Laryngorhinootologie 2024; 103(01): 53-55
DOI: 10.1055/a-2123-4377
Der interessante Fall

Unklare Wangenschwellung bei einer Frau mit Exanthem, Fieber und Allgemeinzustandsverschlechterung

Unexplained buccal swelling in a woman with exanthema, fever, and worsening of general condition
Lisa Krech
1   Klinik für HNO-Heilkunde, regionale plastische Chirurgie, Kopf- und Halschirurgie, KRH Klinikum Nordstadt, Hannover, Germany (Ringgold ID: RIN39505)
,
H J Welkoborsky
1   Klinik für HNO-Heilkunde, regionale plastische Chirurgie, Kopf- und Halschirurgie, KRH Klinikum Nordstadt, Hannover, Germany (Ringgold ID: RIN39505)
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Fallvorstellung

Eine 38-jährige Patientin stellte sich fußläufig über unsere Notfallambulanz bei plötzlicher Rötung und Schwellung der rechten Wange sowie herpetiformen Effloreszenzen des Gesichts und des Oberkörpers vor. Anamnestisch bestünde seit 3 Tagen eine akute Windpockeninfektion, in der Kindheit habe die Patientin jedoch bereits eine solche Infektion durchgemacht. Zudem sei es zu Fieber und Abgeschlagenheit gekommen. Eine Immunschwäche sei weder bei der Patientin noch in der Familie bekannt. Seit 2 Tagen nehme die Patientin Brivudin 1-mal täglich per os ein, welches ihr vom Hausarzt verschrieben wurde. Zudem bestünden starke Schmerzen der rechten Wange sowie des Brustkorbs und des Oberkörpers.

In der HNO-ärztlichen Untersuchung zeigten sich herpetiforme Effloreszenzen des gesamten Körpers, zudem eine ausgeprägte pralle Schwellung und Rötung der rechten Wange. Die flächige Rötung erstreckte sich entlang der rechten Halsseite über das Dekolletee sowie die Mammae ([Abb. 1]). Enoral zeigten sich keine Auffälligkeiten des Ductus parotideus oder des Ductus submandibularis. Der Zahnstatus war reizlos und saniert, die Schleimhäute rosig und intakt. Sonografisch ergaben sich keine Zeichen einer Abszedierung im Bereich der Glandulae salivariae. Es bestand eine begleitentzündliche Lymphadenitis colli. Eine vermehrte Vaskularisation der Speicheldrüsen in der Duplexsonografie bestand zum Zeitpunkt der Untersuchung nicht.

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Abb. 1 Phlegmone des Sternums sowie der Mammae beidseits mit exsudativer Blasenbildung und herpetiformen Effloreszenzen des Stamms im Krustenstadium.

Laborchemisch waren ein erhöhter CRP-Wert (84mg/l, Norm.: <5mg/l) und eine leichtgradige Leukozytose (10,67 Tsd/µl, Norm.: 4–10,0 Tsd/µl) auffallend. Nebenbefundlich waren die Gamma-GT mit einem Wert von 234U/l und die AST mit 96U/l erhöht.

Wir nahmen die Patientin mit der Arbeitsdiagnose „Windpockeninfektion“ sowie „Weichteilphlegmone der rechten Wange“ stationär auf und begannen eine intravenöse Antibiotikatherapie mittels Ampicillin/Sulbactam 3g 3-mal täglich sowie eine antivirale Therapie mittels Aciclovir 750mg 3-mal täglich. Als mögliche Differenzialdiagnose wurde ein Zoster generalisatus in Betracht gezogen (Differenzialdiagnosen siehe [Tab. 1]). Im stationären Aufenthalt kam es unter der o.g. Therapie zunächst zu keiner Befundbesserung, zudem zeigte sich ein ausgeprägter CRP-Anstieg auf 429,6mg/l bei normwertiger Leukozytenzahl. In Absprache mit dem Institut für Mikrobiologie wurde die Antibiotikatherapie auf Meropenem 2g sowie Clindamycin 600mg 3-mal täglich eskaliert. Es wurden Blutkulturpaare abgenommen. Eine Computertomografie des Halses zum Ausschluss einer sekundären Abszedierung ergab einen in erster Linie entzündlichen, phlegmonösen Prozess rechts bukkal mit Infiltration des Musculus masseter und Ausdehnung bis an die Glandula parotidea ohne Hinweis für eine Abszedierung. Des Weiteren kam eine minimale Imbibierung im subkutanen Fettgewebe des Halses sowie auch entlang der miterfassten vorderen Thoraxwand zur Darstellung.

Tab. 1 Differenzialdiagnose Wangenschwellung (exemplarisch).

Genese

Name

Klinik

Diagnostik

entzündlich

Herpes Zoster

  • Abgeschlagenheit

  • Müdigkeit

  • Kopfschmerzen

  • Fieber

  • herpetiforme Effloreszenzen

  • Fazialisparese

  • klinische Blickdiagnose

  • Labordiagnostik

  • Serologie

  • ggf. Liquordiagnostik bei zentraler Beteiligung

  • Virus-PCR aus Vesikelflüssigkeit

Erysipel

  • brennende Schmerzen

  • Abgeschlagenheit

  • Müdigkeit

  • Kopfschmerzen

  • Fieber

  • scharf berandete Rötung und Schwellung

  • klinische Blickdiagnose

  • Labordiagnostik

Phlegmone

  • Schmerzen

  • Abgeschlagenheit

  • Müdigkeit

  • Kopfschmerzen

  • Fieber

  • unscharf berandete Rötung und Schwellung

  • klinische Blickdiagnose

  • Labordiagnostik

dentogen

  • kariöser Zahnstatus

  • Schmerzen

  • Mundöffnungseinschränkung Schluckbeschwerden

  • Fieber

  • kloßige Sprache

  • klinische Blickdiagnose

  • Labordiagnostik

  • bildgebende Diagnostik (Sonografie, CT)

EBV

  • Abgeschlagenheit

  • Müdigkeit

  • Kopfschmerzen

  • Fieber

  • Foetor ex ore

  • Pharyngitis/Tonsillitis

  • zervikal betonte Lymphadenopathie

  • ggf. Exanthem

  • klinische Blickdiagnose

  • Labordiagnostik

  • Serologie (ELISA, Western Blot)

iatrogen

Komplikationen nach dermatologischen, HNO-ärztlichen oder zahnärztlichen Interventionen

  • ggf. Labordiagnostik

traumatologisch

  • druckdolente Schwellung der Wange oder des knöchernen Schädels

  • Hämatome

  • Formveränderung des Gesichts

  • Sensibilitätsausfälle

  • bildgebende Diagnostik (CT, MRT, Röntgen)

tumorös

benigne/maligne Parotistumoren, Hauttumoren oder Weichteiltumoren

  • Schwellung

  • ggf. Schmerzen

  • Ulzerationen

  • (Fazialisparese)

  • bildgebende Diagnostik (Sonografie, MRT, CT)

  • Probenentnahme

Im weiteren stationären Verlauf entwickelte die Patientin exsudative, konglomerierende Blasen der Mammae beidseits mit leichter Induration lateral ([Abb. 1]). Zudem kam es zu einer Spontanperforation an der rechten Wange nach außen mit Austritt von putrid-seröser Flüssigkeit ([Abb. 2]). Es erfolgte die Entnahme von Epithel aus einem Bläschen am Stamm für molekular-biologische Diagnostik (PCR) bezüglich Varizella-Zoster-Virus sowie die Abstrichentnahme aus dem Sekret der Wange. Sonografisch ergab sich weiterhin kein Hinweis für eine Abszedierung. Zudem waren die Infektparameter rückläufig.

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Abb. 2 Spontanperforation/Ulzeration der Haut der rechten Wange (Pfeil).

Die zusätzliche serologische Untersuchung auf HIV, CMV und TPHA war negativ. Auffällig war ein positiver IgM- und IgG-Antikörper-Titer für Mumps. Anamnestisch bestünde laut der Patientin ein vollständiger Impfschutz. Der vorgelegte Impfausweis als Zweitschrift wies jedoch keine dokumentierte Impfung auf. Eine Kontaktaufnahme mit dem damaligen Kinderarzt/Hausarzt war aufgrund der verjährten Zeitspanne nicht möglich. Im häuslichen Umfeld seien ebenfalls alle Familienmitglieder vollständig geimpft und zeigten keine Krankheitssymptome. Eine zusätzliche PCR-Untersuchung auf Mumpsvirus-RNA zum Ausschluss eines falsch positiven Ergebnisses erfolgte. Hierbei konnte keine Virus-RNA nachgewiesen werden.



Publication History

Received: 20 March 2023

Accepted after revision: 20 June 2023

Article published online:
27 July 2023

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