CC BY-NC-ND 4.0 · Dtsch Med Wochenschr
DOI: 10.1055/a-2328-5953
Positionspapier

Interprofessionelle Handlungsfelder der Pflegefachpersonen in der Klinischen Akut- und Notfallmedizin

Empfehlungen der DIVI und der DGF
Christian Waydhas
1   Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum Essen
,
Torben Brod
2   Zentrale Notaufnahme, Medizinische Hochschule Hannover
,
Matthias Deininger
3   Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care, Universitätsklinikum der RWTH Aachen
,
Rolf Dubb
4   Fachbereichsleitung Weiterbildung, Kreiskliniken Reutlingen GmbH
,
Florian Hoffmann
5   Kinderklinik und Kinderpoliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital, Ludwig-Maximilians-Universität, Campus Innenstadt, München
,
Thomas van den Hooven
6   Pflegedirektion, Universitätsklinikum Münster
,
Uwe Janssens
7   Klinik für Innere Medizin und Internistische Intensivmedizin, St.-Antonius-Hospital gGmbH Eschweiler, Akademisches Lehrkrankenhaus der RWTH Aachen,
,
Arnold Kaltwasser
8   Fachbereichsleitung Weiterbildung für Intensivpflege und Anästhesie, Kreiskliniken Reutlingen GmbH
,
Andreas Markewitz
9   Bendorf
,
Sabrina Pelz
10   Advanced Practice Nurse, Fachgesundheits- und Krankenpflegerin für Intensivpflege und Anästhesie, Intensivstation, Universitätsklinikum Tübingen
,
Felix Walcher
11   Universitätsklinik für Unfallchirurgie, Universitätsmedizin Magdeburg
,
Dominik Zergiebel
12   Aus-, Fort- und Weiterbildung Pflege & OP, Bildungsinstitut für Pflege und Gesundheit (BiPG), Universitätsklinikum Münster
,
und dem Präsidium der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Beschluss vom 7. Mai 2024) und dem Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Fachkrankenpflege und Funktionsdienste (Beschluss vom 28. April 2024) › Author Affiliations
 

Einführung in die Thematik

Die aktuellen Entwicklungen, insbesondere auch im Krankenhaussektor, reflektieren einen ausgeprägten Mangel an Pflegefachpersonen sowie zunehmend auch an ärztlichem Personal. In diesem Umfeld ist die Diskussion über eine Ausweitung von Kompetenzen der Pflegefachberufe sowie die Schaffung neuer, auch akademischer Qualifizierungsmöglichkeiten, wie beispielsweise der Advanced Practice Nurse (APN) hochaktuell. Im Gesetz über die Pflegeberufe (Pflegeberufegesetz – PflBG) von 2017, mit letzter Aktualisierung 2021, sind Modellvorhaben zum Erwerb erweiterter Kompetenzen zur Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten vorgesehen. Diese sind momentan laut Regelung des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) auf bestimmte Tätigkeiten bei den Diagnosen Diabetes Typ I und II, chronische Wunden, Demenz und Verdacht auf Hypertonus (außer Schwangerschaft) begrenzt. Die Ausweitung auf die weiteren Modelle steht noch aus.

Aktuell ist im Bundesministerium für Gesundheit ein Pflegekompetenzgesetz geplant, das entsprechende Reformen vorsieht. In Bezug auf die Versorgung im Krankenhaus wird darin unter dem Eckpunkt 9 konstatiert: „Im Krankenhausbereich sind erweiterte Rollen für Pflegefachpersonen international verbreitet. Damit diese auch in Deutschland umgesetzt werden können, ist auch hier ein eigener pflegerischer Handlungsrahmen, bis hin zur eigenständigen klinischen Entscheidung von Interventionen erforderlich. Wir gehen daher insbesondere auf die DKG und die Krankenhäuser zu, um zu klären, wie wir die Krankenhäuser in diesem Prozess weiter unterstützen können“ [1].

In Ergänzung zur Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) und zu anderen Interessenvertretungen verfügen Fachgesellschaften der Fachpflege und der Ärzteschaft über medizinische, organisatorische und praxisbasierte Kompetenz. So wurde bereits vor fast einer Dekade die Notwendigkeit der Synchronisation der Interessen zur Stärkung der Notfallpflege erkannt, das Aktionsbündnis „Notfallpflege“ gegründet und ein entsprechendes Positionspapier veröffentlicht [2]. Im internationalen Kontext zeigte sich, das eine spezialisierte Pflege zu Ergebnisverbesserungen führen kann [3]. Im vorliegenden Schriftstück haben 2 große Fachgesellschaften, die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin e. V. (DIVI) und die Deutsche Gesellschaft für Fachkrankenpflege und Funktionsdienste e. V. (DGF), einen Konsens zu den interprofessionellen Handlungskompetenzen in der klinischen Akut- und Notfallmedizin erarbeitet.

Die DIVI vertritt in ihrer Rolle als wissenschaftliche, interdisziplinäre und interprofessionelle Dachgesellschaft sowohl die Fachpflege als auch die Ärzteschaft in den Bereichen der Intensiv- und Notfallmedizin – mit dem Ziel einer teambasierten Optimierung der Versorgung von schwer akut erkrankten Patienten.

Die DGF ist als Fachgesellschaft die Interessenvertretung der Fachkrankenpflege und Funktionsdienste: mit den Schwerpunkten Pflege auf Intensivstationen, in der Anästhesie, im OP und in der Notaufnahme. Schwerpunkt ist die Weiterentwicklung eigenständiger pflegerischer Kompetenzen im Rahmen integrativer interdisziplinärer Versorgungskonzepte der ambulanten und stationären Therapie und Pflege. Auf nationaler Ebene ist die DGF im Deutschen Pflegerat e. V. (DPR) organisiert. International ist die DGF Mitglied in der International Federation of Nurse Anesthetists (IFNA) und der European Federation of Critical Care Nursing Associations (EfCCNa).

Die politische Diskussion zur Aktualisierung des Pflegeberufegesetzes fokussiert auf die Berufsgruppe der 2-jährigen Fachkrankenpflege. Diesem Schwerpunkt folgen auch die im Weiteren dargestellten Empfehlungen, da die Berufsgruppe der Pflegefachpersonen, zusammen mit der Ärzteschaft, den personellen Kern der klinischen Akut- und Notfallmedizin bilden. Darüber hinaus haben jedoch eine Vielzahl weiterer Berufsgruppen, wie Medizinische Fachangestellte, Notfallsanitäter und Notfallsanitäterinnen, anästhesietechnische Assistenten und Assistentinnen oder Physician Assistants einen ganz wesentlichen Anteil am Funktionieren der medizinischen Versorgung in der Notaufnahme. Eine Berücksichtigung des erweiterten Kreises von Berufsgruppen erhöht in der Abstimmung der Handlungskompetenzen die Komplexität erheblich. Daher ist es in den nächsten Schritten erforderlich und vorgesehen, die vorliegenden Empfehlungen – in Analogie – auf die anderen Berufe und Berufsgruppen zu übertragen und in einer weiteren Publikation zur Diskussion zu stellen.

Für die Intensivmedizin hat die DIVI kürzlich in paritätischer, interprofessioneller und multidisziplinärer Zusammenarbeit eine Empfehlung zu den „Interprofessionellen Handlungsfeldern in der Intensivmedizin“ erarbeitet und publiziert [4]. In dieser werden in 8 Kernaussagen und einer Matrix qualifikationsadaptiert Kompetenzen der Fachpflege vorgeschlagen.

Auf diesen Empfehlungen basierend wurde von einer erweiterten, paritätisch zusammengesetzten Arbeitsgruppe (siehe Autoren) ein ähnlicher Vorschlag für den Bereich der klinischen Akut- und Notfallmedizin entwickelt, der die Spezifika dieses Arbeitsbereiches abbildet. Die Grundlagen waren, neben der Expertise der beteiligten Personen, zentrale Publikationen aus dem deutschsprachigen und europäischen Raum sowie das Pflegeberufegesetz [5]. Nachdem der Entwurf im Vorfeld jeweils bereits kommentiert und modifiziert werden konnte, wurde das Manuskript in 4 Videokonferenzen innerhalb der Arbeitsgruppe diskutiert, weiterentwickelt und konsentiert. Die Empfehlungen wurden vom Präsidium der DIVI (am 7. Mai 2024) und dem Vorstand der DGF (am 28. April 2024) einstimmig beschlossen.


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Empfehlungen zu den interprofessionellen Handlungsfeldern von Pflegefachpersonen in der klinischen Akut- und Notfallmedizin

Eine bestmögliche notfallmedizinische Versorgung von akut Erkrankten oder Verletzten ist bei der inzwischen erreichten Komplexität – sowohl der akuten Erkrankungszustände, in Kombination mit den häufig vorhandenen chronischen Begleiterkrankungen, als auch der immer weiterwachsenden Behandlungs- und Versorgungsmöglichkeiten – nur in interdisziplinären und interprofessionellen Teams möglich. Die Kompetenz und der Beitrag eines jeden Teammitglieds und jeder Berufsgruppe ist dabei unverzichtbar.

Für eine optimale Patientenversorgung ist daher die bestmögliche interprofessionelle Teamleistung essenzielle Grundlage. Eine solche bedarf einer gemeinsamen Abstimmung der Ziele und Abläufe sowie der Handlungskompetenzen. Daraus ergeben sich eine Reihe von Kernanforderungen, die über allen Detailregelungen stehen:

Kernaussage 1

Die Zusammenarbeit muss im gegenseitigen Vertrauen auf die Kompetenz und Zuverlässigkeit der beteiligten Personen und Berufsgruppen sowie der gegenseitigen Wertschätzung gründen.

Kernaussage 2

Grundlage der Handlungsfähigkeit ist die Definition der notwendigen Kompetenz. Diese wird in den jeweiligen Ausbildungen, Studiengängen und Weiterbildungen erworben. Ein Abschluss im Rahmen des erlernten Kompetenzniveaus weist die jeweilige Befähigung nach. Die erforderlichen Handlungskompetenzen müssen in den jeweiligen Curricula bundeseinheitlich abgebildet und erlernbar sein.

Eine Kultur des Vertrauens, der Wertschätzung und kooperativen Zusammenarbeit lässt sich weder verordnen noch messen. Dennoch ist ohne ein angemessenes Vertrauensverhältnis und eine wertschätzende Zusammenarbeit eine gute Leistung des Teams in der ganzheitlichen Patientenversorgung nicht möglich. Nicht nur die Leitungspersonen, sondern jedes einzelne Mitglied des Teams sollte sich verpflichtet fühlen, das gegenseitige Vertrauen zu erwerben, zu rechtfertigen und zu erhalten. Ohne dieses wird auch die Einhaltung der im Folgenden ausgeführten Empfehlungen nicht zur bestmöglichen Leistung in der Patientenversorgung führen. Defizite in der Team-Performance lassen sich auch durch eine strikte Umsetzung der nachfolgenden Ausführungen nicht kompensieren.

Kernaussage 3

Grundlage der konkreten Zusammenarbeit sind:

  • die interprofessionelle Erarbeitung von (einrichtungsadaptierten) Handlungskonzepten[1]

  • die strukturierte Einarbeitung neuer Mitarbeitender gemäß den klinikinternen Standards

  • gemeinsame interprofessionelle Besprechungen:

    • Besprechung des Tagesplans (Frühbesprechung)

    • Besprechung des Diagnostik- und Behandlungsplans jedes Patienten

    • Festlegung der Behandlungsziele bei den Patienten der Beobachtungsstation zu mindestens 2 festgelegten Zeitpunkten

Für praktisch alle Bereiche der notfallmedizinischen Behandlung sind die ärztliche und die pflegerische Kompetenz für eine gute Gesamtbehandlung bedeutsam. Deshalb ist es unerlässlich, dass für möglichst viele dieser Bereiche gemeinsam (Be)Handlungskonzepte1, Abläufe und Leitpfade erstellt, schriftlich fixiert, durch regelmäßige Evaluation kontinuierlich weiterentwickelt sowie an die krankenhausspezifischen Gegebenheiten adaptiert werden. Solche gemeinsam erarbeiteten Konzepte haben für alle Mitarbeitenden einen verbindlichen Charakter, sofern im Einzelfall nicht patientenindividuell klar begründete Abweichungen erforderlich sind.

Für alle beteiligten Berufsgruppen besteht gleichermaßen die Pflicht und das Recht, sich an der Erarbeitung solcher Konzepte zu beteiligen.

Es existiert bereits eine Reihe von Vorschlägen für Qualitätsindikatoren in der klinischen Akut- und Notfallmedizin [6] [7] [8] [9] [10]. Allerdings handelt es sich dabei in erster Linie um Struktur- und Prozessmerkmale, die keine Aspekte einer interprofessionellen Zusammenarbeit beinhalten [11]. Der Einfluss der Qualität in der Kommunikation innerhalb der Behandlungsteams auf die Behandlungsqualität konnte aufgezeigt werden, ohne dass dafür messbare Indikatoren beschrieben sind [12]. Aus dem Verständnis der täglichen Abläufe ergeben sich jedoch 3 Kernelemente für interprofessionelle Absprachen:

  • Zu Beginn der Kernarbeitszeit sollte eine gemeinsame Besprechung die Besonderheiten des kommenden Tages vermitteln und allen Teammitgliedern kommuniziert werden. Dazu können Informationen zum aktuellen Personalstand und zu besonderen abzusehenden Ereignissen (die ggf. zu einem vermehrten Patientenaufkommen führen könnten und vorbereitender Maßnahmen bedürfen) gehören. Weiterhin können zu erledigende organisatorische oder administrative Aufgaben und andere Aspekte, die für den Tagesablauf relevant sein könnten, angesprochen werden.

  • Bei möglichst allen Patienten erfolgt eine interprofessionelle Besprechung, die bettseitig oder auch patientenfern stattfinden kann, und bei der ein Diagnostik- und (Be)Handlungsplan abgesprochen werden. Dann können die Teammitglieder die weiteren Behandlungsschritte in ihrem vereinbarten Kompetenzbereich durchführen und sich über den Fortgang rückbesprechen. Für komplexere Situationen, z. B. die Versorgung geriatrischer Patienten, gibt es bereits Empfehlungen zur interprofessionellen Therapieplanung [13].

  • Auf der Beobachtungs-/Aufnahmestation kann in Analogie zur Intensivmedizin ein adaptierter Qualitätsindikator I der DIVI [14] angewendet werden. Bei dem höheren Patientendurchsatz in der Notfallmedizin erscheint allerdings eine einmalige morgendliche Visite zur Festlegung der Tageziele nicht ausreichend. Vielmehr sollten täglich mindestens 2 Termine etabliert werden, z. B. bei jedem Schichtwechsel, an dem die interprofessionelle Besprechung bzw. Visite zur gemeinsamen Festlegung der Behandlungsziele stattfindet.

Kernaussage 4

Kompetenzstufen der Pflegefachpersonen werden in 3 Kategorien eingeteilt:

  • Pflegefachfrau/Pflegefachmann ohne oder mit dem akademischen Grad eines Bachelor of Science oder Bachelor of Arts (BSc/BA)

  • Zusätzlich mit 2-jähriger Fachweiterbildung Notfallpflege

  • Advanced Practice Nurse (APN) mit Fachweiterbildung Notfallpflege

Definitionen

  • Pflegefachfrau/Pflegefachmann: Die Qualifikation als Pflegefachfrau/Pflegefachmann ist im Gesetz über die Pflegeberufe (Pflegeberufegesetz − PflBG) im § 1 festgelegt. Vorbehaltene Tätigkeiten, Ausbildungsziele sowie Dauer und Struktur der Ausbildung sind im Abschnitt 2 (§§ 4−6) beschrieben. Die Dauer der Ausbildung beträgt in Vollzeitform 3 Jahre [5].

  • Pflegefachfrau/Pflegefachmann mit dem akademischen Grad des Bachelor of Science, Bachelor of Arts, BSc/BA: Die Qualifikation der hochschulischen Pflegeausbildung ist im Gesetz über die Pflegeberufe (Pflegeberufegesetz − PflBG) im § 37 ff/. festgelegt. Vorbehaltene Tätigkeiten, Ausbildungsziele sowie Dauer und Struktur der Ausbildung sind dort beschrieben. Die Dauer der Ausbildung beträgt in Vollzeitform mindestens 3 Jahre [5].

  • Fachweiterbildung Notfallpflege: Im föderalen System in Deutschland werden die Weiterbildungen Notfallpflege sowohl staatlich, nach DKG oder nach Vorgabe der entsprechenden Landespflegekammer absolviert und es existieren teilweise unterschiedliche Begrifflichkeiten [15] [16] [17]. Alle Abschlüsse sind bundesweit anerkannt. Maßgeblich ist eine Erfüllung der Kompetenzvermittlung des Mustercurriculums mit einer mindestens 2-jährigen Weiterbildung bei Vollzeitkräften; bei Teilzeitkräften verlängert sich die Weiterbildungszeit entsprechend. Dies ist deshalb von essenzieller Bedeutung, da für die Tätigkeiten am Patienten bei fachweitergebildeten Pflegefachpersonen von einer einheitlichen Kompetenz auszugehen ist, da aus Praktikabilitätsgründen eine in Nuancen unterschiedliche Übernahme von Tätigkeiten für jede einzelne Pflegefachperson nicht realisiert werden kann. Äquivalenzbescheinigungen durch Gesetze, regulatorische Behörden oder Pflegekammern müssen deshalb diese Vergleichbarkeit gewährleisten.

  • Unter einer Advanced Practice Nurse (APN) wird eine Pflegefachperson mit einem Abschluss als Master of Science (MSc) in Advanced Practice Nursing [18] [19] verstanden, die zusätzlich über eine 2-jährige Fachweiterbildung für Notfallpflege verfügt. Dieser Hinweis ist notwendig, da das Masterstudium als APN bisher keine spezialisierte Weiterbildung in der Notfallpflege beinhaltet. Studiengänge in Pflegemanagement oder anderen patientenfernen Studiengängen sind damit nicht gemeint, sondern die Höherqualifikation und wissenschaftliche Weiterentwicklung einer Pflegefachperson mit Fachweiterbildung Notfallpflege.

  • Unter einem Arzt wird ein Arzt mit mindestens Facharztstandard für die Weiterbildungsinhalte der klinischen Akut- und Notfallmedizin verstanden oder ein Arzt, der unter der unmittelbaren fachlichen Supervision eines solchen handelt.

  • Die Ausbildung zur Pflegeassistenz beträgt je nach Bundesland mindestens ein Jahr. Personen mit dieser Ausbildung dürfen ausschließlich Tätigkeiten ausüben, die in ihrem Ausbildungscurriculum vermittelt wurden und unter der unmittelbaren fachlichen Supervision mindestens einer Pflegefachperson erfolgen.

Kernaussage 5

Die Kompetenz der Pflegefachperson am Ende der Ausbildung, Weiterbildung oder des Studiums soll in den 3 Kompetenzstufen jeweils bundesweit einheitlich sein. Dies sollte von den Fachgesellschaften, Berufsvertretern und dem Gesetzgeber im Bund und den Ländern gewährleistet werden.

Auch wenn die 2-jährige Fachweiterbildung „Notfallpflege“ föderal in Nuancen unterschiedlich geregelt ist, so besteht eine bundesweite gegenseitige Anerkennung, aufgrund derer ein gleiches Kompetenzniveau aller Absolventen angenommen werden kann. Weniger einheitlich sind die Curricula und Anforderungen für die Masterstudien zur APN. Hier besteht dringender Regelungsbedarf, da uneinheitliche Kompetenzen der verschiedenen Personen bei vermeintlich vergleichbaren Studieninhalten weder den betroffenen Pflegefachpersonen noch den Personalverantwortlichen im Krankenhaus bzw. in der klinischen Akut- und Notfallmedizin und erst recht nicht den Patienten zu vermitteln sind. Es verhindert zudem die Umsetzung der Kernaussage 6, wenn für jede einzelne Pflegefachperson geprüft werden muss, was genau im jeweiligen Masterstudium vermittelt bzw. erlernt wurde.

Kernaussage 6

Mit erfolgreichem Abschluss der jeweiligen Kompetenzstufe werden die darin vermittelten Kompetenzen als erlernt vorausgesetzt. Im Rahmen der Einarbeitung in der klinischen Akut- und Notfallmedizin werden die theoretischen und praktischen Kenntnisse durch einen Abgleich mit einem klinikspezifischen Einarbeitungslernziel-Katalog zusammengeführt und die eigenständige, praktische Anwendungsfähigkeit bescheinigt.

Eine Höherqualifizierung macht keinen Sinn, wenn die erlernten Kenntnisse und Fertigkeiten in der Praxis nicht umgesetzt werden können und/oder dürfen. Umgekehrt muss sich der oder die für die Ablauforganisation Verantwortliche darauf verlassen können, dass die mit der Höherqualifizierung bescheinigten Kenntnisse und Fertigkeiten tatsächlich auch vorhanden sind.

Kernaussage 7

Die Handlungskompetenzen werden entsprechend der 2 Kategorien von Kompetenzstufen in einer Matrix detailliert dargestellt, ergänzt um die Handlungskompetenzen von APNs der dritten Kompetenzstufe.

Die hier dargestellten Kernaussagen bedürfen der Konkretisierung und detaillierten Darstellung für die notfallmedizinischen Handlungsfelder, um aus den Kernaussagen eine praxistaugliche Empfehlung für die tägliche Arbeit in der klinischen Akut- und Notfallmedizin zu generieren. Dies soll im Folgenden geschehen.


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Definitionen in Bezug auf Handlungskompetenzen

  • Vorbereitung: Material- und Patientenvorbereitung

  • Assistenz: Unterstützung bei Maßnahmen, die nicht eigenständig durchgeführt werden dürfen

  • Durchführung: Praktische, eigenverantwortliche Ausführung der beschriebenen Maßnahme

  • Evaluierung: Identifikation und Bewertung des Erfolgs, der Auswirkungen und potenziellen Komplikationen der durchgeführten Maßnahme

  • Anpassung: Ableitung von Folgemaßnahmen, die sich aus der Evaluierung ergeben und deren anschließende Durchführung

  • Indikation: Eigenverantwortliche Feststellung der Notwendigkeit einer Maßnahme

  • Indikation, Durchführung, Evaluierung und Anpassung: Eigenverantwortliches Handeln im Rahmen der spezifischen Handlungskonzepte und der Ziele, die im Rahmen der interprofessionellen Besprechungen oder durch im Verlauf vorgenommene Änderungen der Ziele vereinbart worden sind. Bei Auffälligkeiten, neu aufgetretenen Problemen, offensichtlicher Nichterreichbarkeit der Ziele oder Über- bzw. Unterschreitung gegebener Leitplanken oder Grenzwerte ist die zuständige Ärztin/der zuständige Arzt hinzuzuziehen und die Situation gemeinsam neu zu bewerten.

  • Der Zusatz „unter fachlicher Supervision“ bedeutet, dass die Durchführung, Evaluierung, Kontrolle und Anpassung nur unter fachlicher Supervision einer Pflegefachperson oder APN mit Fachweiterbildung „Notfallpflege“ oder eines Arztes erfolgen darf. Die supervidierende Person soll sich in der Nähe aufhalten und in der Lage sein, sofort an das Patientenbett zu kommen, braucht aber die beaufsichtigten Personen nicht ständig im Blick zu haben. Die Maßnahmen erfolgen entsprechend den interprofessionellen Absprachen.


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Empfohlene Matrix

Die in den [Tab. 1], [2], [3], [4], [5], [6] empfohlene Matrix beschreibt Kompetenzen, stellt aber keine Aufgabenbeschreibung dar. So sind beispielsweise Aufgaben wie die Herstellung und Überprüfung der Einsatzbereitschaft des Geräteparks zum Schichtwechsel, Geräteeinweisungen und andere Tätigkeiten nicht aufgeführt, da sie anderweitig (hier: Medizinprodukte-Betreiberverordnung) geregelt sind. Die Auflistung der Kompetenzbereiche ist nicht allumfassend, und einzelne Kompetenzbereiche mögen fehlen. Solche können dann, im Geiste der gemachten anderen Empfehlungen, ergänzt werden.

Tab. 1

Ersteinschätzung.

Handlungsfelder

Pflegefachpersonen/BSc, BA

Spez. FWB Notfallpflege

Ersteinschätzung neu eintreffender Patienten und ggf. Verlaufseinschätzung

Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Tab. 2

Pflegerische und therapeutische Interventionen.

Handlungsfelder

Pflegefachpersonen/BSc, BA

Spez. FWB Notfallpflege

Lagerung, Dekubitusprophylaxe, Mobilisierung

Indikation[b], Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Indikation[b], Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Lagerung, bei speziellen Krankheitsbildern

Assistenz

Indikation[c], Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Neurologische Überwachung (Pupillen, Motorik …)

Durchführung, Evaluierung

Durchführung, Evaluierung

Screening von Sedierung, Schmerz, Delir, Angst, Schlaf, Stress

Durchführung, Evaluierung unter fachlicher Supervision

Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Nicht medikamentöse Delir-Prophylaxe und -therapie

Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Indikation, Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Konventionelle Sauerstoffgabe

Durchführung, Evaluierung und Anpassung unter fachlicher Supervision

Indikation, Durchführung, Evaluierung und Anpassung

High-Flow-Sauerstoff-Therapie

Durchführung, Evaluierung und Anpassung unter fachlicher Supervision

Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Nicht invasive Beatmung

Assistenz

Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Sekretmanagement

Indikation (außer endotracheal), Durchführung, Evaluierung und Anpassung unter fachlicher Supervision

Indikation, Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Etablierung eines alternativen Atemwegs

Vorbereitung der Maßnahme unter fachlicher Supervision

Vorbereitung und Unterstützung der Maßnahme bzw. bei praktischer Kompetenz auch Durchführung[d]

Endotracheale Intubation

Vorbereitung der Maßnahme unter fachlicher Supervision

Vorbereitung und Unterstützung der Maßnahme

Anlage einer periphervenösen Verweilkanüle

Durchführungd, Evaluierung und Anpassung unter fachlicher Supervision

Indikation, Durchführungd, Evaluierung und Anpassung

Hämodynamisches Monitoring (nicht invasiv, invasiv)

Durchführung, Evaluierung unter fachlicher Supervision

Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Rhythmus- und Ischämiediagnostik

Durchführung, Erkennung lebensbedrohlicher Herzrhythmusstörungen

Durchführung, Erkennung und Interpretation bedrohlicher Herzrhythmusstörungen, Ischämie

Flüssigkeitsmanagement

Durchführung, Evaluierung unter fachlicher Supervision

Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Katecholamin-, Vasopressoren-, Vasodilatatorentherapie

Durchführung, Evaluierung unter fachlicher Supervision

Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Arterielle Punktion

Assistenz

Durchführung[d]

Anlage einer arteriellen Verweilkanüle

Assistenz

Assistenz

Anlage eines zentral-venösen Katheters (ZVK)

Assistenz

Assistenz

Punktion eines Portkatheters

Durchführung unter fachlicher Supervision

Durchführung

Blutgasanalyse, Säure-Basen-Haushalt

Durchführung, Evaluierung unter fachlicher Supervision

Durchführung, Evaluierung

BLS

Indikation, Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Indikation, Durchführung, Evaluierung und Anpassung

ALS, Defibrillation

Indikation, Durchführung, Evaluierung

Indikation, Durchführung, Evaluierung und Anpassung

ALS, allgemein

Assistenz

Durchführung, Evaluierung und Anpassung zusammen mit Arzt

Legen einer Magensonde

Durchführung[d], Evaluierung und Anpassung

Indikation[b], Durchführung[d], Evaluierung und Anpassung

Transurethrale Harnableitung

Durchführung[c] , [d], Evaluierung und Anpassung

Indikation[b], Durchführung[d] Evaluierung und Anpassung

b Nach Abklärung spezifischer Kontraindikationen mit der zuständigen Ärztin/dem zuständigen Arzt.


c Nach Abklärung der Indikation und spezifischer Kontraindikationen mit der zuständigen Ärztin/dem zuständigen Arzt.


d In Absprache mit der zuständigen Ärztin/dem zuständigen Arzt, da solche Fertigkeiten für deren eigene Weiterbildung benötigt werden können.


Tab. 3

Kommunikation mit Patienten/Zugehörigen.

Handlungsfelder

Pflegefachpersonen/BSc, BA

Spez. FWB Notfallpflege

Betreuung von Zugehörigen, deren Einbindung am Patientenbett, Besuchsregelungen

Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Indikation[b], Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Anamnese-Erhebung bei Zugehörigen

Durchführung

Durchführung

Therapieziel-Festlegung und andere ethische Entscheidungsfindungen

Mitwirkung im interprofessionellen Team

Mitwirkung im interprofessionellen Team

b Nach Abklärung spezifischer Kontraindikationen mit der zuständigen Ärztin/dem zuständigen Arzt.


Tab. 4

Transport kritisch kranker Patienten.

Handlungsfelder

Pflegefachpersonen/BSc, BA

Spez. FWB Notfallpflege

Patiententransporte, innerklinisch

Vorbereitung und Durchführung, zusammen mit d. Arzte

Vorbereitung und Durchführung, zusammen mit d. Arzt

Tab. 5

Pharmakologische Therapien.

Handlungsfelder

Pflegefachpersonen/BSc, BA

Spez. FWB Notfallpflege

Glukosekontrolle

Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Indikation[c], Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Elektrolytkontrolle

Durchführung, Evaluierung und Anpassung unter fachlicher Supervision

Indikation[c], Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Schmerztherapie

Durchführung, Evaluierung und Anpassung unter fachlicher Supervision

Indikation[c], Durchführung, Evaluierung und Anpassung

c Nach Abklärung der Indikation und spezifischer Kontraindikationen mit der zuständigen Ärztin/dem zuständigen Arzt.


Tab. 6

Dokumentation pflegerischer Tätigkeiten, Qualitäts- und Schnittstellen-Management.

Handlungsfelder

Pflegefachpersonen/BSc, BA

Spez. FWB Notfallpflege

Analoge und digitale Dokumentation im KIS

Durchführung, Evaluierung

Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Advanced Practice Nurse (APN)

  1. Ein APN mit einer 2-jährigen Fachweiterbildung Notfallpflege verfügt über die gleichen Handlungskompetenzen wie eine Pflegefachperson mit der Fachweiterbildung „Notfallpflege“.

  2. Darüber hinaus bestehen die folgenden Kompetenzen:

    • Entwicklung, Weiterentwicklung und Steuerung notfallmedizinischer Pflegekonzepte nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft

    • Entwicklung, Weiterentwicklung und Steuerung notfallmedizinischer Handlungskonzepte im Team nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft

    • Initiierung, Steuerung, Durchführung oder Mitarbeit bei wissenschaftlichen Projekten

Pflegefachpersonen (mit oder ohne Fachweiterbildung Notfallpflege) ohne APN sollen keinesfalls von den unter Punkt (2) genannten Tätigkeiten ausgeschlossen werden. Vielmehr sollen sie zu diesen Aufgaben beitragen, wenn keine entsprechende APN zur Verfügung steht bzw. diese mit ihrem Fachwissen unterstützen.


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Schlussbemerkung

Im Mittelpunkt steht die Entwicklung von Kompetenzen und beruflicher Handlungsfähigkeit. Dies erfordert ein kompetenzorientiertes didaktisches Verständnis und entsprechende methodische Herangehensweisen. Das Ziel ist der Erwerb und die Weiterentwicklung von Kenntnissen, Fertigkeiten und Erfahrungen zur eigenverantwortlichen Durchführung im Rahmen der beschriebenen Themenfelder und zur teamorientierten Mitwirkung, insbesondere bei der intensiv- und notfallmedizinischen Versorgung kritisch erkrankter oder verletzter Patienten. Handlungskompetenz ist in erster Linie Problemlösungskompetenz. Zu einer umfassenden Handlungskompetenz gehören daher neben dem Fachwissen auch soziale Fähigkeiten, wie Empathie und Wertschätzung.


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

1 Unter einem Handlungskonzept soll eine vorgegebene Handlungsweise verstanden werden, die Ziele, Indikationen, Inhalte, Verfahren, Methoden sowie Techniken umfasst. Handlungskonzepte können Algorithmen, Flussdiagramme, Standardvorgehensweise (SOPs) umfassen, sind aber nicht darauf beschränkt und sollen nicht als einschränkende Bezeichnung angesehen werden.



Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Christian Waydhas
Unfallchirurgische Intensivstation
Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie
Universitätsklinikum Essen
Hufelandstr. 55
45147 Essen
Deutschland   

Publication History

Article published online:
07 June 2024

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