im Gesundheitswesen als Teil von Lebens- und Gesundheitsschutz auszugestalten, nicht als deren Gegenteil. Datenschutz muss vor allem die sichere Nutzung von Gesundheitsdaten für bessere Versorgung und Forschung ermöglichen“ [22]. Mit diesem Ansatz der Ausrichtung am Patientenwohl könnte auch die Datensolidarität, wie sie etwa aktuell gemeinsam von The Lancet und Financial Times gefordert wird, für die Bevölkerung in Deutschland umgesetzt werden [23] [24].
Hauptbarrieren der wissenschaftlichen Nutzung von VeDa in Deutschland sind aktuell formale und operative datenschutzrechtliche Hürden. Die fehlende Harmonisierung führt zu Mehrfachprüfungen durch einrichtungsinterne und externe Datenschützende und zu Zuständigkeiten mehrerer Aufsichtsbehörden, die sich aufgrund unterschiedlicher Auffassungen häufig gegenseitig widersprechen. In der Summe können diese Abläufe ein Forschungsprojekt unmöglich machen. Eine wesentliche Ursache hierfür ist eine Fokussierung auf theoretisch konzipierte, oftmals praxisferne Risiken, die bspw. Forschenden ein Interesse an De-Anonymisierung unterstellt, und die dennoch häufig ausschlaggebend für datenschutzrechtliche Entscheidungen sind. Der Nutzen durch ein konkretes Forschungsprojekt für die Bevölkerung und die Versichertengemeinschaft wird dagegen sehr viel niedriger priorisiert. Der regelmäßige Austausch zwischen (Versorgungs-)forschenden und Datenschützenden findet in Deutschland derzeit nicht auf Augenhöhe statt und ist insgesamt viel zu gering ausgeprägt.
Frau Prof. Buyx, die Vorsitzende des Ethikrates, kritisierte kürzlich, dass zu sehr auf die Risiken und zu wenig auf den zu erwartenden gesellschaftlichen Nutzen der Digitalisierung und Sekundärnutzung von VeDa durch die Forschung fokussiert wird [25]. Dies ist auch insofern kritisch, als das Zustandekommen von VeDa solidarisch, also v. a. aus GKV-Mitteln und damit Beiträgen des überwiegenden Teils der deutschen Bevölkerung, finanziert wurde. Anders als im Recht, in dem nur in Ausnahmefällen Nicht-Handeln relevant ist (z. B. unterlassene Hilfeleistung), ist in der Ethik hingegen jedes Nicht-Handeln prinzipiell genauso relevant wie das spiegelbildliche Handeln, sprich begründungs- und abwägungsbedürftig. Auch und gerade aus ethischer Sicht ist es also dringend geboten, die Potenziale aus der wissenschaftlichen Nutzung von VeDa für die Evidenzgenerierung, Steuerung und Weiterentwicklung unserer Gesundheitsversorgung zu heben. Die Fragestellungen, die nur bzw. besonders gut durch die wissenschaftliche Nutzung von VeDa bearbeitet werden können, umfassen u. a. Fragestellungen zu seltenen Erkrankungen, seltenen unerwünschten Arzneimittelwirkungen, zur Patientensicherheit und Qualitätssicherung, Versorgungsgerechtigkeit, Abschätzung des aktuellen und zukünftigen Versorgungsbedarfs, zur Wirtschaftlichkeit oder zu gesundheitsökonomischen Themen, sowie zur Implementierung und zur Akzeptanz von Versorgungsangeboten und medizinischen Innovationen [26]. Die wissenschaftliche Nutzung von VeDa liegt damit im Individualinteresse ebenso wie im Kollektivinteresse der Bürger:innen. Besonders klar wurde dies während der Corona-Pandemie, in der aufgrund des fehlenden Zugangs zu aktuellen Routinedaten und anderer repräsentativer VeDa gesundheitspolitische Konsequenzen etwa bzgl. der Schulschließungen nicht rechtzeitig gezogen werden konnten und wir noch immer keine Evidenz zu wichtigen Fragestellungen haben, wie z. B. zu den erwünschten und unerwünschten Effekten der Corona-Impfung oder zu Folgen der eingeschränkten Krebsfrüherkennungsmaßnahmen während der ersten Corona-Wellen [27] [28] [29].
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Verknüpfung mit Routinedaten der Krankenversicherungen: Potenziale und Herausforderungen
Ein besonders hohes wissenschaftliches Potenzial bietet die Verknüpfung von medizinischen und administrativen Daten aus Klinikinformationssystemen, Daten klinischer Register und/oder personenbezogenen Studiendaten mit den Routinedaten der Krankenversicherungen [15]. Aus Forschungssicht ist es hierbei zunächst unerheblich, ob es sich um Routinedaten der gesetzlichen oder der privaten Krankenversicherung handelt, da in beiden Versicherungsarten die jeweils verfügbaren Abrechnungsdaten das Versorgungsgeschehen abbilden. Bzgl. Datenzugang und Datenverfügbarkeit ergeben sich allerdings größere Unterschiede: Die Datennutzung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zeichnet sich durch weitgehend homogene Prozesse hinsichtlich der Abrechnungs- und Datenübermittlungsprozesse [30] aus und hat eine lange Tradition, die in die 1980er Jahre ihren Anfang nahm (eine Übersicht zur Datennutzung findet sich in [31]). Zudem sind ca. knapp 90% der Bevölkerung Deutschlands GKV-versichert. Gleichwohl sind die Abrechnungsdaten der PKV-Versicherung, bei denen ca. 10,5% der Bevölkerung versichert sind, unter Berücksichtigung ihrer Besonderheiten bei ihrer Entstehung und im Inhalt analog zu den GKV-Routinedaten wissenschaftlich nutzbar, beispielsweise zur Frage der Arzneimittelversorgung bei Privatversicherten [32]. Für die Erschließung, Linkage und Nutzung der PKV-Daten kann die NAKO-Gesundheitsstudie als Vorreiter dienen, die für ca. der Hälfte der privat versicherten Probanden die Routinedaten aus der PKV erhält. Die in der NAKO gesammelten Erfahrungen und entwickelten Prozesse können die Grundlage für das hier vorgestellte Vorhaben bilden. Auch auf der rechtlichen Ebene zeigen sich Unterschiede bei der Datennutzung: Während vor einer Nutzung von GKV-Routinedaten eine aufwändige Antragstellung nach § 75 SGB X notwendig ist, entfällt dieser Schritt bei einer Datenanfrage bei der PKV. Andererseits ist hier ergänzend zu einer Informierten Einwilligungserklärung eine schriftliche Schweigepflichtentbindungserklärung notwendig.
Unabhängig von diesen teilweise deutlichen Unterschieden wird im Weiteren allgemein von der Nutzung der Routinedaten von beiden Krankenversicherungsarten ausgegangen, auch deshalb, weil patientenbezogene Forschung die Grenzen der Versicherungssysteme überwinden muss, um populationsbezogene Evidenz zu generieren. Wenn die strukturellen oder rechtlichen Rahmenbedingungen dies erfordern, wird im Text auf Unterschiede von GKV und PKV jeweils hingewiesen.
Das eingangs erwähnte Datenlinkage von Daten der Versorgungsdokumentation in den DIZ und aus klinischen Studien der Universitätsmedizin mit den Routinedaten der Krankenversicherungen ist notwendig, da keine Datenquelle allein ein vollständiges Bild der medizinischen Versorgung zeichnet. So bilden Routinedaten sehr gut, d.h. nahezu vollständig, unverzerrt, sektorenübergreifend und im zeitlichen Verlauf, die verschreibungspflichtige Arzneimittelversorgung, die Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln, die Inanspruchnahme der ambulanten und stationären Gesundheitsversorgung, die im Versorgungsgeschehen dokumentierten Diagnosen, Arbeitsunfähigkeits-Zeiten und Leistungen der Pflegeversicherung sowie Kostenaspekte ab. Lücken bestehen in den Routinedaten hingegen etwa bezüglich der Ergebnisse durchgeführter Untersuchungen (z. B. Labordaten, Befunde aus Bildgebung) und bei der klinischen Phänotypisierung (Erkrankungsstadien, Schweregrade, etc.). Diese Lücke können administrative und medizinische Klinikdaten und Registerdaten regelhaft schließen. Studiendaten, z. B. aus Patientenbefragungen sind wiederum eine geeignete Methode, um die in den genannten VeDa fehlende Patientenperspektive abzubilden wie Risikofaktoren, Lebensqualität, Patient-Reported Outcome (PROMs) und Experience Measures (PREMs). Gerade für kausale Schlussfolgerungen zu Interventionseffekten auf Mikro-, Meso- oder Makrolevel ist daher das Linkage von komplementären Daten auf Patientenebene der internationale wissenschaftliche Standard.
Projekte auf Basis von Routinedaten der Krankenversicherungen und insbesondere, wenn ein Linkage mit weiteren Datenquellen für die Bearbeitung der Forschungsfrage erforderlich ist, sind in der Regel durch aufwändige und zeitintensive Vorarbeiten über viele Monate oft sogar mehr als ein Jahr charakterisiert, bis die Datenbasis für die Analyse verfügbar ist. Für aktuelle, zeitkritische Planungs-, Steuerungs- und Monitorierungsaufgaben ist jedoch eine aktuell vorgehaltene Forschungsdateninfrastruktur erforderlich, innerhalb dieser die Daten bereitstehen und durch abgestimmte normierte Genehmigungsverfahren, beispielsweise durch ein abgestimmtes Use and Access Verfahren, diese verlinkten Daten zeitnah genutzt werden können. Hier kann die im Folgenden beschriebene Forschungsdateninfrastruktur auf der Basis einer rechtlich belastbaren individuellen Einwilligungserklärung in Deutschland einen Quantensprung in der Nutz- und Verknüpfbarkeit ermöglichen, der dem expliziten aufgeklärten und informierten Wunsch der Betroffenen Rechnung trägt und allen Beteiligten, insbesondere auch den Dateneignern, enorme administrative Aufwandsreduzierung brächte.
Ein Meilenstein ist hierbei die mit Ethikkommissionen und Datenschutzbeauftragten konsentierte Implementierung des „Broad Consent“ der MII, mit dem Patient:innen nach entsprechender Information ihre Einwilligung zur Nutzung der Daten aus ihrer klinischen Versorgung für die medizinische Forschung geben können. Der modulare „Broad Consent“ ermöglicht Patient:innen darüber hinaus im sogenannten Kassenmodul auch die Einwilligung zur Nutzung und zum Linkage der über sie vorliegenden Routinedaten [8]. Im Nationalen Pandemie Kohorten Netz (NAPKON), einer NUM Forschungsaktivität zu COVID-19, wurde ähnlich diesem Kassenmodul ein studienspezifischer Informed Consent implementiert, mit dem Teilnehmende ebenfalls in das Linkage von Long-Covid-Studiendaten mit Routinedaten einwilligen können. Sowohl „Broad Consent“ der MII als auch studienspezifischer Informed Consent wurden von den zuständigen Ethikkommissionen positiv beschieden und sind in der Forschungspraxis implementiert.
Die überwiegende Mehrzahl der Patient:innen willigt in die Datennutzung und das Record-Linkage ein. Bis Mai 2024 lagen bundesweit etwa von 235.000 Patient:innen gültige „Broad Consent“ vor, etwa 155.000 Patient:innen hatten zusätzlich in das Kassenmodul eingewilligt. Aus den NAPKON-Kohorten liegen derzeit insgesamt rund 4.000 Studieneinwilligungen für das Verwenden von Kassendaten vor.
Jedoch ist die Einwilligung der Patient:innen und die positive Bewertung durch die Ethikkommissionen aufgrund der beschriebenen datenschutzrechtlichen Hürden derzeit noch nicht ausreichend, um die Daten tatsächlich wissenschaftlich nutzen zu können: Weiterhin notwendig ist die Unterstützung durch die Krankenkassen, deren Datenschutzprüfung, sowie die Prüfung und Genehmigung durch die für die gesetzlichen Krankenkassen zuständigen Aufsichtsbehörden (Antrag nach § 75 SGB X zur wissenschaftlichen Nutzung von Sozialdaten an das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) bzw. Sozialministerien der Länder). Die Situation der Krankenkassen wiederum ist herausfordernd, weil sehr viele Anträge auf Routinedatennutzung und -linkage an sie herangetragen werden und die Datenbereitstellung einen nicht unerheblichen Aufwand erfordert. Gleichzeitig gehört die Unterstützung von Forschung nicht zum gesetzlichen Auftrag der Krankenkassen. Gerade die vielen kleineren der über 90 Krankenkassen in Deutschland können die Ressourcen für die Nutzbarmachung der GKV-Routinedaten ihrer Versicherten kaum selbst aufbringen. Zur Umsetzung des „Broad Consent“ müssten Forschende derzeit das Genehmigungsverfahren zudem mit jeder Kasse einzeln und für jedes Projekt erneut aushandeln, was in der Praxis für beide Seiten nicht umsetzbar ist.
Forschende, klinisch Tätige und auch Patientenvertretungen fordern seit langem, dass die regulatorischen Hürden insofern reduziert werden, dass bei informierter Einwilligung mündiger Bürger:innen und Zustimmung der zuständigen Ethikkommissionen die wissenschaftliche Nutzung der VeDa ohne weitere datenschutzrechtliche Prüfungen ermöglicht wird [26]. Dass dies noch nicht in das Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) aufgenommen wurde, sehen wir als Einschränkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung der vielen Patient:innen, die die wissenschaftliche Nutzung ihrer Daten ausdrücklich wünschen. Das informationelle Selbstbestimmungsrecht bezeichnet das Recht des Einzelnen, „selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen“. [33] Dieses Recht hat in Deutschland das Bundesverfassungsgericht 1983 im Volkszählungsurteil als Grundrecht anerkannt.
Die hier aufgeworfene Problematik der Missachtung des individuellen informationellen Selbstbestimmungsrechts der Bevölkerung stellt keine hypothetische Hürde dar. Schon in der seit 2013 laufenden und mit erheblichen Mitteln von Bund und Ländern geförderten NAKO Gesundheitsstudie (www.nako.de), der mit 205.000 Teilnehmenden bislang größten deutschen Kohortenstudie, wurde einerseits schnell eine sehr hohe Bereitschaft der Teilnehmenden erkennbar, auf der Basis eines schriftlichen Informed Consent ihre Abrechnungsdaten der Forschung zur Verfügung zur stellen (Einwilligungsquote liegt bei rund 90 Prozent). Andererseits waren die Forschenden durch Auflagen des Datenschutzes gezwungen, trotz dieser schriftlichen Einwilligung mit allen gesetzlichen Krankenkassen, bei denen die NAKO-Teilnehmenden versichert sind und mit weiteren Sozialversicherungsträgern, Anträge nach § 75 SGB X zu stellen. Dieser immense Aufwand verzögert auch nach zehn Jahren Laufzeit noch immer die volle Ausschöpfung des wissenschaftlichen Potenzials der NAKO, das besonders in der Verlinkung von Primär- und Sekundärdaten liegt [34]. Die Möglichkeit eines Datenlinkage ohne einen ergänzenden § 75-Antrag ergäbe einen höheren wissenschaftlichen Ertrag bei gleichzeitig geringeren Aufwänden der datenliefernden gesetzlichen Krankenkassen.
Zukünftig können die Routinedaten aller GKV-Versicherten im Forschungsdatenzentrum (FDZ) Gesundheit und Daten aus der elektronischen Patientenakte (ePA) auf Antrag für die Forschung in einer sicheren Auswertungsumgebung genutzt werden [35]. Die für ein personenbezogenes Linkage und Nutzung dieser gelinkten Daten für die Forschung notwendigen Strukturen, beispielsweise ein Identitätsmanagement, und auch die Bereitstellung von FDZ-Daten per Export sind derzeit nicht vorgesehen [36]. Inwieweit die nach Gesundheitsdatennutzungsgesetz geplante Verlinkung der FDZ-Daten mit den Daten der Krebsregister [37] weitergehende Möglichkeiten und Strukturen schafft und bis wann diese umgesetzt sind, ist aktuell noch nicht abzusehen.
Vor dem geschilderten Hintergrund streben NUM und MII eine strategische Partnerschaft mit den gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen an. Gemeinsam mit den kooperierenden Krankenversicherungen soll gezeigt werden, dass in der unten beschriebenen Forschungsinfrastruktur ein sicheres, datenschutzkonformes Linkage von GKV- und PKV-Routinedaten mit DIZ-Daten, Studiendaten und Registerdaten durch die wesentliche Verbesserung der medizinischen Forschungsmöglichkeiten einen hohen Individualnutzen und Kollektivnutzen für die Patient:innen bietet. Die Krankenversicherungen sind dabei nicht ausschließlich Datenlieferanten, sondern gestalterische Partner bei der Realisierung und Implementierung der notwendigen Arbeitsschritte einschließlich der wissenschaftlichen Nutzung eines versicherungsübergreifenden Datenkörpers. Der Beitrag beschreibt im Folgenden die dafür nötige Infrastruktur einschließlich der Datenflüsse, Prozesse und Partizipationsmöglichkeiten.
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Konzept der kooperativen Forschungsdatenplattform
Erklärtes Ziel ist es, innerhalb des NUM mit den darin verorteten Datenintegrationszentren (DIZ) der MII auf der Basis des eingeführten „Broad Consent“ und dem exemplarischen studienspezifischen Consent der NAPKON-Kohortenstudien in einer sicheren, transparenten und partizipativen Forschungsinfrastruktur das auf der Rechtsgrundlage der informierten Patienteneinwilligung basierende Datenlinkage und die Nutzung der verknüpften Daten als Musterlösung für Deutschland umzusetzen. Dazu wollen wir den hohen Wert der verknüpften Daten exemplarisch aufzeigen. Die Forschung mit anonymisierten GKV-Routinedaten ist nicht im Fokus der hier vorgestellten Infrastruktur. Die Einwilligung in das Kassenmodul des „Broad Consent“ beinhaltet die Erlaubnis, GKV-Routinedaten und PKV-Abrechnungsdaten für jeweils fünf Beobachtungsjahre vor und nach dem Zeitpunkt der Einwilligung bei der Krankenversicherung des Versicherten anzufordern, zu linken und zu nutzen. Bei Privatversicherten ist die Länge der Gültigkeit der Schweigepflichtentbindung analog. Die Nutzung dieser Daten ist insgesamt über einen Zeitraum von 30 Jahren zulässig.
Durch einen intensivierten Roll-Out des „Broad Consent“ der MII an allen Universitätskliniken und der Kooperation der Krankenversicherungen halten wir ein Linkage der in den DIZ verfügbaren Klinikdaten mit den Daten der Krankenversicherungen für mindestens 1 Mio. Versicherte innerhalb von 3 Jahren für erreichbar. Damit stünde eine Patientenkohorte zur Verfügung, die substanzielle Analysen auch zu seltenen Erkrankungen, Ereignissen und Interventionen erlaubt.
Zur Realisierung der Verknüpfung von Klinikdaten mit Abrechnungsdaten der Krankenversicherungen und anderen VeDa (bspw. Krebsregisterdaten) soll die NUM-Infrastruktur um eine Datenannahme- und Aufbereitungsstelle innerhalb von NUM-NUKLEUS (NUM Klinische Epidemiologie und Studienplattform, https://www.netzwerk-universitaetsmedizin.de/projekte/nukleus) ergänzt werden. Die Datenannahme- und Aufbereitungsstelle übernimmt die Schritte der
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Annahme von Abrechnungsdaten von den beteiligten Krankenversicherungen (Schritt A5a in [Abb. 1]),
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Rückmeldung und ggf. Nachforderung fehlender Daten (Schritt A5b in [Abb. 1]),
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Harmonisierung, Aufbereitung, Plausibilisierung der Daten und Indikatorenbildung (Schritt A6 in [Abb. 1]) und
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deren (vorübergehende) Speicherung/Haltung.
Die NUM-NUKLEUS-Infrastruktur ist eine Weiterentwicklung des zentralen Datenmanagements des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislaufforschung (DZHK) zusammen mit den im Rahmen von NAPKON etablierten Methodenkernen. In NUM wurde diese Infrastruktur erfolgreich für das Datenmanagement der drei bereits etablierten NAPKON-Kohorten verwendet.
Die NUM-NUKLEUS Infrastruktur bietet die Möglichkeit, einwilligungsbasiert projektspezifisch an den Standorten primär erhobene Studiendaten mit klinischen Routinedaten der Universitätskliniken, Bilddaten und Informationen aus Bioproben zu einem einheitlichen Projektdatensatz zusammenzuführen. Die hier vorgestellte Architektur erweitert die Linkage-Option zusätzlich um Abrechnungsdaten der gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen. Ein Kernelement hierfür ist die Schaffung einer zentralen Annahme- und Aufbereitungsstelle für die Daten der Krankenversicherung ([Abb. 1]).
Bei der Datenharmonisierung sind die Datenstrukturen, der Erhebungskontext sowie die Abrechnungsmodalitäten, die für GKV- und PKV-Daten unterschiedlich sind, zu berücksichtigen. Diese Datenkörper sind daher separat aufzubereiten und auch bei der Auswertung sind unterschiedliche Methoden einzusetzen, die den spezifischen Anforderungen der Daten Rechnung tragen. Die Datenannahme- und Aufbereitungsstelle übernimmt zudem die Datenausgabe an die Datenbereitstellung in NUM (Schritt A7; [Abb. 1]).
Das erforderliche Identitätsmanagement erfolgt über eine Erweiterung der vorhandenen Treuhandstelle (Schritte A1, A2, A3, A4 in [Abb. 1]). Parallele Datenzusammenführungs-, Aufbereitungs- und Ausgabeschritte erfolgen für die Klinikdaten über die DIZ und die Datenmanagementstelle des NUM (Schritte B2, B3 in [Abb. 1]). Analog werden in den Rekrutierungszentren der beteiligten Zentren im Rahmen von NUM-Studien primär erhobene Daten in die Zentrale Datenhaltung eingegeben (Schritt B4). Koordination und Freigabe für die Datennutzung im Rahmen von Forschungsprojekten erfolgt je nach Art des Projektantrags und der beantragten Datenquellen durch das Deutsche Forschungsdatenportal Gesundheit (FDPG, siehe hierzu auch nachfolgender Absatz), das Use & Access Committee (UAC) der beteiligten NUM-Standorte und/oder das gemeinsame UAC von NUM und Krankenversicherungen (Schritt B1 in [Abb. 1]), bevor der finale Datenzuschnitt sowie eine projektspezifische Pseudonymisierung für den Datentransfer (Schritte B5a bis B5e in [Abb. 1]) erfolgt. Damit wird sichergestellt, dass die administrativen und datenschutzrechtlichen Rahmenbedingungen (UAC, Genehmigung nach §75 SGB X, Verträge zur Datennutzung, ggfs. Ethikvotum, Passung des modularen Broad Consent) in jeder der Nutzungsarten gewahrt sind.
Die Nutzung klinischer Behandlungsdaten und Bioproben der MII-Standorte wird über das Deutsche Forschungsdatenportal Gesundheit (FDPG) der MII-Infrastruktur realisiert. Seit Mai 2023 ist der Zugang für Forschende geöffnet. Die Voraussetzungen für ein Linkage mit Kassendaten kann über automatisierte Machbarkeitsabfragen geprüft werden (auf Basis des Kassenmoduls im „Broad Consent“). Perspektivisch soll auch die inhaltliche Nutzung der Kassendaten zur Kohortendefinition bei Machbarkeitsabfragen ermöglicht werden. Ein positives Ethikvotum der institutionellen Forschungseinrichtung ist bei Antragstellung in der Regel erforderlich. Technisch wird der projektspezifische Datensatz mit projektspezifischen Exportpseudonymen über die Transferstelle herausgegeben.
Bei geplanten Nutzungen von Daten aus der klinischen Routineversorgung und von Abrechnungsdaten der GKV und PKV wird das NUM Use and Access Verfahren um eine Prüfung der Verwendbarkeit der GKV-/PKV-Daten für die jeweilige Fragestellung ergänzt. Hierzu kann auf die aktuell im NUM-NUKLEUS aufgebaute VeDa-Methodenkompetenz zurückgegriffen werden.
Grundsätzliches Ziel ist der Aufbau einer einheitlichen Dateninfrastruktur und die verlinkte Datennutzung für unterschiedliche Forschungsfragen, ohne dass hierzu jeweils projektbezogen Datenschutz- und Datenmanagement-konzepte aufwändig erarbeitet, abgestimmt und implementiert werden müssen. Ein Datenschutz- und Datenmanagementkonzept wird vielmehr einmalig erarbeitet und etabliert, eine projektbezogene Prüfung und Anpassung wird möglichst entbehrlich. Somit kann die vorgesehene kooperative Infrastruktur einen Leuchtturm für Bürokratievermeidung bilden.
Den gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen bieten wir eine privilegierte Partnerschaft an, in deren Rahmen sie die verknüpften Daten über das Use and Access Verfahren auch selbst nutzen können. Die Kassenzugehörigkeit der Versicherten wird entfernt, um Einblicke in Geschäftsgeheimnisse der Krankenversicherungen von vorne herein auszuschließen. Um den Aufwand für teilnehmende Krankenversicherungen so gering wie möglich zu halten, schlagen wir als Datensatz die bereits bestehende Datensatzbeschreibung vor, nach der die Krankenkassen Daten an das FDZ-Gesundheit liefern [38]. Wir planen weiterhin in Absprache mit den Krankenversicherungen definierte, einheitliche Schnittstellen und bieten an, die gesetzlichen Krankenkassen soweit möglich bei der Erstellung und dem Management von aktuell noch benötigten Anträgen (nach §75 SGB X) bei den Aufsichtsbehörden und bei der Projektabwicklung zu unterstützen. Im Rahmen der privilegierten Partnerschaft sehen wir vor, die ersten Fragestellungen gemeinsam zu priorisieren und als Proof of Concept Studien umzusetzen.
Der Datenfluss der klinischen Versorgungsdaten erfolgt über die DIZ der beteiligten Institutionen. Im Regelfall sind an einem Forschungsprojekt mehrere oder alle im NUM kooperierenden Kliniken beteiligt. Die für solche Verbundprojekte notwendige Integration der klinischen Daten bzw. Teilergebnisse föderierter Analysen aus mehreren DIZ erfolgt in einer Datenmanagement-Stelle. Für alle Patient:innen, deren informierte Einwilligung das Kassenmodul des „Broad Consent“ umfasst, können die dort gespeicherten Klinikdaten mit den Daten ihrer Krankenversicherung verknüpft werden.
Durch die Verknüpfung von Klinikdaten des NUM mit Abrechnungsdaten der Krankenversicherungen stehen komplementäre Informationen zur Verfügung, welche Auswertungen zulassen, die für jede Datenquelle einzeln nicht möglich wären (z. B. Modellierung von Outcomes unter simultaner Adjustierung für diagnostische und therapeutische Informationen aus Klinikdaten sowie der sektorübergreifenden Behandlungshistorie aus Abrechnungsdaten und wechselseitige Validierung). Zusätzlich kann die gleichzeitige Nutzung mehrerer Datenquellen auch zu einer Absicherung von Evidenz dienen, welche allein aus Studien- oder Klinikdaten gewonnen wurde, etwa durch Kontrollziehung oder Target Trial Emulations [39]. Letztere verbinden hohe interne Validität mit hoher Generalisierbarkeit durch Abbildung der Routineversorgung, was herkömmliche experimentelle Studien aufgrund restriktiver Einschlusskriterien und Klinikdaten, bspw. durch die in der Praxis häufige Beschränkung auf den stationären Sektor, typischerweise nicht leisten können. Auch die Einbettung von Linkagestudien mit GKV-/PKV-Routinedaten in Klinische Prüfungen nach Arzneimittelgesetz (AMG) soll ermöglicht werden. Damit könnten die Patientenpopulationen klinischer Studien zum einen noch umfassender phänotypisiert werden, die Übertragbarkeit von Studienergebnissen auf die breitere Gruppe der Versicherten könnte überprüft und Langzeit-Outcomes auf Basis der GKV-/PKV-Daten ergänzend zu den klinischen Endpunkten erfasst werden. Ein solches Studiendesign mit Kombination von Verfahren der klinischen Prüfung nach AMG und Routinedatenlinkage wäre auch im internationalen Vergleich innovativ und würde den Forschungsstandort Deutschland beflügeln. Die vorgeschlagene Dateninfrastruktur kann solche Studien ermöglichen, was aufgrund von Vorgaben des Arzneimittelgesetzes sog. Trusted Research Environments nicht leisten könnten.
Insgesamt ist festzuhalten, dass ohne die Nutzung der komplementären Informationen aus den verschiedenen Datenquellen in Analysen jeweils nur ein begrenzter Ausschnitt der Gesundheitsversorgung bzw. der Ursachen und Wirkungen bestimmter Maßnahmen im Gesundheitssystem analysiert werden kann. Für die gesamtheitliche und valide Analyse von Fragestellungen der Gesundheitsversorgung ist in der zunehmend vernetzten Welt jedoch ein möglichst breiter Blick über die verschiedenen Datenquellen hinweg erforderlich. Evidenz für multifaktorielle Wirkmechanismen im Gesundheitswesen können nur durch simultane Nutzung möglichst gut verlinkter komplementärer Datenquellen abgeleitet werden. Nur so sind valide Schlussfolgerungen als Voraussetzung für eine Translation zurück in die Routine der Gesundheitsversorgung möglich.
Um das enorme Potenzial dieser Daten nutzen zu können, müssen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schnell und einfach auf die Daten zugreifen und eigenständig oder mit Unterstützung von Methodenexperten Analysen durchführen können. Derzeit ist der Kreis der Forschenden mit ausgewiesener Expertise im Umgang mit GKV-/PKV-Daten jedoch begrenzt. Die Bereitstellung von methodischer Expertise und von Beratungsleistungen ist daher integraler Bestandteil der NUM Infrastruktur zur VeDa-Nutzung. Im NUM wurde daher bereits im sogenannten Epidemiologiekern (NUKLEUS-ECU) eine Plattform für methodische Beratung aufgebaut und Expertise zu VeDa gebündelt. Experten aus der MII und dem NUM, Fachorganisationen wie die Arbeitsgemeinschaft zur Erhebung und Nutzung von Sekundärdaten (AGENS) der Deutsche Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention (DGSMP), Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie (DGEpi) und des Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung (DNVF), das DNVF mit seinen Arbeitsgruppen „Versorgungsnahe Daten (VeDa)“ und „Validierung und Linkage von Sekundärdaten“ sind darüber hinaus in einer gemeinsamen AG von NUM und MII eingebunden (Autorengruppe dieses Papiers).
Zur Qualitätssicherung und Sicherstellung der Berücksichtigung der Guten Praxis Sekundärdatenanalyse wird eine kontinuierliche projektbezogene methodische Beratung durch Expertinnen und Experten der NUKLEUS-ECU angeboten. Die Beratung durch die ECU umfasst dabei 2 Schritte:
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In der Planungsphase bietet die ECU eine allgemeine Methodenberatung zu den Besonderheiten im Umgang mit GKV-/PKV-Routinedaten und deren Analyse an. Für Personen ohne eigene Vorerfahrungen in der Analyse von GKV-/PKV-Routinedaten ist die allgemeine Methodenberatung für die Beantragung von Daten für eigene Forschung beim FDPG und den zuständigen UAC der NUM-Standorte dringend empfohlen.
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Eine Beratung durch die ECU erfolgt fakultativ nach Genehmigung der Datennutzung im zuständigen Use and Access Prozess. Diese kann entweder durch die antragstellenden Forschenden oder durch die für Datenharmonisierung, Plausibilisierung und Indikatorenbildung zuständigen Expert:innen der Datenannahme- und Aufbereitungsstelle initiiert werden. Letzteres sollte der Fall sein, wenn im bereitgestellten GKV-/PKV-Routinedatenkörper Besonderheiten bestehen, die bei der Analyse beachtet werden müssen (z. B. sensitive und spezifische Falldefinitionen).
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Vorgesehene Maßnahmen und nächste Schritte
Im Sinne der avisierten privilegierten Partnerschaft mit Krankenkassen und -versicherungen werden wir die Partizipation der beteiligten Kassen und Versicherungen an den Daten und Ergebnissen ermöglichen. Konkret bedeutet dies, dass Kassen und Versicherungen auch berechtigt werden, Datennutzungsanträge für Forschungsprojekte zu stellen und etwa auch Beteiligungen bei Publikationen vorgesehen sind. Perspektivisch streben wir neben der Partnerschaft mit Vertretern der GKV auch die Integration von privaten Krankenversicherungen an. Zur Begleitung dieses für den Forschungs- und Medizinstandort Deutschland aus unserer Sicht richtungsweisenden Datenlinkage-Projektes halten wir die Einrichtung einer High-Level-Group aller Akteure (Kassen, Hochschulmedizin, Aufsichtsbehörden, etc.), koordiniert insbesondere durch die AG externe Daten der NUM und MII für geboten. Die Gruppe erarbeitet und konkretisiert in der Implementierungsphase die vorgeschlagenen Prozesse und unterstützt das Ziel, durch ein sicheres Datenlinkage und eine forschungsermöglichende Dateninfrastruktur einen wesentlichen Nutzen für Individuen und die ganze Gesellschaft zu erbringen.
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Die Zusammenführung und Nutzung von Daten aus heterogenen Quellen und diversen Institutionen ist der Schlüssel zum Fortschritt und zur Weiterentwicklung im Gesundheitswesen. Der dabei geschaffene Mehrwert zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass:
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durch die Zusammenführung von komplementären Daten die Patientensicherheit sowohl individuell als auch krankheits- und kohortenspezifisch evidenzbasiert verbessert werden kann,
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der Zugang zu komplementären Daten somit eine deutlich höhere systemische Resilienz ermöglicht, insbesondere bei der Bewertung und dem Management von epidemischen und pandemischen Krisensituationen,
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der notwendige Umbau des Gesundheitssystems hin zu mehr Transparenz, Effizienz und Outcome-Orientierung empirisch unterstützt und begleitet werden kann.
Um dies zu erreichen, schaffen NUM und MII gemeinsam eine sichere, praktikable und kooperative Forschungsinfrastruktur zur wissenschaftlichen Nutzung verlinkter Informationen aus GKV- und PKV-Routinedaten, klinischen Versorgungsdaten der DIZe und Daten aus Beobachtungs- und Interventionsstudien. Vor dem Hintergrund der
derzeitigen, wenig forschungsfreundlichen gesetzlichen Rahmenbedingungen werben wir bei gesetzlichen Krankenkassen und privaten Krankenversicherungen um die Unterstützung des Vorhabens und bieten eine Beteiligung auf Augenhöhe im Sinne einer privilegierten Partnerschaft an. Wir möchten so aufzeigen, dass die wissenschaftliche Nutzung gelinkter VeDa und Studiendaten auf Basis der informierten Einwilligung mündiger Bürger:innen entscheidenden Nutzen für die Verbesserung der Versorgungsqualität und Patientensicherheit liefert. Hierbei ist es entscheidend, dass die verschiedenen Interessengruppen nicht gegeneinander und konkurrierend, sondern in Kooperation diese notwendigen Schritte gemeinsam angehen.
Die Forschungsinfrastruktur der MII und des NUM stellt die unterschiedlichen patientenbezogenen Daten – Klinikdaten und VeDa – aufbereitet, harmonisiert und verlinkt für Forschungsanfragen zur Verfügung. Der primäre Vorteil ergibt sich aus der Mehrfachnutzung. Aufwändige und jeweils projektspezifische Abstimmungs- und Implementierungsprozesse entfallen. Mehrfachnutzung fördert auch die Validität und Belastbarkeit der Daten im Hinblick auf die Forschungsfrage. Die Bereitstellung von Beratungsservices zur Beantragung und Auswertung der Daten fördert die Effizienz und die Qualität der vernetzten Forschung. Die bereits gravierende Situation in Bezug auf die eingeschränkte Wettbewerbsfähigkeit des Forschungsstandorts Deutschland, die geringe Resilienz des deutschen Forschungs- und Gesundheitsversorgungssystems und die sich zuspitzenden Probleme in der Gesundheitsversorgung mit Fachkräftemangel, fehlender Steuerung, Nebeneinander von Über-, Unter- und Fehlversorgung, strukturellen Mängeln sowie eine immer weniger auskömmliche Finanzierung gebieten ein hohes Tempo bei der Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen, um somit auch die internationale Anschlussfähigkeit hochwertiger medizinscher Forschung herzustellen und zu stärken.
*Mitglieder der Arbeitsgruppe
Andreas Baumgart (Universitätsklinikum Münster), Johannes Bickenbach (Universitätsklinikum Aachen), Rainer Blaser (Klinikum rechts der Isar TU München), Martin Boeker (Klinikum rechts der Isar TU München), Felix Dreyer (Universität Bielefeld), Joachim Fischer (Medizinische Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg), Timo Fuchs (Universitätsklinikum Regensburg), Thomas Ganslandt (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg), Ana Grönke (Universität Köln), Alexander Hapfelmeier (Klinikum rechts der Isar der TU München), Dirk Hellwig (Universitätsklinikum Regensburg), Elisa Henke (Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus TU Dresden), Christina Jäger-Schmidt (Medizinische Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg), Thomas Koss (Universitätsklinikum Heidelberg), Frank Kramer (Universität Augsburg), Torsten Leddig (Universitätsmedizin Greifswald), Markus Löffler (Universität Leipzig), Gabriele Müller (Universitätsklinikum Dresden), Tobias Niedermaier (Ludwig-Maximilians-Universität München), Hans-Ulrich Prokosch (Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg), Editha Räuscher (TMF e.v. Berlin), Ulrich Sax (Universitätsmedizin Göttingen), Josef Schepers (Berliner Institut für Gesundheitsforschung in der Charité), André Scherag (Universitätsklinikum Jena), Fabian Siegel (Universität Heidelberg), Jens Weidner (Universitätsklinikum Dresden), Samira Zeynalova (Universität Leipzig)
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Interessenkonflikt
Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Literatur
- 1 Semler SC, Wissing F, Heyder R. 2018; German Medical Informatics Initiative. Methods of information in medicine 57: e50-e56
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Korrespondenzadresse
Publication History
Received: 02 February 2024
Accepted after revision: 14 August 2024
Accepted Manuscript online:
10 October 2024
Article published online:
09 December 2024
© 2024. The Author(s). This is an open access article published by Thieme under the terms of the Creative Commons Attribution-NonDerivative-NonCommercial-License, permitting copying and reproduction so long as the original work is given appropriate credit. Contents may not be used for commercial purposes, or adapted, remixed, transformed or built upon. (https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/).
Georg Thieme Verlag KG
Oswald-Hesse-Straße 50, 70469 Stuttgart, Germany
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