PSYCH up2date 2023; 17(05): 365
DOI: 10.1055/a-2149-5499
Editorial

ICD-11 jetzt schon einsetzen!

Klaus Lieb

Seit dem Erscheinen der englisch-sprachigen Online-Version der 11. Auflage der internationalen Klassifikation der Erkrankungen (ICD-11) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) am 1.1.2022 liegt inzwischen eine Entwurfsfassung einer deutschen Übersetzung durch das BfArM vor, die unter https://www.bfarm.de/DE/Kodiersysteme/Klassifikationen/ICD/ICD-11/uebersetzung/_node.html abrufbar ist. Trotz des Verzichts der WHO die 11. Auflage der ICD als Printversion in drei Bänden herauszugeben mit dem Ziel, durch eine online-Version auf die fortschreitende Digitalisierung der medizinischen Dokumentation zu reagieren und die Kodierung dadurch zu vereinfachen, ist bereits wieder viel Zeit vergangen, ohne dass der Einsatz in unserer täglichen klinischen und wissenschaftlichen Arbeit in Sicht wäre. Auch mit Blick auf unsere Patientinnen und Patienten sollte die Einführung nicht mehr jahrelang dauern, wie es mit der Einführung zum 1.1.2022 angekündigt wurde, denn die ICD-11 hat an vielen Stellen die ICD-10 erheblich fortentwickelt und erlaubt es uns in vielen Fällen, klarere Diagnosen zu stellen und so unseren Patientinnen und Patienten besser gerecht zu werden.

Ich empfehle daher, bereits jetzt schon Diagnosen aus der ICD-11 zu vergeben und sie bis zum offiziellen Erscheinen in Deutschland mit den passenden Diagnose-Codes der ICD-10 zu versehen. Bei einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung empfehle ich dementsprechend, die ICD-11 Diagnosekriterien mit der Patientin zu besprechen und die Diagnose nach ICD-11 zu stellen. Statt der noch nicht gültigen ICD-11 Diagnose 6B41 wird aber der ICD-10 Code F62.0 im Arztbrief verwendet. In der Diskussion im Arztbrief wird dann darauf hingewiesen, dass die Diagnosestellung nach den Kriterien der ICD-11 erfolgte. So kann der Übergang auf das neue Diagnosesystem in der täglichen Praxis beschleunigt werden.

In der 10. Auflage des Intensivkurses Psychiatrie und Psychotherapie [1] haben wir bereits die ICD-11-Diagnosekriterien den ICD-10-Diagnosekriterien aller Erkrankungen tabellarisch gegenübergestellt und die ICD-11-Kriterien der neu beschriebenen Erkrankungen aufgeführt. Auch dadurch soll der Übergang auf das neue Diagnosesystem beschleunigt werden. Ich empfehle, insbesondere bei folgenden Erkrankungen bereits jetzt die ICD-11-Diagnosekriterien zu verwenden und soweit passend in ICD-10 zu codieren: Hypochondrie, Zwangsspektrumsstörungen, somatische Belastungsstörung, Katatonie, Bipolar II-Störung, Trennungsangst-Störung im Erwachsenenalter, prämenstruelle dysphorische Störung, zwanghaftes Horten, komplexe posttraumatische Belastungsstörung, prolongierte Trauerstörung, Binge Eating-Störung, Körperintegrations-Dysphorie, Computerspielabhängigkeit, intermittierende explosible Störung, Persönlichkeitsstörungen und Borderline Muster.

Auch in der PSYCH up2date wollen wir den Übergang gestalten und werden Schritt für Schritt die neuen Krankheitsbilder der ICD-11 ausführlich darstellen und bei den etablierten Krankheitsbildern die Neuerungen in der ICD-11 erläutern. Beispiele seit 2022 waren die Dermatillomanie oder „Skin-picking“-Störung, die zu den Zwangsspektrums-Störungen gezählt wird, und die Katatonie. Weitere werden folgen.

Klaus Lieb, Mainz



Publication History

Article published online:
18 September 2023

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  • Literatur

  • 1 Lieb K. Intensivkurs Psychiatrie und Psychotherapie. 10. Auflage. München: Elsevier, Urban & Fischer; 2023