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DOI: 10.1055/a-2022-0271
Kopfschmerz News der DMKG
- Alopezie als seltene Nebenwirkung der CGRP-Antikörper – früher genauso oft wie unter Placebo, heute klinisch relevant
- Geschlechterabhängige Unterschiede des Clusterkopfschmerzes
- OnabotulinumtoxinA zur Behandlung der chronischen Migräne im Kindes- und Jugendalter
- Literatur
Alopezie als seltene Nebenwirkung der CGRP-Antikörper – früher genauso oft wie unter Placebo, heute klinisch relevant
*** Ruiz M, Cocores A, Tosti A, et al. Alopecia as an emerging adverse event to CGRP monoclonal antibodies: Cases Series, evaluation of FAERS, and literature review. Cephalalgia 2023. doi:10.1177/03331024221143538
Hintergrund
Die Migräne ist eine der häufigsten primären Kopfschmerzerkrankungen. Monoklonale Antikörper gegen „calcitonin gene-related peptide“ (CGRP) bzw. seinen Rezeptor (CGRP-Antikörper) wiesen in den Zulassungsstudien eine zuverlässige Wirksamkeit gegenüber Placebo bei niedriger Nebenwirkungsrate auf. Erste Studien (wie die HER-MES-Studie) legen eine bessere Verträglichkeit und Wirksamkeit gegenüber etablierten Medikamenten nahe. Auch wenn die Nebenwirkungsrate gering ist, werden nach der Zulassung durch die breite Anwendung neue in der Literatur beschrieben.
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Zusammenfassung
Die Arbeit beschreibt 2 Fälle von Alopezie unter einer Therapie mit Erenumab. Eine 69-jährige Patientin musste Valproat, Gabapentin, Topiramat und Venlafaxin aufgrund von Haarausfall beenden. Unter Propranolol trat diese Nebenwirkung nicht auf. Die Migränetage konnten nach Beginn von Erenumab 70 mg s. c. relevant reduziert werden (von 6 auf 3 Tage/Monat). Aufgrund der Alopezie, welche 3 Monate nach Beginn der Erenumab-Therapie begann, wurde auf Fremanezumab 225 mg s. c. monatlich gewechselt. Darunter endete die Alopezie nicht. Eine umfassende laborchemische und dermatologische Diagnostik der Alopezie blieb ohne alternative Erklärung. Auch 3 Monate nach Absetzen der Antikörpertherapie persistierte der Haarausfall, wenn auch in der Intensität vermindert.
Der zweite Fall handelt von einer 33-jährigen Patientin, die mehrere Prophylaktika aufgrund von Nebenwirkungen (Aufschlüsselung erfolgt nicht) absetzen musste. Nach Beginn von Erenumab 70 mg s. c. monatlich konnten die monatlichen Migränetage von 14 auf 8 reduziert werden. 2 Wochen nach Beginn bemerkte sie den ersten Haarausfall. Erenumab wurde daraufhin gestoppt und eine Therapie mit Galcanezumab 240 mg begonnen. Doch auch hier kam es zu einer Alopezie, welche 6 Wochen nach Absetzen sistierte. Nach 8 Monaten ohne Antikörpertherapie wurde ein erneuter Versuch mit Fremanezumab 225 mg s. c. gestartet. 3 Wochen später setzte der Haarausfall ein. Letztlich konnte unter Atogepant eine zufriedenstellende Reduktion der Migränetage auf 8 pro Monat ohne assoziierte Alopezie erzielt werden.
Die Schilderungen entsprechen einem medikamentös einsetzendem telogenem Effluvium. Dies setzt nach anderen Medikamenten (wie Zytostatika) typischerweise nach 2–3 Monaten ein, was hier der Fall ist. Somit ist trotz nicht auszuschließender anderer Ursachen die Medikation mit CGRP-Antikörpern der wahrscheinlichste Grund. Die Häufigkeit einer Alopezie unter Erenumab wurde sowohl in den Zulassungsstudien als auch in der 5-Jahres-open-label-Studie mit ca. 0,3–0,4 % angegeben. Vor allem war hier keine höhere Rate als unter Placebo (0,4 %) beobachtet worden. Im FDA Adverse Event Reporting System (FAERS) wurden auch Fälle bei Gepanten gemeldet. Ein kausaler Zusammenhang ist denkbar, da in Kopfhautbiopsien mit Alopezia areata unter anderem erniedrigte Spiegel von CGRP gefunden wurden. Auch führt CGRP zu einer Erhöhung des IGF-1, welches eine wichtige Rolle in der Entwicklung der Haarfollikel spielt.
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Kommentar
Die Fallberichte schildern 2 Patientinnen, bei denen es nach Therapiebeginn mit CGRP-Antikörpern zu einer Alopezie gekommen ist. Bei beiden hat ein Wirkstoffwechsel keine Änderung bewirkt. Laut FAERS wurde unter den 4 Antikörpern die höchste Rate an Alopezie bei Erenumab berichtet. Bis Februar 2021 wurden 1331 Fälle von Alopezie unter Erenumab gesammelt. Es ist anzunehmen, dass die Dunkelziffer deutlich höher liegt, da der Bericht von Nebenwirkungen in der FAERS auf Freiwilligkeit beruht und demnach nicht vollständig sein kann. Bei 650 Fällen wurde zusätzlich berichtet, ob dies eine therapeutische Konsequenz nach sich zog; 61,4 % derer brachen die Behandlung mit Erenumab gänzlich ab. Eine hohe Abbruchrate aufgrund von Alopezie, die dem behandelnden Arzt gar nicht berichtet wird, ist denkbar. Nach der Obstipation scheint sich Alopezie als weitere bisher nur unzureichend beschriebene Nebenwirkung als relevant zu zeigen. Ob noch weitere regelhaft auftreten, bleibt abzuwarten. Ein konsequentes Melden der Nebenwirkungen ist daher wichtig, um die klinische Relevanz weiter einschätzen zu können.
Till Hamann, Rostock
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Geschlechterabhängige Unterschiede des Clusterkopfschmerzes
***Fourier C, Ran C, Steinberg A, et al. Sex differences in clinical features, treatment, and lifestyle factors in patients with cluster headache. Neurology 2022. doi:10.1212/WNL.0000000000201688
Einleitung
Obwohl sich das Geschlechterverhältnis in den letzten Jahrzehnten verändert hat und die Diagnose Clusterkopfschmerz mittlerweile häufiger bei Frauen gestellt wird, wurde die klinische Präsentation in Patientinnen wenig untersucht.
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Zusammenfassung
Die Veröffentlichung stellt Ergebnisse aus einer Umfrage bei 874 weiblichen (34,2 %) und männlichen (65,4 %) Clusterkopfschmerz-Patienten vor, die zwischen 2014 und 2020 in die Clusterkopfschmerz-Biodatenbank am Karolinska Universitätskrankenhaus eingeschlossen wurden. Frauen waren im Vergleich zu Männern häufiger von der chronischen Verlaufsform betroffen und berichteten eine längere Episodendauer. Die episodische und chronische Verlaufsform trat in beiden Geschlechtern im gleichen Alter auf, die chronische Verlaufsform begann bei Männern und Frauen allerdings in einem höheren Lebensalter. Frauen berichteten häufiger von einer zusätzlich bestehenden Migräne oder eines Kopfschmerzes vom Spannungstyp und wiesen häufiger eine positive Familienanamnese als Männer auf. Schmerzintensität und Auftreten von trigemino-autonomen Begleitsymptomen war in beiden Geschlechtern gleich, wobei Frauen häufiger über eine Ptose und Unruhe berichteten. Die Einnahme von Akutmedikation war ebenfalls in beiden Geschlechtern gleich häufig, die Einnahme einer prophylaktischen Medikation war bei Frauen häufiger. Es wurde nach möglichen Triggern für eine Clusterkopfschmerz-Attacke gefragt; hier wurde Alkohol am häufigsten von Männern benannt, Stress wurde öfters durch Frauen berichtet.
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Kommentar
Hervorzuheben ist die große Anzahl der Patienten, die in die Auswertung eingeschlossen wurde. Darüber hinaus haben die Autoren ca. 50 % der Patienten selbst diagnostiziert und die Diagnose bei den restlichen Teilnehmern anhand der Krankenakte gesichert, sodass von einer hohen diagnostischen Genauigkeit ausgegangen werden kann. Die Untersuchung gibt wichtige Hinweise für unser Verständnis der Erkrankung bei Frauen und kann dazu beitragen, den Clusterkopfschmerz bei Patientinnen frühzeitiger zu diagnostizieren; allerdings wäre eine genauere Untersuchung des klinischen Verlaufs wünschenswert gewesen. Zusammenfassend macht die Studie deutlich, dass der Clusterkopfschmerz eine relevante Erkrankung für Frauen ist, die aufgrund der häufigeren chronischen Verlaufsform mit einer nicht unerheblichen Beeinträchtigung einhergehen kann.
Katharina Kamm, München
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OnabotulinumtoxinA zur Behandlung der chronischen Migräne im Kindes- und Jugendalter
*** Papetti L, Frattale I, Ursitti F, et al. Real Life Data on OnabotulinumtoxinA for Treatment of Chronic Migraine in Pediatric Age. J Clin Med 2023; 12: 1802. doi.org/10.3390/jcm12051802
Hintergrund
Die chronische Migräne betrifft ca. 1,5 % der Kinder und Jugendlichen [1]. Zur prophylaktischen Therapie der chronischen Migräne (CM) im Kindesalter stehen neben multimodalen Therapiekonzepten wenige medikamentöse Behandlungsoptionen zur Auswahl, mit begrenzter Evidenz und zum Teil hohen Nebenwirkungsprofil. Die Therapie mit OnabotulinumtoxinA (OBT-A) der CM bei Erwachsenen wurde in vielen Studien untersucht und zeigt bei Respondern eine deutliche Reduktion der durchschnittlichen Kopfschmerztage ohne relevante Nebenwirkungen [2]. Bei Kindern und Jugendlichen gibt es wenige Studien mit OBT-A zur Therapie der CM. Diese offene, unkontrollierte Studie beschäftigt sich mit der Effektivität und Sicherheit der OBT-A Therapie bei Kindern und Jugendlichen mit CM.
Zusammenfassung
Während des Studienzeitraums wurden 179 Patientenen im Kopfschmerzzentrum des Bambino Gesu Childrens‘s Hospital Rom mit einer CM diagnostiziert. 43 Patienten wurden letztendlich in die Auswertung miteingeschlossen. Vorrausetzung zur Teilnahme an der Studie war eine erfolglose Therapie mit 2 prophylaktischen Medikamenten. Das Alter der Teilnehmenden lag zwischen 12 und 17 Jahren (Durchschnitt: 14,7 ± 1,5 Jahre; 80,4 % weiblich). Im Durchschnitt wurde die Diagnose einer CM vor 29,3 Monaten gestellt, die Kopfschmerzfrequenz lag vor Beginn bei 26,5 ± 5,8 Tagen. Die am häufigsten verordneten prophylaktischen Medikamente vor Beginn der OBT-A- Therapie waren Amitriptylin (95,7 %) und Topiramat (47,8 %). Es wurden 155–195 Einheiten OBT-A appliziert, dies entspricht der Dosis aus dem PREEMPT-Protokoll [4].
Nach dem ersten Zyklus mit OBT-A zeigte sich bei 35 % der Teilnehmenden eine Response (28 % eine Reduktion der durchschnittlichen Kopfschmerztage um 30–49 %; 7 % eine Reduktion um mehr als 50 %). 19,5 % der Teilnehmenden brachen die Therapie nach der ersten Injektion aufgrund von Injektionsschmerzen ab, hierbei handelte es sich signifikant um jüngere Teilnehmende mit einem Durchschnittsalter von 13,67 ± 1,5. Nach dem zweiten und dritten Zyklus zeigten 68 % der Teilnehmenden eine Response auf die Injektion. Weitere Injektionen nach dem dritten Zyklus erbrachten keinen weiteren Effekt bei Non-Respondern, jedoch zeigte sich bei Respondern eine weitere Reduktion der Migränehäufigkeit. Neben der Reduktion der durchschnittlichen Kopfschmerztage pro Monat zeigte sich auch eine Verbesserung in der Schwere der Migräneepisoden. Es traten keine schwerwiegenden Nebenwirkungen auf. Am häufigsten kam es zu einem Ödem der Injektionsstelle (5 %) und einem Juckreiz (4 %) sowie Kopfschmerzen (5 %), Muskelschwäche im Nacken (1 %) und Nackenschmerzen (1 %).
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Kommentar
Die Ansprechrate auf die OBT-A-Injektion mit insgesamt 68 % nach dem dritten Zyklus ist hoch. Bei 45 % zeigt sich sogar eine Reduktion von über 50 % der durchschnittlichen Kopfschmerztage. Interessant ist auch, dass weitere Zyklen bei den Respondern eine weitere Reduktion der Kopfschmerzfrequenz zufolge haben. In der Studie zeigt sich eine geringe Abbruchrate von 19,5 % und betraf hauptsächlich sehr junge Teilnehmende. Es fehlt eine Kontrollgruppe, um mögliche Placeboeffekte bei Kindern und Jugendlichen zu ermitteln. In einer Studie mit einer einmaligen Injektion von OBT-A zeigte sich sowohl in der Interventions- als auch Placebo-Gruppe eine Reduktion der Kopfschmerztage [2]. Der Placeboeffekt bei Kindern und Jugendlichen ist grundsätzlich hoch [5]. Letztendlich zeigt die Studie jedoch, dass OBT-A-Injektionen bei Kindern und Jugendlichen mit CM eine sichere Therapiemöglichkeit bietet, mit einer hohen Ansprechrate bei zuvor therapierefraktären chronischen Kopfschmerzen und geringem Nebenwirkungsprofil.
Berit Höfer und Laura Zaranek, Dresden
***** |
Exzellente Arbeit, die bahnbrechende Neuerungen beinhaltet oder eine ausgezeichnete Übersicht bietet |
**** |
Gute experimentelle oder klinische Studie |
*** |
Gute Studie mit allerdings etwas geringerem Innovationscharakter |
** |
Studie von geringerem klinischen oder experimentellen Interesse und leichteren methodischen Mängeln |
* |
Studie oder Übersicht mit deutlichen methodischen oder inhaltlichen Mängeln |
Die Kopfschmerz-News werden betreut von der Jungen DMKG, vertreten durch Dr. Robert Fleischmann, Greifswald, Dr. Katharina Kamm, München (Bereich Trigemino-autonomer Kopfschmerz & Clusterkopfschmerz), Dr. Laura Zaranek, Dresden (Bereich Kopfschmerz bei Kindern und Jugendlichen) und Dr. Thomas Dresler, Tübingen (Bereich Psychologie und Kopfschmerz).
Ansprechpartner ist Dr. Robert Fleischmann, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Unimedizin Greifswald, Ferdinand-Sauerbruch-Str. 1, 17475 Greifswald, Tel. 03834/86-6815, robert.fleischmann@uni-greifswald.de
Die Besprechungen und Bewertungen der Artikel stellen die Einschätzung des jeweiligen Autors dar, nicht eine offizielle Bewertung durch die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft.
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Literatur
- 1 Wöber-Bingöl C.. Curr Pain Headache Rep. 2013; 17: 341
- 2 Winner P. et al Headache. 2020; 60: 564-575
- 3 Burstein R. et al Headache. 2020; 60: 1259-1272
- 4 Aurora S. et al Acta Neurol Scand. 2014; 129: 61-70
- 5 Janiaud P. et al Pediatr Res. 2017; 81: 11-17
Publication History
Article published online:
31 May 2023
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Stuttgart · New York
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Literatur
- 1 Wöber-Bingöl C.. Curr Pain Headache Rep. 2013; 17: 341
- 2 Winner P. et al Headache. 2020; 60: 564-575
- 3 Burstein R. et al Headache. 2020; 60: 1259-1272
- 4 Aurora S. et al Acta Neurol Scand. 2014; 129: 61-70
- 5 Janiaud P. et al Pediatr Res. 2017; 81: 11-17