Zeitschrift für Palliativmedizin 2023; 24(02): 64-67
DOI: 10.1055/a-2014-4242
Forum

Doppelkopf: Steffen Eychmüller und Sibylle Felber

Steffen Eychmüller

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Wie kamen Sie in Ihr jetziges Tätigkeitsfeld?

Ein verschlungener Pfad: Nach dem Studium wollte ich Transplantationschirurg werden. Fachlich und zwischenmenschlich enttäuschende Erlebnisse in den USA ließen mich meinen Weg dann ganz anders ausrichten: Ich wollte Medizin lernen in der ganzen Breite, was ich dann auch tat. Von der Geburtshilfe, Chirurgie bis zur Inneren Medizin mit viel Notfallmedizin kam ich zur Psychosomatik. Die Aufteilung der Medizin in ,Körper ohne Seelen und Seelen ohne Körper‘, wie Thure von Uexküll nannte, ist ja nicht zuletzt unwissenschaftlich und für mich weiterhin einer der Hauptgründe für das langsame Verlöschen des Anteils ,human‘ in der ,Medizin‘. Ich hatte das Privileg, Thure von Uexküll zu treffen als er 86 Jahre alt war. Wie viele andere, hat er mich und meine Haltung sehr geprägt, auch im Leiden unter der oft fehlenden liebevollen Selbstreflexion der Fachpersonen. Von der Psychosomatik mit Rolf Adler als wunderbar herausforderndem und inspirierendem Lehrer in Bern war es nicht mehr weit in die Palliative Care: Sie ist für mich eine Art ,last resort‘ für erlebbare biopsychosoziale Medizin.

Was wäre für Sie die berufliche Alternative?

Ursprünglich wollte ich einmal Förster werden. Die Vorstellung, den ganzen Tag in der Natur zu sein, und dem Wald und seinen Tieren Sorge zu tragen, war herrlich. Dass die berufliche Realität heute auch sehr viel mit Büro und Bildschirm zu tun hat, war dann doch ein Hinderungsgrund für diesen Weg. Humanmedizin ist und bleibt meine Passion. Innerhalb der Medizin ist die Alternative ganz klar die Hausarztmedizin. Medizin als solche ist ein wunderbarer Beruf, jeden Tag überraschend und berührend, wenn wir aufmerksam bleiben – und auch so herausfordernd.

Wie beginnen Sie Ihren Tag?

Mit Müsli, Zeitung und Fahrradfahren – ein Ruhe,slot‘ zum Tagesbeginn. Die morgendliche Fahrt, egal bei welchem Wetter, verbindet mich mit (Jahres)Zeit und Raum, mit besonderer Vorliebe für die wärmere Jahreszeit wegen der vielen Gerüche. Heute Morgen leuchteten die Alpen, genauer Eiger, Mönch und Jungfrau wieder im Rot des Sonnenaufgangs – welches Privileg, an einem solch wunderbaren Ort leben zu können.

Leben bedeutet für mich …

Möglichst viele Sinne einzusetzen. Andere sagen: im Hier und Jetzt. Auch auf einem überfüllten Bahnsteig gibt es viel zu entdecken oder Geschichten zu imaginieren. Oder auch ein zugefrorenes Hochplateau im Winter lebt – auch die Stille. Leben heißt wohl deshalb für mich, alle Fühler auszufahren, auf Resonanz zu hören, und diese zu spüren, falls möglich. So erlebe ich mich als lebenssüchtig: ich kann gar nicht genug riechen und fühlen und hören und sehen.

Sterben bedeutet für mich …

Das weiß ich noch nicht. Da würde ich gerne einmal (noch nicht bald – ich lebe so gerne) beispielsweise mit einer Gruppe verstorbener Palliativler gemeinsam diskutieren: „Wie war das für Dich, was bedeutet Sterben nun für Dich aufgrund dieser Erfahrung?“Die Idee des Kreises, der sich schließt, in verschiedenen Religionen gibt mir Ruhe, wenngleich ich auch großen Respekt habe vor dem eigenen Sterben, je nachdem, in welcher Lebenslage es mich trifft. Die Hauptsorge würde sicherlich meiner Familie gelten, auch wenn wir ein solches Szenario immer wieder einmal gemeinsam diskutieren, ,was wäre, wenn …‘. Doch aus der Ferne lassen sich das Sterben und die damit verbundenen Erfahrungen nicht simulieren.

Welches Ziel möchten Sie unbedingt noch erreichen?

Unbedingt eigentlich nichts – mein Rückblick ist reich. Es gäbe noch den Weg zu ,weniger ist mehr‘, ressourcenarm und naturnah leben gemeinsam mit liebevollen und stolzen Menschen – der kommunardische Traum mit viel menschlicher Wärme, Compassion und Gemüse-/Obstgarten. Da zieht es mich hin.

Meine bisher wichtigste Lernerfahrung im Leben ist …

Die Geburt unseres ersten Sohnes – unvorstellbar, bewegend, Grenzen sprengend. Im Erwachsenenalter gemeinsam blutige Anfänger zu sein trotz aller Vorbereitung, das war für uns Lernen pur.

Was würden Sie gern noch lernen?

Gut kochen und einen grünen Daumen haben mit gelingendem Gemüse- und Obstanbau, mit Betonung auf gelingend.

Woraus schöpfen Sie Kraft für Ihre Arbeit?

Aus dem unerschöpflichen Reservoir menschlicher Begegnungen und Beziehungen mit besonderer Wichtigkeit unserer Familie, und aus der Natur mit ebenso unerschöpflichen Energiequellen unter Einschluss der Stille.

Mit wem aus der Welt- oder Medizingeschichte würden Sie gern einmal einen Abend verbringen?

Mit Hannah Arendt und Mahatma Ghandi bei einer Unterhaltung über eine Strategie, wie man es anstellen könnte, dass es eine liebevolle Revolution für ein weltweit solidarisches Miteinander mit viel mehr ,self-compassion‘ eben doch geben könnte. Und am nächsten Morgen würde ich gerne mit beiden beispielsweise bei der Zufahrt zum Weltwirtschaftforum WEF in Davos eine Teststation bei der obligatorischen Passkontrolle einrichten. Nicht für Corona, sondern für Compassion: Es gäbe einen Fragebogen, wie liebevoll die für das Forum Angemeldeten mit sich selbst umgehen (self- compassion), und einen für ein kurzes Online-Interview mit den nächsten Angehörigen, wie liebevoll diese Person mit ihrem nächsten Umfeld umgeht. Bestehen sie diese beiden Tests nicht, dürfen sie nicht teilnehmen. Was soll schon Sinnvolles entstehen, wenn Leaders nicht fähig zur Compassion sind? Vielleicht könnte man diese Testreihe auch massiv ausweiten auf Vorgesetzte, Kolleg:innen, Lehrer:innen, Politiker:innen, bei der Einlasskontrolle zur UNO-Vollversammlung oder zu EAPC-Kongressen … Wäre das nicht eine Idee?

Wenn ich einen Tag unsichtbar wäre, würde ich …

Sehr gerne alle Social-Media-Kanäle hacken und definitiv als Kommunikationsmittel abschalten.

Wie können Sie Frau Felber beschreiben?

Als eine wunderbar chi-positive Frau, mit der sich herrlich geistiges Ping-Pong spielen lässt, und mit der Emergenz kein abstrakter Begriff, sondern ein fühlbares Phänomen ist. Einfühlsam, nachdenklich, aber auch spontan, und vor allem ehrlich. Die auch mutig ist, Dinge wagt, überzeugen kann und überzeugt ist, dass dieses Leben eben das Einzige ist, das wir haben, und dass wir etwas draus machen, ebenfalls mit allen Sinnen. Wir begannen als Kollegen, und sind heute ein Energie-Duo, das anderen manchmal fast Sorge macht wegen all der Ideen und Projekten. Mit ihr sind diese kleinen, liebevollen Revolutionen jeden Tag möglich, die zu viel Ungerechtigkeit und Willkür auf der Welt ein so wichtiges und hoffnungsvolles Gegengewicht bilden.

Wie beenden Sie Ihren Tag?

Mit Lesen im Bett – und (nicht immer, aber eigentlich sehr gerne) mit einem Review, was dieser Tag an Begegnungen und Sinnes-Erlebnissen gebracht hat.

Gibt es etwas, das Sie gern gefragt worden wären, aber noch nie gefragt worden sind?

Gibt es ein Mittel, das die Niedertracht stark schwächt, und die Liebe massiv verstärkt? Ja, sich selbst und andere okay zu finden, und die eigene Endlichkeit als kleinen reflektierenden Spiegel immer bei sich zu spüren. In den sollten wir immer wieder hineinschauen – und eben reflektieren, wie einmalig unser Leben ist.Eine Frage wird mir nie gestellt, aber ich stelle sie mir selbst, und jede oder jeder könnte sie sich doch täglich stellen: „Heute Nacht sind weltweit ca. 80 000 Menschen gestorben (das stimmt statistisch!). Sie waren nicht dabei. Was machen Sie aus dem heutigen Tag?“

Zur Person

Weiterbildung in Innerer Medizin, Psychosomatik und Palliativmedizin; Master in Medical Education MME; 1999–2012 Leitung Palliativzentrum am Kantonsspital St. Gallen; in dieser Zeit auch mehrere Aufenthalte in Australien als Clinical and Research Fellow in Palliative Care (Sydney, Perth); 2012 – dato ärztliche Leitung Universitäres Zentrum für Palliative Care, Inselspital, Universitätsspital Bern; seit 2016 Professur für Palliative Care, Universität Bern



Publication History

Article published online:
27 February 2023

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