Zeitschrift für Palliativmedizin 2024; 25(06): 284-287
DOI: 10.1055/a-2414-0216
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Doppelkopf: Eva Masel und Michael Halmich

Eva Masel

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Wie kamen Sie in Ihr jetziges Tätigkeitsfeld?

Ich arbeitete nach dem Medizinstudium in einer Lehrpraxis bei einem Facharzt für Innere Medizin. Eigentlich wollte ich Landärztin werden und hatte die romantische Vorstellung, mit einem Jeep zu Bauernhäusern zu fahren, eine Art Bergdoktorin zu sein. Mittels Penicillin-Spritzen in den Musculus gluteus medius Leben zu retten. Doch dann landete ich in einem kleinen Krankenhaus auf der Orthopädie. Im Operationssaal schweiften meine Gedanken permanent ab und ich fragte mich, was mich im Studium am meisten bewegt hatte. Tatsächlich war es die Palliativvorlesung, die nur 45 Minuten dauerte, doch im Rahmen derer die Menschen so lebendig wurden, dass meine Aufmerksamkeit nicht abschweifte. Das ist denke ich ein guter Indikator, wofür man geeignet ist, die Fähigkeit zur Konzentration. So habe ich mich im Jahr 2010 auf der Abteilung für Palliativmedizin beworben und bin dort „picken“ geblieben, wie man in Österreich sagt.

Was wäre für Sie die berufliche Alternative?

Als Kind wollte ich das Max-Reinhardt Seminar als Wiener Schauspielschule oder die Filmakademie besuchen. Aus jetziger Sicht Schriftstellerin, was ja doch etwas anderes ist als Autorin. Am liebsten in Rom auf den Spuren Ingeborg Bachmanns. Dort würde ich gerne ein kleines Hotel einrichten (Hobby-Innenarchitektin) und in einem „room for my own“ schreiben. Ich mag Altes, Vergangenes und verspüre eine starke Nostalgie in mir. Das Lesen von Büchern fühlt sich in manchen Momenten so an, als würde mir jemand, den ich nicht kenne, dessen Gedanken ich aber teile, eine Hand entgegenstrecken, jenseits der Zeit. Turmspringerin fände ich unglaublich elegant, doch dazu bin ich zu feige. Buchhändlerin. Fremdenführerin. Winzerin. Museumsdirektorin. Die Sendung „Kunst und Krempel“ ist ein Highlight.

Wie beginnen Sie Ihren Tag?

Leider mache ich keinen Kopfstand und spreche währenddessen ein Gedicht. Ich wecke meine drei Jahre alte Tochter Romy auf. Ich brauche definitiv einen Kaffee und lese relativ zügig meine E-Mails und gerne auch die Tageszeitung. Manchmal übe ich schon sehr früh Französisch mit der App Duolingo. Und seit einiger Zeit mache ich täglich ein Workout, mal schauen, wie lange ich das durchhalte.

Leben bedeutet für mich …

Abwechslung, Neuerfindung, Spannung, Tiefe, Geheimnisvolles, Unbeschwertheit. Die Möglichkeit, Erinnerungen zu schaffen, Spuren zu hinterlassen.

Sterben bedeutet für mich …

Eintauchen in das Universelle. Oder wie es im Herzsutra geschrieben steht: Form ist nicht verschieden von Leerheit, Leerheit ist nicht verschieden von Form. Form ist Leerheit, Leerheit ist Form. Das gleiche gilt für Empfindung, Wahrnehmung, Wollen und Bewusstsein. Daher gibt es in der Leerheit keine Form, keine Empfindung, keine Wahrnehmung, kein Wollen, kein Bewusstsein. Weder Augen, Ohren, Nase, Zunge, Körper noch Denken. Keine Farben, Geräusche, Gerüche, keinen Geschmack, keine Berührung und kein Objekt des Denkens. Weder einen Bereich der Sinne noch einen Bereich des Denkens. Weder Unwissenheit, noch ein Ende von Unwissenheit. Weder Alter und Tod noch ein Ende von Alter und Tod. Kein Leiden, keinen Anfang, kein Ende, keinen Weg, kein Erkennen und auch kein Erreichen, weil es nichts zu erreichen gibt.

Welches Ziel möchten Sie unbedingt noch erreichen?

Die Welt im Blick behalten.Schwimmen und lesen, soviel es geht, der Bosporus-Swim zwischen den Kontinenten Europa und Asien ist ein konkretes Ziel. Ich möchte gerne noch ein Buch schreiben, oder mehrere. Den Kailash umrunden. Der Einzug in das Palliativschloss wäre auch noch von Bedeutung, einen schönen, ästhetischen Ort zu schaffen, wo es möglich ist, unter einem Baum zu sterben. Französisch und Italienisch zu lernen, um dann in Frankreich oder Italien zu leben, sofern ich meine Pension erlebe. Als Palliativmedizinerin frage ich mich schließlich nicht, ob ich an Krebs sterbe, sondern an welchem. Die Ausbildung zur Fremdenführerin machen. Eine hohe Elo-Zahl erreichen. Klavierspielen. Und alles anders kommen lassen. Blöd sterben nicht unbedingt.

Meine bisher wichtigste Lernerfahrung im Leben ist …

Der Tod meiner Mutter, als ich 19 Jahre alt war. Ich bin damals sehr schnell erwachsen geworden, wahrscheinlich werde ich deswegen eine spinnerte Alte. Die Geburt meiner beiden Töchter Lilith und Romy. Die Veränderungen in meinem Leben, die häufig mit einem „Stirb und Werde“ verbunden waren.

Was würden Sie gern noch lernen?

Mehr auf die Meinung von anderen zu pfeifen. Tango Argentino.

Woraus schöpfen Sie Kraft für Ihre Arbeit?

Aus der Ruhe. Ich bin gerne alleine, wahrscheinlich, da ich als Kind oft alleine war. Ich gehe gerne alleine durch Orte, höre Musik, tauche in Bücher und Welten ein. Da meine Arbeit ein Sozialberuf ist und ich als Palliativmedizinerin die Nähe zu den Menschen schätze, empfinde ich das als guten Ausgleich. Ich fahre gerne Auto, am liebsten alleine, dann kann ich Musik hören, die sonst niemand ertragen würde. Who are you, when no one is watching?

Mit wem aus der Welt- oder Medizingeschichte würden Sie gern einmal einen Abend verbringen?

Mit Ingeborg Bachmann. Alle anderen würde ich für sie sitzen lassen. Wie sie um jedes Wort gerungen hat. Ich finde Wörter sehr bedeutsam.

Wenn ich einen Tag unsichtbar wäre, würde ich …

an Orte gehen, zu denen kaum jemand Zugang hat. Zum Beispiel das Innere der Pyramiden, die Kapelle mit der vermeintlichen Bundeslade in Äthiopien, die Lascaux-Höhlen in Frankreich, das vatikanische Geheimarchiv, die Area 51, die Kofun-Gräber in Japan oder die Poveglia-Geisterinsel in Italien.

Wie können Sie Herrn Michael Halmich beschreiben?

Michael Halmich kenne ich aus der Zusammenarbeit im Vorstand der Österreichischen Palliativgesellschaft. Ich habe Michael noch nie unhöflich erlebt, er hat immer eine Antwort parat, die man, obwohl er Jurist ist, verstehen kann, er ist gebildet, weltoffen, neugierig auf die Menschen und jemand, mit dem man lachen und entspannen kann. Michael hat ein elegantes und freundliches Wesen, in seiner Nähe fühlt man sich wohl. Michael ist mir sogar auf (s)einem Pferd sympathisch, obwohl ich zugegeben gewisse Vorurteile gegenüber Reitern habe. Michael ist jemand, vor dem man auch „deppert“ sein kann und sich nicht jedes Wort überlegen muss, was ein sicheres Zeichen für Sympathie ist. Zudem bewundere ich ihn für sein Schaffen, er hat viele wertvolle Bücher geschrieben, hält gute Vorträge und ist ein „hyggeliger“ Mensch. Michael möchte ich das Lied „Horses“ von Patti Smith widmen.

Wie beenden Sie Ihren Tag?

Ich höre gerne den Österreichischen Radiosender Ö1 zum Einschlafen, zum Beispiel das sonntägliche Ö1-Quiz und die Sendung „Im Gespräch“. Auch den Podcast „Erzähl mir von Wien“ oder den Kunstpodcast der ZEIT, „Augen zu“. Ich lese oder schaue Filme oder Serien an. Ich schaue aus dem Fenster. Abends trinke ich Flüssigkeit in verschiedenen Farben. (Bin ich alleine, arbeite ich meist sehr lange, aber das ist geheim.)

Gibt es etwas, das Sie gern gefragt worden wären, aber noch nie gefragt worden sind?

Ist es möglich, gut zu sein und doch zu leben?

Zur Person

Univ. Prof.in PDin DDr.in Eva Katharina Masel, MSc, ist Fachärztin für Innere Medizin mit Spezialisierung in Palliativmedizin. Sie ist Leiterin der Klinischen Abteilung für Palliativmedizin am Allgemeinen Krankenhaus Wien der Medizinischen Universität Wien. Sie ist Vorstandsmitglied der österreichischen Palliativgesellschaft sowie Mitglied nationaler und internationaler Fachgesellschaften.



Publication History

Article published online:
04 November 2024

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