CC BY-NC-ND 4.0 · Dtsch Med Wochenschr 2023; 148(15): e87-e97
DOI: 10.1055/a-2061-1554
Originalarbeit

Patient*innen-Sicherheit 4.0: „Fehler der Woche“ – Um die Vorbildfunktion geht’s!

Patient safety 4.0: “Failure of the Week” It’s all about role modelling!
Francis Ulmer
1   Pädiatrische Intensivbehandlung, Universitätsklinik für Kinderheilkunde, Inselspital CH-3010 Bern, Schweiz,
,
Rabea Krings
2   Institut für Medizinische Lehre, Abteilung für Assessment und Evaluation, Mittelstr. 43, 3012 Bern, Schweiz,
,
Christoph Häberli
2   Institut für Medizinische Lehre, Abteilung für Assessment und Evaluation, Mittelstr. 43, 3012 Bern, Schweiz,
,
Romina Bally
2   Institut für Medizinische Lehre, Abteilung für Assessment und Evaluation, Mittelstr. 43, 3012 Bern, Schweiz,
,
Marcus Schuchmann
3   I. Medizinische Klinik – Gastroenterologie, Onkologie, Nephrologie – Klinikum Konstanz GLKN, Mainaustraße 35, 78464 Konstanz,
,
Sören Huwendiek
2   Institut für Medizinische Lehre, Abteilung für Assessment und Evaluation, Mittelstr. 43, 3012 Bern, Schweiz,
,
Hans-Joachim Kabitz
4   Klinikum Konstanz, Konstanz, GERMANY (Ringgold ID: RIN15008)
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Hintergrund (Beinahe-)Fehler kommen im komplexen Gesundheitswesen häufig vor. Hierarchisch geprägte Strukturen begünstigen eine Fehlerkultur des „Name – Blame – Shame“ (benenne, klage an, beschäme), (Beinahe-)Fehler werden vertuscht, verharmlost oder totgeschwiegen. Eine der größten Herausforderungen der modernen Medizin ist die Schaffung eines Umfelds, welches durch offene Berichterstattung (Beinahe-)Fehler systematisch analysiert und ermöglicht, daraus etwas zu lernen. Ärzt*innen haben hierbei wegen des ausgeprägten Hierarchiegefüges und des traditionellen Rollenverständnisses eine Schlüsselfunktion.

Methoden Nach entsprechender Literaturanalyse wurde das flächendeckend anzuwendende Modell „Fehler der Woche“ (FdW) entwickelt, welches jedem (ärztlichen) Teammitglied erlaubt, offen über (Beinahe-)Fehler zu berichten. Fünf Fokusgruppen wurden durchgeführt und gemäß qualitativem Forschungsansatz via thematischer Analyse ausgewertet.

Ergebnisse Folgende wesentliche Erfolgsfaktoren für einen angstfreien Umgang mit (Beinahe-)Fehlern (Modell FdW) wurden identifiziert: 1. Vorbildfunktion („Der Chef macht’s vor“), 2. fester Zeitslot/„Fehlerbühne“, 3. sanktionsfreies Berichten eigener Fehler, 4. vertrauensvolles Arbeitsklima. Folgende relevanten Auswirkungen resultierten hieraus: 1. eigene Fehler werden häufiger berichtet, 2. Erleichterung/Entlastung, 3. psychologische Sicherheit, 4. Lerneffekt.

Diskussion Das Modell „Fehler der Woche“ ist in der Lage, einen nachhaltigen Kulturwandel einzuleiten, gemäß dem Motto „ich bin gewiss nicht stolz darauf, dass mir ein (Beinahe-)Fehler unterlaufen ist – jedoch sehr stolz darauf, dass ich im Sinne der Patient*innen-Sicherheit darüber reden kann“.


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Abstract

Background The rate of mistakes and near misses in clinical medicine remains staggering. The tendency to cover up mistakes is rampant in “name-blame-shame” cultures. The need for safe forums where mistakes can be openly discussed in the interest of patient safety is evident. Following a comprehensive review of the literature, a semi-structured weekly conference, named “mistake of the week” (MOTW), was introduced, enabling physicians to voluntarily discuss their mistakes and near-misses. The MOTW is intended to encourage cultural change in how physicians approach, process, accept and learn from their own and their peers’ mistakes. This study seeks to assess if physicians appreciate, benefit from and are motivated to participate in MOTW.

Methods Physicians and medical students of the I. and II. Medizinische Klinik at the Academic Teaching Hospital Klinikum Konstanz (Germany) were eligible to participate voluntarily. Four groups of physicians (n=3–6) and one group of medical students (n=5) volunteered to participate in focus group interviews, which were videotaped, transcribed and analyzed.

Results The following success factors are crucial for dealing with and voluntarily disclosing mistakes and near-misses: 1. Exemplification (“follow the boss’s lead”), 2. Fixed time slots and a clear forum, 3. Reporting mistakes without fear of penalty or punishment, 4. A trusting working atmosphere. The key effects of the MOTW approach are: 1. People report their mistakes more, 2. Relief, 3. Psychological safety, 4. Lessons learned/errors (potentially) reduced.

Discussion The MOTW conference models an ideal forum to mitigate hierarchy and promote a sustainable organizational dynamic in which mistakes and near misses can be discussed in an environment free from “name-blame-shame”, with the ultimate goal of potentially improving patient care and safety.


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Einleitung

Es war einmal vor langer, langer Zeit: Die Erde galt als Scheibe und Ärzt*innen waren unfehlbar. Alle? Nicht alle! Ein junger Arzt musste sich eingestehen, dass keine Woche – ja oft nicht einmal ein Tag – verging, ohne dass ihm selbst (Beinahe-)Fehler unterlaufen wären. Er fragte sich, ob dies nicht auch anderen Ärztinnen bekannt vorkommt und warum man nicht einfach darüber sprechen und versuchen könnte, die Patient*innen-Sicherheit zu erhöhen. Er lernte in einer traditionell hierarchisch geprägten Welt der Medizin jedoch ebenfalls, dass diese Bereitschaft an vielen Stellen (noch) nicht vorhanden ist und es einer erheblichen Überwindung und großer Kraftanstrengungen bedarf, um hieran etwas zu verändern. Wenn dies nachhaltig gelingen sollte, dann am ehesten aus einer leitenden Position heraus („top-down“) – Die Idee für das Konzept „Fehler der Woche“ (FdW) war geboren.

In Zeiten einer immer weiter um sich greifenden „Qualitätssicherung“ erscheint es fast so, als ob das Auftreten von (Beinahe-)Fehlern per se beweisen würde, dass in einer Abteilung/Klinik anhaltend kritikwürdig gearbeitet würde. Ganz im Gegenteil belegt jedoch die systematische Kommunikation derartiger Ereignisse ein vertrauensvolles Klima, in dem jede*r Mitarbeitende es wagt, über (Beinahe-)Fehler zu sprechen: Ein wesentliches Kriterium, um nachhaltig „Qualität“ in der Medizin (i.e. Patient*innen-Sicherheit) zu gewährleisten [1]. Der auf den ersten Blick überraschende Zusammenhang zwischen hoher psychologischer Sicherheit in einem Behandlungsteam und mehr (anstatt weniger) berichteten Fehlern ist in der Zwischenzeit gut untersucht und belegt [2].

Lesen Sie im Folgenden, ob es mit einem Projekt wie dem FdW gelingen kann, den notwendigen Kulturwandel einzuleiten, welche Voraussetzungen benötigt werden und welche Auswirkungen hieraus resultieren.


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Material und Methoden

Setting

Die im Folgenden beschriebenen Untersuchungen wurden in der I. und II. Medizinischen Klinik des akademischen Schwerpunkt-Lehrkrankenhauses der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg am Klinikum Konstanz durchgeführt. Die Patient*innen-Versorgung umfasst hierbei neben entsprechenden Privatambulanzen, prä- und poststationärer sowie stationärer Versorgung auch die internistische Versorgung in der zentralen Notaufnahme, der Palliativstation, der Schlaganfall-Einheit sowie einer interdisziplinären Intensivstation.


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Das Modell „Fehler der Woche“ (FdW)

Das am Klinikum Konstanz erstmals im Juni 2014 initial vorgestellte und bis Ende des Jahres 2014 etablierte Modell „Fehler der Woche“ fußt auf diversen Überlegungen, welche als Grundvoraussetzungen für ein erfolgreich anzuwendendes Fehlermanagement angesehen werden müssen. Hiervon abgeleitet ergeben sich gewisse „Spielregeln“, die eingehalten werden müssen, damit ein Modell wie der FdW erfolgreich und anerkennend dauerhaft Erfolg haben kann. In [Tab. 1] sind die wesentlichen Eckdaten wiedergegeben, so wie grafisch illustriert in [Abb. 1].

Tab. 1 Die wichtigsten „Spielregeln“ für das Modell „Fehler der Woche“.

1

Berichte ausschließlich über eigene (Beinah-)Fehler

2

Berichte angstfrei und „schonungslos“ ehrlich

3

Fokussiere auf den Prozess, nicht auf (die eigene) Person

4

Greife möglichst aktuelle (Beinah-)Fehler auf

5

Vermeide einen Bias hin zu „harmlosen“ (Beinah-)Fehlern

6

Sei authentisch – ärgern (über sich selbst) ist erlaubt!

7

Achte auf Diversität der berichteten (Beinah-)Fehler

8

Erlaube Zeit und Raum für Diskussion

9

Berichte nur das, was gesichert ist – keine Vermutungen

10

Bitte um Verzeihung, wenn „Spielregeln“ verletzt wurden

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Abb. 1 Grafische Aufarbeitung der wesentlichen Elemente des Konzeptes „Fehler der Woche“ (FdW).
Quelle: Sandra Schulze (www.sandraschulze.com).

Für die Implementierungsphase (Juni/Juli 2014) wurden durch die Chefärzte zunächst in ärztlichen Teamsitzungen unter sequenzieller Anwesenheit der gesamten ärztlichen Belegschaft die Grundlagen eines erfolgreichen Fehlermanagements erläutert. Besonderen Wert wurde hierbei u.a. auf die Vermeidung des „Name–Blame–shame“-Aspektes gelegt. Der FdW wurde von diesem Initiierungstermin an 1-mal pro Woche in der ärztlichen morgendlichen Vollversammlung eingeführt. In den ersten Wochen berichtete der Chefarzt über (Beinahe-)Fehler, welche ihm persönlich in der letzten Woche unterlaufen sind. Essenziell hierbei ist, dass in der Berichterstattung zunächst anhand eines longitudinalen Zeitstrahls die Fakten klar und offen dargelegt werden, bevor eine schrittweise Auswertung der einzelnen Punkte erfolgt. Ziel sollte stets eine Analyse auf „Prozessebene“ sein (was können wir strukturell verbessern?) und nicht auf „Personenebene“ (warum ist das gerade dieser Person passiert?). Mit der Zeit sollten sich mehr und mehr Mitarbeitende motiviert fühlen, in diesem Forum in gleicher Art und Weise angstfrei und aus Eigeninitiative von persönlichen (Beinahe-)Fehlern zu berichten. Idealerweise wird so durch einen „First Follower“ dann die/der erstberichtende (Chef-)Ärztin zum „Leader“ dieser Kultur und es wird dem gesamten Team immer leichter gemacht, dieser „Kultur“ zu folgen [3]. Über die Zeit entsteht auf diese Weise ein angstfreies Klima, welches jeder/jedem Einzelnen erlaubt, durch das Berichten derartiger Fälle, die Patient*innen-Versorgung zu verbessern und einen persönlichen Beitrag zur Patient*innen-Sicherheit zu leisten.

Potenzielle Rückschläge sollten offen und souverän angegangen werden. Passiert es z.B. trotz aller (geistigen) Vorsichtsmaßnahmen, dass beim Vorstellen des FdW eine „Name–Blame–Shame“-Situation entsteht, so sollte der Chefarzt/die Chefärztin beherzt eingreifen und sofort klarstellen, dass „der Ball das Spielfeld verlassen hat“ und eine Fortsetzung erst erfolgen kann, wenn er sich wieder darin befindet. Analyse und Verbesserungsmaßnahmen sind hier einfach: striktes Einhalten der „Spielregeln“ ([Tab. 1]). Somit kann das Team glaubhaft darauf vertrauen, dass die Berichterstattung niemals negativ sanktioniert wird.


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Design

Bisher gibt es wenig Literatur zu einem Projekt wie diesem. Qualitative Methoden wie Fokusgruppenstudien sind hierfür besonders geeignet, um insbesondere auch "Warum?“-Fragen zu beantworten [4].

In der vorliegenden Studie wurde ein konstruktivistischer thematischer Analyseansatz verwendet. Die Thematische Analyse (TA) ist ein pragmatischer Ansatz der qualitativen Analyse, bei dem nach Themen in einem Datensatz gesucht wird [5]. Während TA auf einige der Techniken der Grounded Theory zurückgreift [6], bleibt sie theoretisch flexibel und kann an die spezifischen Gegebenheiten einer Studie angepasst werden. Aufgrund des konstruktivistischen Ansatzes konnte auf die vorhandene einschlägige Literatur (z.B. [2] [7] zurückgegriffen werden, um die Entwicklung unserer Forschungsfrage zu unterstützen. Darüber hinaus lieferte die Literatur auch sensibilisierende Konzepte, die die Datenanalyse unterstützen.


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Forschende

Die Arbeitsgruppe bestand aus 7 Forschenden. Vier von ihnen (FU, MS, SH, HJK) sind Ärzte, die sich auch intensiv mit medizinischen Aus- und Weiterbildungsfragen beschäftigen. Dabei sind 2 der Autoren Chefärzte an der entsprechenden Klinik (MS & HJK). Weitere 3 sind Nichtmediziner*innen mit Hintergrund in der Psychologie (RK, CH, RB), wobei CH und RB als Forschungspraktikant*innen des Instituts für Medizinische Lehre das Projekt unterstützten und RK als Mitarbeitende des Instituts für Medizinische Lehre über umfangreiche Erfahrungen mit qualitativen Methoden verfügt, ebenso wie SH.


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Teilnehmende

Die Teilnehmenden der von April bis Juni 2018 durchgeführten Fokusgruppen (n=25) wurden von Seiten der Klinik rekrutiert und nahmen freiwillig an einer der 5 Fokusgruppeninterviews teil (3–6 Teilnehmende pro Gruppe).

Insgesamt wurden 5 Fokusgruppeninterviews durchgeführt: Fokusgruppe 1 mit Studierenden im praktischen Jahr an der Klinik (PJ, n=6; April 2018), Fokusgruppen 2 und 3 mit Ärzt*innen in Weiterbildung an der Klinik (AÄ1, FG 2 n=5; April 2018/AÄ2, FG 3 n=6; Mai 2018), Fokusgruppe 4 mit Oberärzt*innen der Klinik (OÄ, n=5; Juni 2018) und Fokusgruppe 5 mit Chefärzten der Klinik (CÄ, n=3; Juni 2018).


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Datenerhebung

In Interviews unter Peergruppen wird das Machtgleichgewicht zwischen Forschenden und Teilnehmenden reduziert und eine intensive Diskussion gefördert, um ein relativ sicheres Umfeld zu gewährleisten. Die/Der Moderierende ermutigte alle Teilnehmenden, ihren Beitrag zu leisten, betonte den Wert unterschiedlicher Meinungen und bat die Teilnehmenden, ihre Gedanken zu einem bestimmten Thema vor der Gruppendiskussion aufzuschreiben, um dem möglichen Nachteil des sozialen Drucks von Peers oder Moderierenden, der die offene Meinungsäußerung behindert, entgegenzuwirken. Fünf 2-stündige Fokusgruppen-Sitzungen fanden an verschiedenen Tagen statt, moderiert wurden diese von 2 Mitgliedern der Autorenschaft (SH (n=4) & RK (n=1)), die beide erfahrene Moderierende von Fokusgruppen sind. Die Konsistenz zwischen den Gruppeninterviews wurde durch eine sogenannte „Questionroute“ gefördert [8]. Die Moderierenden (SH und RK) und die stellvertretenden Moderierenden (CH, RB) machten sich Notizen und nahmen die Sitzungen per Video auf. Im Ergebnisteil werden an verschiedenen Stellen Originalaussagen aus den Fokusgruppen zitiert; am Ende eines jeden Zitates wird die entsprechende Quelle (Fokusgruppe) jeweils mittels # und Gruppenbezeichnung (z.B. #PJ/#AÄ) gekennzeichnet. Aus Datenschutzgründen erfolgt pro Zitat lediglich die Gruppen- und keine pseudonymisierte Personenzuordnung.


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Datenanalyse

Die Aufnahmen wurden wörtlich transkribiert, und die Transkripte wurden von 4 Personen der Autorenschaft (CH, RB, RK, SH) analysiert. Zuerst lasen sie alle Transkripte und identifizierten und markierten vorläufige Themen in Übereinstimmung mit den Richtlinien für die thematische Analyse [5]. Als nächstes etablierten sie Themen in einem iterativen Prozess. In diesem Prozess diskutierte das gesamte Forschungsteam kodierte Themen. Die Diskussionen wurden genutzt, um den Kodierungsprozess zu unterstützen. Dies wurde so lange fortgeführt, bis das gesamte Forschungsteam einen Konsens erreichte. Um die Anonymität der Aussagen gegenüber der Chefebene zu gewährleisten, hatten die beiden Chefärzte (MS und HJK) keinen Zugriff auf die Transkripte oder Videos, sondern nur auf die daraus destillierten Themen.


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Ergebnisse

Die Ergebnisse der thematischen Analyse der o.g. Fokusgruppen werden im Folgenden getrennt für die wesentlichen identifizierten Erfolgsfaktoren sowie die wichtigsten Auswirkungen dargestellt. Eine Gesamtübersicht zeigt [Abb. 2].

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Abb. 2 Synopsis der wesentlichen anhand der Fokusgruppen-Analyse identifizierten Erfolgsfaktoren des Konzeptes „Fehler der Woche“ (FdW) sowie die wichtigsten Auswirkungen.

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Erfolgsfaktoren

1. Role-Modelling („Chef macht’s vor“):

Die Führungskräfte leben gewünschtes, neues Verhalten vor (i.e. offener Umgang mit Fehlern im FdW wie auch im alltäglichen Leben, sowohl bei Mitarbeitenden als auch bei Patient*innen und Angehörigen) und motivieren und ermutigen die Mitarbeitenden, dieses Verhalten zu verinnerlichen und in Zukunft selbst zu zeigen.

„…dass die Chefs auch selber berichten und dass sie eigene Fehler berichten. Das ist wichtig. Nicht sagen: Bei dem und dem Patienten lief das und das schief und das war aber im Endeffekt gar nicht der Fehler von mir als Chef, sondern, dass sie wirklich eigene Sachen berichten…“

#OÄ

Verbindlichkeit, Wahrhaftigkeit und Authentizität beim Leben der Fehlerkultur entstehen dadurch, dass die Führungskräfte vom Konzept selbst stark überzeugt sind und dementsprechend handeln. Sie werden dann von den Mitarbeitenden ernst genommen und das Konzept wird leichter angenommen bzw. übernommen.

„…Ich halte das auch für das Zentrale: Der Chef muss für eine angstfreie Atmosphäre sorgen, sonst geht’s gar nicht...“

#CÄ

„…nur so merken die anderen, dass es nicht schlimm ist, wenn man eigene Sachen, eigene Fehler zugibt…“

#OÄ

„…Ich finde sogar, die meisten [Anm. Patient*:innen] gehen damit einfach besser um … das habe ich auch nur dadurch gelernt, dass ich es eben erlebt hab oder hier eigentlich vorgelebt bekommen habe – … da ist echt etwas falsch gelaufen, dass die Leute sagen: „Ok, alles klar, ich akzeptiere die Entschuldigung und es ist gut“, und wenn das erst im Nachhinein ... rauskommt, dann ist schon eher mal mit Klage oder so gedroht worden…“

#AÄ2

Ambivalente Einschätzungen bzw. ein nicht einfach aufzulösender Konflikt bestehen darin, dass durch das Berichten von (häufig auftretenden) „banalen“/nicht schwerwiegenden Fehlern (mit der Intention, „den Ball im Spiel zu halten“) möglicherweise verhindert wird, dass die wirklich schwerwiegenden Fehler, insbesondere von nachgeordneten Mitarbeitenden, berichtet werden.

„…Ich finde, prinzipiell ist das eine super Sache. Ich finde dadurch, dass es leider doch eher meistens so läuft, dass der Chef seinen Fehler der Woche nennt und der Fehler meistens nicht sehr schwerwiegend ist, sondern häufig auch irgendwas ganz Banales ist, traut man sich häufig gar nicht, seine eigenen Fehler zu berichten, die häufig viel dramatischer sind, wo wirklich etwas hätte passieren können oder wo wirklich was passiert ist...“

#AÄ1

Fazit

Die Vorbildfunktion der Führungskräfte ermöglicht die Übernahme des Verhaltens durch Mitarbeitende und muss als wichtiger Erfolgsfaktor für die Schaffung einer offenen Fehlerkultur gesehen werden.


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2. Fester Zeitslot/die „Fehlerbühne“

Ein festgelegter Zeitslot oder Termin für den FdW hilft, diesen in die Routine einzupflegen und „ihn am Leben zu erhalten“. Dies unterstützt zudem die Nachhaltigkeit, etabliert das entsprechende Forum sowie die Entwicklung einer offenen Fehlerkultur. Führungskräfte „erinnern“ sämtliche Mitarbeitenden mithilfe dieses Forums daran, dass diese Kultur gelebt wird, und animieren sie, zur (Weiter-)Entwicklung beizutragen.

„… Also, ich glaube, ein dezidierter Zeitpunkt, wo klar ist, dass das einfach läuft, der ist wichtig sicherlich…“

#AÄ2

Verbesserungspotential wird darin gesehen, den FdW nicht an das Ende einer jeweiligen Frühbesprechung, sondern an den Anfang zu stellen.

„…Ja, vor allem vielleicht nicht als letzte Frage...“

#AÄ2

Zudem sollte mehr Zeit zum Überlegen eingeräumt werden (da manche FdW nicht mehr ad hoc im Gedächtnis präsent sind).

„…und man sitzt kurz da und hat da eine halbe Minute und dann fällt einem vielleicht auch nichts ein…“

#AÄ2

Fazit

Ein fester Zeitslot (idealerweise zu Beginn einer Besprechung) für den FdW unterstützt die Nachhaltigkeit der offenen Fehlerkultur.


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3. Sanktionsfrei eigene Fehler berichten

Es wird als essenzieller Erfolgsfaktor angesehen, dass alle Mitarbeitenden das Gefühl haben, dass man alles ansprechen darf, ohne negative Auswirkungen auf den persönlichen Status oder die Karriere befürchten zu müssen, ohne von anderen Mitarbeitenden abgelehnt oder von den Chefs bestraft zu werden.

„… wo man sieht, da passiert nichts Schlimmes, sondern einfach etwas, was besprochen werden kann und besprochen werden sollte…“

#AÄ2

„… vielleicht ist auch das wichtig, dass sie [Anm. die Ärzt*innen] an den vielen Stellen immer wieder merken, sie können sich wirklich sicher fühlen…“

#CÄ

Die Gewissheit, dass das Berichten der eigenen Fehler keine negativen Konsequenzen für das Individuum nach sich zieht, ebnet den Weg dahingehend, dass Fehler ohne Einschränkungen offengelegt und diskutiert werden.

„… Also, für mich ist es auch so, die allgemeine Einstellung zu dem Fehler, die niedrige Schwelle, einfach zu sagen: „Mir ist das passiert“. Man muss eigentlich nicht viel überlegen, also über die Konsequenzen, sondern man weiß, man kann es einfach ansprechen…“

#AÄ1

„… Manchmal sind’s … doch ernste Sachen. Jetzt ist es für die Assistenzärzte, finde ich, so was Selbstverständliches … die sagen das, ohne irgendwie Schiss zu haben, und das, weiß ich, hätte ich in meiner alten Klinik – ich war da auch in einer tollen und netten Abteilung –, … trotzdem nicht so gemacht…“

#OÄ

Fazit

Beim Berichten von Fehlern dürfen keine negativen Konsequenzen befürchtet werden.


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4. Vertrauensvolles Arbeitsklima

Das Vertrauen zwischen den Mitarbeitenden und auch zu den Chefs wird gefördert durch häufige soziale Interaktionen und den Austausch von Informationen/Gedanken, das sich umeinander Kümmern und Sorgen, sowie erfahrene Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit.

„… beruhigendes Gefühl, dass man schon weiß, man kann über seine Fehler reden und es ist aber nicht so, dass man … niedergetrampelt wird von allen…“

#PJ

Im Notfall sind die Chefs immer erreichbar, man kann sich jederzeit und mit allem, wenn nötig, auch an sie wenden, sie stehen einem immer zur Seite.

„… Wenn jetzt etwas passiert, … dann wäre ganz klar, er [Anm.: der Chef] würde sich die Zeit nehmen, er würde dir zuhören und er würde das zu 100% … managen, mit dir zusammen – da bin ich mir sicher! …“

#AÄ1

Die Chefs leben vor, dass man sich im Team respektiert und fair miteinander umgeht. Diese guten Vertrauensverhältnisse sowie flache Hierarchien ermöglichen ein angenehmes Arbeitsklima und größere Bereitschaft, über Fehler zu sprechen.

„… Insgesamt gibt’s im Team superflache Hierarchien und reden kann man mit jedem über alles…“

#AÄ1

Dadurch wird einem bewusst, dass jedem Fehler passieren, auch den Chefs. Fehler zu machen ist also unvermeidbar. Somit fühlt man sich nicht allein oder besonders dumm/inkompetent – dies hat eine erlösende Funktion und führt dazu, dass es einem leichter fällt, zu seinen Fehler zu stehen und diese zu berichten.

„… Jeder von uns hatte was zu berichten … dass man wirklich denkt, das ist normal, ich bin jetzt nicht irgendwie besonders tollpatschig, also ich finde das ist eine sehr, sehr wichtige Erkenntnis für mich…“

#PJ

Das Zugeben von Fehlern wird von den Arbeitskolleginnen und der Klinik geschätzt und begrüßt und die Vorgesetzten stehen hinter den Mitarbeitenden („emotionale Unterstützung“).

„…in solchen Momenten der Verzweiflung offenbart man ja auch seine … Fehler oder sein Unwissen … Wenn da so offen auf einen zugegangen wird – und natürlich das ganze Vorleben und diese flache Hierarchie und dieses Zuvorkommende ist schon sehr hilfreich. Sehr toll, muss man sagen…“

#AÄ2

„… dass man da halt auch auf die anderen zählen kann, dass man damit nicht alleine klar kommen muss…“

#OÄ

Wichtig ist dennoch, dass das Berichten im FdW auf Freiwilligkeit beruht, denn Vertrauen kann nur entstehen, wenn man die Gelegenheit hat, sich ohne Druck und ohne das Gefühl von Kontrolle frei zu entscheiden. Wichtig für ein vertrauensvolles Arbeitsklima ist zudem, dass die Regel, im FdW nur über eigene Fehler zu berichten und nicht über die der anderen, von den Mitarbeitenden eingehalten wird. Dies stellt jedoch auch eine besondere Herausforderung dar, da Fehler(-ketten) häufig komplex sind und teilweise mehrere/viele Mitarbeitende beteiligt sind.

Fazit

Ein vertrauensvolles Arbeitsklima sowie Unterstützung durch das Team und die Chefs erhöhen die Bereitschaft, über Fehler zu sprechen.


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Auswirkungen

1. Eigene Fehler werden häufiger berichtet

Durch die offene Fehlerkultur wird erreicht, dass die Mitarbeitenden zu Fehlern stehen und diese im Rahmen des FdW berichten – und auch gegenüber Patient*innen offen kommunizieren können.

„… [Moderatorin: also, hat jeder was berichtet?] Die meisten! …“

#PJ

„… Patienten finden es ja in der Regel auch super, wenn man kommt und sagt: „Hören Sie mal, es tut mir wirklich leid; aber da ist was schief gelaufen“. Es sind die Wenigsten, die einem dann noch irgendwie böse sind, die meisten sagen dann: „Ja, aha, okay, kein Problem.“

#AÄ1

„… Ich denke, dass die Patienten insgesamt mehr Vertrauen in die Ärzte haben, wenn die Fehler zugeben und … bisher wurde das immer sehr gut aufgenommen…“

#AÄ2

Dabei wird erläutert, dass trotz der Freiwilligkeit bereits etwa die Hälfte der Mitarbeitenden bisher Fehler berichtet haben – tendenziell kommt der meiste Input aber noch von den Chefs. Ärzt*innen in Weiterbildung berichten ihre Fehler auch schon vermehrt, jedoch sicherlich noch nicht so häufig, wie sie geschehen.

„…Die gravierenden Fehler machen wir Jungen und wir berichten die schon ab und zu, aber bestimmt nicht so häufig, wie sie passieren…“

#AÄ1

Eine vermehrte Beteiligung von Oberärzt*innen am FdW wäre wünschenswert.

„… es ist schon … tendenziell eher so, dass die Oberärzte am wenigsten [berichten], glaube ich…“

#OÄ

Zudem sollten sich Mitarbeitende noch vermehrt trauen, auch ganz schwerwiegende Fehler zu berichten.

Fazit

Die neue Fehlerkultur führt dazu, dass die Mitarbeitenden in der Tat eigene Fehler berichten, sich aktiv am FdW beteiligen und auch gegenüber Patient*innen aufrichtig sein können und dies das Vertrauensverhältnis stärkt.


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2. Erleichterung/Entlastung

Es tut gut, drüber sprechen zu können und zu sehen, dass anderen auch Fehler passieren und nicht nur einem selber (sic) und niemand einen als inkompetent ansieht.

„… Ich glaub’, es ist gut darüber zu sprechen, weil es mir dann besser geht und ich weiß: Okay, es passiert jedem, und es ist nicht schlimm…“

#PJ

Im FdW kann man sich Belastendes von der Seele reden und mit dem Team analysieren, was in Zukunft besser gemacht werden kann und somit dann auch persönlich damit abschließen und sich wieder voll auf die Arbeit konzentrieren, ohne dass einen das Geschehene noch lange verfolgt und bedrückt.

„… Das hat wahnsinnig viel Überwindung gekostet, das war aber wichtig und danach hat es sich richtig gut angefühlt, weil man merkt, dass dann darüber geredet wird und auch diskutiert wird, woran liegt es…“

#AÄ1

„… dass du es verarbeitest und irgendjemand gibt nochmal Feedback und sagt, so und so, und dadurch ist es auch so ein bisschen eine Entlastung manchmal, für einen selber, wenn da noch einmal alle drüber sprechen…“

#AÄ2

„… dass das auch eine Erleichterung … bringen kann, wenn man … das einfach mal von der Seele geredet hat und das, denke ich, hat insgesamt schon [einen] sehr positiven Effekt auf die Arbeit…“

#OÄ

Fazit

Das Zugeben von Fehlern (u.a. im Rahmen des FdW) hat für die Betroffenen eine erleichternde Funktion („Katharsis“).


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3. Lerneffekt

Aus den Fehlern der anderen kann gelernt werden: durch Analysieren und Diskutieren von „falschem“ Verhalten, welches zu Fehlern geführt hat sowie durch Erlernen von „richtigem/besserem“ Verhalten in dieser Situation.

„… das fand ich … gut, dass der Fokus halt einfach darauf liegt, wie hätte man den Fehler vermeiden können … nicht auf einzelnen Handlungen, die jetzt falsch gemacht wurden, sondern letztendlich mehr: „Was hat zu diesem Fehler geführt?“ – und das finde ich total wichtig…“

#PJ

„… Ich wüsste jetzt keinen einzigen Fall, wo in irgendeiner Form auch nur angedeutet worden wäre, dass [sich] da jetzt … jemand individuell … schlecht verhalten hätte … sondern es ging immer wirklich einfach da drum, was kann man daraus lernen … wo kann man ansetzen…“

#AÄ2

Auch werden dadurch häufige Fehlerquellen jeder/m Einzelnen bewusst. Systematische Fehler können auf diese Weise aufgedeckt werden.

„… Abläufe werden dann nochmal analysiert … oft sind ja auch so Gesamtabläufe das Problem…“

#AÄ1

„… gibt Anlass, Dinge, die zu diesem Fehler geführt haben, anzugehen und zu verbessern…“

#CÄ

Aufgrund der offenen Fehlerkultur und offener Kommunikation werden nach Einschätzung der Teilnehmenden potenziell weniger Fehler produziert, da die Mitarbeitenden aus dem FdW lernen und ihnen das Potenzial gegeben wird, sich verbessern zu können.

„… Also, wenn man sich so andere Geschichten in den Kopf ruft … ich glaube, einerseits kannst du dadurch Fehler verhindern … [#PJ2: verhindern, dass sie größer werden!] ... genau, und sie dann abwenden…“

#PJ

„… und ich glaube, … es werden dadurch weniger Fehler produziert, wenn man darüber offen reden kann, weil dann hat man auch nicht immer den negativen Druck und sagt: „Oh Gott, ich geh’ jetzt in den Dienst und wenn mir ein Fehler passiert, dann kriegen wir auf den Deckel!“ – ich glaube, dann kann man auch nicht mehr gut denken…“

#AÄ1

„… ich bin auch fest davon überzeugt, dass durch eine gute Fehlerkultur am Ende auch weniger Fehler passieren … dann fragt man halt doch einmal mehr und … das … verhindert auch Fehler, ja! …“

#OÄ

„… Wir sind so viel besser geworden als vor ein paar Jahren, weil wir ganz konkret Dinge verbessert haben, auf Grund dieser Berichte… da schalten wir wirklich auch Fehlerketten aus…“

#CÄ

Fazit

Das Berichten von Fehlern ermöglicht das Reflektieren über eigene Fehler und sensibilisiert gegenüber potenziellen Fehlerquellen. Dies führt nach Einschätzung der Teilnehmenden zu einer Fehlerreduktion.


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4. Psychologische Sicherheit

Die erlernte und gelebte Sicherheit durch die offene Fehlerkultur resultiert in einer angstfreien Kommunikation (z.B. auch mehrfaches Nachfragen, die eigene Meinung immer sagen) sowie offenen und vertrauensvollen Interaktionen. Es herrscht keine Angst vor Zurückweisung, Versagen oder Sanktionen.

„... Es ist ein angstfreieres Arbeiten! ... “

#ÄA2

Dies alles führt zu einer „Ent-Stigmatisierung“ („Normalisierung“) von Fehlern und entfernt die Diskussion von einer Sündenbock-Mentalität mit persönlichen Vorwürfen, hin zu einer konstruktiven Diskussion, mit dem Fokus auf erreichbare Verbesserungen auf Systemebene.

„… Das, was … gesagt wird – eben gerade von leitenden Personen – „es geht hier nicht um Schuldzuweisung“ und irgendwie jetzt hier den Schuldigen zu finden, den Sündenbock, … dass es tatsächlich auch so gelebt wird, das nimmt einem dann auch die Angst und dann erzählt man auch…“

#PJ

Fazit

Psychologische Sicherheit bewirkt ein angstfreieres Arbeiten.


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Diskussion

Dieser Artikel beschreibt, wie mit dem Model „Fehler der Woche“ (FdW) eine Kultur des Lernens aus Fehlern in den ärztlichen Krankenhausalltag eingeflochten werden konnte. Die wichtigsten Erfolgsfaktoren gemäß der Fokusgruppen-Analyse sind die Vorbildfunktion der Vorgesetzten, der feste Zeitslot im Berufsalltag, mit Etablierung einer psychologisch sicheren „Fehlerbühne“, die Möglichkeit, sanktionsfrei eigene Fehler berichten zu können, sowie die Existenz eines vertrauensvollen Arbeitsklimas. Als wesentliche Auswirkungen des FdW konnten identifiziert werden: Eigene Fehler werden häufiger wahrgenommen und berichtet (dies sowohl im Team als auch gegenüber Patient*innen/Angehörigen), es findet durch die Mitteilung eine Erleichterung/Entlastung des Berichtenden statt, über einen Kulturwandel wird eine stabile psychologische Sicherheit geschaffen und via der Lerneffekte kommt es nach Einschätzung der Teilnehmenden zu einer Fehlerreduktion.

„Top-down“ vs. „Bottom-up“

Anhand der Tatsache, dass die Vorbildfunktion der Chefs als wesentlicher Erfolgsfaktor von nahezu allen befragten Teammitgliedern sämtlicher Hierarchieebenen angesehen wird, muss gefolgert werden, dass eine derartige Fehlerkultur nur „top-down“ geschaffen werden kann. Die Schlüsselfunktion der Chefs und Chefinnen kann hierbei nicht hoch genug bewertet werden: Nur durch konsistentes, dauerhaftes und verbindliches Vorleben gelingt es, Glaubwürdigkeit und die notwendige psychologische Sicherheit zu schaffen („walk your talk!“). Dies scheint zunächst im Gegensatz zu der ebenfalls als wichtigen Erfolgsfaktor identifizierten flachen Hierarchie zu stehen – an dieser Stelle wird jedoch evident, dass „flache“ Hierarchie keinesfalls mit „nicht vorhandener“ Hierarchie gleichgesetzt werden darf, und dass gerade das Rollenverständnis jedes/jeder Einzelnen aufrecht erhalten werden muss. Aus den hier gefundenen Ergebnissen der Analyse des FdW muss gefolgert werden, dass eine derartige Fehlerkultur nicht in einem „Bottom-up“-Ansatz geschaffen werden kann.

Hierdurch wird jedoch auch ein Grundproblem offensichtlich: Ohne unbedingten Willen des Chefs/der Chefin kann eine solche Kultur nicht gelingen – ungeachtet dessen, was das gesamte Team für Anstrengungen unternimmt.

Nicht abschließend zu klären bleibt die Frage, ob die nachgeordneten Teammitglieder ein Modell wie den FdW unterstützen, weil es „von oben“ vorgelebt (i.e. implizit auch „gewollt“) wird, oder weil sie selber hinter dem Modell stehen. Diese Frage hat insofern große Relevanz, weil nur bei Letzterem auch davon ausgegangen werden könnte, dass zukünftige Führungskräfte aus einem solchen Team eine vergleichbare Kultur in ihrem neuen Team etablieren würden.


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Den besten Mitarbeitenden können die schlimmsten Fehler unterlaufen

Anhand der Forschungsergebnisse im Bereich Fehlermanagement muss als Grundsatz anerkannt werden, dass auch den allerbesten Mitarbeitenden grundsätzlich die allerschlimmsten Fehler unterlaufen können. Hier schützen weder Erfahrung noch Fachwissen [9]. Dieser Grundsatz wird insbesondere von Berufsanfänger*innen häufig nicht realisiert – diese haben allzu oft das Gefühl, dass Derartiges nur ihnen selbst (und niemals den Chefs) passiert. Nur durch schonungslose Ehrlichkeit, insbesondere seitens der Führungskräfte, im Umgang mit eigenen Fehlern kann dieser Mythos entlarvt und dauerhaft als unwahr kenntlich gemacht werden. Erst hierdurch wird ermöglicht, dass eine Fehleranalyse auf der Systemebene durchgeführt werden kann und Prozess- sowie Strukturverbesserungen in den Vordergrund gerückt werden („der lange Schaft des Speers“) und dass nicht das am Ende den Fehler verursachende Individuum (i.e. die „Speer-Spitze“) in den Fokus der Betrachtung gerät. Nur damit sind erfolgreiche dauerhafte Verbesserungen im Fehlermanagement realisierbar [10].

Darüber hinaus gelingt es, mit dem FdW die so genannten „Fehlerketten“ aufzuzeigen und wenn möglich an mehreren Stellen „Sicherheits-Checkpoints“ einzubauen, um potenziell zukünftig eine mögliche Fehlerreduktion erreichen zu können. In komplexen Institutionen wie einem Krankenhaus sind eingetretene Fehler in der Mehrzahl der Fälle Verkettungen von vielen Einzelelementen. Erst das Versagen mehrerer Sicherheits-Checkpoints resultiert dann schlussendlich in dem eingetretenen Fehler (vgl. „Schweizer-Käse-Modell“ [11] [12]).


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Sanktionsfreiheit muss gewährleistet sein

Als wesentliches Kernelement einer tragfähigen Fehlerkultur muss gelten, dass berichtende Mitarbeitende keine Sanktionen fürchten müssen – weder informeller Art (z.B. Ächtung durch das Kollegium, Degradierung, etc.) noch formeller Art (z.B. Anzeige). Dieser elementare Grundsatz kristallisierte sich über viele Jahre in der Aviatik aus einem intensiven Lernprozess heraus: Nur wer keine Sanktionen fürchten muss, ist auch prinzipiell bereit, über eigene (Beinahe-)Fehler zu berichten [10] – ein entsprechendes Umfeld mit der notwendigen psychologischen Sicherheit vorausgesetzt. Umso besorgniserregender und bedrohlicher erscheint es daher, wenn z.B. in der Aviatik in jüngster Zeit vereinzelt Stimmen laut wurden, dass persönliche Konsequenzen drohen sollten, wenn jemand einen (Beinahe-)Fehler berichtet bzw. zu verantworten hat. Es braucht nicht viel Fantasie dafür, um zu erkennen, dass hierdurch unweigerlich einer Kultur des Verschweigens und Vertuschens Vorschub geleistet wird bzw. diese weiterhin bestehen bleibt [13].


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Auffangen von „Störgrößen“

Eine große Herausforderung bei Modellen wie dem FdW stellt der Umgang mit Störgrößen jedweder Art dar: In welcher Art und Weise sowie in welcher Entschiedenheit wird z.B. eingefordert, dass Berichtenden uneingeschränkte Aufmerksamkeit zuteil wird? Je „direktiver“ hier von Führungskräften eingegriffen wird, desto einschüchternder kann dies auf Mitarbeitende wirken, die dann ihrerseits deshalb auf das Berichten ihrer eigenen Fehler verzichten. Werden Störgrößen jedoch nicht rigoros geahndet, droht die Bedeutung und Grundhaltung der Offenbarung derart in Mitleidenschaft gezogen zu werden, dass hierdurch wiederum Mitarbeitende abgeschreckt werden könnten, ihre eigenen Fehler zu offenbaren. Es darf nicht vergessen werden, dass es trotz eines durchgreifenden Kulturwandels stets eine erhebliche Belastung bleibt und sehr viel Mut erfordert, seine eigenen Fehler öffentlich kundzutun.

Besonders diffizil gerät die Situation dann, wenn z.B. eine klassische „Name–Blame–Shame“-Situation auftritt und Mitarbeitende von jemand anderem (im schlimmsten Fall durch Vorgesetzte) „vorgeführt“ werden – dies darf von den Führungskräften (in letzter Konsequenz: dem Chef/der Chefin ) keinesfalls toleriert werden, da dies die Grundfesten des FdW ins Wanken bringen würde. Die Einhaltung der „Spielregeln“ (siehe [Abb. 1]) ist oberstes Gebot und die Durchsetzung obliegt dem/der Chef*in. Dabei bleibt offen, ob das Eingreifen in eine Spielregel-Verletzung seinerseits bereits wieder einen Fehler der Woche darstellt (über den berichtet werden sollte), da sie/er hierbei nicht umhin kann, „Aggressor*innen“ öffentlich auf das Fehlverhalten hinzuweisen.


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Limitationen

Ein relevantes Problemfeld bei Modellen wie dem FdW ist die Tatsache, dass sie allesamt, wie z.B. auch jegliches „Critical Incident Reporting System“ (CIRS), auf die freiwillige Berichterstattung angewiesen sind und hierdurch erhebliche Verzerrungen systemimmanent auftreten [14]. Beim FdW kommt erschwerend hinzu, dass durch die nicht gegebene Anonymität die Hemmschwelle zur Berichterstattung noch deutlich höher liegt als in üblichen CIRS. Gerade deshalb kommt der oben beschriebenen Vorbildfunktion der Führungskräfte die geschilderte Wichtigkeit zu. Auch muss bedacht werden, dass beim FdW im Gegensatz zu üblichen CIRS (bisher) keine systematische schriftliche Dokumentation oder Evaluierung erfolgt.

Es bleibt zu hoffen, dass durch die immer größer werdende Durchdringung und flächendeckende Etablierung des FdW in einer Abteilung/Klinik nach und nach zumindest eine „quasi-systematische“ Berichterstattung und Analyse von (Beinahe-)Fehlern allein deshalb stattfindet, weil die meisten der (Beinahe-)Fehler vorgetragen werden. Gegenüber einem traditionellen CIRS hat der FdW den unschlagbaren Vorteil, dass es umgehendes Feedback gibt und der Berichtende „live“ und unmittelbar erfährt, dass sein Bericht zu Verbesserungen beitragen kann – und sie/er durch die eingehaltenen Spielregeln zugleich eine persönliche und umgehende Erleichterung/Entlastung erfährt (was bei einem traditionellen CIRS auf diese Art und Weise nicht der Fall ist).

Eine grundsätzliche Gefahr des FdW besteht darin, dass aufgrund des (zu) häufigen Berichtens von „harmlosen“ Fehlern eine Tendenz entstehen kann, dass die wirklich schwerwiegenden Fehler nicht berichtet werden. Da derartige Versäumnisse glücklicherweise jedoch erheblich seltener auftreten, würde der Verzicht auf das Berichten von nicht derart gravierenden Fehlern darin resultieren, dass insgesamt nur (sehr) selten das Modell FdW zum Einsatz käme. Hierdurch wäre die nachhaltige Etablierung eines Kulturwandels nicht möglich und durch die fehlende Routine drohte dann, dass das gesamte Modell wieder „einschlafen“ würde.

Auch kann bei bestimmten Mitarbeitenden der Eindruck entstehen, dass z.B. Chefs und Chefinnen keine schwerwiegenden Fehler unterlaufen, da sie, „um den Ball im Spiel zu halten“, ihre häufig auftretenden, nicht gravierenden (Beinahe-)Fehler berichten, und nachgeordnete Mitarbeitende selbst sich dann im konkreten Fall nicht trauen, ihre eigenen (schwerwiegenden) Fehler darzustellen. Wichtig zu betonen bleibt in diesem Zusammenhang, dass Chef*innen im Idealfall ja keineswegs ihre gravierenden Fehler verschweigen wollen, sondern lediglich aufgrund der schieren Wahrscheinlichkeit des Eintreffens hier ein starker Bias, hin zu weniger gravierenden Fehlern besteht.

Prinzipiell muss sich ein qualitativer (in Abgrenzung zu einem quantitativen) Forschungsansatz grundsätzlich mit systemimmanenten kritischen Einwänden auseinandersetzen (z.B. fehlende p-Werte, „freiwillige“/keine Teilnahme an den Fokusgruppen, etc.). Gleichwohl sind die hier angewendeten Forschungsinstrumente (Fokusgruppen und nachfolgende Datenanalyse und -synthese) wissenschaftlich in der Zwischenzeit bestens etabliert und unstrittig zielführend für die aktuell vorliegenden primären Fragestellungen. Zukünftige Forschungsarbeiten im Zusammenhang mit dem Konzept FdW könnten jedoch auch problemlos einem quantitativem Forschungsansatz zugänglich sein (z.B. Vergleich Patient*innensicherheit im zeitlichen Verlauf, etc.).


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Weiterentwicklung/Ausweitung des FdW

Zunächst bleibt der FdW auf die Innere Medizin und den ärztlichen Bereich am Klinikum Konstanz beschränkt. Es stellt sich die Frage, wie ein derartiges Modell weiter ausgerollt werden kann, damit z.B. ein gesamtes Krankenhaus davon profitieren kann. Es darf hierbei nicht übersehen werden, dass die komplexe Institution „Krankenhaus“ aus etlichen wesentlichen Bereichen besteht, welche allesamt zum Wohlergehen der Patient*innen ihren individuellen und wesentlichen Beitrag leisten. So steht neben dem ärztlichen Bereich auch die pflegerische Versorgung zentral im Mittelpunkt, jedoch dürfen auch Bereiche wie die Apotheke (Stichwort: Medikationsfehler, Unit Dose, etc.), die Logistik (Stichwort: Medizinprodukte), ja, auch die Küche (Stichwort: Allergien, Ernährungskonzepte), der Empfang (Stichwort: Angehörigen-Nachfragen) und das Controlling (Stichwort: steuernde Eingriffe) nicht außer Acht gelassen werden, wenn es gelingen soll, umfassende Verbesserungen erreichen zu können.

Anhand des oben Geschilderten und der Ergebnisse der Fokusgruppen muss gefolgert werden, dass der Schlüssel hierbei – genau wie bei der prinzipiellen Etablierung eines FdW-Konzeptes – wiederum bei den jeweiligen leitenden Personen der Abteilungen („Chefs“) liegt. Ein weiterer Ansatz, der am Klinikum Konstanz aktuell verfolgt wird, ist die Etablierung eines klinikweiten „Near Miss Day“, an dem alle Mitarbeitende eines Klinikums in regelmäßigen Abständen zusammenkommen, um nach den Grundprinzipien des FdW etwas abgemildert zunächst „Beinahe-Fehler“ (near misses) austauschen, um so ggf. doch einen „Bottom-up“-Ansatz (siehe oben) ermöglichen zu können. Erste Erfahrungen zeigen hier eine durchaus positive Resonanz und es wird deutlich, wie komplex Fehlerketten häufig sind und wie aufwendig sich eine entsprechende Fehleranalyse gestaltet.

Auch zeigt sich mit fortschreitender Zeit, dass der FdW mehr und mehr zum festen Bestandteil einer ärztlichen Teamidentität in den Medizinischen Kliniken geworden ist und die Berichthäufigkeit sowie aktive Berichterstattung aus unterschiedlichsten ärztlichen Gruppen deutlich zugenommen haben. Um eines klar zu sagen: Es geht gewiss nicht darum, dass Mitarbeitende im Gesundheitswesen stolz darauf sind, einen (Beinahe-)Fehler begangen zu haben – Ziel sollte jedoch sein, dass sie stolz darauf sein können, darüber zu sprechen und so aktiv zu einer potenziell höheren Patient*innen-Sicherheit beizutragen.

KERNAUSSAGEN
  • (Beinahe-)Fehler kommen im Gesundheitswesen sehr häufig vor und werden bis heute nur unzureichend berichtet und analysiert.

  • Ärzt*innen kommt bei Veränderungsprozessen hierbei durch Hierarchiegefüge/ein traditionelles Rollenverständnis eine Schlüsselfunktion zu.

  • Das Modell „Fehler der Woche“ kann den Boden für eine (Fehler-) Berichterstattung in einem psychologisch sicheren Arbeitsumfeld bereiten.

  • Die Chefärzt*innen haben in diesem Prozess eine entscheidende Vorbildfunktion.

  • Eine nachhaltige Etablierung eines derartigen Fehlermanagements kann nur „top-down“ und nicht „bottom-up“ erfolgen.


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Danksagung

Unser aufrichtiger Dank gilt dem gesamten Team am Klinikum Konstanz für die außergewöhnlich kollegiale und freundschaftliche Kultur sowie die Bereitschaft, das Projekt FdW nachhaltig zu unterstützen. Prof. Amy Edmondson wie auch den Dozent*innen des Masterstudiengangs Medical Education der Universität Bern gebührt Dank für ihre stetige Inspiration und Sandra Schulze für ein ganz besonderes Talent als Graphic Illustrator.


Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Hans-Joachim Kabitz
Klinik für Pneumologie und Schlafmedizin
Tellstraße 25
5001 Aarau
Schweiz   

Publication History

Article published online:
12 June 2023

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Abb. 1 Grafische Aufarbeitung der wesentlichen Elemente des Konzeptes „Fehler der Woche“ (FdW).
Quelle: Sandra Schulze (www.sandraschulze.com).
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Abb. 2 Synopsis der wesentlichen anhand der Fokusgruppen-Analyse identifizierten Erfolgsfaktoren des Konzeptes „Fehler der Woche“ (FdW) sowie die wichtigsten Auswirkungen.