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DOI: 10.1055/a-2300-3606
Qualitätskriterien qualitativer Studien in der Rehabilitationsforschung
Quality Criteria of Qualitative Studies in Rehabilitation Research- Zusammenfassung
- Abstract
- Einleitung
- Methodologische Grundannahmen qualitativer Forschung
- Merkmale der Rehabilitationsforschung
- Qualitätskriterien qualitativer Studien
- Fazit und Ausblick
- Limitationen
- Kernbotschaft
- Literatur
Zusammenfassung
Angesichts der Vielzahl unterschiedlicher Fragestellungen, einzubeziehender Perspektiven und beteiligter Disziplinen, gehören mit Hilfe qualitativer Methoden durchgeführte Studien mittlerweile zum festen Bestandteil der Rehabilitationswissenschaften. Um ihre Qualität und Aussagekraft gewährleisten und nachvollziehen zu können, bedarf es Kriterien, an denen sich Forschende und Rezipient:innen orientieren können. Aufgrund der Spezifika und Heterogenität qualitativer Ansätze, herrscht jedoch Uneinigkeit bezüglich angemessener und universell-gültiger Gütekriterien. In diesem Beitrag werden Kernkriterien, die bei der Planung, Durchführung und dem Rezipieren von qualitativen Studien(-teilen) zu Hilfe genommen werden können, vorgestellt und mit Bezug zur nationalen Rehabilitationsforschung diskutiert. Dafür werden die spezifischen Merkmale der Rehabilitationsforschung berücksichtigt und die Anwendung der Qualitätskriterien anhand konkreter Beispiele aus der Forschungspraxis der Rehabilitationswissenschaften dargestellt.
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Abstract
Considering the variety of research questions, perspectives, and disciplines involved, qualitative studies have become an integral part of rehabilitation sciences. To ensure and estimate their quality and thus the significance of their results, criteria are needed for both researchers and recipients. Due to the specific nature and the heterogeneity of qualitative research approaches, there is still disagreement regarding appropriate universally valid quality criteria. In this article, core criteria that can be used to plan, conduct and receive qualitative studies are presented and discussed with reference to national rehabilitation research. For this purpose, the specific characteristics of rehabilitation research are taken into account and the application of quality criteria is illustrated using concrete examples from the research practice of rehabilitation sciences.
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Schlüsselwörter
Qualitative Methoden - Gütekriterien - Forschungspraxis - Methodologie - RehabilitationsforschungKeywords
Qualitative methods - quality criteria - research practice - methodology - rehabilitation scienceEinleitung
Sowohl die Praxis- als auch die Forschungsfelder im Bereich der Rehabilitation sind geprägt durch verschiedene disziplinäre Kontexte. Rehabilitation ist eingebettet in das Sozial- und Gesundheitssystem und wird folglich sowohl aus sozialer und medizinischer als auch aus arbeitsweltlicher Perspektive betrachtet, wobei die Perspektiven häufig eng miteinander verbunden sind [1]. Die Rehabilitationswissenschaften sind somit durch eine disziplinäre Vielfalt geprägt und lassen sich nicht einer Disziplin zuordnen [2]. Neben einer etablierten medizinischen Forschungstradition und einer daraus resultierenden klinisch orientierten Betrachtungsweise lassen sich immer stärker werdende Annäherungen an die Versorgungs- und Teilhabeforschung erkennen [3]. Das Ergebnis besteht in einer Erweiterung der medizinischen Perspektive um sozial- und geisteswissenschaftliche Ansätze die allesamt, je nach Fragestellung, auch durch unterschiedliche methodische Herangehensweisen geprägt sind.
Obwohl in den Rehabilitationswissenschaften zum Teil noch eine starke Fokussierung auf kontrollierte, standardisierte, quantitative Forschungsansätze existiert [4], wird der Nutzen qualitativer Ansätze für rehabilitationswissenschaftliche Fragestellungen sowohl in Form von singulär-qualitativen Studien als auch als Bestandteil von Mixed-Methods-Designs mittlerweile häufiger und breiter anerkannt. Umso wichtiger erscheint es für die rehabilitationswissenschaftliche Forschungspraxis die Güte qualitativer Forschung zu gewährleisten. Die Beachtung, Erfüllung und Dokumentation von Qualitätskriterien bei der Durchführung empirischer Studien sind, zunächst unabhängig von der Art des methodischen Zugangs, zentrale Bestimmungsfaktoren für die Aussagekraft, Vergleichbarkeit und Relevanz wissenschaftlicher Erkenntnisse [4]. Wissenschaftliche Gütekriterien legen fest auf welcher Basis die Qualität einer Studie bewertet werden kann [5]. Während in der quantitativen Forschung zentrale methodische Gütekriterien relativ konsensfähig und in vielen Bereichen detailliert ausformuliert sind, wird die Debatte um geeignete Gütekriterien in der qualitativen Forschung bis dato kontrovers geführt [5]. Dieser Diskurs thematisiert nicht nur welche Kriterien dabei besonders geeignet sind, um die Qualität von Studien zu bewerten, sondern auch ob derartige Kriterien aufgrund einiger methodologischer Grundannahmen und Ausprägungsformen der praktischen Umsetzung qualitativer Methoden überhaupt sinnvoll erscheinen [5].
Mittlerweile existieren in mehreren Forschungsdisziplinen Beiträge, die Forschenden eine Hilfestellung und Orientierung zur Sicherstellung der Qualität bei der Anwendung qualitativer Methoden geben sollen. Zu nennen ist hier u. a. das Diskussionspapier von Stamer et al. [6] für den Bereich der Versorgungsforschung. Solche Beiträge bieten aber nicht nur Forschenden Orientierung, sondern auch Rezipient:innen qualitativer Studien, die deren methodische Güte und Aussagekraft auf der Grundlage spezifischer Kriterien besser einordnen können. Ziel des vorliegenden Beitrages ist es eine solche Orientierungshilfe für qualitative Studien(-teile) im Kontext der nationalen Rehabilitationsforschung zu geben, indem Spezifika dieses Forschungsbereiches berücksichtigt und die Umsetzung der Qualitätskriterien anhand von konkreten Beispielen aus der qualitativen Forschungspraxis der Rehabilitationswissenschaften aufgezeigt werden. Das Bestreben des Beitrages ist es die Qualität und Transparenz qualitativer rehabilitationswissenschaftlicher Forschung zu fördern.
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Methodologische Grundannahmen qualitativer Forschung
Zunächst erscheint es sinnvoll einige grundlegende methodologische Annahmen qualitativer Zugänge kurz zu umreißen. Voranzustellen ist, dass die qualitative Forschung ein Sammelbegriff vieler unterschiedlicher Forschungsansätze und Verfahren darstellt [7]. Obwohl es innerhalb der qualitativen Methoden unterschiedliche Denkansätze und Strömungen gibt, existieren jedoch einige methodologische Merkmale, die als kleinster gemeinsamer Nenner der verschiedenen Zugänge gelten können [8].
Ein typisches Merkmal qualitativer Ansätze stellt das Prinzip der Offenheit und daraus folgend der Induktion dar [9], ohne außer Acht zu lassen, dass durchaus auch deduktive, qualitative Forschungsansätze existieren. Gemeint ist hiermit, dass sowohl Analyse- und Theorieansätze als auch Gültigkeitsbereiche aus dem jeweiligen Datenmaterial heraus identifiziert und von Einzelfällen ausgehend Aussagen geschlussfolgert werden [4] [10]. Qualitativ-methodische Zugänge orientieren sich am Forschungssubjekt und zielen somit darauf ab Perspektiven, Wahrnehmungen und Einstellungen von Akteur:innen auf einen Untersuchungsgegenstand zu erfassen [9]. Der Modus Operandi stellt die Rekonstruktion und im Idealfall das Verstehen von subjektivem Sinn dar, d. h. qualitative Forschung rekonstruiert und interpretiert subjektive Sichtweisen, Deutungsmuster oder Wirklichkeitskonzepte im Zuge eines methodisch kontrollierten Fremdverstehens [11]. Diese Interpretation schließt den Kontext, in welchem das jeweilige Subjekt sich verortet mit ein (z. B. biografische Merkmale wie die Krankheitsgeschichte) und versucht so ein möglichst detailliertes und vollständiges Bild der zu erschließenden Wirklichkeitsausschnitte zu liefern [11]. Wenngleich der Nachvollzug subjektiv-intentionaler (manifester, unmittelbar ersichtlicher) Sinngehalte dominiert, existieren auch Ansätze in denen es um die Rekonstruktion sozial geteilter (teils manifester, teils latenter) Sinngehalte oder gar invarianter (latenter, nicht unmittelbar ersichtlicher) Tiefenstrukturen (=objektiver Sinn) geht [12]. Ungeachtet davon existiert im Bereich der qualitativen Methoden eine Bandbreite an epistemologischen Positionen. Das primäre, wenn auch nicht ausschließliche Datenmaterial, welches durch qualitative Methoden generiert wird, sind sprachliche Äußerungen, häufig ausformuliert in der Textform oder informationshaltigen Beobachtungen [13]. Darüber hinaus können bereits Daten vorliegen (z. B. Dokumente, Bilder), die anhand eines qualitativen Vorgehens ausgewertet werden. Ein weiteres Spezifikum qualitativer Methoden ist der zirkuläre Charakter des Forschungsprozesses [4]. In vielen qualitativen Zugängen führen erhobene Daten zu abgeleiteten vorläufigen Interpretationsansätzen, woraufhin weitere Daten gezielt zu deren Konsolidierung erfasst werden. Zudem kann das Forschungsdesign ggf. auf der Grundlage der entstandenen Erkenntnisse angepasst werden.
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Merkmale der Rehabilitationsforschung
Bevor auf die Gütekriterien qualitativer Forschung in den Rehabilitationswissenschaften eingegangen wird, sollen vorab Merkmale der Rehabilitationsforschung aufgezeigt werden, die einen direkten oder indirekten Einfluss auf die Anwendung bzw. Beachtung von Gütekriterien haben können.
Unter Berücksichtigung der Definition von Rehabilitation der Deutschen Vereinigung für Rehabilitation (DVfR) [14] als ein „an individuellen Teilhabezielen orientierter und geplanter, multiprofessioneller und interdisziplinärer Prozess“, der das Recht auf Selbstbestimmung und die gleichberechtigte Teilhabe in allen Lebensbereichen achtet, ist hervorzuheben, dass Rehabilitationsforschung den Anspruch vertritt zwischenmenschliche Interaktionen und das Verhältnis von Individuum und Umwelt aus subjektorientierter Perspektive zu betrachten [15]. In diesem Zusammenhang ist auch die International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) als ein Bezugsrahmen für die Konzeption von Rehabilitation und Rehabilitationsforschung zu nennen. Auf der Grundlage des biopsychosozialen Modells von Gesundheit der World Health Organisation (WHO) stellt die ICF die Wechselwirkung zwischen Gesundheitsproblemen, der Funktionsfähigkeit des Individuums und Kontextfaktoren in den Vordergrund.
Aufgrund der häufig komplexen Sachverhalte und vielfältigen Zusammenhänge in der Rehabilitationsforschung sind ihre wissenschaftlichen Vorhaben geprägt durch die evidenzbasierte Prüfung und innovative (Weiter-)Entwicklung von Interventionsmaßnahmen und Theoriemodellen [4]. Darüber hinaus sollten in der Planung und Umsetzung von Forschungsvorhaben rehabilitationswissenschaftliche Spezifika in Bezug auf die Zielgruppen sowie die Fragestellungen Beachtung finden. Die Zielgruppen sind durch eine große Heterogenität geprägt und häufig in sensiblen Lebenslagen, weswegen individualisierte und partizipationsorientierte Ansätze von besonderer Bedeutung sind, um auch die Subjektperspektive erfassen zu können [16]. Im Hinblick auf die jeweiligen Fragestellungen sollte die Mehrdimensionalität des Untersuchungsgegenstandes einbezogen werden, die sich darauf bezieht, dass verschiedene Ebenen und Perspektiven die individuelle, soziale und institutionelle Bedingungen erfassen [2].
Mit Bezug auf die Erforschung von expliziten Bedingungen in der Rehabilitationslandschaft und ihren Akteur:innen sowie den Einbezug subjektiver Erfahrungen ist für die Rehabilitationsforschung außerdem eine Integration wissenschaftlichen und praktischen Wissens relevant [17]. Diese Transdisziplinarität bedeutet, dass der Austausch zwischen Akteur:innen aus Wissenschaft, Praxis und Politik für ein gemeinsames Erkenntnisinteresse gefördert wird. Zum einen sollen so praktisches und politisches Erfahrungswissen in die Zielentwicklung, die Durchführung und die Ergebnisdarstellung von Forschungsvorhaben einbezogen werden und zum anderen sollen wissenschaftliche Erkenntnisse genutzt werden, um anwendungsorientierte Handlungsoptionen entwickeln zu können [18].
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Qualitätskriterien qualitativer Studien
Wie Stamer et al. [6] bereits für den Bereich der Versorgungsforschung dargestellt haben, existieren in der Diskussion um Gütekriterien qualitativer Studien unterschiedliche Bewertungsansätze. Döring und Bortz [5] sprechen gar von mehr als 100 verschiedenen Kriterienkatalogen. Prominente Beispiele hierfür sind die vier Kriterien der Glaubwürdigkeit nach Lincoln & Guba [19], das RATS-Schema nach Clark [20] oder die sechs Gütekriterien nach Mayring [21]. Grundsätzlich enthalten die unterschiedlichen Methoden und Verfahren qualitativer Forschung jeweils für sich eigene Bewertungskriterien, die über die Qualität der hierdurch gewonnenen Daten und Ergebnisse entscheiden. Derartige verfahrensspezifische Kriterien (z. B. in Bezug auf qualitative Interviews: [22]) sollten bei der Anwendung der jeweiligen Methoden unbedingt beachtet werden.
In diesem Beitrag vorgestellt und mit konkreten Anwendungsbeispielen aus der Praxis der nationalen Rehabilitationsforschung veranschaulicht, werden die Bewertungskriterien von Steinke [23] [24]. Diese stellen aus Sicht der Autor:innen geeignete Kriterien für den rehabilitationswissenschaftlichen Kontext dar, da es sich um methoden- und verfahrensübergreifende Kriterien handelt, die als grundlegende Kernkriterien im Sinne einer Checkliste genutzt werden können um qualitative Studien zu planen, umzusetzen, darzustellen und in ihrer Güte einzuordnen. Sie bieten somit eine Möglichkeit der Nachvollziehbarkeit der Güte in Bezug auf die Breite der qualitativen Methoden in der Rehabilitationsforschung. Gleichwohl bedürfen sie der untersuchungs- und gegenstandsbezogenen Operationalisierung bzw. der von Steinke intendierten Anpassung an die jeweiligen Untersuchungsspezifika. Aus Sicht der Autor:innen sind die Kriterien nach Steinke zudem auch für Personen, die noch wenig Berührungspunkte mit qualitativen Forschungsmethoden hatten, verständlich und nachvollziehbar beschrieben.
Folgende Kernkriterien werden von Steinke formuliert:
1. Intersubjektive Nachvollziehbarkeit: Geht der Frage nach inwiefern Rezipient:innen den Forschungsprozess nachvollziehen und bewerten können. Es geht also um die Transparenz und Explizitheit einer Studie bzw. ihrer Darstellung. Dies kann nach Steinke auf drei Wegen erfolgen. Erstens durch die adäquate Dokumentation des Forschungsprozesses (u. a. die Offenlegung von Vorannahmen sowie Erhebungs- und Analysekontexte). Zweitens durch die Interpretation von Daten(-ausschnitten) in Gruppe oder drittens mittels kodifizierter Verfahren (z. B. Grounded Theory, sequenzielle Verfahren). An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass unterschiedliche qualitative Verfahren durchaus unterschiedlich verbindlich kodifiziert sind und ein qualitatives Verfahren sehr häufig nicht 1:1, sondern lediglich „in Anlehnung an“ umgesetzt wird. Davon unberührt bleibt jedoch die Maßgabe der Nachvollziehbarkeit auch eines abgeänderten Verfahrens, indem Unterschiede im Verglich zum Originalverfahren transparent dargestellt werden sollten.
2. Indikation des Forschungsprozesses: Hierunter versammeln sich Fragen nach der (Gegenstands-)Angemessenheit eines qualitativen Vorgehens generell, der Methodenwahl, methodischer Einzelfallentscheidungen als auch der Samplingstrategie oder verwendeter Transkriptionsregeln. Die Angemessenheit der Methoden wird dabei durch das Erkenntnisinteresse in Bezug auf den Gegenstandsbereich begründet. Diese Begründung sollte transparent und reflektiert erfolgen [4] und ebenfalls die begründete Dokumentation von etwaigen Veränderungen im Forschungsprozess beinhalten [6].
3. Empirische Verankerung: Behandelt die Frage, inwiefern sich die vorgenommenen Interpretationen, theoretischen Bezüge und formulierten Erkenntnisse aus und mit den empirischen Daten begründen lassen. Dies wird gewährleistet u. a. durch die Anwendung kodifizierter Verfahren, der Verwendung von Textbelegen oder der kommunikativen Validierung von Interpretationen und Ergebnissen mit den Studienteilnehmenden (z. B. Interviewpartner:innen).
4. Limitation: Hierdurch sollen unzulässige Verallgemeinerungen der Ergebnisse in Bezug auf eine Theoriebildung oder -erweiterung, ausgeschlossen sowie die Bedingungen expliziert werden, unter denen Verallgemeinerungen zulässig sind. Als konkrete Techniken nennt Steinke die Fallkontrastierung sowie die Suche und Analyse extremer bzw. abweichender Fälle.
5. Kohärenz: Hierbei handelt es sich um die reflektierte Betrachtung von etwaigen Widersprüchen, die im Zuge der Ergebnis- bzw. Theoriebildung aufgetreten sind, also um die Frage, ob die Ergebnisse in sich konsistent sind bzw. ob sich Widersprüche erklären und in die Theorie einordnen lassen.
6. Relevanz: Geprüft werden sollte neben dem wissenschaftlich-theoretischen vor allem auch der praktische Nutzen im Sinne eines sinnvollen und ganzheitlichen Wissenschaft-Praxis-Transfers. Dafür sollte wissenschaftliches und praktisches Wissen transdisziplinär miteinander verbunden sein, sodass Wissen auf verschiedenen Ebenen rückgekoppelt, anschlussfähiges Wissen erzeugt und Wissen sowohl auf wissenschaftlicher als auch auf praktischer Ebene verbreitet wird (z. B. verständliche und praxisrelevante Informationen und deren Weitergabe).
7. Reflektierte Subjektivität: Mittels dieses Kriteriums soll die Rolle der Forschenden hinterfragt werden. Dies betrifft sowohl die persönlichen Voraussetzungen (sozialer und biografischer Hintergrund) als auch die Selbstreflexion bei Feldzugang, Datenerhebung und -auswertung.
Erwähnt sei an dieser Stelle die Erweiterung der von Steinke benannten Kriterien um jene der Multiperspektivität und des gerechten Umgangs [10] - Kriterien, die vor den oben dargelegten Besonderheiten der Rehabilitationsforschung besondere Relevanz für diese besitzen. Sie rekurrieren auf die Triangulation von Daten, Methoden und Theorien sowie den fairen Einbezug unterschiedlicher Perspektiven und die Berücksichtigung von Statusgruppen und Machtverhältnissen, gerade wenn es um die Untersuchung von und mit vulnerablen Zielgruppen geht. Hinzu kommt überdies die Berücksichtigung von Gender- und Diversityaspekten, die es mittlerweile grundsätzlich bei der Konzeption und Durchführung von Studien zu beachten gilt [25].
Darüber hinaus ist es wichtig zu erwähnen, dass der Einbezug von Studienteilnehmenden (insbesondere über die ausschließliche Beteiligung an der Datenerhebung hinaus) unter dem Konzept der Partizipation zunehmend als eigenständiges Gütekriterium angesehen wird [26]. Dies zeigt sich auch dadurch, dass sich in den letzten Jahren verschiedene Arbeitsgruppen (z. B. AG Partizipative Versorgungsforschung, Aktionsbündnis Teilhabeforschung) gegründet haben, die sich explizit den Möglichkeiten des Einbezugs von Studienteilnehmenden und dem Voranbringen partizipativer Forschungsansätze widmen [16].
Die Veranschaulichung der Kriterien anhand von, aus Sicht der Autor:innen dieses Beitrages, geeigneten Beispielen aus der Rehabilitationsforschung findet sich in komprimierter Weise in [Tab. 1] sowie ausführlich im Online-Suppl. 1.
Kriterien |
Beispiel 1 |
Beispiel 2 |
Beispiel 3 |
Beispiel 4 |
Beispiel 5 |
---|---|---|---|---|---|
Intersubjektive Nachvollziehbarkeit |
Bartel 2019
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Dresch et al. 2020
|
v. Kardoff et al. 2021
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Langbrandtner et al. 2020
|
Quaschning & Körner 2020
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Indikation des Forschungsprozesses |
Bartel 2019
|
v. Kardoff et al. 2021
|
Lederle et al. 2017
|
Pohontsch et al. 2011
|
Schwarz et al. 2020
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Empirische Verankerung |
Handtke et al. 2020
|
Klemmt et al. 2020
|
Langbrandtner et al. 2020
|
Pohontsch et al. 2011
|
Schwarz 2015
|
Limitation |
Golla et al. 2021
|
v. Kardoff et al. 2021
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/ |
/ |
/ |
Kohärenz |
Kohl et al. 2020
|
Krüger-Wauschkuhn et al. 2011
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/ |
/ |
/ |
Relevanz |
Krüger-Wauschkuhn et al. 2011
|
Pohontsch et al. 2011
|
Schwarz 2015
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/ |
Reflektierte Subjektivität |
Schwarz 2015
|
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/ |
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Multiperspektivität und gerechter Umgang |
Heide et al. 2023
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Kleineke et al. 2015
|
Krüger-Wauschkuhn et al. 2011
|
Langbrandtner et al. 2020
|
Schury et al. 2019
|
Partizipative Forschung |
Baumann et al. 2023
|
Dins et al. 2022
|
Mayer et al. 2021
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1 Darstellungen der Kriterien, Literaturangaben und Kurzzusammenfassungen der Beispielstudien sowie Erläuterungen bzgl. der Erfüllung der Kriterien finden sich im Online-Suppl. 1: Beispiele aus der Rehabilitationsforschung (ausführlich)
Da sich qualitative Forschung überwiegend auf Menschen bezieht und diese häufig auch einbezieht, hängt ihre Güte, unabhängig vom Grad der Beteiligung, immer auch von der Beachtung ethischer und datenschutzrechtlicher Grundsätze ab. Bereits bei der Planung qualitativer Studien sollten Forschende sich mit ethischen und datenschutzrelevanten Fragestellungen befassen und sie in entsprechenden Datenschutzkonzepten und Ethikanträgen erörtern und darstellen. Verwiesen sei an dieser Stelle auf wissenschaftsethische Statuten wie die Deklaration von Helsinki, die Leitlinien guter wissenschaftlicher Praxis oder berufsbezogene Ethikkodizes.
Generell ist es, im Sinne der Qualität und Aussagekraft einer qualitativen Forschungspraxis, zu empfehlen bereits zu Beginn einer Studie zu entscheiden, auf welche Kriterien die Güte der Studie fußen soll und diese Entscheidung zu reflektieren und zu begründen [5]. Im Sinne der Transparenz von Forschungsvorhaben empfiehlt es sich zudem, bei deren Veröffentlichung möglichst umfassend auf die zugrunde gelegten Gütekriterien einzugehen. Eine prominente Orientierung stellen die sog. EQUATOR-Guidelines dar, welche auch Spezifizierungen bzw. eine eigene Rubrik für qualitative Studien enthalten (https://www.equator-network.org/reporting-guidelines-study-design/qualitative-research/). Eine etablierte Auflistung von Qualitätskriterien qualitativer Studien stellt in diesem Zusammenhang die sog. COREQ-checklist dar [27], an der sich internationale rehabilitationswissenschaftliche Publikationen häufig orientieren.
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Fazit und Ausblick
Der vorliegende Beitrag benennt zentrale Gütekriterien qualitativer Forschung im Kontext der Rehabilitationswissenschaften und bietet damit sowohl Forschenden als auch Rezipient:innen eine wichtige Grundlage und Hilfestellung bei der Planung und Durchführung qualitativer Studien bzw. bei der Einordnung ihrer Aussagekraft. Dabei muss jedoch noch einmal konstatiert werden, dass die Diskussion um Qualitätskriterien in der qualitativen Forschung einen noch nicht abgeschlossenen Prozess darstellt [28]. Qualitative Forschungsansätze sind durch Offenheit und Adaptivität geprägt und es stellt sich folgerichtig die Frage nach der generellen Angemessenheit von einheitlichen bzw. übergreifend verbindlichen Kriterien. Der Vorschlag von Steinke [24], dem jeweiligen Gegenstandsbereich anpassbare Kernkriterien zu formulieren, erscheint vor diesem Hintergrund als gangbarer und sinnvoller Weg. Ungelöst bleibt jedoch auch bei Steinke die Frage nach dem jeweiligen Erfüllungsgrad, also der Frage welche Bedingungen gegeben sein müssen, damit ein Gütekriterium als erfüllt angesehen werden kann [4]. Um auch hier eine Orientierung zu geben, exemplifiziert der vorliegende Beitrag alle Gütekriterien anhand von Beispielen aus der Rehabilitationsforschung. Zumal es durchaus Hinweise darauf gibt, dass die Etablierung von Gütekriterien zu einer Steigerung der Qualität von Publikationen führen kann [29].
Die Erfüllung der Qualitätskriterien liegen nicht ausschließlich in der Hand der Forschenden und die angemessene Anwendung und Reflexion qualitativer Forschungsansätze sind geprägt durch vorgegebene Rahmenbedingungen des Wissenschaftssystems. So machen es (an quantitativen Studien orientierte) Anforderungen an Fallzahlplanung und Samplebeschreibung im Zuge der Beantragung qualitativer Forschungsprojekte mitunter schwer Samplingstrategien zu verfolgen, die iterativ vorgehen, dem Prinzip minimaler und maximaler Fallkontrastierung folgen und auf das Erreichen theoretischer Sättigung abzielen. Ferner ist es häufig schwierig Personalkosten in einem Ausmaß finanziert zu bekommen, welches ausreichend wäre, um die Auswertung qualitativer Daten im Team vornehmen zu können. Die Zeichenbegrenzung bei Publikationen erschwert außerdem die transparente Darstellung der mitunter komplexen qualitativen Forschungsprozesse, begrenzt die Möglichkeit Interpretationen und Ergebnisse durch Zitate zu belegen und gibt kaum Raum für die Selbstpositionierung der Forschenden. Als ein gelungenes Beispiel sei auf den Beitrag von v. Kardoff und Kolleg:innen in [Tab. 1] (Beispiel 3 - intersubjektive Nachvollziehbarkeit) verweisen. Dies zeigte sich sehr deutlich in der Schwierigkeit überhaupt Beispiele für das Kriterium der reflektierten Subjektivität zu finden (gleiches gilt im Übrigen für weitere Leerstellen in [Tab. 1] bzw. Online-Suppl. 1). Wobei fraglich ist, ob dies (ausschließlich) am fehlenden Raum liegt oder auch an einer Forschungs- und Veröffentlichungskultur, die vom Anspruch der Objektivität und Neutralität geprägt sind. Vor dem Hintergrund der Relevanz der Analyse zwischenmenschlicher Interaktionen und des Verhältnisses von Individuum und Umwelt aus subjektorientierter Perspektive für die Rehabilitationsforschung drängt es sich außerdem auf, dass der umfassende Einbezug von Studienteilnehmenden, wie Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Behinderungen und/oder Rehabilitand:innen, aus struktureller Perspektive gewährleistet werden sollte. Hierzu werden neben finanziellen Ressourcen auch zeitliche Ressourcen (beispielsweise in Bezug auf eine gemeinsame Antragsstellung) benötigt.
Ein Nachjustieren dieser Rahmenbedingungen würde einen wichtigen Beitrag zur Qualitätssicherung qualitativer Rehabilitationsforschung leisten. Ferner sollten sich qualitativ Forschende auch verstärkt zutrauen von eingefahrenen (weil eingeübten) Methodenwegen (wie der Durchführung von Interviews und Fokusgruppen und deren Auswertung mittels qualitativer Inhaltsanalyse oder Grounded Theory) abzuweichen - so Fragestellung und Erkenntnisziel es erlauben oder gar erfordern.
Hinsichtlich des Qualitätskriteriums Relevanz und hier besonders des Praxisnutzens, bietet die Rehabilitationsforschung als angewandte Wissenschaft (eigentlich) beste Voraussetzungen den Forschungs-Praxis-Transfer in beide Richtungen zu leben. Dennoch bleiben Rehabilitationspraxis und -forschung noch viel zu häufig getrennte Welten. Hier sollte die Kommunikation und Zusammenarbeit künftig durch geeignete Formate (Praxis meets Forschung - Forschung meets Praxis) weiter gestärkt werden, sodass sowohl Praxis als auch Forschung profitieren könnten. An dieser Stelle sollte außerdem beachtet werden, dass durch das Bemühen um Transdisziplinarität Herausforderungen in der Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteur:innen mit unterschiedlichen fachlichen Hintergründen und möglicherweise divergierenden Perspektiven entstehen können. Eine generelle Offenheit gegenüber anderen Perspektiven könnte hilfreich sein, um derartige Herausforderungen zu überwinden.
Durch Informationen zu qualitativer Forschung (in Vorträgen, Seminaren, Artikeln wie diesen) und gut konzipierten qualitativen Studien sollte künftig ferner daran gearbeitet werden auch die letzten Zweifel am generellen Wert qualitativer Forschung auszuräumen. Unwissen oder Vorbehalte dürfen nicht mehr zu Ablehnungen - sei es von Anträgen, sei es von Publikationen - führen. Gut durchgeführte qualitative rehabilitationswissenschaftliche Studien leisten einen wichtigen Beitrag - sowohl in erkenntnistheoretischer Sicht als auch für die praktische Weiterentwicklung der rehabilitativen Versorgung - und gehören zusammen mit quantitativ angelegten Studien zu einer modernen Rehabilitationsforschung.
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Limitationen
Dieser Beitrag bezieht sich auf die nationale Rehabilitationsforschung, international existieren durchaus andere Traditionen, Methoden oder Ansätze, die ggf. zu anderen Kriterien führen würden. Zudem versucht der Beitrag die Breite an disziplinären Zugängen und Forschungsthemen sowie deren Spezifika (u. a. in der Auswahl der Beispielstudien) zu berücksichtigen. Dem breiten Feld der Rehabilitationswissenschaften in allen Aspekten gerecht zu werden, kann dieser Beitrag jedoch nicht leisten, weshalb sowohl bei den vorgestellten Kriterien als auch hinsichtlich der Beispiele aus der rehabilitationswissenschaftlichen Forschungspraxis kein Anspruch auf Vollständigkeit besteht. Besonders die Auswahl der Beispielstudien ist der individuellen Selektivität der Autor:innen zuzurechnen.
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Kernbotschaft
Qualitative methodische Ansätze spielen für die Rehabilitationswissenschaften, aufgrund immanenter Spezifika, eine wichtige Rolle. Um die Qualität und damit die Aussagekraft von qualitativen Studien gewährleisten zu können, bedarf es anwendbarer Gütekriterien. Aufgrund der Heterogenität der Ansätze, Vorgehensweisen und methodologischen Hintergründe im qualitativen Bereich, ist die Formulierung von universal gültigen bzw. unmittelbar übertragbaren Gütekriterien problematisch. Die in diesem Beitrag am Beispiel der Rehabilitationsforschung vorgestellten Kernkriterien können, angepasst an das jeweilige Forschungsvorhaben und verknüpft mit jeweils methodenspezifischen weiteren Qualitätskriterien, als eine Annäherung im Sinne der Breite der qualitativen Methoden in der Rehabilitationsforschung angesehen werden.
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Interessenkonflikt
Alle Autor:innen geben an, dass keine Interessenskonflikte bestehen.
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Literatur
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- 3 Meyer T, Menzel-Begemann A. Teilhabe als Gegenstand der Rehabilitationsforschung. In: Wansing G, Schäfers M, Köbsell S, Hrsg. Teilhabeforschung - Konturen eines neuen Forschungsfeldes. Wiesbaden: Springer; 2022: 105-123
- 4 Wirtz MA, Strohmer J. Anwendung und Integration qualitativer und quantitativer Forschungsmethoden in der rehabilitationswissenschaftlichen Interventionsforschung. Rehabilitation 2016; 55: 191-199
- 5 Döring N, Bortz J. Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Humanwissenschaften. Berlin: Springer; 2016
- 6 Stamer M, Güthlin C. , Holmberg et al. Qualitative Studien in der Versorgungsforschung - Diskussionspapier, Teil 3: Qualität qualitativer Studien. Gesundheitswesen 2015; 77: 966-975
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- 8 Reichertz J. Qualitative Sozialforschung - Ansprüche, Prämissen, Probleme. Erwägen, Wissen, Ethik EWE 2007; 18: 195-208
- 9 Meyer T, Karbach U, Holmberg C. et al. Qualitative Studien in der Versorgungsforschung -Diskussionspapier Teil 1: Gegenstandsbestimmung. Gesundheitswesen 2012; 74: 510-515
- 10 Meyer T. Kritische Bewertung von qualitativen Studien. In: Kunz R, Ollenschläger G, Raspe H, et al. Hrsg. Lehrbuch evidenzbasierte Medizin. Köln: Deutscher Ärzteverlag; 2007: 159-176
- 11 von Kardoff E. Qualitative Forschung in der Rehabilitation. In: Bengel J, Koch U. Hrsg. Grundlagen der Rehabilitationswissenschaften. Berlin & Heidelberg: Springer; 2000: 409-428
- 12 Lamnek S, Krell C. Qualitative Sozialforschung. 5. Aufl. München: C.H. Beck; 2010
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Article published online:
26 June 2024
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