Z Geburtshilfe Neonatol
DOI: 10.1055/a-2286-3871
Perinatalmedizin in Bildern

Pentalogie von Cantrell

Georgi Stefanov Kirov
1   Klinik für Geburtshilfe und Pränatalmedizin, Evangelisches Jung Stilling Krankenhaus GmbH, Siegen, Germany
,
Senem Elena Alsat-Krenz
1   Klinik für Geburtshilfe und Pränatalmedizin, Evangelisches Jung Stilling Krankenhaus GmbH, Siegen, Germany
,
Flutura Dede
1   Klinik für Geburtshilfe und Pränatalmedizin, Evangelisches Jung Stilling Krankenhaus GmbH, Siegen, Germany
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Fallpräsentation

Die Erstvorstellung der 31-jährigen IG/0 P (Z.n. ICSI) erfolgte mit rechnerisch 19+2 SSW wegen rezidivierender vaginaler Schmierblutungen bei Zwillingsgravidität unklarer Chorionizität. Der bisherige Schwangerschaftsverlauf war unauffällig bis auf eine leichte Schmierblutung im 1. Trimenon. Aufgrund einer verdickten Nackentransparenz war in der Frühschwangerschaft ein NIPT beim betreuenden Frauenarzt erfolgt; dieser war unauffällig. Ultrasonografisch ließ sich nur eine dünne Trennwand bei zwei männlichen Feten darstellen, sodass eine monochoriale Geminigravidität vermutet wurde. Der erste Fet war unauffällig. Beim zweiten Feten stellten sich multiple Fehlbildungen dar: Zwerchfellhernie, Ectopia cordis, große Omphalozele mit Eventration des Magens, der Leber und großer Anteile des Darms. Die Wirbelsäule wies eine ausgeprägte Kyphoskoliose (fast 90°) auf. An den Extremitäten stellte sich ein angedeuteter Pes equinovarus rechts dar. Es wurde der dringende V.a. eine Cantrell-Pentalogie bei Fet 2 geäußert. Der Befund wurde ausführlich mit dem Paar besprochen. Eine Amniozentese wurde von der Schwangeren abgelehnt.

Aufgrund erneuter vaginaler Blutung bei bekannter Plazenta praevia totalis wurde mit 23+2 SSW eine RDS-Prophylaxe durchgeführt. Mit 26+0 SSW erneute stationäre Aufnahme bei therapierefraktärer vaginaler Blutung, sodass der Entschluss zur Sectio caesarea gestellt wurde. Fet 1 (GG 720 g, L 33,0 cm, KU 24,0 cm; Apgar 7/8/9, NA-pH 7,17, BE -10,6 mmol/l) wurde aufgrund der Frühgeburtlichkeit in die Neonatologie verlegt. Fet 2 (GG 870 g, L 27,0 cm, KU 24,5 cm, Apgar 3/2/2) mit dem vorbekannten Cantrell-Syndrom verstarb kurz nach der Geburt. Das Kind zeigte eine große Omphalozele mit makroskopisch erkennbaren innenliegenden Organen ( [Abb. 1] ). Eine Obduktion lehnten die Eltern ab. Die histologische Untersuchung der Plazenta bestätigte den sonographischen V.a. eine monochoriale diamniale Geminigravidität.

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Abb. 1 Avitales Frühgeborenes der 26. SSW mit vorbekanntem Cantrell-Syndrom. In dem Omphalozelen-artigen thorakoabdominalen Defekt erkennt man die eventerierten Organe einschließlich des ektop gelegenen Herzens.

Kommentar

Die Pentalogy of Cantrell (POC) ist ein meist letal verlaufendes Syndrom, welches durch das Vorhandensein von 5 Hauptfehlbildungen gekennzeichnet ist: (1) supraumbilikaler Mittelliniendefekt der Bauchwand, (2) unterer Sternumdefekt, (3) vorderer Zwerchfelldefekt, (4) zwerchfellnaher Perikarddefekt und (5) intrakardiale Fehlbildungen. Eine Ectopia cordis (EC) wird häufig gefunden. Cantrell beschrieb 1958 erstmals das gesamte Syndrom [1].

Die Prävalenz der POC wird auf 1/65000–1/200000 Lebendgeburten geschätzt. Männliche Feten sind mit einem Verhältnis von 2,7:1 häufiger als weibliche Feten betroffen. Die POC tritt in der Regel sporadisch auf, es wurden aber auch seltene Fälle mit assoziierten Chromosomenanomalien (Trisomie 13, 18, Down-Syndrom und Turner-Syndrom), autosomal oder X-chromosomal vererbten Gendefekten berichtet. Die Ätiologie ist nicht bekannt. Man vermutet, dass eine fehlgeschlagene Migration der lateralen mesodermalen Falten zur Mittellinie ca. 14 bis 18 Tage nach der Konzeption zu den Sternum- und Bauchwanddefekten sowie eine abnorme Entwicklung des Septum transversum zu den Defekten des vorderen Zwerchfells und Perikards führen [2]. Die Diagnose basiert auf Toyama‘s Klassifizierung von 1972 [3]: definitive Diagnose, wenn alle 5 Defekte vorhanden sind (Klasse 1), wahrscheinliche Diagnose bei Vorhandensein von 4 Defekten, einschließlich intrakardialer Anomalien und Bauchwanddefekten (Klasse 2); unvollständige Ausprägung bei Vorhandensein anderer Defektkombinationen, einschließlich einer Sternumanomalie (Klasse 3).

Der supraumbilikale Mittelliniendefekt der Bauchwand kann sich in Form einer Rektusdiastase, Nabel- oder Bauchdeckenhernie äußern. Thorakoabdominale Wanddefekte können zu Ectopia cordis und Omphalozele führen. Die Herzfehlbildungen umfassen u. a. Ventrikelseptumdefekt (72%), Herzdivertikel (32%) und Pulmonalstenose (31%). Zusätzlich werden kraniofaziale und zentralnervöse Anomalien (Lippen-/Gaumenspalte, Enzephalozele, Kraniorachischisis, Hydrozephalus), Gliedmaßendefekte (Klumpfuß, Fehlen von Tibia/Radius, Hand- und Fußoligodaktylie, Phokomelie) und abdominale Organdefekte beobachtet.

Fälle von Cantrellscher Pentalogie bei Geminigraviditäten sind selten. In der Literatur werden Schwangerschaften, in denen ein Zwilling betroffen ist, in drei Gruppen eingeteilt [4] [5], je nachdem, ob der andere Zwilling einen normalen Phänotyp zeigt (Gruppe 1), verschiedene andere Anomalien aufweist (Gruppe 2) oder beide Feten betroffen sind (Gruppe 3). Unser Fall entspricht somit Gruppe 1 / Klasse 1.

Die sonografische Diagnose wird meist schon im I. Trimenon durch den Nachweis von multiplen thorako-abdominalen Defekten, einschließlich Herzektopie und ZNS-Anomalien, gestellt. Auch wird gehäuft eine verdickte Nackentransparenz beobachtet [6]. Die Prognose ist schlecht und nur sehr wenige Patienten überleben – nach entsprechenden operativen Eingriffen – die frühe Kindheit.


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Publication History

Article published online:
17 April 2024

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  • Literatur

  • 1 Cantrell JR, Haller JA, Ravitch MM. A syndrome of congenital defects involving the abdominal wall, sternum, diaphragm, pericardium, and heart. Surg Gynecol Obstet 1958; 107: 602-614
  • 2 Morales JM, Patel SG, Duff JA. et al. Ectopia cordis and other midline defects. Ann Thorac Surg 2000; 70: 111-114
  • 3 Toyama WM. Combined congenital defects of the anterior abdominal wall, sternum, diaphragm, pericardium, and heart: A case report and review of the syndrome. Pediatrics 1972; 50: 778-792
  • 4 Demira M, Sertelb E, Ture MZ. Twin pregnancy in which both fetuses have Cantrell's pentalogy: A case report and literature review. Eur J Obstet Gynecol Reprod Biol 2021; 260: 64-69 DOI: 10.1016/j.ejogrb.2021.03.016).
  • 5 Chandran S, Ari D. Pentalogy of Cantrell: An Extremely Rare Congenital Anomaly. J Clin Neonatol 2013; 2: 95-97 DOI: 10.4103/2249-4847.116410.
  • 6 Staboulidou I, Wüstemann M, Schmidt P. et al. Increased fetal nuchal translucency as a predictor of Cantrell’s pentology – case report. Z Geburtshilfe Neonatol 2005; 209: 231-234