Rehabilitation (Stuttg) 2024; 63(02): 74-77
DOI: 10.1055/a-2263-2627
Recht – Meinung – Management

Ist das Konstrukt der Rehabilitationsfähigkeit in seiner Anwendung durch DRV und GKV ausgrenzend? Ein Diskussionsbeitrag

Christoph Egen
1   Klinik für Rehabilitations- und Sportmedizin, Medizinische Hochschule Hannover (MHH)
,
Thilo Busche
1   Klinik für Rehabilitations- und Sportmedizin, Medizinische Hochschule Hannover (MHH)
,
Matthias Bethge
2   Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie, Universität zu Lübeck
,
Markus Bassler
3   Institut für Sozialmedizin, Rehabilitationswissenschaften und Versorgungsforschung, Hochschule Nordhausen
,
Christoph Gutenbrunner
1   Klinik für Rehabilitations- und Sportmedizin, Medizinische Hochschule Hannover (MHH)
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Rehabilitation und Behinderung aus internationaler Perspektive

Die UN-Behindertenrechtskonvention formuliert in Art. 26 Abs. 1 den Anspruch an die Vertragsstaaten „wirksame und geeignete Maßnahmen [zu treffen], um Menschen mit Behinderung in die Lage zu versetzen, ein Höchstmaß an Unabhängigkeit, umfassende körperliche, geistige, soziale und berufliche Fähigkeiten sowie die volle Einbeziehung in alle Aspekte des Lebens und die volle Teilhabe an allen Aspekten des Lebens zu erreichen und zu bewahren. Zu diesem Zweck organisieren, stärken und erweitern die Vertragsstaaten umfassende Habilitations- und Rehabilitationsdienste und -programme, insbesondere auf dem Gebiet der Gesundheit, […] und zwar so, dass diese Leistungen und Programme

  1. im frühestmöglichen Stadium einsetzen und auf einer multidisziplinären Bewertung der individuellen Bedürfnisse und Stärken beruhen;

  2. die Einbeziehung in die Gemeinschaft und die Gesellschaft in allen ihren Aspekten sowie die Teilhabe daran unterstützen, freiwillig sind und Menschen mit Behinderungen so gemeindenah wie möglich zur Verfügung stehen, auch in ländlichen Gebieten.“ ([1]; Hervorhebung, Ergänzung und Weglassung durch Verf.)

Auch die Weltgesundheitsversammlung (27.05.2023) unterstützt in einer Resolution diesen Anspruch explizit und fordert, dass für Menschen mit Beeinträchtigungen adäquate Rehabilitationsdienste und -programme zur Verfügung stehen müssen [2]. Dies entspricht dem Prinzip einer bedarfsorientierten Leistungserbringung ohne Limitierung durch den Grad der Beeinträchtigung einer Person. Darüber hinaus sollen vom Akutkrankenhaus bis zur Langzeitversorgung diese Dienste verfügbar sein.

Das sektorale Gesundheitssystem in Deutschland ist von diesen Forderungen strukturell und inhaltlich weit entfernt. Für die frühe rehabilitative Versorgung existieren nur sehr wenige Kliniken, die eine indikationsübergreifende Frührehabilitation anbieten, und für die wohnortnahe Versorgung ebenso wenige mobile Rehabilitationseinrichtungen. Im Bereich der gut etablierten medizinischen Rehabilitation nach § 40 SGB V oder § 15 SGB VI wird – so die Feststellung von Klinikärzt*innen und Sozialdienstmitarbeiter*innen – einem Teil der Patient*innen die Gewährung einer Rehabilitation mit der Begründung einer nicht vorhandenen Rehabilitationsfähigkeit abgelehnt. Die Betroffenen werden dann in der Regel nach Hause oder in die Kurzzeitpflege entlassen, wo i. d. R. keine rehabilitative Versorgung stattfindet [3] [4]. Dies führt dazu, dass insbesondere schwer betroffene Patient*innen keinen Zugang zur Rehabilitation erhalten, obwohl ein hoher Rehabilitationsbedarf besteht.



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Article published online:
16 April 2024

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