Nervenheilkunde 2023; 42(06): 386-388
DOI: 10.1055/a-2022-0271
Gesellschaftsnachrichten

Kopfschmerz News der DMKG

Alopezie als seltene Nebenwirkung der CGRP-Antikörper – früher genauso oft wie unter Placebo, heute klinisch relevant

*** Ruiz M, Cocores A, Tosti A, et al. Alopecia as an emerging adverse event to CGRP monoclonal antibodies: Cases Series, evaluation of FAERS, and literature review. Cephalalgia 2023. doi:10.1177/03331024221143538

Hintergrund

Die Migräne ist eine der häufigsten primären Kopfschmerzerkrankungen. Monoklonale Antikörper gegen „calcitonin gene-related peptide“ (CGRP) bzw. seinen Rezeptor (CGRP-Antikörper) wiesen in den Zulassungsstudien eine zuverlässige Wirksamkeit gegenüber Placebo bei niedriger Nebenwirkungsrate auf. Erste Studien (wie die HER-MES-Studie) legen eine bessere Verträglichkeit und Wirksamkeit gegenüber etablierten Medikamenten nahe. Auch wenn die Nebenwirkungsrate gering ist, werden nach der Zulassung durch die breite Anwendung neue in der Literatur beschrieben.


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Zusammenfassung

Die Arbeit beschreibt 2 Fälle von Alopezie unter einer Therapie mit Erenumab. Eine 69-jährige Patientin musste Valproat, Gabapentin, Topiramat und Venlafaxin aufgrund von Haarausfall beenden. Unter Propranolol trat diese Nebenwirkung nicht auf. Die Migränetage konnten nach Beginn von Erenumab 70 mg s. c. relevant reduziert werden (von 6 auf 3 Tage/Monat). Aufgrund der Alopezie, welche 3 Monate nach Beginn der Erenumab-Therapie begann, wurde auf Fremanezumab 225 mg s. c. monatlich gewechselt. Darunter endete die Alopezie nicht. Eine umfassende laborchemische und dermatologische Diagnostik der Alopezie blieb ohne alternative Erklärung. Auch 3 Monate nach Absetzen der Antikörpertherapie persistierte der Haarausfall, wenn auch in der Intensität vermindert.

Der zweite Fall handelt von einer 33-jährigen Patientin, die mehrere Prophylaktika aufgrund von Nebenwirkungen (Aufschlüsselung erfolgt nicht) absetzen musste. Nach Beginn von Erenumab 70 mg s. c. monatlich konnten die monatlichen Migränetage von 14 auf 8 reduziert werden. 2 Wochen nach Beginn bemerkte sie den ersten Haarausfall. Erenumab wurde daraufhin gestoppt und eine Therapie mit Galcanezumab 240 mg begonnen. Doch auch hier kam es zu einer Alopezie, welche 6 Wochen nach Absetzen sistierte. Nach 8 Monaten ohne Antikörpertherapie wurde ein erneuter Versuch mit Fremanezumab 225 mg s. c. gestartet. 3 Wochen später setzte der Haarausfall ein. Letztlich konnte unter Atogepant eine zufriedenstellende Reduktion der Migränetage auf 8 pro Monat ohne assoziierte Alopezie erzielt werden.

Die Schilderungen entsprechen einem medikamentös einsetzendem telogenem Effluvium. Dies setzt nach anderen Medikamenten (wie Zytostatika) typischerweise nach 2–3 Monaten ein, was hier der Fall ist. Somit ist trotz nicht auszuschließender anderer Ursachen die Medikation mit CGRP-Antikörpern der wahrscheinlichste Grund. Die Häufigkeit einer Alopezie unter Erenumab wurde sowohl in den Zulassungsstudien als auch in der 5-Jahres-open-label-Studie mit ca. 0,3–0,4 % angegeben. Vor allem war hier keine höhere Rate als unter Placebo (0,4 %) beobachtet worden. Im FDA Adverse Event Reporting System (FAERS) wurden auch Fälle bei Gepanten gemeldet. Ein kausaler Zusammenhang ist denkbar, da in Kopfhautbiopsien mit Alopezia areata unter anderem erniedrigte Spiegel von CGRP gefunden wurden. Auch führt CGRP zu einer Erhöhung des IGF-1, welches eine wichtige Rolle in der Entwicklung der Haarfollikel spielt.


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Kommentar

Die Fallberichte schildern 2 Patientinnen, bei denen es nach Therapiebeginn mit CGRP-Antikörpern zu einer Alopezie gekommen ist. Bei beiden hat ein Wirkstoffwechsel keine Änderung bewirkt. Laut FAERS wurde unter den 4 Antikörpern die höchste Rate an Alopezie bei Erenumab berichtet. Bis Februar 2021 wurden 1331 Fälle von Alopezie unter Erenumab gesammelt. Es ist anzunehmen, dass die Dunkelziffer deutlich höher liegt, da der Bericht von Nebenwirkungen in der FAERS auf Freiwilligkeit beruht und demnach nicht vollständig sein kann. Bei 650 Fällen wurde zusätzlich berichtet, ob dies eine therapeutische Konsequenz nach sich zog; 61,4 % derer brachen die Behandlung mit Erenumab gänzlich ab. Eine hohe Abbruchrate aufgrund von Alopezie, die dem behandelnden Arzt gar nicht berichtet wird, ist denkbar. Nach der Obstipation scheint sich Alopezie als weitere bisher nur unzureichend beschriebene Nebenwirkung als relevant zu zeigen. Ob noch weitere regelhaft auftreten, bleibt abzuwarten. Ein konsequentes Melden der Nebenwirkungen ist daher wichtig, um die klinische Relevanz weiter einschätzen zu können.

Till Hamann, Rostock


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Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
31. Mai 2023

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