Aktuelle Urol 2024; 55(03): 186-188
DOI: 10.1055/a-2262-8722
Referiert und kommentiert

Kommentar zu: Kleine Nierentumore: Obligatorische Biopsie beeinflusst Therapieentscheidungen

Contributor(s):
1   Klinik für Urologie und Kinderurologie, Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg, Deutschland
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Die Verbreitung der Nierenbiopsie zur Dignitätsabklärung unklarer Nierenraumforderungen nimmt zu! Sinks et al. demonstrieren in diesem Zusammenhang, dass die vermehrte Anwendung von Nierenbiopsien bei kleinen Nierentumoren mit einem Durchmesser unter 4 cm (s.g. SRMs, „small renall masses“) sinnvoll ist, weil sich hieraus auch eine therapeutische Konsequenz ergibt. Auch wenn die Autoren nicht genauer aufschlüsseln, welche histologischen Diagnosen inkl. Subtypen in dieser retrospektiven Analyse gestellt wurden, hatten Patienten mit einem benignen Biopsiebefund eine höhere Wahrscheinlichkeit, keiner ablativen Therapie, sei es Nierenteilresektion oder fokaler Therapie, unterzogen zu werden. Demgegenüber wurden Patienten mit malignen Befunden bevorzugt einer ablativen Therapie unterzogen. Dieses Finding ist so nicht neu und war auch so zu erwarten, denn wenn die Biopsie ohne Konsequenzen gewesen wäre, hätte sie gar nicht durchgeführt werden müssen. Trotzdem ist dieses Ergebnis bedeutsam, weil in Deutschland weiterhin sehr wenige Patienten mit (kleinen) Nierentumoren biopsiert werden.

Daraus ergibt sich auch, dass bei den Patienten, die einer Nierenbiopsie unterzogen wurden, insgesamt weniger ablative Verfahren durchgeführt wurden. Da bei SRMs der Anteil benigner Befunde bis zu 30% beträgt, werden kleine Nierentumore weiterhin häufig übertherapiert und einer möglicherweise komplikativen Operation unterzogen. Es steht außer Frage, dass die minimalinvasive Nierenteilresektion deutlich komplikationsärmer ist als die offene Operation und andernorts in ausgewählten Fällen auch eine ambulante Durchführung denkbar sein kann [1]. Trotzdem konnten Pierorazio bereits 2015 in ihrer DISSRM-Studie zeigen, dass 223 Patienten mit SRM in der Surveillance-Gruppe (Cave: nur 10% Biopsierate!) keinen Überlebensnachteil im Vergleich zu 274 Patienten in der Interventionsgruppe hatten [2]. Darüber hinaus kann es auch aus ökonomischen Erwägungen heraus sinnvoll sein, einen kleinen Nierentumor nicht direkt zu operieren, sondern primär zu biopsieren – in Zeiten des Pflegemangels mit u.U. eingeschränkten OP-Kapazitäten und langen OP-Wartelisten können dann die Patienten vorgezogen werden, die tatsächlich eine dringlichere Therapie benötigen.

Was sagen die deutschen S3-Leitlinienempfehlungen zur Nierenbiopsie? Seit der Veröffentlichung der 1. Version der S3-Leitlinie zur Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Nierenzellkarzinoms im Jahr 2015 werden Empfehlungen zur Nierenbiopsie gegeben, die sich bis zur derzeit gültigen 4. Version nicht geändert haben [3]. Es wird betont, dass eine Nierenbiopsie vor ablativer Therapier oder aktiver Überwachung durchgeführt werden soll. Davon abgesehen werden allerdings keine weiteren klaren Indikationen definiert. Es wird lediglich hervorgehoben, dass die Nierenbiopsie nur dann durchgeführt werden sollte, wenn sich therapeutische Konsequenzen ergeben – was ja, wie Sinks et al. demonstriert haben, auch der Fall ist! Mal ganz ehrlich: würden Sie sich, wenn bei Ihnen ein bildmorphologisch kleiner Nierentumor diagnostiziert würde, primär einer Operation unterziehen, obwohl Sie diese mit einer 30%igen Wahrscheinlichkeit gar nicht benötigen?

Außer Frage steht, dass es ideal wäre, wenn heute gar keine Nierenbiopsien mehr durchgeführt werden müssten, weil sinnhafte Alternativen bspw. in Form von Biomarkern in Blut oder Urin („liquid biopsy“) vorlägen – was aber leider nicht zutrifft. Vielleicht können uns diesbezüglich aber die Kolleg*Innen der Nuklearmedizin zukünftig weiterhelfen: im ZIRCON Trial konnten klarzellige Nierenzellkarzinome im PET-CT mit dem gegen Carboanhydrase IX (CA-IX) gerichteten monoklonalen Antikörper Girentuximab mit einer Sensitivität und Spezifität >85% detektiert werden [4]. Also: es bleibt spannend!



Publication History

Article published online:
28 May 2024

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  • Literatur

  • 1 Bernhard JC, Robert G, Ricard S. et al. Day-case robotic-assisted partial nephrectomy: feasibility and preliminary results of a prospective evaluation (UroCCR-25 AMBU-REIN study). World J Urol 2022; 40: 1351-1357 DOI: 10.1007/s00345-020-03283-z. (PMID: 32514670)
  • 2 Pierorazio PM, Johnson MH, Ball MW. et al. Five-year analysis of a multi-institutional prospective clinical trial of delayed intervention and surveillance for small renal masses: the DISSRM registry. Eur Urol 2015; 68: 408-415 DOI: 10.1016/j.eururo.2015.02.001. (PMID: 25698065)
  • 3 Leitlinienprogramm Onkologie. Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF): S3-Leitlinie Prostatakarzinom, Version 6.2 – Oktober 2021, AWMF-Registernummer 043/022OL. 2023
  • 4 Shuch BM, Pantuck AJ, Bernhard J-C. et al. Results from phase 3 study of 89Zr-DFO-girentuximab for PET/CT imaging of clear cell renal cell carcinoma (ZIRCON). J Clin Oncol 2023; 41 (Suppl. 06) LBA602 DOI: 10.1200/JCO.2023.41.6_suppl.LBA602.